GONE WITH THE DEATH? – Teil 9-10

 

Teil 9 – SCHWARZE LÖCHER und EREIGNISHORIZONTE

 

„Ich war ein Nichts, weder Fisch noch Fleisch, weder richtiger Vampir noch Mensch“, fuhr Spike mit seiner Erzählung fort. „Am meisten bei der Sache empörte mich meine totale Bedeutungslosigkeit. Noch am selben Abend verließ ich die Stadt, ich wollte nach Afrika zu einem anderen Big Bad. Zu einem anderen?“ Spike lachte bitter auf.

„Das war der reinste Hohn, ich selber hatte mich immer als ‚Big Bad’ bezeichnet, aber ich war nur noch ein Abklatsch meines früheren Ichs. Ein Besessener, ein Idiot, ich wollte Buffy töten und mit ihr alle ihre Freunde. Außer Dawn vielleicht. Ich wollte den Chip, der mich so lange geknechtet hatte, loswerden, um sie alle töten zu können. Oder vielleicht leben zu lassen... Und vor allem wollte ich diese beschissenen Gefühle loswerden, die mich an Buffy fesselten. Ich war so stinksauer! Wollte Buffy das geben, was sie verdiente! Und das war nichts Gutes, so dachte ich jedenfalls.“ Spike musste grinsen. „Leider verstand der afrikanische Dämon das anders, vielleicht las er in meinem Unterbewusstsein, dass ich ihr nichts antun wollte, denn er entfernte nicht den Chip, sondern gab mir meine Seele zurück.“

„Was denn...“

„Es war meine eigene Seele, im Gegensatz zu der einer anderen Person, die mit Sicherheit nicht ihre eigene Seele zurückbekommen hat, sondern eine idealisierte...“

„Du meinst doch bestimmt Angel?“

„Und wenn schon, ist doch egal. Weiter: Was bedeutet das, eine Seele zu haben? Ich kann’s dir sagen: Es bedeutet Pein und Schmerzen, ich wurde heimgesucht von Erinnerungen und Alpträumen, die alle mit meinen Opfern zu tun hatten. Und das waren nicht wenige. Ich kehrte nach Sunnydale zurück, tatsächlich weiß ich nicht, wie ich die Reise überlebt habe in diesem Zustand. Aber ich war zurück.“

„Was sagte Buffy?“

„Sie war nicht begeistert, eher schockiert. Ich bedeutete Komplikationen für sie. Sie musste sich jetzt um mich kümmern, denn ich war kein seelenloses Wesen mehr.“

„WIE hat sie sich um dich gekümmert?“

„Sie brachte mich bei Xander unter, vorher hauste ich im Keller der Schule. Ein schrecklicher Ort, nahe am Höllenschlund gelegen, das Urböse hielt mich dort fest im Griff, es erschien mir in verschiedenen Gestalten, mal als Drusilla, mal als Buffy – aber alle hackten auf mir herum, bis ich schließlich verrückt wurde.“

Lilah schaute ihn mitleidig an, aber er bemerkte es gar nicht.

„Dazu kam noch eine seltsame Melodie, die mich zum Ausrasten brachte. Ich tötete mehrere Leute...“

„Oh!“ Und nach kurzer Pause: „Was tat Buffy?“

„Sie versuchte Beweise zu finden, dass ich es nicht mit Absicht getan hätte.“

„Das ist ja wohl ein Hammer“, wunderte Lilah sich.

„Es hatte nichts mit mir persönlich zu tun, es handelte sich einzig und allein um meine Seele. Sie steht nun mal auf Seelen...“

„Du bist ein Idiot, sie stand auf DICH!“

„Nein“, Spike lächelte milde, „das siehst du falsch. Sie hätte nie jemanden wie mich lieben können, jemanden, der so viele Leute getötet hat. Niemals! Das war mir endlich klargeworden. Und ich brauchte es auch nicht mehr.“

„Was?“

„Dass sie mich liebte!“

Was meinte er nun damit? Lilah dachte angestrengt nach, bis sie auf die Lösung kam. Er liebte Buffy trotzdem, egal ob er nun auf ihre Gegenliebe traf oder nicht. Diese seine, wie es schien endgültige Aussage machte Lilah so wütend, dass sie aus Verzweiflung den Computer einschaltete, Casios uraltes DOS-Spiel ‚Simcity 2000’ startete und anfing, mit dem Bagger-Werkzeug ein paar Häuser und danach ganze Straßenzüge platt zu machen.

PROSCH RATTTATTA... PLÄDDEL PLÄDDEL... Ein fleißiger Bagger war das! „Und dann hast du dich geopfert“, sagte sie zornig, während sie mit Bagger ein paar Wolkenkratzer einstürzen ließ.

„Ja, dann habe ich mich geopfert“, sagte Spike.

„Hat es sich denn gelohnt?“, fragte Lilah nach. PROSCH RATTTATTA... PLÄDDEL PLÄDDEL... Alles ging in Staub auf.

„Sie hat mir gesagt, dass sie mich liebt.“

Na super! PROSCH RATTTATTA... PLÄDDEL PLÄDDEL... Lilah blickte verkniffen auf den Monitor, da kam gerade eine winzig kleine Feuerwehr mit Tattütatta an und versuchte, den Schaden zu begrenzen. „Aber du hast ihr nicht geglaubt, oder?“

„Nö, hab’ ich nicht. Was machst du da überhaupt?“ Spike näherte sich dem PC, angelockt durch die heftigen PROSCH RATTTATTA und PLÄDDEL PLÄDDEL-Geräusche.

„Hat es sich denn nun gelohnt?“, Lilah gab nicht auf, sie wollte es wissen.

„Ich glaub’ schon“, Spike grinste wieder. „Denn jetzt bin ich hier und außerdem ziemlich lebendig. Hey, das ist ja geil! So ein niedlicher kleiner Bagger! Komm’, lass uns was einreißen!“

PROSCH RATTTATTA... PLÄDDEL PLÄDDEL...

 

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Die CD war bestens gelungen. Quer über ihre Frontseite erstreckte sich in einer runenartigen Schrift der Name der Band, nämlich: THE BIG BAD THING. Darunter erschien das Bild von den Jungs, in schwarzweiß natürlich. Dieses Meisterwerk stammte aus Lilahs Digitalkamera. Eigentlich hatte sie auch mit draufkommen sollen, aber sie wollte das nicht, irgendwie scheute sie das Licht der Veröffentlichung, denn als Extote, das wäre einfach zu exotisch oder gar zu extotisch - und dann noch als Anwältin... Sie musste lachen. Nein, besser nicht auf dem Cover erscheinen!

 

Als Spike bei einer seiner Einkaufsfahrten den ersten Song im Autoradio hörte, rastete er fast aus. Es war das Stück ‚Nowhere girl’, eigentlich sein Lieblingsstück, obwohl da nicht viel zu singen war, weil das Stück fast nur aus einem langen Vorspiel bestand. Aber Vorspiele sind das Salz in Suppe nicht nur des Lebens.

Er machte eine kurze Pause im E-body, traf zwei von den Jungs, die genauso euphorisch drauf waren wie er selber – und kam einen Tag später von einer ziemlich ausgedehnten Pokerpartie, die in einer Flüsterkneipe stattgefunden hatte, ziemlich angetrunken nach Hause.

Lilah hatte jede Menge Stunden auf ihn gewartet und sich große Sorgen um ihn gemacht, kurz war der Gedanke an W&H in ihr aufgeflackert. Hatten DIE ihm etwas angetan? Aber was konnten die schon groß von ihm wollen?

Als er dann endlich kam, war sie so erleichtert, dass sie auf ihn zuging, ihn umarmte und sich an ihn schmiegte. Sie konnte nicht anders, sie hatte so auf ihn gewartet.

Er erstarrte, schob sie weg und blickte an die Wand neben ihr.

„Ich will nicht noch einmal, dass eine Frau über mich bestimmt“, sagte er dann und lächelte sie entschuldigend an.

Lilah war das ganze unsagbar peinlich, sie hätte es wissen müssen: Immer wenn sie die Initiative ergriff, ging es in die Hose. Oder besser gesagt, aus der Hose heraus. Warum also tat sie immer wieder? Ach Mist – jetzt hatte sie alles verpatzt!

„Das hat gar nichts zu bedeuten“, verkündete sie lahm, während sie mit herabhängenden Armen dastand und sich ziemlich verlassen vorkam.

Seltsamerweise fühlte Spike sich auch sehr unsicher, und er bereute seine Worte schon. Er trat auf sie zu und nahm sie leicht in den Arm. „Lilah, ich mag dich. Wirklich. Du bist so wunderschön und auch so klug. Aber diesmal will ICH bestimmen, ob und wann es losgeht. Wenn es denn losgeht. Ich möchte kein Objekt mehr sein.“ Seine Stimme wurde leiser, und er schob Lilah sanft von sich weg.

Sie nickte, sie glaubte sogar, es verstanden zu haben. Und außerdem war es besser als gar nichts...

Sie lächelten sich unsicher an – Lilah hoffnungsvoll, Spike bittend – und gingen zu Bett, getrennt natürlich, und am nächsten Morgen wurde über die Sache nicht mehr geredet. Sie waren schließlich nur Freunde...

 

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Ein paar Tage später entschloss sich Spike, eine Party zu feiern. Erstens wegen der Veröffentlichung der CD – und zweitens, weil schon jede Menge davon verkauft worden waren. Andauernd wurden die Songs im Radio gespielt. Kein Wunder, sie waren nun mal verdammt gut! Oder hatten W&H die Radiosender so fest im Griff? Egal – sie waren gut! So gut, dass die Plattenfirma, bei der sie unter Vertrag waren, anfing, diverse Geldbeträge auf Spikes Konto zu überweisen.

Er war nicht mehr von W&H abhängig. Bis auf das Haus natürlich, aber das wollte er noch nicht aufgeben, weil es ihm gefiel. Aus Gründen, die er nicht richtig einschätzen konnte, mochte er es, dort mit Lilah zu wohnen.

Spike besorgte die Getränke, und Lilah besorgte den Partyservice, der das kalte Büffet aufbaute.

Der Abend war warm, vermutlich der letzte richtig warme Abend in diesem Jahr, und Lilah trug ein dünnes Jeanshemd, Shorts und Stoffturnschuhe.

Die Gästeliste war überschaubar, die Jungs natürlich, der Wirt Karel und seine schwedische Frau Maja, mit der sich Lilah angefreundet und von der sie gelernt hatte, Zöpfe zu flechten, ferner zwei Typen aus dem E-body und die 5-Minuten-Frau von Porterhouse, eine körperlich recht anziehende Person, jedenfalls nach der Meinung der meisten Männer, dunkelhaarig, knabenhaft und recht hübsch, aber nach einer Stunde schon reichlich besoffen und Porterhouse hinterher hechelnd, der sich wie immer einen Dreck um sie kümmerte.

Lilah fühlte sich seltsam, sie passte doch eigentlich gar nicht zu diesen Leuten, sie mit ihrer Vergangenheit... Und was war mit Spike, sie tappte bei ihm im Dunklen, was empfand er für sie? Hilfesuchend blickte sie sich um, aber keiner scherte sich um sie. Warum auch, sie hatte so gar keinen Bezug zu ihnen, außer zu Maja, die war wirklich nett.

Die Jungs verschwanden nach und nach im Keller, um sich ihre CD – als hätten sie die noch nicht oft genug gehört – noch einmal anzuhören. Die 5-Minuten-Frau, die durch einen irren Zufall auch noch Trine hieß, was Lilah unter anderen Umständen zum Lachen gebracht hätte – die fünf-Minuten-Terrine – ging ohne zu zögern auch in den Keller. Klar doch, zu den Männern, die Schlampe!

Der Wirt Karel und seine Frau Maja gingen ebenfalls in den Keller. Ach Maja, bleib’ doch da...

Lilah blieb allein zurück im Wohnzimmer, nein, allein wäre untertrieben, auch die beiden Typen aus dem E-body blieben dort, und der eine starrte begehrlich auf ihre nackten perfekten Beine. Was wollte der Kerl, sie etwa anmachen?

Lilah war nicht gerade guter Laune, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, alles zu verpassen.

Dennoch entwickelte sich ein recht interessantes Gespräch. Es ging um Astralerscheinungen, weiß der Teufel, wie sie drauf kamen, allerdings war Lilah aus Langeweile schon ein bisschen betrunken, sie hatte sich ein paar heftige Drinks gemixt, zum Beispiel viel Brandy mit wenig Orangensaft.

„Du glaubst also wirklich, dass die Leute aus dem Jenseits sich die Mühe machen, dich zu treffen?“, Lilah guckte den Typen provozierend an.

„Ja, ich glaube fest daran. Seit mir letztes Jahr meine Großmutter bei einer Science erschienen ist...“

„Science?“, unterbrach ihn Lilah wütend. „Großmutter? Grundgütiger, WIE zum Teufel ist sie dir denn erschienen?“

„Sie sah genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte“, sagte der Typ versonnen.

„HA!“, Lilahs Stimme troff nur so vor Hohn. „Wieso sollte dein Großmütterchen als alte Frau vor dir erscheinen. Warum nicht als junge Frau, warum nicht in ihrem Idealzustand? Nein, sie muss als Tattergreisin vor dir erscheinen! Und soll ich dir sagen warum? Weil du sie beschworen hast, du kanntest sie ja nicht anders. Es ist alles nur in deinem Kopf passiert!“

„Das ist nicht wahr!“, plärrte der Typ.

Der andere Typ wollte sich wohl für seinen Kumpel entschuldigen, er rückte näher an Lilah heran und machte doch tatsächlich Anstalten, seinen Arm um ihre Schulter zu legen.

Lilah schüttelte ihn mit einer einzigen Bewegung ab und hackte weiter auf seinem Freund herum: „Wenn du sie als junge Frau gesehen hättest, sozusagen im Optimalzustand, dann hättest du sie gar nicht erkannt, was? Gib es doch zu, deine Erscheinung war rein subjektiv!“

Der Typ war so dämlich, dass er gar nicht verstand, was Lilah meinte, und Lilah wiederum verstand nicht, warum sie so heftig reagierte.

Sie hatte die Nase voll von sich selber. Und auch von diesen beiden, sie wandte sich von ihnen ab, saß noch eine Weile wie gelähmt auf dem Sofa, dann stand sie langsam auf, um die anderen zu suchen.

Also ging sie in den Keller.

 

Was sie allerdings dort zu sehen bekam, versetzte ihr einen Schock, und sie bereute innig, in den Keller gegangen zu sein.

Sie bereute es, überhaupt in diesem Hause zu sein. Sie war hier ja nur ein Fremdkörper, der geduldet wurde. Und sie war von Spike abgewiesen worden. Das sagte doch alles!

Sie sah Spike, der gerade die 5-Minuten-Terrine von Porterhouse tröstete, die heulte sich nämlich bei ihm aus. Er lehnte mit dem Rücken an der Bar, hatte seine Hände um ihre Oberarme gelegt und streichelte diese.

Die 5-Minuten-Terrine hatte keine schönen Oberarme, sie wirkten schwammig. Außerdem sah sie mit ihren verheulten Augen nicht besonders hübsch aus. Sie war, Lilah musste es sich eingestehen, eine Leidensgenossin von ihr. Aber sie hasste sie trotzdem!

Lilah wurde es urplötzlich eiskalt, sie konnte diesen Anblick nicht ertragen. Sie drehte sich langsam und hoffentlich unauffällig um und ging wieder die Kellertreppe hinauf.

Das hier war nicht ihre Welt. Aber was zum Teufel war ihre Welt? Es gab keine Welt für sie, denn in Wirklichkeit war sie ja tot.

Die beiden Idioten saßen immer noch auf dem Sofa und glotzten sie begehrlich an, aber Lilah ignorierte sie und stieg weiter die Treppe hoch, sie wollte in ihr Schlafzimmer, und sie wusste nur, dass sie unendlich enttäuscht war.

Vielleicht handelte es sich ja nur um eine postmortale Depression? Im Gegensatz zu einer pränatalen? Haha – gute Idee. Sie verzog den Mund. Normalerweise würde sie über diesen Gedankenblitz lachen, aber jetzt nicht, jetzt befand sich ihre Seele ganz woanders, vielleicht in einer Art Vorhölle...

 

Sie packte ihre wenigen Kleidungsstücke in die Reisetasche, öffnete das Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit. Sie fühlte sich gefangen wie in einem schwarzen Loch. Die Zeit stand absolut still. Ihr Geist und ihre Glieder waren wie gelähmt.

Schließlich riss sie sich zusammen, durchbrach die endlos stillstehende Zeit – und warf die Reisetasche weit aus dem Fenster hinaus. Mit einem dumpfen Bums schlug sie auf den Kieselsteinen auf. Dann nahm sie den Aktenkoffer und warf ihn der Reisetasche hinterher. Der Aufprall war fast genauso so laut. Hatte sie alles? Ja.

Sie ging wieder die Treppe hinunter.

„Wo willst du denn hin? Bleib doch bei uns!“, irgendeiner quatschte sie von hinten an.

Sie blickte zurück, lächelte starr und sagte: „Ich muss mal frische Luft schnappen.“ Sie wollte unauffällig gehen, es würde sie sowieso keiner vermissen. Irgendwas riefen sie ihr nach, aber sie reagierte nicht darauf, sondern marschierte zur Haustür hinaus.

Die kühle Nachtluft ließ sie noch mehr frösteln. Sie schaute sich um und entdeckte ihre Reisetasche und ihren Aktenkoffer, beide hatten den Sturz unbeschadet überstanden. Mit zitternden Händen schloss sie die Garage auf und bemühte sich, das leise zu tun. Hirnrissig war das, es interessierte doch keinen!

Sie stieg in ihren Porsche und fuhr mit ihm davon. Nach Hause... Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie konnte die Straße kaum erkennen. Nach Hause... Wo zum Teufel war ihr Zuhause?

 

Sie hatte Glück im Unglück, keine Polizeistreife erwischte sie bei ihrer wilden Fahrt.

Sie schminkte sich im Badezimmer ab und fing schon vor dem Spiegel an zu heulen. Sie sah furchtbar aus mit den tränenverschmierten Augen. Fast so schlimm wie 5-Minuten-Terrine. Sie konnte den Blick nicht von sich abwenden.

Bis sie schließlich ins Bett ging, dort weiterschluchzte und irgendwann vor Erschöpfung einschlief.

 

Sie träumte. Seltsam und konfus. Da war ein Kind, das sie fast umgebracht hatte, aber nur fast, denn sie konnte es doch noch retten, und sie musste darüber weinen. Im Traum hörte sie ein Telefon läuten. Es läutete penetrant.

Sie wachte auf und stellte fest: Es läutete wirklich, und es handelte sich um das Haustelefon. Draußen wurde es schon hell. Ein neuer toller Tag in L.A. begann...

Ziemlich sauer stieg sie aus dem Bett und kommunizierte mit dem Nachtportier, der das Apartmenthaus bewachte, ähnlich wie ein gewisser Zerberus den Hades. „Was ist los?“, fragte sie unwirsch.

„Sorry, Miss Morgan, aber hier ist ein Mister Castaway – und er möchte sie sehen.“

Lilah musste heftig nach Luft schnappen. Das war immer noch ein Traum, oder nicht?

„Dann lassen sie ihn in Gottes Namen herein“, sie fühlte sich hin- und hergerissen, sie wusste nicht genau, ob sie verärgert oder erleichtert darüber sein sollte, dass er gekommen war. Und was wollte er von ihr? Sie beschwatzen? Sie zurückholen, ohne dass sich etwas änderte?

 

Zwei Minuten später betrat Spike das Appartement.

„Was zum Teufel ist eigentlich los?“, seine Stimme klang aufgewühlt und noch heiserer als sonst.

„Ach leck’ mich doch!“, Lilah spuckte ihm die Worte förmlich ins Gesicht. „Hau bloß ab! Was willst du überhaupt hier?“

Spike ließ sich nicht von ihren giftigen Worten beirren. Er fasste sie um die Taille und sagte leise: „Ich habe mich zuviel um die, wie heißt sie noch – egal – gekümmert. Das war es?“

„Um wen du dich kümmerst oder nicht, das interessiert hier echt einen Toten. Und von mir aus kannst du rummachen, mit wem du willst!“

„Ich hab’ nicht mit ihr rumgemacht“, Spike sah sehr entschlossen aus und zog sie noch näher an sich heran. „Außerdem interessiert es mich. Ich bin zwar kein Toter mehr, aber...“

„Du willst nur keiner wehtun, oder?“ Lilah unterbrach ihn abrupt ihre Stimme klang, als würde sie gleich wieder anfangen zu weinen.

„Ach Lilah, ich hätte das nicht tun sollen, aber sie tat mir irgendwie leid.“

„Ich will keiner wehtun“, Lilahs Stimme wurde ätzend, „das ist sooo ein dämlicher Spruch! Damit kann man sich immer rausreden. Ihr verdammten Scheißkerle wollt keiner wehtun, aber in Wirklichkeit tut ihr jeder weh!“

„Ich werde es nicht mehr tun, Lilah. Von jetzt an werde ich mich nur noch um dich kümmern.“ Spike meinte es ernst, es war ihm einiges klargeworden, nachdem er Lilah mehrere Stunden lang nicht mehr gesehen hatte, dann endlich in ihr Schlafzimmer ging und es leer vorfand. Ihre Sachen waren weg, und das ganze Haus wirkte plötzlich verlassen.

Er hatte ihr Signale gegeben und dann, als sie darauf ansprang, einen Rückzieher gemacht. Wie schwachsinnig! Er war ihr in einem Taxi hinterher gefahren, und dem Himmel sei Dank hatte er sie hier gefunden! Er wusste zwar noch nicht, wo das alles hinführen würde, aber er brauchte sie. Sie war seine Seelenverwandte, wie es schien. Und sie war die Frau, die ihn liebte.

Er zog sie fest in seine Arme. Sie wollte ihn wegstoßen, aber er hielt sie trotzdem fest.

„Bitte, Lilah“, murmelte er.

„Geh weg!“ Lilah weinte wieder.

Er küsste sanft ihre nassen Wangen, dann zärtlich ihre Lippen, und als sie sich nicht wehrte, küsste er sie ein bisschen fester. Sie wehrte sich immer noch nicht, sondern hing widerstandslos in seinen Armen. Sein Mund glitt zu ihrem Hals herunter aus alter Gewohnheit, und er spürte, dass sie erschauerte. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er keine Begierde nach Blut hatte, ungewohnt aber wunderbar.

 

The world becomes a place

With no clear shapes,

with no clear sounds

Himmel, wie in Homecoming! Die Welt verschleierte sich, es gab nur noch sie und Spike. Homecoming... War sie jetzt etwa zu Hause? Sie spürte seine Lippen auf ihrem Hals. Nein, nicht beißen, du Exvampir! Oder doch? Sie hielt ihm ihren Hals hin und genoss seine Lippen. Mochten sie mit ihr tun, was sie wollten. Denn sie war zu Hause.

Sie fühlte, dass er sie hochhob und irgendwohin trug. Es hätte ewig dauern können, sie in Spikes Armen, egal wohin.

Schließlich spürte sie etwas Weiches unter sich, es war ihr Bett. Und er sah auf sie herab. Sein Gesichtsausdruck war undefinierbar, aber sie spürte, dass er vor Verlangen zitterte. Gerne hätte sie ihm dabei geholfen, aber es war noch nicht richtig, sie musste abwarten.

Sie trug immer noch ihr Jeanshemd und ihre Shorts. Er zog ihr beides langsam aus.

Als sie nackt war, legte sie ihre Arme nach hinten, die Handflächen nach oben wehrlos auf das Kissen neben ihrem Kopf, als wolle sie sich ergeben.

„Bitte“, sagte sie stockend. Sie zog ihre Beine an und ließ sie dann leicht auseinander fallen. Wenn er dieser Einladung nicht folgen würde...

Spike entkleidete sich langsam, und sie beobachtete es atemlos, dann beugte er sich über sie. Und sie spürte, obwohl sie es nicht sah, dass er voll erregt war.

„Bitte“, sagte sie wieder und hielt ihre Arme immer noch in dieser Hands-Up-Stellung, in dieser Stellung, die ihre Wehrlosigkeit verkörperte und ihm alleine die Initiative überließ.

Er hob ihre Hüften an und drang langsam in sie ein. Sie musste ihm nicht helfen wie irgendeinem anderen unerfahrenen oder angeblich erfahrenen Trottel, der sich nicht auskannte mit dem weiblichen Körper.

Er legte seine Handflächen auf die ihren, drückte sie in das Kissen, und sie genoss es, verdammt noch mal, einmal im Leben sich zu unterwerfen und sei es auch nur im Bett.

Er bewegte sich langsam in ihr, und es war ein so gutes oh Gott Gefühl. Dann hörte er auf, sich in ihr zu bewegen und sah sie nur an.

Sie hörte sich stöhnen und plötzlich spürte sie, wie sich alles Gefühl in einem einzigen Punkt ihres Körpers zusammenballte, ein sie vollkommen hilflos machendes Gefühl, das ihre Beine zum Zittern brachte. Das Gefühl verlangt eine Explosion wie der Urknall. Sie konnte nicht anders, sie musste...

Und plötzlich bewegte sie sich heftig an ihm, drückte ihre Hüften an ihn, rieb sich heftig an ihm, und driftete dann, immer noch die Arme von seinen Händen festgehalten und auf dem Kissen liegend, in eine Dimension, in der sie buchstäblich Sterne sah, ihr Körper zuckte unkontrolliert, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aus der sie Minuten oder waren es Stunden später keuchend wieder zurückkam

Sie sah, dass Spike sie anschaute und sein Gesicht sich verzerrte.

Er hob eilig wieder ihre Hüften an und hielt sie fest, während auch er unaufhaltsam die Kontrolle über sich verlor. Er stieß heftig in sie hinein und ergoss sich nach drei Stößen in ihr.

Er hielt immer noch ihre Hüften umklammert und drehte sich mit ihr auf die Seite, eng aneinandergepresst lagen sie sich gegenüber, er war immer noch in ihr, und sie wollte auch nicht, dass er sie verließ, und so umschlungen und verbunden schliefen sie ein.

 

Lilah wachte als erste auf. Sie schaute versonnen auf den schlafenden Spike, befreite sich sanft von seinen Armen und stieg aus dem Bett.

Sie zog sich ihr Jeanshemd über, ging leise ins Badezimmer, putzte sich die Zähne und schüttete sich massenhaft kaltes erfrischendes Wasser übers Gesicht, bis sie sich wieder einigermaßen fühlte.

Dann machte sie Kaffee.

Nachdem sie selber total durstig zwei Tassen davon getrunken hatte, ging sie zurück zu Spike.

Er war schon wach, hatte die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und sah sie lächelnd an.

Sie lächelte auch und reichte ihm die Tasse Kaffee, die sie für ihn mitgebracht hatte. Er nahm sie dankbar an.

„Was meinst du? Wie wird das Haus aussehen?“, fragte Spike sie grinsend.

„Oh, ich hoffe, es steht noch“, sagte Lilah und fügte dann nachdenklich hinzu: „Vielleicht sollte ich schon mal meine Putzfrau anrufen...“

„Jetzt noch nicht. Komm’ erst mal her...“ Spike stellte die Tasse auf den Boden, griff nach Lilah, bemerkte sofort, dass sie unter ihrem Jeanshemd absolut nackt war, und zog sie gnadenlos ins Bett.

Diesmal war Lilah nicht so unterwürfig.

 

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Teil 10 DIE SCHÖNEN UND DIE REICHEN

 

Spike lud Lilah zum Essen ein. Es sollte etwas Besonderes werden, nicht Mac Donalds oder ähnliches. Er dachte an den Ocean’s Club, den Treffpunkt der Reichen und der Schönen.

Eigentlich musste man dort drei Monate vorher einen Tisch reservieren, aber der Name Bill Castaway öffnete ihm ungewohnte Türen. Der Empfangschef, mit dem er telefonierte, überschlug sich fast vor Höflichkeit, und die Reservierung klappte problemlos.

Bevor sie aus dem Haus gingen, musterten sie sich gegenseitig liebevoll kritisch.

Es gab nichts auszusetzen. Aber wirklich nicht!

Lilah hatte sich ein vanillefarbenes schulterfreies Kleid aus einem leicht dehnbaren Stoff ausgesucht – nicht ganz mini, aber kniefrei –es umschmeichelte ihren Körper wie eine zweite Haut. Ihre echten Seidenstrümpfe wurden von Strapsen gehalten, was man natürlich NICHT sehen konnte, ferner trug sie Wildlederstiefel mit fast kniehohem Schaft, sie sah ein wenig aus wie Nancy Sinatra, als diese 1966 ihren Hit sang: These boots are made for walking. Natürlich kannte kein Mensch mehr Nancy Sinatra, aber Lilah hatte durch einen seltsamen Zufall genau diesen Look getroffen. Er war einerseits verspielt und andererseits sexy, denn sie wollte von ihren strengen Anwältinnensachen loskommen, in denen sie sich so gar nicht mehr wohlfühlte.

„Wie ein Cremeschnittchen“, Spike schaute sie bewundernd an, „und echt zum Anbeißen!“

„Ich glaube, das Anbeißen wird sich lohnen...“, Lilah lächelte verheißungsvoll, denn Spike hatte keine Ahnung, dass sie Strapse trug, sie wollte ihn später damit überraschen.

Sie begutachtete nun ihrerseits Spike. Wie immer verschaffte sein Anblick ihr ein leichtes Flattern im Magen, es verlangte sie danach, ihn zu berühren, ihn zu küssen, aber meistens konnte sie sich zusammenreißen, denn sie wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Andererseits war er ziemlich geil auf sie. Ein vielversprechendes Zeichen!

Gut, hosenmäßig hatte er sich nicht sehr verbogen, er trug schwarze Jeans, aber seine obere Hälfte sah etwas anders aus als sonst. Zu einem strahlend weißen Hemd hatte er sich eine Krawatte umgebunden, schmal und schwarz war sie, und Lilah fand das ungemein sexy.

Seltsamerweise hatte auch Spike sich von den 60er Jahren inspirieren lassen. Weißes Hemd und schmale Krawatte stammten tatsächlich von den Beatles – und auch daran würde sich kaum jemand erinnern. Allerdings trug Spike das Hemd ÜBER der Jeans, hielt sich somit nicht an die Vorbilder – und außerdem streifte er sich noch eine locker fallende schwarze Jacke über, die das Hemd rebellisch unten rausgucken ließ.

 

Sie fuhren mit dem Porsche, das heißt, Lilah fuhr, weil Spike es noch nicht wagte, den Boliden zu steuern, und als sie den Club betraten, erregten sie kein geringes Aufsehen.

Natürlich waren die Gäste viel zu vornehm, um ihre Bewunderung auffällig zu äußern, aber sie war unübersehbar, die Bewunderung. Es war die Faszination der Schönheit, die alle gefangen hielt, denn sogar hier unter den Schönen und Reichen von Los Angeles fielen Lilah und Spike auf. Was für ein außergewöhnliches Paar!

Außerdem hatten wohl mehrere Leute Bill Castaway erkannt, wahrscheinlich vom Cover seiner CD. Man blickte verstohlen zu dem Tisch hinüber, an dem die beiden sich niedergelassen hatten und tuschelte unauffällig hinter vorgehaltener Hand.

 

„Du bist berühmt!“

„Quatsch, sie gucken natürlich nur wegen dir“, sagte Spike grinsend.

Er bestellte einen leichten Weißwein für sich, einen Chardonnay aus Kalifornien, der, wie er spöttisch bemerkte, wahrscheinlich vom Weingut Falcon Crest stammte.

Darüber musste Lilah lachen, denn sie kannte die Fernsehserie noch aus ihren Kinderzeiten. Lilah selber wollte keinen Alkohol trinken, sie meinte, sie wäre so glücklich, dass sie keinen benötigte und ließ Spike für sie einen Eistee ordern.

Spike nahm ihre Aussage mit dem Glück unwidersprochen hin, denn die Kleine sah wirklich sehr glücklich aus. „Warum gibt es eigentlich keinen passenden Wein zum Hamburger“, witzelte er, „sondern nur zu Chateaubriand und so verdammt vornehmen Sachen, die kein normaler Mensch kennt?“

„Weil die Weinwirtschaft die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat“, wieder musste Lilah lachen. „Aber wäre doch nicht schlecht: Der Wein zum Hot dog... Worauf hast du Hunger?“

„Nicht auf Hot dog! Ich glaube, ich nehme ein Steak, manchmal habe ich immer noch das Bedürfnis nach blutigen Sachen. Ist noch so drin in mir. Allerdings passt der Wein nicht dazu, ich hätte einen roten nehmen müssen, aber den mag ich nicht besonders“, Spike lächelte sie an. „Und was nimmst du?“

„Huhn à la Provence.“ Lilah betrachtete ihn verstohlen. Er machte einen so selbstsicheren Eindruck, als würde er jeden Abend in solchen Restaurants dinieren. Dann fiel ihr ein, wie alt er war und dass er nicht immer der blondgebleichte Punk der letzten Jahre gewesen war.

 

„Du hast mir immer noch nichts von deiner bösen Zeit erzählt“, sagte Spike zu ihr, nachdem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten. „Von mir weißt du jetzt fast alles. Also rück’ mal raus damit, Schätzchen!“

„Wenn du unbedingt willst...“ Lilah fiel der Anfang schwer, sie nippte ein wenig an ihrem Eistee, bevor sie zögernd anfing zu sprechen. „W&H, das ist eine Firma, die jedes vorhandene teuflische Potential nutzt, sei es von Dämonen, sei es von Menschen... Und sie gehen mit ihnen nicht zimperlich um. Die Seniorpartner zum Beispiel sind eine unheimliche Bande von... ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht wissen. Ich glaube, sie machen Geschäfte mit dem Teufel. Oder sie sind der Teufel selbst.“

„Passt zu meiner Theorie, dass der Mensch sowohl das Göttliche als auch das Teuflische in sich vereint“, sagte Spike gelassen.

„Ich habe mich aus Karrieregründen zu ihrem Handlanger und später zu ihrem Vollstrecker machen lassen“, Lilahs Stimme stockte, bevor sie fortfuhr: „Ich habe, und zwar in dieser Reihenfolge, Menschen belogen, manipuliert, bespitzelt. Und... auch welche in den Tod geschickt.“

„Lilah, du brauchst meine Vergebung nicht. Der einzige, der dir verzeihen kann, das bist du selber.“

„Ich weiß nicht, ob ich das jemals kann...“

„Irgendwann wird es soweit sein. Vergleiche deine Verbrechen mit meinen, das ist eine einfache Rechenaufgabe. Einhundertzwanzig Jahre lang habe ich mindestens einmal in der Woche jemanden getötet, und das ist stark untertrieben. Aber wenn wir von einem Toten in der Woche ausgehen, dann sind das in einhundertzwanzig Jahren – lass mich mal rechnen – ungefähr sechstausend Menschen. Nicht schlecht, was? Ich vermute allerdings, dass es mindestens drei mal so viele waren. Damit hätte ich schon eine mittlere Kleinstadt ausgerottet.“

„Aber du warst von einem Dämon besessen!“

„Auch Menschen können von Dämonen besessen sein. Einer dieser Dämonen ist Geld, ein anderer vielleicht Macht, noch ein anderer Anerkennung. Und so weiter...“

 

„Ich habe mir überlegt, ganz was neues zu machen“, sagte Lilah nach einer langen Pause, während der sie nachdenklich in ihr Glas gestarrt hatte..

„Wie wäre es, wenn du dich irgendwann selbstständig machst? Mit einer eigenen Kanzlei vielleicht, so wie diese ach-so-guten Anwälte im Fernsehen.“

„Pro Bono-Sachen? Das würde ich gerne tun, Leuten helfen, die sich außer dem gelangweilten Pflichtanwalt nichts leisten können. Ich habe bei W&H ziemlich viel Geld zur Seite geschafft...“

„Gute Idee, mein reiches schönes Mädchen! Ich müsste auch was machen, ich weiß nur noch nicht was“, sagte Spike, „vielleicht sollte ich auch Jura studieren, es wäre noch nicht einmal Beschiss, ich hab’ nämlich ein uraltes Abitur, es stammt noch aus meiner Vor-Vampir-Zeit.“ Er nahm ihre Hand und drückte einen zärtlichen Kuss darauf. „Aber jetzt sollten wir erst mal das Leben genießen, denn irgendwie hab’ ich das Gefühl, im Zentrum eines Hurrikans zu stehen.“

„Im Auge des Hurrikans?“ Lilah genoss es, seine Lippen auf ihrer Hand zu spüren, sie hätte es ewig ertragen können.

„Genau, im Auge des Hurrikans!“, stimmte Spike ihr zu. „Komm’, lass uns tanzen. Nach dem Essen habe ich möglicherweise nicht mehr die Kraft dazu. Außerdem möchte ich deine Beine sehen, zumindest das, was zu sehen ist...“

 

Er führte sie zur Tanzfläche und zog sie an sich. Die Band – ja das war wirklich ein vornehmer Schuppen mit Band – fing gerade an zu spielen, und die Sängerin sang leise und einschmeichelnd:

Nobody does it better

Makes me feel sad for the rest

Nobody does it half as good as you

Baby, you're the best

Ja, das bist du, dachte Lilah, sie schmiegte sich noch enger an Spike... und fragte ihn nach seiner Meinung über Strapse.

 

Das andere Pärchen, das an einem anderen Tisch des Ocean’s Club saß, wurde allmählich aufmerksam auf die Tanzenden.

„Ich traue meinen Augen nicht. Das kann doch nicht wahr sein!“, sagte der Mann fassungslos.

„Sie ist es! Ist sie kleiner als früher?“, fragte die Frau.

„Jaja, aber eigentlich meinte ich IHN!“

„Er kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Kennst du ihn?“

„Und ob ich den kenne, den Dreckskerl! Was zum Teufel haben die beiden miteinander zu schaffen?“

„Sie sehen jedenfalls aus, als ob sie sich gerade was schweinisch Biologisches erzählen. Schau’ doch mal, wie er ihre Oberschenkel streichelt. Oh, jetzt weiß ich, wer...“

„Sie wird ja rot! Das habe ich noch nie bei ihr gesehen!“

 

Spike und Lilah kamen nach einer langsamen Drehung durch Zufall vor diesem Pärchen zum Stehen, und zwar so, dass Spike genau in die Augen des Mannes blickte.

 

„Hallo Angel“, sagte er nach kurzem Zögern.

„Hallo Spike“, sagte ein grimmiger Angel, der anscheinend immer noch nicht wusste, wie er die Situation einschätzen sollte.

Spike war nämlich kein Vampir mehr, Angel hätte die Präsenz eines anderen Vampirs sofort gespürt, und diese Nichtpräsenz fand er beunruhigend. Schlagartig fiel ihm die Prophezeiung ein, das Shanshu: Ein Vampir mit Seele wird zum Menschen werden... Eigentlich hatte er das immer auf sich selber bezogen, aber es hatte wohl Spike getroffen, den Bastard. Das war nicht fair! Außerdem fühlte er noch etwas anderes, und dieses hatte er nur bei zwei Menschen so erlebt, nämlich bei Buffy und bei Faith. Es war die Ausstrahlung einer Jägerin. Wie konnte das gehen?

 

„Du brauchst keine Angst um dein Shampoo zu haben oder wie das heißt“, meinte Spike gerade anzüglich. Er wusste natürlich genau, dass es in Wirklichkeit Shanshu hieß, weil Lilah ihm davon erzählt hatte, „Bei mir war es nur ein Versehen und nicht die Erfüllung einer Prophezeiung.“

„Ach ja?“ Angel starrte ihn böse an.

„Buffy kommt zu dir zurück“, Spike konnte sich das nicht verkneifen, „irgendwann vielleicht mal...“

Treffer!!!

Angels Begleiterin, Spike vermutete, dass es Cordelia war, zuckte zusammen, sie zog ein saures Gesicht und wandte sich verletzt von Angel ab.

„Ich nehme es dir nicht übel“, Spike musste auch dies noch sagen, obwohl Cordelia offenkundig Seelenqualen litt, „dass sie nur dich liebt. Du hast gewonnen. Viel Spaß dabei!“

Angel litt auch Seelenqualen und wünschte sich, Spike hätte ihm seine Verzeihung unter etwas anderen Umständen mitgeteilt, nämlich unter Umständen, bei denen Cordelia nicht dabei war. Denn mittlerweile hegte er Gefühle für sie, die viel mit Liebe zu tun hatten.

Spike überreichte Angel eine seiner Visitenkarten – Lilah hatte sie für ihn entworfen und ausgedruckt – mit der Bemerkung: „Falls du mich mal brauchst...“

 

„Hast du sein Gesicht gesehen?“, flüsterte Spike Lilah zu, während sie Hand in Hand an ihren Tisch zurückkehrten.

„Es war göttlich!“, sagte Lilah. „Begegnung der dritten Art!“

Daraufhin fasste Spike Lilah zärtlich und besitzergreifend um die Taille und flüsterte ihr zu: „Mann, was für ein vornehmer Schuppen, hier geben sich die Kellner bestimmt gegenseitig Trinkgeld...“

 

Es war ein wunderbares Restaurant, es lag auf einem riesigen Felsen, und man konnte das Meer rauschen hören. Es gab versteckte Nischen und große Palmen, die Dekoration war spitzenmäßig, schwarze Ebenholzkommoden mit kostbarem Zierrat darauf, die Kellner waren überaus dezent und höflich, das Leben war schön! Sie verspeisten ein wunderbares Mahl, guckten sich verliebt an und waren äußerst zufrieden mit sich. Spike weil er seinem früheren Nebenbuhler echte Unannehmlichkeiten bereitet hatte, und Lilah, weil ihr Todfeind ihr mittlerweile vollkommen egal war.

 

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Die CD war ein Erfolg, daran war nicht zu zweifeln. Die Plattenfirma machte sich deshalb Gedanken über eine Tournee der Band. Man wollte die Gunst der Stunde nutzen in dieser schnelllebigen Zeit und die Jungs und ihre Musik im Gespräch halten.

Die Tournee sollte Mitte Januar beginnen.

 

Lilah war verzweifelt. Sie wollte mit auf die Tournee. Doch weder Spike noch sonst einer von den Jungs redete davon, dass sie mitkommen sollte. Aber sie konnte Spike auf keinen Fall weggehen lassen, es lief gerade so gut, und sie wollte nicht riskieren, dass er sie auf der Tournee vergaß. Es konnte so viel passieren, Groupies vielleicht oder wieder so ein vollbusiges Wunder. Und sechs Wochen waren so eine lange Zeit! Sie konnte nicht tatenlos hier rumsitzen und auf seine Rückkehr warten

Vorsichtig begann sie, die anderen Mitglieder der Band nach ihren Neigungen auszufragen, sie zu umgarnen und ihre Absichten zu erkunden. Sie wollte sie auf ihre Seite bringen. Sie sollten für sie sprechen.

 

Bronson war leicht zufrieden zustellen. Lilah ging mit ihm einkaufen und besorgte ihm attraktivere Klamotten. Er gewann dadurch eine lässige Eleganz, die ihm niemand zugetraut hätte. Außerdem half sie ihm, seine Verse aufzupolieren. Es gab da nämlich ein unvollendetes Gedicht, welches als einzigen Vokal das ‚a’ beinhaltete – Alliteration wurde diese Kunstform genannt:

HARALD, DAS WAR ANNAS MANN

TRANK AM SAMSTAG MAL ACHT ALT

ALSDANN GAB HARALD GANZ STARK AN

DAS GAB KRAWALL AM SAMSTAG BALD

DANACH MACHT HARALD ANNA KALT...

 

Lilah machte folgenden Vorschlag zur Weiterführung:

 

NACH STAATSANWALT KAM HAFTANTRAG...

 

„Das ist so guuuut“, meinte Bronson begeistert, er schöpfte wieder Hoffnung auf eine Karriere als neuer François Villon und überlegte krampfhaft, wann Annas Mann am Knast ankam...

 

Bei Snikkers rannte sie sowieso offene Türen ein. Der Halbdämon war ein wenig verliebt in sie, und sie hielt ihn für ihren besten Freund. Nach Spike natürlich.

 

Casio... Was konnte sie Casio bieten? Sie erinnerte sich an sein Gejammer über nicht oder nur teilweise funktionierende DOS-Spiele. Lilah fand durch Zufall ein kleines Programm im Netz, welches diese uralten DOS-Spiele perfekt simulieren konnte. Sie probierte es mit Casio aus, und sie spielten das uralte „Full Throttle“, ein wirklich witziges Bikerspiel!

Casio umarmte sie fast vor Glück. Gut war das, sehr gut!

 

Porterhouse, ein verdammt harter Brocken und immer noch so unzugänglich wie am Anfang ihrer Bekanntschaft. Lilah fiel seine schon recht zerschlissene Lederjacke auf, und sie ersteigerte bei ebay eine gut erhaltene deutsche Fliegerjacke – Modell Roter Baron – die sie Porterhouse schenkte. Er taute merklich auf, und Lilah hoffte, auch ihn als Fürsprecher gewonnen zu haben. Wunderbare Jacke übrigens, hinten in der Taille leicht gekräuselt, sie passte wie für Porterhouse gemacht

 

Spike verfolgte Lilahs Bemühungen amüsiert. Eigentlich hatten sie von Anfang an vorgehabt, sie mitzunehmen, denn sie sang, beziehungsweise sprach ja schließlich ‚Homecoming’, aber wenn sie sich durchaus anstrengen wollte...

 

© Ingrid Grote 2003/2011

 

Fortsetzung: GONE WITH THE DEATH? Teil 11-12

 

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