KAPITEL X Teil 1
„Was zum
Teufel spinnst du dir da eigentlich zusammen?“ Spike war aufgebracht. Er wusste
natürlich, dass sich diese sogenannte Unterhaltung wie immer im Kreise herum
drehen würde, aber er gab es nicht auf, er wollte es erzwingen, er musste doch
irgendwie zu ihr durchdringen können.
„Ich
spinne nicht!“ Buffys Gesicht war wie versteinert. Wieder erschienen die
widerwärtigen Bilder vor ihren Augen. Das mit Spike als Vampir konnte sie zur
Not ertragen. Aber dieses andere... Das schlimme an der Sache war, dass es ihr
so viel ausmachte, dieses Bild. Wenn Spike ihr egal wäre, dann würde es ihr
bestimmt nicht so viel ausmachen. Aber sie hatte Gefühle für ihn, und sie
hasste sich dafür.
„Buffy!“
Spikes Stimme klang nun eindringlich. „Du glaubst doch nicht wirklich, ich
hätte was mit Zirza gehabt? Das ist doch absurd!“
„Ich
habe euch gesehen“, sagte Buffy und schaute ihn böse an. Mittlerweile war ihr
dieses Bild von ihm und Zirza so in Fleisch und Blut übergegangen , dass sie
felsenfest glaubte, sie hätte die beiden in Natura gesehen. Und außerdem hatte
er es selber gesagt. Aber genau das konnte sie ihm nicht erzählen, denn damit
hätte sie zugegeben, bei ihm gewesen zu sein, und das war das Letzte, was Buffy
wollte. Diese Nacht war nicht passiert. Diese Nacht, in der er diese
grauenhaften Worte gesprochen hatte: Mach’s mir noch einmal... Zirza. Buffy
wäre eher gestorben, als dass sie zugegeben hätte, bei ihm gewesen zu sein.
Diese Demütigung... Nein niemals!
„Du kannst
überhaupt nichts gesehen haben, weil da überhaupt nichts war.“ Spike
resignierte allmählich. Das Weib war so stur und so verbohrt.
„Ich
habe es gesehen!“ Buffy beharrte auf ihrer Meinung
„Als du
in dieser Nacht zu mir gekommen bist, Buffy, da habe ich etwas gesagt...“,
Spikes Stimme stockte, bevor er weitersprach. „Das war natürlich alles
Blödsinn. Ich wollte dir wehtun. Ich hatte einen, nein zwei beschissene Träume
und war nicht so gut drauf...“
„Zu dir
gekommen? Was redest du da?“
„Gib es
doch zu. Du warst bei mir in dieser Nacht nach dem Ball.“
„In
deinen Träumen!“ spuckte Buffy ihm ins Gesicht und verlies die Küche. Diesmal
war es die Küche, in der das übliche Gespräch stattgefunden hatte. Die Küche
war so gut wie jeder andere Raum für das Gespräch.
Für das
Gespräch, in dem sie sich im Kreise drehten.
„Warum
bringst du ihm dieses Verbrecherspiel bei?“
„Du
hältst das wirklich für ein Verbrecherspiel?“ fragte Spike erstaunt und
belustigt. Gwydion gefiel das Spiel, er juchzte immer auf, wenn er recht behalten
hatte, und er behielt immer öfter recht. Aber nein, Buffy bezeichnete es als
‚Verbrecherspiel’...
„Du
willst ihm das Betrügen beibringen“, sagte Buffy in einem beleidigenden
Tonfall. „Und das Lügen und Manipulieren auch.“
„Kann es
sein, dass ich das irgendwann schon mal von dir gehört habe?“ Spike wurde
allmählich sauer. Sie gab es nicht auf, ihn wie einen schlimmen Burschen
dastehen zu lassen, einen schlimmen Finger, der seine Kinder in einem schlimmen
Sinne erzog. Er war der Bösewicht. Klar...
„Möglich!“
„Es ist,
verdammt noch mal, rein pädagogisch! Er lernt dadurch, seine Augen zu
trainieren und Zusammenhänge wahrzunehmen. Ich habe es in einer Fachzeitschrift
gelesen.“ sagte Spike und versuchte , seine Stimme sanft klingen zu lassen, was
ziemlich schwer war, denn dieses verbohrte Weib hatte es anscheinend darauf
abgesehen, ihn als Drecksack hinzustellen, der seine Kinder zu Verbrechern
erzog.
Dabei
war es doch nur das harmlose Hütchenspiel. Man nehme drei Becher, lege einen
kleinen Gegenstand unter einen von ihnen, eine Nuss vielleicht oder was
ähnliches und verschiebt dann die Becher ... ach was jeder kennt das Spiel.
Und wenn
Gwydion wider Erwarten eines Tages kein großer Anwalt oder vielleicht auch
nicht Präsident der Vereinigten Staaten sein würde, dann hätte er immer noch
die Geschicklichkeit, die sein Vater ihm im zarten Alter von fünfzehn Monaten
durch dieses Hütchenspiel beigebracht hatte. Das dachte Spike so bei sich...
Buffy
fühlte sich wohl in diesem Zimmer, so wohl, dass sie zeitweilig vergaß, dass
Spike es gewesen war, der ihr dieses Zimmer zum Geschenk gemacht hatte. Diese
wunderbare Bibliothek, die natürlich nicht so groß war wie die Bibliothek im
Herrenhaus der von Campes, die aber dafür sehr viel persönlicher und überaus
behaglich war.
Der
Schreibtisch mit seinem bizarren Muster aus zersplitterten Kacheln, die Spike
selber zertrümmert und dann zusammengelegt hatte, wie sie von Xander erfahren
hatte. Der Computer auf dem Schreibtisch, über den sie die wunderbarsten Bücher
bestellen konnte, um damit allmählich die weißen Lackregale zu füllen, die umso
weißer aussahen, weil sie vor einer dunklen Tapete standen, genauer gesagt, vor
einer dunkelblauen Tapete. Er hatte schon ein paar Bücher in die Regale
gestellt, seltsame Bücher, nicht sehr schöne Bücher, aber die von Daphne du
Maurier, die waren sehr schön, zumindest ihre Romane, ‚Rebekka’ zum Beispiel,
andererseits waren ihre Kurzgeschichten, diese relativ unbekannten
Kurzgeschichten, erschreckend, aber sie waren auch faszinierend. Aber der
Höhepunkt dieser ganzen Bücher war wohl ‚American Psycho’, dieses Buch war
verwirrend und fürchterlich, und Buffy wusste wirklich nicht, was sie davon
halten sollte. Die Hauptperson war eindeutig Norman Bates nachempfunden, diesem
Irren aus Hitchcocks ‚Psycho’, zumal er ja auch noch Bateman hieß. Und diese
ganze Sache mit den Markenartikeln, zum Beispiel:
Ich trug ein Zweiknopf-Sacco aus reinstem Kaschmir von Christian Dior, ferner einen Hugo-Boss-Mantel, dann griff ich in meine Bottega-Veneta-Aktentasche, holte ein Seidentaschentuch von Armani hervor, setzte meine Wayfarer-Pilotenbrille auf und schaute auf meine Rolex, die ich heute statt meiner Vierzehn-Karat-Golduhr von H. Stern trug...
Was
sollte man davon halten. Das machte einen sehr oberflächlichen Eindruck, der
sich hinterher in einen widerlichen Eindruck verwandelte. Es war ein
schreckliches Buch. Es war bestimmt ein Buch, mit dem sich Vampire
identifizieren konnten. Aber der Typ war einwandfrei ein Mensch, ein
gefühlloser Tiere und Frauen quälender, mordender Mensch, der auch nicht einen
Hauch von Mitgefühl zeigte.
Wie
würde sie das Buch beurteilen als Kritikerin? Buffy war sich mittlerweile
sicher, dass sie Literatur studieren würde, irgendwann vielleicht. Wie würden
Kritiker dieses Buch beurteilen?
War
vollkommen egal, sie würde ihren eigenen Weg finden. Sie würde vielleicht
sagen, das Buch wäre ein Kunstwerk, weil es die Möglichkeit hatte, die Leser zu
verstören, auf nachhaltige Art zu verstören, ja, das würde sie sagen. Auch wenn
man dieses Buch kein zweites Mal in die Hand nehmen würde...
Ja, der
Raum war wunderbar, es gab einen herrlich bequemen Lesesessel mit breiten
Armlehnen und mit Kopfstützen wie in einem Auto, in dem man wunderbar lesen
konnte, er war von hinten genial beleuchtet. Und bei Tage kam das Licht durch
das Fenster dahinter. Er musste sich wirklich Gedanken gemacht haben. Das
passte doch alles nicht zusammen. Warum hatte er sich die Mühe gemacht?
Natürlich
verabscheute sie ihn noch immer.
Es war
Abscheu, gepaart mit Unsicherheit, denn wie konnte jemand, der so einfühlsam in
Bezug auf sie war, so ein elender Betrüger sein. Was konnte er von ihr wollen?
Er hätte ihr ein normales Geschenk zum Geburtstag machen können, vielleicht
Schmuck, das wäre viel bequemer für ihn gewesen, aber nein, er hatte sich, mit
Xander als Unterstützung natürlich, die Mühe gemacht, diesen Raum für sie zu
entwerfen und mit eigener Hand zu gestalten. Alleine dieses Bild über ihrem
Schreibtisch. Es war ein Bild von Max Ernst. Es war blau, es war wunderbar, und
es war geheimnisvoll. Max Ernst war der einzige von den Surrealisten, sogar
Dali eingeschlossen, den Spike gut fand. Dali war ihm zu symbolüberladen, und
seine Malerei war ihm zu konservativ. „Woher zum Teufel soll ich wissen, was
eine brennende Giraffe bedeutet?“ Diesen Satz hatte Buffy gehört, als er sich
mit Xander (Xander???!!!) über Kunst unterhielt oder über das, was manche Leute
als Kunst verstanden.
Buffy
dachte weiter nach über die letzten Wochen. Spike hatte sich einigermaßen mit
ihren Freunden arrangiert. Ihr Geburtstag war nicht das Fiasko geworden, das
sie befürchtet hatte. Natürlich gab es Spannungen zwischen Robin und ihm. War
ja auch kein Wunder.
Jedenfalls
war ihr selbst gekochtes Essen ganz gut angekommen. Sie hatte einfache Sachen
gemacht. Ein scharfes Chili, eine milde Minestrone, ein paar selbstgemachte
Dips, ein paar Salate mit selbstgemachten Dressings und ein gutes (nicht selbst
gebackenes) Brot dazu.
Keiner
hatte sich beschwert. Nein ganz im Gegenteil, sie hatten gefressen wie die
Scheunendrescher, allen voran Xander und Dawn. Schade, dass Dawn nicht mehr so
oft hier war, aber sie hatte einen Freund in Cleveland und war natürlich die
meiste Zeit mit ihm zusammen. Sie hatte natürlich immer noch ihr Zimmer hier,
aber sie kam nicht oft.
Dawn
hatte sie ausgelacht, als sie ihr von Spike und Zirza erzählte und ihr
vorgeschlagen, sich mal von Willow entzaubern zu lassen, denn das wäre ja wohl
absolut lächerlich. Buffy hatte es getan. Sie war zu Willow und Kennedy
gefahren, und Willow hatte versucht, den angeblichen Zauber zu lösen. Aber es
hatte sich nichts verändert. Sie war nicht mit einem Zauber belegt, obwohl sie
es sich so gewünscht hatte...
Sie
hatte sich bemüht, nett zu Spike zu sein, denn sie hatte keine Lust, ihre
Probleme vor den anderen offen zu zeigen, es ging die anderen nichts an, und
dem Himmel sei Dank wollten sie auch nicht in Woodcape übernachten. Denn es
wäre schwierig geworden, ihnen beizubringen, dass sie mit ihrem Ehemann
überhaupt kein gemeinsames Schlafzimmer teilte...
Sie
hatte sich bemüht, nett zu Spike zu sein und hatte ihn gleichzeitig fasziniert
im Auge behalten, denn sie wusste, dass Faith sehr attraktiv war, und damals
kurz vor dem schrecklichen Ende in der Höhle hatten die beiden sich wohl
zueinander hingezogen gefühlt, Sie hatte sie noch rechtzeitig erwischt, und
Spike war das sichtlich peinlich gewesen. Faith war immer schon eine heiße
Nummer gewesen. Allerdings konnte Buffy nichts Verdächtiges im Verhalten von
Faith und Spike entdecken. Aber Spike war zu allem fähig. sie wusste es. Sonst
hätte er ja nicht mit Zirza... Oh nein, nicht wieder das Bild!
Gut, die
Gäste wollte nicht in Woodcape übernachten. Es wäre wirklich schwierig
geworden, ihnen das mit den getrennten Schlafzimmer beizubringen. Aber sie
wollten alle nach Hause fahren.
Was aber
nicht so klappte wie vorgesehen.
Buffy
hatte in ihrer Selbstüberschätzung alles für die Geburtstagsfeier alleine
besorgen wollen mit Dawn, aber leider hatte sie gewisse Getränke vergessen oder
zu wenig davon besorgt. Als Robin sich an einem bestimmten alkoholfreien Bier
festgesoffen hatte, das auf einmal alle war, fuhren er und Spike (er und Spike,
was für eine seltsame Kombination!) los, um im Drugstore Nachschub zu besorgen.
Sie
kamen erst am nächsten Mittag zurück. Es hatte wohl Probleme gegeben mit der
Polizei, Probleme mit einem Banküberfall, bei dem ein Schwarzer gesucht wurde,
und die Cops stürzten sich mit Begeisterung auf Robin, nachdem sie sein Auto
angehalten hatten. Mit Spike als Beifahrer.
Spike
hatte sich neben Robin in den Schlamm geworfen (es hatte fürchterlich geregnet
an diesem Tag), ohne dass die Bullen ihn dazu aufgefordert hatten. Spike sah
das als sein Grundrecht an, sich in den Schlamm zu werfen, wann immer er
wollte, und damit hatte er, wie er dachte, schon einen Vorteil gegenüber Robin,
der hatte nämlich nicht die freie Wahl, ob er sich in den Schlamm werfen wollte
oder nicht...
Was
weiter in dieser Nacht passiert war, wusste Buffy nicht.
Was
Buffy nicht wusste: Als sie in der Zelle saßen, warf Spike Robin an den Kopf,
dass die weiße Rasse demnächst sowieso in den anderen Rassen aufgehen würde,
weil ihre Mitglieder ohnehin in der Minderheit wären –dieses würde überall auf
der Welt geschehen, nurnicht in den Vereinigten Staaten, denn dort hätten die ‚Brüder’
aufgegeben und sich in ein geistiges und natürlich auch reales Ghetto
zurückgezogen, würden ihre afrikanische, angeblich edle Abstammung pflegen,
stolz darauf sein und sich gegenseitig ‚Bruder’ nennen. Obwohl die
afrikanischen Ahnen selber heftig Sklaverei betrieben hätten und nicht so
Weicheier gewesen wären wie ihre Abkömmlinge in Amerika. Tja, Spike hatte schon
ein recht unorthodoxe Meinung zu diesem Thema.
Jedenfalls
kamen die beiden erst am Mittag des nächsten Tages zurück. Total verdreckt übrigens.
Natürlich hatte man Robin und natürlich auch Spike nichts anhängen können.
Faith
hatte sich fürchterliche Sorgen gemacht. Faith wollte ein Kind von Robin, wie
sie Buffy anvertraut hatte, aber Robin hatte Angst, das Kind könnte von keiner
der beiden Seiten dieser amerikanischen Realität akzeptiert werden. Das war es,
was Buffy damals schon gespürt hatte, diese Unsicherheit zwischen den beiden.
Also ging es um ein Kind.
Es war
schön, dass Robin und Faith nun endlich wussten, was sie wollten. Und Spike war
der auslösende Faktor gewesen? Unvorstellbar eigentlich, Spike als auslösender
Faktor. Spike war immer ein... Halbstarker gewesen, was für ein altmodisches
Wort, immer aufsässig, nicht richtig erwachsen und so weiter. Und jetzt auf
einmal war er ein Vermittler. Und in so heiklen Sachen? Wirklich kaum zu
glauben.
Aber
Buffy verabscheute ihn immer noch, weil er sie betrogen hatte, denn dieses Bild
von Zirza und ihm wollte nicht weichen, andauernd erschien es vor ihrem
geistigem Auge und quälte sie. Warum ließ sie sich eigentlich von diesem Bild
quälen? Eigentlich sollte ihr dieser Typ, dieser ‚Ehemann’ vollkommen egal
sein, nachdem was er ihr angetan hatte und dennoch... Er war ihr aber nicht
egal. Anscheinend empfand sie immer noch etwas für ihn, begehrte ihn, wollte
ihn eigentlich anfassen und sein Gesicht streicheln, wollte sich in seine Arme
schmiegen und mehr...
....Und
dann hörte sie wieder diesen verdammten Satz: Mach’s mir noch einmal.... Zirza.
Mach’s
mir noch einmal.... Zirza. Dieser entsetzliche Satz, dieses entsetzliche Bild.
Buffy erstarrte. Warum hatte er ihr das angetan? Es passte doch gar nicht zu
ihm. Hatte sie sich täuschen lassen? War er immer noch mit einem Teil seines
Wesens vampirartig? Untreu, verschlagen, verlogen und unfähig zur wahren Liebe?
Nein
auch das konnte nicht sein, denn sie hatte damals schon irgendwie akzeptiert,
dass ein Vampir Liebe empfinden kann, zumindest Spike konnte es... Und dann kam
das! Es war so ... unrichtig, so falsch, so unlogisch, so gemein, so
hinterhältig, dass es einfach nicht wahr sein konnte.
Aber es
war wohl wahr, denn er hatte es selber gesagt.
Buffy
ging zum Fenster und öffnete es. Sie hatte festgestellt, dass die frische
frostige Luft ihre aufgewühlten Gedanken ein wenig besänftigte und betäubte.
Draußen
war es eisig kalt und das schon Ende Oktober. Irgendwie schienen die
Jahreszeiten immer früher anzufangen. Der Frühling kam früher, auch der Sommer,
der dann in einen kurzen stürmischen Herbst überging und dann sofort in einen
lausig kalten Winter.
Es hatte
tatsächlich angefangen zu schneien, und eine hauchdünne Schneedecke bedeckte
den verwahrlosten Garten und verwandelte ihn in etwas Schönes. Einige winzig
kleine Schneeflocken wehten in Buffys Gesicht, und sie fühlte sich auf einmal,
während sie ihr Gesicht in die kalte eisige Luft hielt, viel besser. Jedenfalls
war das Bild im Augenblick nicht da, und dieser entsetzliche Satz hatte seine
verheerende Wirkung auf sie verloren. Zumindest im Augenblick. Die Kälte schien
die gleiche wohltuende Wirkung auf sie zu haben wie ihr Sohn Gwydion, wenn sie
ihn auf dem Arm hielt und seinen zarten kleinen Körper spürte. Wenn er sie mit
seinen blauen Augen so ernst ansah, mit diesen blauen Augen, die denen von
Spike so ähnlich sahen, und wenn er dann lachte. Sie fühlte sich dann so
wunderbar beruhigt, sie hatte dann weniger Zweifel an Spike und seiner Treue.
Aber leider konnte sie Gwydion nicht immer so nahe bei sich haben. Er wollte
herumlaufen, sich austoben und ließ sich nur noch auf den Arm nehmen, wenn er
total müde war.
Die
wohltuende Kälte erweckte in Buffy den Wunsch, es noch kälter zu haben. Bald
würde der See zugefroren sein, falls es mit dem Wetter so weiterging.
Sie
hörte Stimmen und sah Spike mit Gwydion in den Garten hinauskommen, der wie
verzaubert aussah mit dem dünnen Schneeflaum auf den Büschen. Er trug den
Buddha auf seinen Schultern und lachte. Gwydion hatte diese kleine Mütze auf,
die Spike vor fast einem Jahr von den Niagara-Fällen mitgebracht hatte. Endlich
passte sie Gwydion. Sie war mit einem Wasserfall bestickt. Buffy erinnerte sich
an die Brosche, die Spike ihr damals von seinem Ausflug mit Dawn und den
Kindern mitgebracht hatte. Sie war mit Diamantensplittern besetzt und stellte
auch die Fälle dar. Sie hatte sie nie getragen, denn Dawn hatte die gleiche
bekommen... Sie war doch tatsächlich eifersüchtig auf ihre kleine Schwester
gewesen.
Andromeda
kam kurz hinter Spike in den Garten. sie hielt Morgan an der Hand. Arme Andy.
Sie hatte eine Woche nach Buffy Geburtstag gehabt, es aber strikt abgelehnt,
ihren Geburtstag zu feiern. Wozu auch? Sechzehn werden? Es bedeutete absolut
nichts für Andy. Sie war immer noch in ihren Gedanken und ihren Träumen bei
Max. Xander hatte versucht, sie anzumachen – denn trotz des Altersunterschieds
war Andromeda viel zu schön, um sie links liegen zu lassen – aber das Resultat
war gleich null. Man ignorierte Xander total.
Andromeda
war in Wirklichkeit gar nicht hier und gar nicht hier vorhanden.
Arme
Andy. Ihren eigenen Geburtstag, ihren sechzehnten Geburtstag, der doch für
jedes Mädchen etwas besonderes sein sollte, wollte sie nicht feiern, ganz im
Gegenteil, sie verbrachte ihren Geburtstag auf ihrem Zimmer und wollte
niemanden sehen.
Morgan
rannte im Garten herum, und Spike versuchte sie zu erwischen. Aber die Kleine
war so flink, dass sie ihm immer wieder entwischte. Bis sie schließlich hinfiel
und Spike ihr einen kleinen lockeren Schneeball ins Gesicht warf.
Morgan
kreischte auf und schrie: „Einmal! Einmal! Einmal!!!“
Buffy
lächelte, sie wusste, dass die Fee ‚noch einmal’ meinte – die Fee hatte so
seltsame Wortschöpfungen – und beobachtete weiter fasziniert die Gruppe im
Garten.
Gwydion
lief zu Morgan hin und warf sich auf sie. Beide kreischten vor Lachen. Sie
waren so süß, so unschuldig, und sie waren ihre Kinder – ganz egal wie oder was
ihr Vater war.
Als
Buffy schließlich das Fenster schloss und in die Wärme ihrer kleinen privaten
Bibliothek zurückehrte, spürte sie, wie die bösen Bilder und Gedanken
zurückkamen.
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KAPITEL
X Teil 2
Die
grimmige Kälte hielt immer noch an. Es war ungewöhnlich früh für eine
Dauerfrostperiode. Aber es war so.
Als das
Verkehrschaos nach den ersten Schneefällen überwunden war, fing die Bevölkerung
rund um den Eriesee an, die Kälte zu genießen.
Man
konnte tatsächlich Schlittschuhe am Ufer des Eriesees ausleihen. Es gab
Schlittschuhe in jeder Ausführung und in jeder Größe.
Es gab
auch mehrere Buden, in denen man alkoholhaltigen und alkoholfreien Punsch
verkaufte. Nachdem die Behörden den See zum Wintersport freigegeben hatten,
stürzte sich fast die ganze Bevölkerung von Woodcape und die der umliegenden
Orte, bei denen die Anwohner nicht das Glück hatten, so nah am See zu wohnen,
in das winterliche Vergnügen. Die Stadtverwaltung hatte auch Scheinwerfer
aufstellen lassen, so dass das ganze zugefrorene Seeufer gut beleuchtet war.
Spike
und Andromeda leihen sich Eishockeyschlittschuhe aus. Morgan darf noch nicht
Schlittschuhfahren, solche winzigen Schlittschuhe gibt es nicht, und außerdem
hat Spike Angst ,dass sie sich weh tun könnte. Sie muss eben schlindern, was
sie aber liebend gerne tut.
Gwydion
wird im Schlitten gezogen, aber er hält es nicht lange auf dem Schlitten aus,
sondern lässt sich herunterfallen. Er kann zwar schon gut laufen, aber auf dem
Eis fällt er immer wieder hin, weil er ausrutscht, aber das macht ihm gar
nichts, und nach einer Weile legt er es darauf an, sich hinzuwerfen und mit
seinem kleinen Körper ein Stück auf dem Eis dahinzugleiten, wie ein
riesengroßer Schlittschuh. Es tut ihm nicht weh, denn er ist mit warmen
Kleidungsstücken gut gepolstert. Spike muss lachen, der Buddha ist schon ’ne
Marke! Sein Sohn...
Buffy
leiht sich Eiskunstlaufcouplets aus, diese weißen zierlichen Dinger, die sich
von den Eishockeyschuhen durch einen geraffelten Stopper an der Spitze der
Schuhe unterscheiden. Die Eishockeyschuhe haben keinen Stopper und sind
sozusagen ohne Bremse. Obwohl, die Dinger sind eigentlich gar keine Stopper,
sondern dienen nur dazu, den richtigen Absprung auf dem Eis zu haben, wenn man
sich in einen Sprung hineinschleudern will...
Buffy
tanzt ganz alleine auf dem Eis. Sie denkt an alte Zeiten, als sie noch
Eiskunstläuferin werden wollte, und sie denkt an diesen Abend, als sie mit
Angel auf der Eisbahn war, und als dann dieser riesige Biker-Typ ankam und sie
ihm mit der Schlittschuhkufe die Kehle durchschnitt. Spike hatte ihr den Typen
auf den Hals gehetzt... Sie dreht ihre eleganten Kreise, als wären die
vergangenen Jahre nicht gewesen und versucht tatsächlich einige kleine Sprünge.
Erst den einfachen Rittberger, dann den doppelten, den sie mit einigem Wackeln
wirklich steht. Der Rittberger ist natürlich ein einfacher Sprung. Und Buffy
wird verwegen und versucht den einfachen Axel, den einzigen Vorwärtssprung im
Eiskunstlauf, den man nach einer Reihe von gewundenen, temposchaffenden
rückwärts gelaufenen Kreisen vielleicht schaffen kann, denn dann dreht man sich
nach vorne um und schleudert sich nach ein paar kurzen Schritten vorwärts über
das Eis. Wie gesagt, der einzige Vorwärtssprung... Und sie schafft ihn! Es ist
ein Wunder! Sie fühlt sich so unbeschwert wie lange nicht, die Kälte wäscht ihr
Gehirn rein, und sie kann wieder einigermaßen klar denken. Sie sieht nicht mehr
dieses entsetzliche Doppelbild. dieses Bild mit Spike und Zirza und das andere
Bild mit Spike als Vampir. Und sie genießt es, die Bilder nicht mehr sehen zu
müssen und versucht noch weitere Sprünge.
Eine
ganze Mannschaft von Eishockeyspielern tobt auf dem Eis herum. Es ist die
B-Eishockeymannschaft von Cleveland, die hier auf dem harten und rubbeligen
Natureis trainiert, weil ihr Trainer das so will. Denn auf Kunsteis in der
Halle kann jeder trainieren, aber hier auf dem See kommt es wirklich nur aufs
fahrerische Können an.
Buffy
fährt ganz alleine total versunken vor sich hin, dreht ihre eleganten Kreise
und versucht ihre zaghaften Sprünge zu stehen...
„Kringelpisser!“
sagt Andy zu Buffys Schlittschuhen, zu diesen Eiskunstlaufcouplets.
„Was
sagst du?“ fragt Spike.
„Kringelpisser!
Das sagen die Eishockeycracks über diese dämlichen Eiskunstlaufschuhe.“ Andy
lächelt etwas schief, denn ihr fällt gerade so einiges ein.
„Kringelpisser
ist gut“, Spike muss lachen. „Das muss ich Buffy sagen.“ Es ist natürlich ein
Risiko, Buffy überhaupt anzusprechen, denn meistens serviert sie ihn so schnell
ab, dass er gar nicht ans Denken kommt, aber heute macht sie einen richtig
ansprechbaren Eindruck. Nein, er lässt sie besser in Ruhe, er muss sich sowieso
um die Kids kümmern
Andy
fischt aus Versehen den Puck auf, den ein Eishockeycrack aus Versehen in ihre
Richtung gespielt hat, und sie schiebt den Puck mit dem Schlittschuh zurück.
Sie schiebt ihn elegant und leicht zurück, so leicht und elegant, dass die
Cracks auf sie aufmerksam werden.
Man gibt
ihr einen Schläger und lädt sie ein, mitzuspielen. Natürlich hoffen alle, dass
sich das Mädel total blamiert, denn Eishockey ist nun mal ein Männersport.
...Nicht
in diesem Fall.
Kurz
darauf erlebt Spike, wie Andromeda mit den Jungs in der Tat Schlittschuh fährt.
Sie
beherrscht das Rückwärtsfahren genauso meisterhaft wie das schnelle
Vorwärtsstürmen, Wahnsinn! Sie beherrscht das Stoppen aus vollem Lauf ebenso
meisterhaft, sie zieht den Jungs den Schläger durch die Ohren – bildlich
gesehen – und sie führt den Puck so sicher, dass die Jungs mit offenem Mund dastehen
und glotzen. So ein hübsches Ding, und sie kann so fantastisch gut laufen.
Und sie
beherrscht auch sämtliche Tricks. Das Hakeln, ohne dass man es sieht, den
Bodycheck und das (unauffällige) Wegreißen der Beine des Gegners. Leider gibt
es hier keine Bande, an der sie den Gegner festnageln könnte.
Man
bietet ihr an, sie könnte jederzeit bei ihnen mitspielen. Falls es mit dem
Reglement vereinbar wäre... Aber Andy hat dazu keine Lust. Sie muss an etwas
anders denken.
Nachdem
sie sich bei den Cracks ausgetobt hat, legt sie sich mitten aufs Eis und
betrachtet erschöpft den Sternenhimmel.
Es ist
früher Abend, aber es ist schon vollkommen dunkel.
Der
Himmel ist klar, der Mond ist eine zunehmende schmale Sichel und verbreitet
kein störendes Licht, so dass man alle Sterne und Planeten gut sehen kann. Das
Licht der Scheinwerfer ist zwar ein bisschen lästig, aber selbst das kann nicht
verhindern, dass man in dieser klaren und frostigen Nacht alles am Himmel
erkennen kann.
Der
Himmel zeigt die Sternbilder des späten Herbstes.
Natürlich
zeigt er auch die Kassiopeia, die Andromeda mit dem geflügelten Pferd Pegasus –
und natürlich auch Perseus.
Andromedas
Blick beißt sich vor allem an einem bestimmten Sternbild fest, und natürlich,
wen wundert’s, ist es der Perseus.
Das
Sternbild Perseus, das aussieht wie eine Giraffe.
Bei
näherem Hinsehen erkennt der kundige Sternenforscher, dass diese Giraffe in der
rechten Hand (oder im Vorderhuf!?) das abgeschlagene Haupt der Medusa hält, und
die Medusa erkennt man an ihrem unheilvoll blinkendem Auge.
In
Wirklichkeit ist das unheilvoll blinkende Auge natürlich nur der
bedeckungsveränderliche Stern Algol. Aber was ist schon die Wirklichkeit....
Ein
Bedeckungsveränderlicher ist ein heller Stern mit einem dunklen Begleiter, und
dieser dunkle Begleiter verdeckt den hellen Stern so oft bei seinen Umläufen um
ihn, dass ein unwissender Beobachter den Eindruck gewinnt, der helle Stern
selber würde unregelmäßig blinken. So hat man das in der Antike und sogar noch
im späten Mittelalter und auch noch viel später gesehen.
Und
vielleicht bedeutet es jetzt immer noch dasselbe. Denn was ist schon die
Wirklichkeit...
Der
Stern Algol blinkt wie das unheilvolle Auge der Medusa.
Und wer
die Medusa anblickt, der erstarrt zu Stein...
Und er
hatte sie doch bezwungen.
Das
wurde Andromeda jetzt und heute zum erstenmal klar, als sie auf dem Rücken
liegend den Sternenhimmel betrachtete.
Er hatte
sie bezwungen, die verdammte Medusa.
Für sie
bezwungen.
Oh Gott!
Und
Andromeda konnte endlich weinen. Sie lag mit dem Rücken auf dem Eis, Arme und
Beine weit ausgestreckt und weinte. Sie weinte aus Freude, weil sie es endlich
verstanden hatte. Oder aus Trauer, weil sie es solange nicht verstanden hatte.
Jedenfalls
weinte sie, und das Weinen war so erleichternd und so wundervoll, weil sie
jetzt endlich wusste, was sie tun musste.
„Wo hast
du so gut Schlittschuhlaufen gelernt?“ fragte Spike, der näher gekommen war.
„Ich
hatte den besten Lehrmeister der Welt“, sagte Andy lächelnd und richtete sich
langsam auf. Die Tränen konnte man noch deutlich auf ihrer Wange sehen.
„Nein,
ich verabscheue Max nicht. Ich verabscheue nur das, was er getan hat.“ sagte
Andromeda ernst und eindringlich.
„Das ist
doch das gleiche“, meinte Buffy aufgebracht. Buffys wunderbare Laune, die sie
noch auf dem Eis gehabt hatte, war weg, wahrscheinlich zerschmolzen in der
Wärme des Hauses.
„Nein
überhaupt nicht. Verdammt, ich kenne Max jetzt schon so lange ich lebe, ja fast
so lange ich lebe, und ich weiß, wozu er fähig ist. Oder besser gesagt, nicht
fähig ist. Der Max, den ich kenne, hat nie irgend etwas getötet. Nur wenn es
nicht anders ging und ein Tier gelitten hat. Der Max, den ich kenne, hat
Schlachtfeste verabscheut, er hat immer versucht, sich davor zu drücken. Max
ist zwar Landwirt, aber er wollte nie Tiere züchten, denn es hätte ihm das Herz
gebrochen, sie schlachten zu lassen. Deswegen hat er sich auf den Pflanzenanbau
verlegt. Ach was, ich könnte jetzt noch viel erzählen...“
„Aber er
hat dich entführt und du wärst fast gestorben, Andy. Du wärst normalerweise
gestorben.“ Buffys Stimme klang jetzt sehr einschmeichelnd.
„Ja, ich
weiß, aber der Max den ich kenne, kann das nicht getan haben.“
„Aber er
hat es getan!“
„Ich
schätze mal, sie hat ihm irgendwas in den Tee getan“, sagte Andromeda. „Anders
kann ich es mir nicht erklären. Aber das ist egal...“
„Das
muss ja dann schon eine richtige Dröhnung gewesen sein“, meinte Buffy ironisch.
Spike
schaute sie entgeistert an, denn für das Ironische war er ansonsten zuständig.
„Jetzt
lass sie doch mal in Ruhe!“ herrschte er Buffy an. „Es ist einzig und allein
ihre Sache, ob sie ihm verzeiht oder nicht.“
„Ich
will ihr nur klarmachen, was er da überhaupt getan hat.“
„Meinst
du, das weiß sie nicht?“ Spikes Stimme war lauter geworden. „Außerdem solltest
du dich mal an deine eigene Nase fassen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie
dich irgendein Dämon gestochen oder sonst was hat und du daraufhin geglaubt
hast, du wärst in einer Klapsmühle....“
„Das war
doch ganz was anderes“, meinte Buffy mit unsicher gewordener Stimme.
„Na
klar. Ganz was anderes“, sagte Spike spöttisch. „Ach ja, da fällt mir gerade
ein: Wolltest du nicht alle deine Freunde umbringen?“
„Das war
nicht ich“, sagte Buffy noch unsicherer als vorher.
„Ach,
das warst gar nicht du! Dann ist es bei dir also was anderes, wenn du deine
Freunde umbringen willst? Im Gegensatz zu Max! Darf ich dich daran erinnern,
dass wir dich anketten mussten, um dir das Gegengift einzuflößen....“
„Oh
Gott!“ sagte Buffy ziemlich genervt.
„Nun,
Max hat es aus eigener Kraft geschafft“, sagt Spike schließlich nach einer
Pause triumphierend. „Und darf ich dich ferner daran erinnern, dass du dich
hinterher bei mir damit gebrüstet hast, deine Freunde hätten dir das verziehen,
und sie würden dir auch deine Affäre mit mir verzeihen. Es ist natürlich
genauso schlimm, eine Affäre mit einem Vampir zu haben, wie die eigenen Freunde
umbringen zu wollen.“ Spike lachte kurz auf. „Du hattest Angst, ich könnte es
ihnen erzählen, weißt du noch?“
Andromeda
schaute verwirrt, aber auch ein klein wenig interessiert von einem zum anderen.
Die alten Geschichten waren ja wirklich....äääh fesselnd.
„Klar,
nachdem ich mit dir Schluss gemacht hatte.“ Auch Buffy lachte auf, und es war
ein kurzes trockenes Lachen. „Aber du wolltest es ja nicht kapieren. Ich sagte
zu dir: Es ist aus, William. Welches Wort davon hast du nicht verstanden?“
„Ich
habe jedes Wort davon verstanden, außer William vielleicht.. Nur dein Verhalten
danach war ein wenig seltsam. Was wollt ihr Frauen überhaupt“, wandte Spike
bitter ein, „wenn ihr sagt: Haut ab! Was meint ihr eigentlich damit?“ Er
schaute Buffy an, die schweigend mit starrem Gesicht dastand. „Oder was meint
ihr, wenn ihr sagt: Es ist aus! Was zum Teufel bedeuten diese Worte?“
„Es
bedeutet: Es ist endgültig aus“, sagte Buffy mit versteinertem Gesicht, denn
sie erinnerte sich noch gut an diese Worte.
„Aber
mit ’ner anderen durfte ich nicht schlafen“, murmelte Spike vor sich hin.
„Was
hast du gesagt?“ fragte Andromeda neugierig.
„Ach
nichts.“
„Er hat
bestimmt eine andere Frau“, fing Andromeda, die wohl doch etwas von Spikes
gemurmelter Rede verstanden hatte, auf dieses Stichwort hin an zu jammern. „Er
kann doch jede haben. Was mache ich, wenn er mit einer anderen Frau im Bett
ist?“
„Ich
glaube eigentlich nicht, dass Max....“ Spike überlegte. „Er wird bestimmt am
Boden zerstört sein. Aber falls er, ich muss ausdrücklich sagen, wider Erwarten
doch mit einer Frau zusammen ist“, Spike schaute Buffy wie um Verzeihung
bittend an, aber die schaute auf einen Lichtschalter an der Wand, „dann macht
er das nur aus Verzweiflung. Ich spreche da aus eigener Erfahrung...“
Buffy
schaute schnell von dem Lichtschalter weg und auf Spike, und ihr Blick drückte
Wut und Empörung aus.
„Schmeiß
die Frau raus und verzeih ihm. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass er so
etwas tut.“ Spikes Stimme war leiser geworden, als ob er an seiner Rede
zweifelte.
„Und ich
glaube schon, dass er so etwas tut“, sagte Buffy giftig, und ihr
Gesichtsausdruck verströmte eine eisige Kälte. Sie sprach ja aus Erfahrung.
„Du hast
gesagt: Es ist vorbei.“ Jetzt empörte Spike sich wirklich. „Was zum Teufel
hattest du denn gemeint mit: Es ist vorbei? So was in der Art wie, es ist
vorbei, aber mit ’ner anderen darfst du nicht rummachen!?!“
„Bitte
streitet euch nicht“, sagte Andromeda verzweifelt. Das war ja ziemlich
faszinierend, was die beiden da von sich gaben, aber es half ihr überhaupt
nicht.
Und
Spike schwieg grollend. Es war nicht zum Aushalten mit der Frau. Was hatte sie?
Was zum Teufel dachte sie? Wieso geilte sie sich an diesen alten Geschichten
auf? Sie hatte damals Schluss mit ihm gemacht, als dieser Arsch von Riley in
Sunnydale auftauchte und sie in seine Arme geflogen war. In diese rein
menschlichen Arme. Welch ein Jammer, dass diese Arme schon von Rileys Ehefrau
besetzt waren.
Es war
kein Herankommen an sie möglich. Spike war fast soweit, aus Woodcape abzuhauen,
wenn die Kinder nicht gewesen wären. Er konnte Morgan nicht so einfach
verlassen... Aber es fehlte wirklich nur ein Tropfen, um das Fass zum
Überlaufen zu bringen.
„Und
außerdem weiß ich gar nicht, wo er sich rumtreibt!“ sagte Andromeda
verzweifelt. „Keiner will mir sagen, wo er ist!“
„Spike
weiß bestimmt, wo er ist.“ Die Worte waren Buffy einfach so herausgerutscht.
Spike hatte ihr natürlich nichts von Max erzählt, sie redeten ja fast nichts
miteinander, weil sie fast jedes Gespräch abblockte, aber sie hatte aus Zufall
ein Telefongespräch belauscht, in dem Spike einwandfrei mit Max telefonierte.
„Was!?!!
Du weißt, wo er ist?“ Andromeda war fast so weit, Spike um den Hals zu fallen,
um Max’ Aufenthaltsort aus ihm herauszuquetschen. „Sag mir, wo er ist, verdammt
noch mal!“
„Das
kann ich dir nicht sagen.“ Spike wand sich wie ein Wurm.
„Du
musst es mir sagen, sonst bist du nicht mehr mein Freund“, drohte Andromeda ihm
erbarmungslos an.
Spike
stand in losem Kontakt mit Max, der ihm mittlerweile die ganze beschissene
Geschichte erzählt hatte. Max hatte ihn an Andromedas Geburtstag übers Handy
angerufen und sich nach ihrem Befinden erkundigt.
„Es geht
ihr beschissen“, hatte Spike gesagt. „Sie lehnt es sogar ab, ihren Geburtstag
zu feiern.“
„Oh
Gott!“ hatte Max gesagt, und Spike wusste, wie schlecht sich sein Freund Max
fühlte. Wie hilflos er war und wie die Scham sein Leben bestimmte. Spike wusste
instinktiv, dass Max Angst davor hatte, Andromeda jemals wiederzusehen und dass
Max nicht gefunden werden wollte. Aber Spike hatte irgendwie aus ihm seinen
Aufenthaltsort herausgekitzelt. Unauffällig herausgekitzelt, und er wusste,
dass Max einige Zeit an diesem Ort bleiben wollte. Es war Max eigentlich egal,
wo er war, also konnte er auch dort bleiben, wo er gerade war...
Nachdem
Andromeda eine halbe Stunde getobt, geweint und gebettelt hatte, war Spike so
entnervt, dass er ihr sagte, wo Max sich befand. Es war ein kleines Kaff in
Minnesota.
Zwei
Tage später flog Andromeda ab. Sie hatte Buffy und Spike das Versprechen
gegeben, wiederzukommen, wenn sie sich mit Max ausgesprochen hatte, denn Spike
war schließlich im Augenblick ihr Vormund und somit für sie verantwortlich.
„Diesmal
wird er mich nicht abweisen“, hatte sie zu Buffy gesagt. Buffy war immer noch
verstimmt über Andromedas Entschluss, zu Max zu fahren und mit ihm zu reden,
besorgte ihr aber dennoch diese neuen revolutionären Antibabypillen, die das
Mädel von ihr verlangt hatte. Denn angenommen, Andy würde schwanger, dann würde
das auf sie und Spike zurückfallen. Guter Gott!
„Ich
will nämlich kein Kondom“, hatte Andy außerdem gesagt.
„Mein
Gott Andy! Du willst ihm also wirklich verzeihen?“ hatte Buffy ungläubig
gefragt. „Und du willst sogar mit ihm schlafen?“
„Nein,
ich will ihm nicht verzeihen. Deswegen fahre ich nicht zu ihm.“ Andromeda hatte
gelächelt.
Sie
hatte genauso geheimnisvoll wie eine Sphinx gelächelt.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
KAPITEL
X Teil 3
Als Spike am späten Freitag Nachmittag in Woodcape ankam, war er so erschöpft, dass er sich sofort vor den Fernseher setzen und absolut nichts mehr an diesem Tage tun wollte.
Diese
verdammten Prüfungen waren so stressig und aufreibend, dass er immer wie
gerädert danach war. Er zog zwar dieses Fernstudium durch, aber die
Zwischenprüfungen musste er wie alle anderen Normalstudierenden an der Uni in
Cleveland absolvieren.
Die
Kids, die er am Morgen mitgenommen hatte, waren in Cleveland geblieben. Willow
und Kennedy hatten ihn angefleht, sie bei ihnen zu lassen. Die Weiber wollten
mit ihnen einkaufen gehen. Spike hatte natürlich sofort den praktischen Wert
der Sache erkannt. Die Kinder wuchsen so schnell aus ihren Sachen heraus,
sollten sie doch ruhig mit ihnen einkaufen gehen. Sie würden über Nacht bei
Willow und Kennedy bleiben.
Natürlich
war es unsicher, die Kinder in Cleveland zu lassen, aber was war eigentlich
nicht unsicher? Und andererseits war Willow eine überaus fähige Hexe, und
Kennedy war eine überaus aggressive Jägerin. Wenn diese beiden die Kleinen
nicht beschützen konnten, wer sonst?... Soviel er wusste, wollten Robin und
Faith am späten Nachmittag auch noch kommen und ein bisschen mit den Kleinen
üben. Spike fragte sich , was sie wohl üben wollten. Jedes Kind war ja wohl
anders. Aber sie wollten tatsächlich mit den Kindern den Ernstfall üben, den
Fall. wenn sie ein eigenes Kind hätten. Spike bezweifelte, ob man jemals so
etwas üben könnte, denn es war immer wieder überraschend genial und neu, was
die Kinder so taten und von sich gaben. Nun gut, sie würden über Nacht in
Cleveland bleiben, und vielleicht gab ihm das eine Möglichkeit, an Buffy
heranzukommen und... ja vielleicht mit ihr zu reden, ohne dass sie ihm an die
Gurgel ging.
Als er
die Haustür aufschloss, hörte er Stimmen. Er konnte Buffys Stimme erkennen, und
die andere kam ihm irgendwie bekannt vor.
Beunruhigend
bekannt kam sie ihm vor.
Sie
saßen in der Küche. Sie saßen sich gegenüber und hielten sich an den Händen
gefasst.
Süß
irgendwie...
Spike
spürte, wie sein Herz sich verkrampfte, und er hatte auf einmal das Empfinden
eines leichten Herzinfarkts oder eines mittleren Schlaganfalls.
Sie
hielten sich an den Händen gefasst und schauten sich so vertraut in die Augen.
Er sah
im Sitzen nicht so groß aus wie im Stehen.
Aber
trotzdem war er viel größer als er, Spike. Und er war so viel menschlicher als
er, Spike.
Wieso
hatte er vor ihm mehr Furcht als vor Angel? Weil er so rein menschlich war?
Buffy
hatte immer die Normalität gesucht. Sie hatte die rein menschliche Beziehung
gesucht. Sie hatte seine rein vampirische Leidenschaft verabscheut als ein sich
schnell verzehrendes und als solches nicht sehr wertvolles Ding. Nein, er
wollte nicht an diesen Abend im Badezimmer des Summerschen Hauses denken.
Sie hatte
sich damals an Riley geklammert, als er wieder nach Sunnydale zurückkam. Sie
hatte ihn, Spike, in den Hintern getreten. „Es ist aus William“, hatte sie
gesagt.
Spike
hatte mehr Angst vor Riley als vor Angel. Angel war immer noch ein Vampir.
Buffy war die Jägerin, und sie würde sich immer daran erinnern, dass Angel ein
Vampir war, egal wie sehr sie ihn auch liebte, egal ob auch Angel irgendwann
ein Mensch werden würde... Aber Riley, verdammt noch mal, war ein Mensch!
Und sie
würde jederzeit das normale Leben mit einem normalen Menschen vorziehen.
Er
musste sie gehen lassen. Es war besser für sie und auch für Morgan.
Aber
vorher würde er ein Riesentheater machen. Das sollte ihm nicht schwer fallen.
Spike
trat in die Küche und grinste die beiden an, ohne überrascht zu wirken. Er
hatte Zeit genug gehabt, seinen Blutdruck und seinen Herzschlag wieder auf
Normalmaß herunterzudrücken
„Hallo
Soldat“, sagte er mit freundlicher Miene zu Riley.
Die
beiden fuhren schuldbewusst auseinander, jedenfalls sah es so aus, als würden
sie schuldbewusst auseinander fahren.
Buffy
starrte ihn beklommen an, und er meinte wirklich, ein wenig Schuldbewusstsein
in ihren Augen zu sehen. Aber er musste sich irren. Und außerdem war es total
egal.
Riley
starrte ihn auch an, er starrte ihn mit Abscheu an. Ach Gott, was sollte es,
Riley hatte ihn ja immer schon verachtet. Nicht zu unrecht. Er war eben
verachtenswert. Er hatte trotzdem versucht, Buffy für sich zu gewinnen und war
gescheitert. Auch nicht zu unrecht.
Spike
wandte sich nun freundlich an Buffy: „Kann ich dich mal kurz sprechen. Es wird
ganz schnell gehen.“
Buffy
murmelte irgend etwas Unverständliches und folgte dann Spike, der die Küchentür
hinter sich schloss. Riley musste nicht alles mit anhören.
Sie
standen sich in der Diele gegenüber. Buffy mit trotzig vorgeschobener
Unterlippe, Spike unterkühlt mit erhobener zernarbter Augenbraue.
„Ist es
das, was du willst?“ fragte Spike schließlich.
„Was
meinst du?“ fragte Buffy unfreundlich zurück.
„Er. Ist
er das, was du willst?“ Spikes Stimme klang sanft.
„Ich
weiß nicht, was du meinst.“
„Stell
dich nicht so blöd an.“ .Spikes Stimme war ein wenig lauter geworden. „Aber was
soll’s... Du kannst die Scheidung haben. Am besten so schnell wie möglich.“
Buffy
stand da wie vom Donner gerührt und konnte es nicht fassen. Er bot ihr die
Scheidung an, dieser Dreckskerl, erst hatte er sie betrogen und dann machte er
Theater, nur weil Riley sie getröstet hatte, getröstet hatte wegen ihm. Nein,
unfassbar!
„Oh, ich
vergaß, du brauchst ja gar keine Scheidung einreichen...“
„Wieso
nicht?“ Buffy war verblüfft und ließ sich doch tatsächlich dazu herab, den Sinn
seiner Worte zu hinterfragen.
„Da
unsere Ehe nie vollzogen wurde, kannst du eine Annullierung beantragen. Ist
ganz einfach, ich hab das letztens in einem juristischen Fall gelesen.“
„Unsere
Ehe wurde nie vollzogen“, murmelte Buffy tonlos vor sich hin.
„Ganz
recht, damit plärrst du mir doch seit zwei Monaten die Ohren voll, dass es so
ist, verdammt noch mal! Also steh endlich dazu!“
Spike
hätte Buffys Faust ausweichen können, aber er wollte es gar nicht. Er wollte,
dass sie ihn schlug. Das würde es für sie leichter machen. Wenn sie ihn schlug
und ihn hasste, wäre es so viel leichter für sie, diese Ehe zu beenden.
Sie traf
ihn voll auf die linke Wange. Und bereute es schon mitten im Schlag.
„Willkommen
zu Hause. Jägerin!“ Spike fasste sich an die Wange und fühlte nach, ob
irgendwas gebrochen war. War es aber nicht.
„Ist es
nicht wunderbar, dass manche Dinge sich nie ändern in dieser schnelllebigen
Zeit?“ Spikes Stimme triefte vor Sarkasmus. „Aber auf dich kann man sich
verlassen, nicht wahr Liebes?“
Buffy
stand immer noch reglos da. Sie wusste, dass er den Treffer hätte verhindern
können. Sie hatte es an seiner Reaktion gemerkt. Er hätte ausweichen können, er
hatte wohl verdammt gute Jägerinnen-Reflexe, aber er war dem Schlag nicht
ausgewichen. Er hatte es darauf abgesehen, sich schlagen zu lassen. Aber warum?
Sie
stand noch da, als Spike das Haus verlassen hatte. Und stand noch da, als Riley
aus der Küche kam und sich besorgt nach dem Stand der Dinge erkundigte.
Riley
war in Woodcape, weil er einen mysteriösen Anruf erhalten hatte, der Anruf war
zwar anonym gewesen, aber Riley hatte sich daraufhin Sorgen um Buffy gemacht
und war sofort nach Woodcape aufgebrochen. Es war übrigens eine Frauenstimme am
Telefon.
Sie
schickte ihn weg. Sie konnte im Augenblick niemanden ertragen. Es war eine
Sache, Spike und seine Affären zu verabscheuen und sich vor ihm zu ekeln, aber
es war eine andere Sache, von ihm verlassen zu werden. Er wollte nicht mehr mit
ihr verheiratet sein.
Sie fand
im Wohnzimmer eine angebrochene Flasche Brandy. Sie goss sich genüsslich ein
großes Glas davon ein und trank es genüsslich aus. Der Alkohol schmeckte ihr,
sie trank natürlich keinen Alkohol, weil sie unglücklich war, denn sie war
schließlich keine Säuferin. Obwohl sie in letzter Zeit doch ab und zu....
Nein,
heute war ein glücklicher Tag. Sie war ihn los, diesen ‚Ehemann’, der nichts
mit ihr zu tun haben wollte, sondern stattdessen mit dieser Schlampe rumgemacht
hatte.
Sie war
ihn endlich los.
Sie goss
sich noch ein Glas von dem Brandy ein. Sie war glücklich.
Sie
musste glücklich sein, denn er war weg, endlich weg!
Bis sie
schließlich merkte, dass sie auf seine Rückkehr wartete. Aber er wollte wohl
nicht kommen.
Scheiße,
er war weg und würde vielleicht nie wiederkommen. Und Gwydion würde er mit sich
nehmen. Nein, bitte nicht!
E würde
doch wiederkommen? Oder? Auch wenn sie ihn verabscheute, konnte sie nicht ohne
ihn leben. Der Gedanke an ein Leben ohne ihn brach ihr fast das Herz. Warum nur
verabscheute sie ihn so, dass er deswegen weggehen musste?
Nach
mehreren Gläsern Brandy kramte Buffy in der Abstellkammer herum, fand ihre
Eiskunstlaufcouplets, denn sie hatte sich in der Zwischenzeit welche gekauft,
weil die geborgten immer schmerzhaft auf ihre Zehen drückten, zog sich einen
warmen schwarzen Pullover und eine bequeme nicht zu enge Jeans an, warf sich
die ‚Kringelpisser’ über die Schulter und wanderte zum zugefrorenen See, um ein
paar Sprünge zu üben. Denn jetzt war Ablenkung angesagt. Ablenkung war immer
gut. Ablenkung hatte sie immer in den Krisen ihres Lebens ääääh... abgelenkt.
Es war
spät am Abend. Die Stände, an denen sonst Punsch verkauft wurde, hatten schon
geschlossen, und auch die Scheinwerfer, die sonst alles beleuchteten, waren
nicht mehr in Betrieb. Aber der volle Mond gab genug Licht.
Der
zugefrorene See lag so friedlich, still und menschenverlassen vor ihr, dass
sämtliche schlechten hasserfüllten Gedanken von ihr wichen. Kälte war gut für
sie, das spürte Buffy instinktiv.
Kälte
brachte das Bild zum Schweigen. Kälte brachte ihren Ekel zum Schweigen. Kälte
war gut.
Am Ufer
des zugefrorenen Sees zog Buffy sich die Schlittschuhe an und fing zaghaft an,
ein paar Pirouetten zu drehen, und das entfernte sie schnell vom Ufer des Sees.
Sie war
voll konzentriert. Der Brandy floss noch in ihren Adern und machte sie
risikobereiter als sie es normalerweise war.
Sie fing
an, einfache Sprünge zu üben. Nach und nach. Und als nichts davon schief ging,
fing sie an, die schwierigeren Sachen zu üben. Den einfachen Lutz als erstes
und danach den Axel, den einzigen Vorwärtssprung im Eiskunstlauf, bei dem man
sich meistens auf den Hintern setzt, weil der einfache Axel aus schwer
nachvollziehbaren Gründen nicht 1-fach sondern 1 1/2-fach ist, und weil der
Doppelaxel aus den gleichen Gründen nicht 2-fach sondern 2 1/2-fach ist. Er ist
also ein sehr schwieriger Sprung.
Buffy
war so fantastisch drauf mit dem Brandy in ihren Adern und der Kälte, in der
sie sich einfach gut fühlte, dass sie jedes Risiko eingegangen wäre. Der
Doppelaxel, der Königssprung im Eiskunstlauf, der war die Herausforderung.
Sie
näherte sich also dem Sprung in einer Serie von gewundenen rückwärts gefahrenen
Schleifen, um mehr Schwung bekommen, bis sie dann schließlich den optimalen
Dreh kriegte, sich in den Vorwärtsgang herumwarf, ein paar schnelle Schritte
machte, um das Tempo zu erhöhen, und sich schließlich in die Luft schraubte, um
den zweifachen Axel zu springen, einen Sprung, den sowohl Meister wie auch
Meisterinnen des Eiskunstlaufs fürchteten und auch schon vermasselt hatte.
Buffy
war das heute egal.
Und der
Sprung gelang ihr. Sie fühlte es. Die Drehung war vollkommen, und sie würde
perfekt mit dem rechten Fuß aufsetzen.
Der
Sprung war wirklich vollkommen, nur... wie der Teufel es so wollte, befand sich
gerade ein Hotspot unter dem Eis und hatte es schon recht mürbe gemacht. Oder
es befand sich ein heißer Ausläufer des Höllenschlunds unter dem Eis und hatte
es mürbe gemacht. Oder vielleicht eine warme Strömung...
Die
dritte Möglichkeit war, dass der See bei steigenden Außentemperaturen
allmählich anfing, wieder aufzutauen...
Jedenfalls
glückte Buffy der Doppelaxel, aber beim Aufprall auf das Eis gab dieses nach,
es war weich geworden, und Buffy stürzte durch das weiche Eis hindurch in das
eiskalte Wasser und versank nach einer kleinen Weile im See.
Wenig
später zeugten nur noch einige Luftblasen davon, dass gerade jemand Lebendiges
da gewesen war.
© Ingrid
Grote 2004 Fortsetzung HIER
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