Das Licht am Ende der Fahnenstange

 

KAPITEL III Teil 1

 

Lieber Bill,

durch Zufall haben wir erfahren, dass Lilah mit Dir verheiratet war und dass Ihr einen gemeinsamen Sohn habt.

Wir waren natürlich entsetzt über Lilahs tragischen Tod. Ich habe das Mädel immer gern gehabt, sie war die jüngere Schwester meiner Frau, die sehr früh im Kindbett gestorben ist.

Leider hatte Lilah sich seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr bei uns gemeldet, was uns unverständlich war, denn bis dahin hatte sie uns wenigstens einmal im Jahr besucht, vor allem wegen meiner kleinen Tochter. Die beiden waren immer wie Schwestern, trotz des Alterunterschieds. All unsere Versuche, mit Lilah telefonischen Kontakt aufzunehmen, scheiterten, und wir waren sehr besorgt. Auch bei ihrer Firma konnte man uns letztes Jahr keine Auskunft geben. Und dann mussten wir aus der Zeitung erfahren, dass Lilah von eben dieser Firma ermordet worden war.

Wir, das heißt ich und mein Töchterchen möchten nun gerne Lilahs Sohn (und deinen natürlich auch) kennen lernen. Natürlich nur, wenn Du möchtest.

Ruf' einfach an, wir haben Platz genug. Du kannst gerne noch jemanden mitbringen und Du kannst so lange bleiben, wie Du willst. Du wirst feststellen, dass Campodia ein netter Ort ist, ein bisschen altmodisch vielleicht, aber sehr angenehm...

In der Hoffnung auf Deinen baldigen Besuch verbleibe ich

Archibald von Campe

 

„Ich habe da einen Brief bekommen“, erzählte Spike ziemlich locker.

„Was für einen Brief?“ Einen Augenblick lang war Buffy erschrocken, weil sie glaubte, Lilah hätte auch Spike einen Brief aus dem Jenseits geschickt, ähnlich wie sie Buffy vor ein paar Monaten einen Brief geschickt hatte. Und vor allem glaubte sie, der Brief wäre so ähnlich wie ihr Brief und in dem Brief stünde, dass Buffy auch einen Brief bekommen hätte. Denn diesen Brief hatte sie vor Spike verschwiegen, weil sie Angst vor seiner Reaktion hatte.

„Er ist von einem Verwandten von Lilah.“ Spike schaute Buffy vorsichtig an, denn man konnte nie wissen, wie sie auf das Wort ‚Lilah’ reagieren würde.

„Ach“, sagte Buffy. Sie war ziemlich erleichtert, dass der Brief nicht von Lilah selber war.

„Er hat mich und Gwydion eingeladen. Er ist ein Onkel von Lilah, und er hat erst jetzt erfahren, dass Lilah einen Sohn hat.“

„Und jetzt will er ihn kennen lernen“ stellte Buffy eher fest als dass sie fragte.

„So ist es“, sagte Spike, auch er erleichtert, weil sie es so leicht aufgenommen hatte, denn normalerweise ging ihr alles, was mit Lilah zu tun hatte, schwer auf die Nerven. „Ich bin es Gwydion schuldig. Er muss seine Verwandten kennen lernen.“

„Du willst also hinfahren?“ Buffy war so froh, ihn wieder hier zu haben, dass ihr Lilahs Erwähnung scheißegal war. Außerdem war Lilah tot...

„Ich denke schon. Es ist allerdings ein bisschen weit weg. Im südwestlichsten Zipfel von Idaho. Wahrscheinlich am Arsch der Welt...“

„Und gebirgig, was?“ Buffy musste lachen.

„Richtig! Diesmal fahren wir mit dem Auto“, schlug Spike vor. „Ich habe es satt, dauernd irgend was waschen zu müssen und nie genug Klamotten zu haben.“

„Es ist eine lange Fahrt“, gab Buffy zu bedenken. Ihr Herz hatte einen Sprung gemacht, als er „Diesmal fahren wir mit dem Auto“ sagte, denn die Einladung galt wohl nur für ihn und Gwydion, und er wollte sie trotzdem mitnehmen. Das war gut, denn nach ihrer langen Trennung jetzt sofort wieder ohne ihn sein zu müssen, das wäre entsetzlich.

„Du könntest ja auch mal fahren“, sagte Spike vielsagend

„Oh Gott, du weißt ja, ich und die Technik...“

„Gut. Überredet. Ich glaube, ich hätte keine ruhige Minute, wenn du fahren würdest, also fahre ich besser selber.“ sagte Spike erleichtert.

„Ich habe fast nichts zum Anziehen“, gab Buffy, der es anscheinend nichts ausmachte, dass sie nicht autofahren konnte, zu bedenken.

„Natürlich nicht!“ meinte Spike grinsend. „Also fahren wir morgen nach Cleveland und decken uns mit Klamotten ein. Vielleicht hat Archibald ja ein Schloss, und es finden dauernd irgendwelche Bälle statt.“

„Archibald?“

„Ja tatsächlich, der Typ heißt Archibald von Campe.“ Spike musste lachen. „Hört sich an wie alter mitteleuropäischer Landadel. Und der Witz an der Sache ist, der Ort , in dem er lebt, heißt Campodia. Ich frage mich, ob die von Campes diesen Ort gegründet haben.“

„Hört sich fast so an“, meinte Buffy.

„So gesehen ist ein Schloss gar nicht so unwahrscheinlich.“

„Vielleicht haben die auch einen Brunnen mit einem Frosch drin....“ schlug Buffy vor.

„Vielleicht tanzt der Frosch auf dem Ball mit“, meinte Spike. „Gut, wir werden auf alles vorbereitet sein. Im Guten wie im Schlechten. Wenn der Typ nur eine Bauernkate hat, dann nimmst du eben eine Schürze mit, denn dann musst du vielleicht für seine unehelichen Bälger kochen. Und ich muss im Schweinestall arbeiten. So werden wir unseren Unterhalt bestreiten.“

„Ach du lieber Himmel, so schlimm wird es doch wohl nicht sein!“

„Zur Not können wir immer noch abhauen.“

„Aber vielleicht hat er ja doch ein Schloss. Muss ja nicht groß sein“, hoffte Buffy.

Spikes Angebot, mit Buffy einkaufen zu gehen, war nicht ganz so uneigennützig, wie sie vielleicht dachte. Er hatte schon jetzt ein schlechtes Gewissen wegen der Bitte, die er an sie stellen würde, und er wollte sie vorher besänftigen, obwohl er ahnte, dass sie nicht besänftigt sein würde, nein im Gegenteil, sie würde stinksauer auf ihn sein. Und sie hatte ja auch Recht...

 

Er trug ihr seine Bitte kurz vor ihrem Einkaufsbummel vor.

Und er hatte Recht. Sie war wirklich stinksauer. Er trug ihr seine Bitte kurz vor ihrem Einkaufsbummel vor.

„Wie bitte! Was willst du? Da bleib’ ich lieber hier!“ Buffy funkelte ihn wütend mit aufgerissen braunen Augen an.

„Ist doch halb so wild.“ Spike, der diesen Ausbruch erwartet hatte, versuchte sie zu besänftigen, ohne viel Hoffnung auf Erfolg.

„Du spinnst doch wohl! Ich soll mich als dein Kindermädchen ausgeben? Das ist ja wohl das Letzte!“ Buffy funkelte ihn nicht nur wütend an, sondern sie war durch und durch wütend.

„Nicht als mein Kindermädchen, sondern als das von den Kindern. Ach Quatsch, was rede ich denn da! Als eine alte Freundin, die auf...“

„Alte Freundin? Das wird ja immer besser!“

„Buffy, bitte versteh’ doch. Wofür würden sie mich halten, wenn ich ein paar Monate nach Lilahs Tod direkt mit einer neuen Frau ankäme?“

„Und mit noch einem Kind!“ sagte Buffy empört. „Willst du Morgan etwa verleugnen? Nein, das glaube ich nicht!“

„Natürlich will ich Morgan nicht verleugnen. Ich dachte so ungefähr an die gleiche Geschichte, die wir deinem Vater erzählt haben, allerdings ohne die darauf folgende Hochzeit und ohne den Kitsch mit der wiedererwachten oder eigentlich nie verlorengegangenen Liebe...“ Spike grinste ironisch.

„Also doch Kindermädchen!“ Buffy traute ihren Ohren nicht, als sie ihn so ironisch über ihre Liebe reden hörte.

„Buffy, bitte!“, sagte Spike eindringlich. „Wir könnten dadurch erklären, warum wir kein gemeinsames Schlafzimmer haben. Das wäre doch viel leichter, oder?“

„Noch leichter wäre es...“, Buffys Stimme stockte, denn sie hatte sagen wollen, dass es noch leichter wäre, wenn sie gar keine getrennten Schlafzimmer hätten, aber sie wollte sich keine Blöße vor ihm geben. Und sie fürchtete sich vor seiner Zurückweisung.

„Was?“ fragte Spike und schaute sie immer noch eindringlich an.

„Ach nichts. Gut, gehen wir einkaufen. Aber ich schwöre dir, das wird lange dauern. Das wird verdammt lange dauern!“

 

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„Nicht das.“ Spike rollte mit den Augen, als Buffy aus der Umkleidekabine kam und eine seltsame Kombination trug, so eine Mischung aus... Abendkleid und Blaumann, jedenfalls stand es ihr nicht.

„Warum nicht?“

„Trag’ um Gottes willen keinen U-Boot-Ausschnitt. Das ist eine Sünde gegen den Körper. Trag’ normale Ausschnitte, egal ob rund oder V-förmig, aber trag’ um Gottes Willen keine U-Boot-Ausschnitte.“

„Ich liebe sie aber.“ Buffys Stimme klang verzagt.

„Ich liebe sie nicht. Ich denke immer, sie schnüren dir die Kehle ab“, sagte Spike verzweifelt, denn mittlerweile hatte er es satt, überall seinen Senf zugeben zu müssen. Es war ermüdend und stressig, eine Frau beim Einkaufen zu begleiten und sie auch noch beraten zu müssen. Das war Buffys Rache an ihm. Na gut. Trotzdem war es verdammt anstrengend, obwohl sie zugegebenermaßen eine wirkliche hübsche Frau war, aber diese U-Boot-Ausschnitte... Nein danke.

„Wie findest du dieses Cocktailkleid?“ Buffy spürte seine mieser werdende Stimmung – diese Stimmung war natürlich kein Wunder nach einem Vier-Stunden-Trip durch diverse Boutiquen – und hielt das Kleid nur noch vor ihren Körper. Sie hatte mittlerweile das Gefühl, als würde er gleich explodieren und deshalb probierte sie das sogenannte Cocktailkleid nicht an. Es wäre zu gefährlich gewesen.

Spike begutachtete das Kleid kritisch. Es schien okay zu sein. Kein U-Bootausschnitt, passable Farbe, fast weiß, sanfter weicher Stoff, kein bisschen Schnickschnack. Es würde ihr stehen.

„Nimm es“, sagte er schließlich. „Obwohl, Cocktailkleid... Diesen Ausdruck habe ich zuletzt in den Sechzigern gehört. Meinst du, in Campodia werden Cocktails serviert?“

„Es ist verdammt teuer.“ Buffy machte sich mehr Sorgen um ihr Konto als um die Frage, ob in Campodia Cocktails serviert würden, denn das was sie heute schon eingekauft hatte, sprengte eindeutig ihren Kreditrahmen.

„Nimm es!“

„Na gut!“ Buffy war erleichtert. Das bedeutete wohl, dass Spike ab nun bezahlen würde, und zwar alles. Normalerweise bezahlte jeder für sich selbst, außer in Restaurants, aber sie gingen ja kaum aus wegen der Kinder, und wenn, dann war Dawn dabei. Buffy hatte das Gefühl, es wäre Spike lieber, wenn Dawn mit dabei war. Jedenfalls überwies er jeden Monat eine beachtliche Summe auf ihr Konto, und damit konnte sie machen, was sie wollte, und sie musste ihn nicht um Geld fragen. Alle anderen Nebenkosten teilten sie untereinander auf, wobei Spike sich immer sehr großzügig zeigte. Nach den äußerst mageren letzten drei Jahren war Buffy auf einmal in der Lage, sich bessere Kleidung und viele neue Bücher leisten zu können, und die Zeiten, als sie in einem Doublemeat Palace arbeiten musste, waren dem Himmel sei Dank vorbei. Andererseits hatte sie früher wenigstens mit Spike geschlafen, und das kam ihr im nachhinein sehr kostbar vor, während jetzt... Aber man kann nicht alles im Leben haben.

Spike war aufgestanden und wanderte wie ein gereizter Tiger durch die Regale. Er wollte die Sache ein wenig beschleunigen und griff sich zielsicher ein paar Oberteile und Hosen.

„Hier“, er zeigte Buffy den Haufen Kleidung. „Nimm das!“ Dann erspähte er noch ein gutes Teil, ein ziemlich gewagtes Kleid, legte auch das auf den Haufen und sagte mit bestimmender Stimme: „Und das auch!“

„Gute Wahl“, meinte Buffy beifällig lächelnd. „Ich nehme es.“ Spike hatte immer schon einen ausgezeichneten Geschmack gehabt, und ihre Größe schien er auch zu kennen.

„Können wir dann gehen?“ fragte Spike hoffnungsvoll.

„Du Witzbold!“ In Buffys Augen funkelte ein boshaftes Licht. „Jetzt gehen wir erst einmal Schuhe kaufen...“

„Äääcchzz“, ächzte Spike. „Die Kinder warten bestimmt schon auf uns.“ Eine Wunschvorstellung von Spike, denn die Kinder hatten sie bei Willow und Kennedy abgegeben, und die Kindern hatten sich nicht darüber beschwert.

Wenn Spike nur ein Bruchteil der Geduld, die er bei der Beschäftigung mit den Kindern an den Tag legt, bei ihrem Einkaufen und Anprobieren aufbringen würde, dann wäre er der ideale Begleiter, dachte Buffy. Er verlor nie die Nerven mit den Kleinen, was wirklich bewundernswert war, vor allem bei Morgan, die eine richtige Nervensäge sein konnte. Manchmal sagte Spike, dass Morgan wohl große Ähnlichkeit mit Buffy als Baby haben müsste. Was Buffy jedes Mal bestritt und rotzfrech behauptete, Morgan hätte wohl mit Baby-Spike große Ähnlichkeit und sie hätte seine Sturheit geerbt Was wiederum Spike bestritt. Er wäre nämlich ein liebes und sehr ruhiges Kind gewesen.

Spike fühlte sich unbehaglich. Er war nicht nur wegen des stressigen Einkaufens geschafft, sondern auch wegen des Eindrucks, den Buffy auf ihn machte, als sie abwechselnd in sommermäßigen Klamotten, tiefausgeschnittenen Kleidern und kurzen Röckchen aus der Umkleidekabine kam und sich vor ihm präsentierte, so unschuldig liebreizend präsentierte, dass Spike nicht umhin konnte, eine Absicht in diesem unschuldigen Getue festzustellen. Und das Schlimme daran war, es verfehlte seine Wirkung nicht auf ihn, denn schließlich war er ja tatsächlich aus Fleisch und Blut (im wahrsten Sinne des Wortes mittlerweile). Und er war ein Mann. Ein Mann, der verdammt lange nicht mit einer Frau geschlafen hatte... Er wollte weg aus diesen Läden.

Eigentlich war das Leben richtig schön, dachte Buffy, wenn nur Spike... Buffy riss sich zusammen und entschloss sich, in die Vollen zu gehen. Wenn man den Mann seiner Wahl nicht kriegen konnte, dann musste man eben jede Menge Schuhe kaufen. Obwohl: Schuhe kaufen konnte sie immer...

 

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Eine Woche später, es war die letzte Juniwoche, fuhren sie los. Für Dawn war gesorgt, sie ging schon aufs College in Cleveland und teilte sich dort ein Zimmer mit einer Studienkollegin. An den Wochenenden würde sie bei Willow und Kennedy wohnen.

Der Van war beladen bis kurz vorm Achsenbruch. Sie hatten alles dabei, vom Kinderwagen und little Buddhas Lauflernhilfe über Spikes Gitarre bis zur Abendgarderobe. Der Hauptteil des Vans allerdings war mit Buffys Klamotten gefüllt.

Das Wetter war wunderschön, es war fast noch ein Frühlingswetter mit einem sagenhaft klaren tiefblauen Himmel. Das Gras sah besonders saftig aus, und das Laub der Bäume hatte noch dieses zarte maifarbene Grün, diese herrlich frische knackige Frühlingsfarbe, die es in den folgenden Sommermonaten bald verlieren würde.

Es war ein berauschender Tag.

Buffy hatte trotz ihres Status als ‚alte Freundin’ einigermaßen gute Laune. Gut, sie würde das Kindermädchen spielen, zumindest am Anfang, und dann würde man weitersehen. Und sie konnte ein bisschen Urlaub gut vertragen.

Spike hatte eine CD von einer Gruppe namens ‚Dead Kennedys’ aufgelegt, wie er ihr unbedingt erzählen musste, und bei einem Stück sang er den Refrain laut mit und zwar: ‚It’s a Holiday in Campodia’, obwohl es eigentlich Cambodia heißen musste. Spike amüsierte sich köstlich darüber.

„Biafra ist geil. Dagegen ist Johnny Rotten fast lahmarschig“, meinte er bewundernd und sang weiter den Refrain mit:

It's a holiday in Campodia

It's tough kid, but it's life

It's a holiday in Campodia

Don't forget to pack a wife

 

Was zum Geier meint er mit Biafra, fragte sich Buffy. Das war doch ein Staat in Afrika. Und wer war Johnny Rotten?

„Wer oder was ist Biafra?“

„Erstens“, sagte Spike, „ist es fast mal ein Staat gewesen, und zwar das westliche Nigeria, man wollte sich selbstständig machen, wurde aber niedergemetzelt von Verwandten. Zweitens ist es der Sänger von ‚Dead Kennedys’, genauer gesagt heißt er Jello Biafra.“

„Da spricht der Herr Professor“, meinte Buffy respektvoll. „ Du hast ja wirklich Ahnung von Geschichte.“

„Klar doch“, Spike trommelte den Rhythmus des Songs auf dem Lenkrad mit. „Johnny hat immer so schön ins Publikum gerotzt...“

Buffy fand weder Yello noch Johnny besonders sympathisch, hielt Jello für einen grauslichen ‚Sänger’ und Johnny für ein ekelhaftes Schwein und fand, dass ‚Holiday in Cambodia’ ein besonders grässlicher Punksong war, vor allem die Stelle mit dem ‚Don't forget to pack a wife’. Aber Spike schien den Song, oder besser gesagt, das hirnerweichende Gegröle wirklich zu mögen.

 

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KAPITEL III Teil 2

 

Es ging immer höher hinauf.

„Mein Gott! Wie hoch liegt das hier?“ fragte Buffy.

„Ziemlich hoch“, sagte Spike. „Ich glaube, die höchsten Berge in Idaho sind über dreitausend Meter hoch. Manch ein Staat in Europa wäre froh, auch nur einen einzigen von der Sorte zu haben.

„Sind wir bald da?“

„Oh ja, hoffentlich“, meinte Spike, der ziemlich genervt aussah. Nicht die dreitagelange Reise hatte ihn geschafft, sondern vielmehr die zwei Übernachtungen, die sie einlegen mussten in diesen dubiosen Drive-ins, die so an Gangster- und Horrorfilme erinnerten. Jedenfalls hatte Buffy sich recht anständig benommen, und ihn nicht bedrängt. Spike glaubte, dass Morgans nahe Anwesenheit der Grund dafür gewesen war.

Jedenfalls ging es die letzten hundert Meilen ständig bergauf. Nicht, dass es die zweihundert Meilen davor nicht auch schon ständig bergauf gegangen war...

Zum Arsch der Welt, wie Spike meinte. Gott, was hatte er sich nur dabei gedacht, als er hierhin fahren wollte. Die Leute waren bestimmt unmöglich. Aber andererseits war er es Gwydion schuldig, dass er seine Verwandten kennen lernte.

Lilah hatte allerdings nie von ihrem Schwager und ihrer Nichte erzählt. Seltsam war das. Andererseits hatten W&H es vielleicht nicht für nötig befunden, der wiedererweckten Lilah ihre gesamten Erinnerungen mitzugeben. Es war vielleicht hinderlich für die Interessen der Firma. Spike hatte das unbestimmte Gefühl, dass auch ihm einige Erinnerungen fehlten. Nein, das stimmte nicht, er hatte alle Erinnerungen, aber die passenden Gefühle dazu fehlten oder waren einfach nicht vorstellbar. Warum hatte er sich geopfert? Weil er die Jägerin liebte? Das konnte er sich nicht mehr vorstellen. Diese Gefühle waren nicht mehr da, und es schien ihm unvorstellbar, dass er so etwas für sie getan hatte. Sein ganzes Verhalten damals in Sunnydale erschien ihm unvorstellbar. Diese Tussi und er in sie verliebt bis zum... ach was wusste er.. Es war einfach nicht vorstellbar. Gewiss, sie war anziehend, aber sie war nicht sonderlich intelligent und auch nicht besonders originell und vor allem nicht sonderlich ehrlich, sie hatte eigentlich nicht von dem, was er an Frauen liebte. Was hatte sie, was war es gewesen? Und warum waren diese Gefühle weg, an die er manchmal eine verschwommene, schmerzhafte Erinnerung hatte? Fragezeichen über Fragezeichen. Waren die Gefühle manipuliert worden von W&H? Oder hatte er sie selber verdrängt? Jedenfalls konnte er sich besser an seine schlimmsten Zeit als Vampir erinnern als an seine Gefühle im letzten halben Jahr in Sunnydale. Die Gefühle lagen irgendwo im Nebel...

Spike fuhr über ein Bahngleis und sah vor sich ein Schild: Campodia 3 Meilen. Sie hatten es endlich geschafft. Und es ging immer noch bergauf.

Zur Linken sah man eine lange Bergkette und viele Orte, die sich an diese Bergkette schmiegten, die Sicht war hervorragend. Zur Rechten sah man ein Sägewerk, in dem man heftig sägte und fräste. Die Luft roch nach Holz- und Sägespänen.

Dann endlich vor einer scharfen Rechtskurve ein Schild mit dem Namen Campodia.

Der Ort sah nett aus, wenn man Verfall als nett bezeichnen würde, aber in diesem Fall war der Verfall wirklich nett und malerisch. Das lag wohl an der Jahreszeit, die alles in ein frisches Grün tauchte. Spike fühlte sich an seine Heimat erinnert, in der auch so ein malerischer Verfall herrschte. Nein nicht in London, sondern in einem Ort in Sussex, wo er als Kind immer den Sommer verbracht hatte.

Nach ein paar Sekunden Fahrt ging es nur noch nach rechts oder links, weil ein großer idyllischer Teich die Weiterfahrt versperrte. Außerdem sah man auf der anderen Seite des Teiches ein großes... nein Schloss konnte man dazu nicht sagen... ein großes altes Haus, ja das war es wohl. Ein großes altes Haus

 

Spike entschied sich, nach links zu fahren. Links sitzt das Herz, und neunzig Prozent aller Menschen wenden sich nach links, wenn sie vor der Wahl stehen: rechts oder links.

Und wo wohnte jetzt Archibald von Campe?

Spike fuhr die geschlängelte Hauptstraße entlang bis zum Ortsende, was circa zwei Minuten dauerte, sah das Schild ‚Landsend 5 Meilen’, musste automatisch lachen, denn ‚Landsend‘ war zu komisch, dann wendete er das Auto, fuhr langsam zurück und versuchte krampfhaft einen Eingeborenen zu finden, der ihm Auskunft geben konnte. Was gar nicht so einfach war, denn es befand sich kein Mensch auf der Straße.

Dieses Kaff Campodia war anscheinend nicht sehr groß. Spike schätzte es auf vielleicht tausendfünfhundert Einwohner, also auf sehr klein.

Endlich sah er ein verhutzeltes Weiblein, das gerade aus einem kleinen Laden herauskam, möglicherweise handelte es sich bei diesem Laden um eine Bäckerei, denn die Frau trug ein glänzendes hellbraunes Brot, das aus einem Stück Fettpapier herauslugte, unter dem Arm. Der Laden sah nicht aus wie eine Bäckerei, sondern wie eine normale kleine Wohnung aus mit einem winzigen Schaufenster ohne was drin in dem Schaufenster...

Spike hielt sofort und schwang sich aus dem Auto .

„Tschuldigung. Archibald von Campe? Wo wohnt der?“ fragte er für seine Gemütsverfassung sehr höflich – Spike hatte nämlich den Verdacht, dass man ihn verarscht und ihn in dieses Kaff gelockt hatte, wo es nicht die Spur eines Archibald von Campe geben würde. Er hatte zwar vor schon mit von Campe telefoniert, sein letztes Gespräch, in dem er seine baldige Ankunft angekündigt hatte, lag erst zwei Stunden zurück. Aber die Telefonnummer konnte fingiert sein.

„Die von Campes?“ fragte das verhutzelte schwarzgekleidete Weiblein, und ein Lächeln überzog sein mit tausend Knitterfalten übersätes Gesicht. „Fahren sie dort hinten an der Strulle links ab und dann sofort wieder rechts. Da ist das Gut.“

Das waren seltsame kryptische Worte, mit denen Spike nicht viel anfangen konnte.

Strulle? Hääää? Gut? Was gut? Spike hatte keine Ahnung, was das Weiblein meinte, bedankte sich aber trotzdem höflich bei ihm – es sah seltsam blass aus, aber wahrscheinlich hatte die hiesige Landbevölkerung eine Abneigung gegen eine gewisse Körperbräunung – stieg wieder in den Van und sagte entnervt zu Buffy: „Manchmal möchte ich mir wirklich das Rauchen wieder angewöhnen...“

Buffy unterdes behielt ihre gute Laune, hielt die Klappe und freute sich auf die Dinge, die eventuell ihrer harren würden. Vielleicht eine Dusche...

Spike fuhr langsam ein paar Meter weiter, schaute aufmerksam nach links, bemerkte eine kleine Straße, das heißt einen größeren asphaltierten Trampelpfad, setzte den Blinker und fahr nach links.

Langsam an einer ... ja was war das... schwer zu sagen, es war möglicherweise die Strulle, es war ein mit Steinen ummauertes Wasserchen, das kaum noch floss, weil es wahrscheinlich in den Teich mündete, den Spike bei seiner Einfahrt in den Ort bemerkt hatte. Der Teich war so versandet und versifft, dass die Strulle, wenn es denn die Strulle war, sicherlich stillstand oder nur noch ganz langsam floss.

Egal. Was hatte das Weiblein gesagt? Dann direkt rechts. Spike riss das Steuer herum und fuhr direkt rechts herum.

Und landete zu seinem Erstaunen in einem riesigem Hof. Links am Eingang des Hofes befand sich ein Torhüterhäuschen, Neuere Generationen hätten es vielleicht als Gästehaus bezeichnet. Oder als Poolhaus. Als Poolhaus ohne Pool.

Es handelte sich um einen Gutshof. Ein Gut, natürlich... Jetzt verstand er, was das Weiblein gemeint hatte.

Spike fuhr ganz langsam weiter. Vor allem fuhr er langsam, um keins von den gackernden Hühnern platt zu fahren, die gemächlich über den riesigen Hof stolzierten. Das wäre kein guter Einstand gewesen mit einem plattgefahrenen Huhn. Vor Spikes geistigen Auge erschien das Bild, wie er dem Besitzer des Gutes ein plattgefahrenes Huhn reichte – und wie dann der Besitzer des Gutes sagte: Nein das ist keins von unseren. So platte Hühner haben wir nicht....

Zur Rechten erstreckten sich riesige Stallungen.

In der Mitte erstreckte sich ein riesiger Misthaufen mit dem ihm typischen angenehmen Landgeruch. Der Misthaufen roch in der Tat ziemlich angenehm, zumindest im Vergleich zu stinkendem Kunstdünger. Für eine gewisse Geruchskulisse ist auf jeden Fall gesorgt, dachte Spike belustigt und musste grinsen.

Und zur Linken, der Weg gabelte sich nämlich, und der Misthaufen war in der Mitte, befand sich eine kleine aus Natursteinen gemauerte Kirche, eine Kirche im Miniformat, eine protestantische Kirche, wie man sofort sah, ohne dass man groß raten musste, denn sie war so absolut schmucklos und nüchtern. Und sie war alt. Obwohl es in den Staaten gar nichts richtig Altes geben konnte, sah sie alt aus. Sozusagen verdammt alt. Spike verstand allmählich den Sinn von Archibald Worten: Bei uns ist es recht altmodisch....

Aus den Stallungen kam gerade ein vielleicht dreißigjähriger großer gutaussehender Mann heraus, er trug Gummistiefel und einen blauen Overall, er hatte widerspenstig aussehendes schwarzes kurz geschnittenes Haar, eine gute athletische Figur und einen energischen Gang. Er winkte Buffy und Spike kurz zu und verschwand dann mit langen Schritten in dem Torhüterhäuschen, in dem Gästehaus oder in dem Poolhaus, je nachdem, was es nun wirklich war.

„Der sah aber gut aus“, meinte Buffy verträumt.

„Wolltest du nicht ’ne Dusche?“ fragte Spike bissig und schaute sie von der Seite an. „Dann nimm am besten gleich ’ne kalte...“

 

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KAPITEL III Teil 3

 

Ein paar Leute, größtenteils ältere blasse schwarzgekleidete Frauen kamen aus der Kirche, der Gottesdienst war anscheinend vorbei. Spike schloss aus der Menge der Kirchgänger, dass es in Campodia nicht gerade vor gläubigen Christen wimmelte.

Die Kirchenglocke ertönte melodisch, nicht zu laut, und es roch nach Koteletts. Nach Koteletts? Lecker.

Spike fragte sich, wie das wohl zusammenhing, bis ihm einfiel, dass heute Sonntag war.

Der Gottesdienst war wirklich zu Ende. Und zum Mittagessen gab es Koteletts. Vielleicht mit irgendwelchen Gemüsen, die in einer fetten Mehlschwitze schwammen... Kein angenehmer Gedanke. Bis auf die Koteletts natürlich. Die rochen so frisch und lecker, als wäre das Schwein, von dem sie stammten, gerade erst geschlachtet worden.

Allerdings war es bis zum Mittagessen noch ein wenig Zeit. Und diese Zeit nutzten die Ehemänner des Ortes und natürlich auch die Junggesellen, die sich um den Kirchgang gedrückt hatten, um in der vielleicht einzigen Kneipe des Ortes ein ausgiebiges Bier zu nehmen. Am Stammtisch. Und die meisten Koteletts würden kalt und die meisten Frauen sauer sein, wenn die Männer endlich nach Hause kämen...

Am Stammtisch, wo Frauen ein Fremdwort sind. Am Stammtisch, wo die Honoratioren des Ortes an ihrem speziellen Tisch sitzen und zwar in dieser Reihenfolge: Der Gutsherr, der Bürgermeister oder Sheriff, der Besitzer der Sägewerke, der größte Rinderzüchter, der größte Schafzüchter, der Apotheker – Spike glaubte allerdings nicht, dass dieses Kaff sich eine Apotheke leisten konnte – und der Lehrer, nicht direkt verachtet, aber unterste Honoratioren-Schiene.

Die Normalsterblichen saufen an der Theke, wo sie hingehören, während die Honoratioren an diesem gewissen Tisch, dem Stammtisch mit dem Schild ‚Stammtisch’ sitzen und saufen. Manchmal unterhält sich der Gutsherr kurz mit einem Bekannten an der Theke, wenn er vom Klo kommt. Allerdings geht er dann bald wieder an den Stammtisch zu seinen Spezies... Wobei sich die Gespräche zwischen den Männern am Stammtisch und denen an der Theke nicht sehr viel unterscheiden.... Hauptsächlich geht es um Politik... Hahahahah.

Frauen sieht man keine bis auf die Wirtin hinter der Theke. Manchmal verirren sich Touristinnen in die einzige Kneipe des Ortes, aber die Mittagszeit am Sonntag ist die falsche Zeit dafür. Sogar der Dorfpapagalli, ansonsten für seine Geilheit bekannt, wagt es nicht, die Frauen anzuquatschen, denn zur Mittagszeit am Sonntag ist es ‚a man’s world’. Meistens verlassen die Frauen dann fluchtartig und gedemütigt das Lokal.

Spike verspürte nicht viel Lust, die einzige Kneipe im Ort zu besuchen, na gut, er verspürte jetzt noch nicht viel Lust, die einzige Kneipe im Ort zu besuchen, sondern er fuhr langsam in eine der Parkbuchten, die vor dem Herrenhaus angelegt waren. Die beiden Wege vereinigten sich nämlich vor dem Herrenhaus wieder, und man konnte entweder wieder zurückfahren – diesmal auf der anderen Seite – oder vor dem Herrenhaus parken. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, bis auf einen Fußweg, den Spikes scharfe Augen erspähten, aber da würde er mit dem Auto nicht entkommen – ach was dachte er da – ...durchkommen können.

Das Herrenhaus? Seltsam. Wie kam er auf das Wort ‚Herrenhaus’? Ganz einfach, das Wort ‚Herrenhaus’ passte darauf wie Arsch auf Eimer. Obwohl es eigentlich nichts anderes als ‚groß’ war. Es war groß und rechteckig mit einem Beschlag aus altrosafarbenem Schiefer, der wohl in den zahlreichen Steinbrüchen des Columbia-Plateaus abgebaut wurde. Altrosa Zeiten. Es hatte viele Fenster und vor den Fenstern waren viele Fensterläden angebracht, die weiß gestrichen waren.

Das Haus war zweieinhalbstöckig. Unten gab es zwei Treppen, die sich ähnlich wie die Wege vorm Haus vereinigten, nur führten beide Treppen diesmal zur großen geschnitzten Eingangstür. Untenherum gab es auch Säulen, die eine große Terrasse im ersten Stock stützten. Und irgendwie hätte es kitschig aussehen müssen, aber durch sein Alter, Spike schätzte es auf über hundert Jahre – das war für Europa fast neu,  aber für USA schon verdammt. Und es wirkte großartig, schön und ausgefallen. Aber vor allem wirkte es gemütlich. Gemütlich? Dieses überaus deutsche Wort fiel Spike automatisch ein.

Hinter dem Haus, Spike hatte so eine vage Vermutung, gab es einen riesigen Garten mit hohen Bäumen. Bei guten Wetter wurden dort Liegestühle aufgestellt, und die weniger sonnenhungrigen Gäste, darunter würde sich auch Spike zählen, konnten sich der Sonne entziehen, indem sie den Schatten der riesigen Bäume aufsuchten und coole Drinks nehmen... Hach!

Buffy träumte immer noch von einer Dusche.

Spike wollte gerade die Autotür öffnen, als er neben sich einen Mann auftauchen sah, der ihm freundlich zulächelte.

„Du musst Bill sein“, sagte er zu Spike, der sich aus dem Auto schwang und sich reckte, weil seine Glieder von der langen Fahrt ziemlich steif geworden waren.

„Wieso sind Sie nicht beim Stammtisch?“ fragte Spike entgeistert .

„Nicht doch, Bill“, sagte der Mann freundlich. „Ich hab ihn heute ausfallen lassen. Weil ich auf euch gewartet habe.“

„Du bist Archibald van Campe?“ Spike ging automatisch zum Du über und wunderte sich über nichts mehr. Archibald machte den Eindruck eines wirklich mit allen Wassern gewaschenen Mannes, und er sah ein wenig aus wie der ältere Sean Connery. Ergo sah er sehr gut aus, und er hatte auch eine sehr wohltönende Stimme, die wiederum Sean Connerys Stimme sehr ähnelte...

Und vor allem wusste er genau, dass er gut aussah.

Spike mochte ihn vom ersten Augenblick. Vermutlich war Archibald genauso ein Drecksack wie er selber...

„Archie, nenn mich einfach Archie. Wo ist denn mein Neffe?“ fragte sein angeheirateter, ja was war er.. ach ja Schwager.. begierig.

„Immer mit der Ruhe, ääääh... Archie. Ich hol ihn schon“, sagte Spike. „Aber erst einmal möchte ich dir... äääh... Buffy vorstellen. Sie ist die Mutter von Morgan, meiner Tochter. Und sie kümmert sich ein wenig um Gwydion.“

Buffy war auch ausgestiegen und reckte sich ein wenig. Sie kümmert sich ein wenig um Gwydion. Das fing ja gut an. Sie wollte auf der Stelle zurückkehren nach Woodcape unter diesen demütigenden Verhältnissen.

Dann küsste Archibald von Campe ihr galant die Hand, und sie war beeindruckt. Er wirkte trotz des Handkusses kein bisschen verweichlicht, nein ganz im Gegenteil, dieser Landjunker, zugegebenermaßen nicht mehr der Jüngste, sie schätzte ihn auf 45 - 50 Jahre, wirkte absolut nicht unmännlich. Nein, ganz im Gegenteil- Sogar sein leichter Landgeruch, eine Mischung aus Misthaufen, Pfeifentabak und Pferdegeruch wirkte absolut angenehm. Er hatte, Buffy spürte das sofort, etwas ungemein Väterliches und Vertrauenswürdiges... Buffy hatte immer ihren Vater vermisst. Eine zeitlang hatte sie ihn in Giles gefunden und dann wieder verloren. Mittlerweise hatte sie fast das Gefühl, Spike wäre ihr Vater, er war genauso streng wie ein Vater, und genauso wie ein Vater ließ er den Gedanken an Sex absolut nicht zu. Ich bin pervers, dachte Buffy. Spike als Vater, als gestrenger Vater, das ist wohl die absurdeste Vorstellung, die ich jemals hatte. Ich muss damit aufhören.

„Hier ist er“, Spike hatte mittlerweile Gwydion aus dem Van geholt und präsentierte ihn stolz seinem Schwager.

„Oh mein Gott! Was für ein Prachtkerl!“ Archibald von Campe nahm Gwydion auf den Arm und wiegte ihn zärtlich. „Und was für eine Ähnlichkeit mit Lilah er hat!“

„Hat er?“ fragte Spike, der bisher immer nur gehört hatte, dass Gwydion ihm selber ähnlich sähe und möglicherweise auch Morgan. Aber eine Ähnlichkeit mit Lilah, bis auf die Haarfarbe vielleicht, hatte noch keiner festgestellt. Andererseits kannten die Leute, mit denen er jetzt zu tun hatte, Lilah nicht richtig.

„Oh ja. Außerdem sieht er Andromeda ähnlich.“

„Bitte wem?“

„Andromeda, meiner kleinen Tochter“, erklärte Archibald. „Ich frage mich übrigens, wo das Kind steckt. Ach was, sie wird in den Ställen sein.“

Spike interessierte Archibalds kleine Tochter herzlich wenig. Er hatte mittlerweile Morgan aus dem Van geholt und präsentiert sie Archibald mit den Worten: „Und das ist meine Tochter Morgan!“

Was sich ziemlich drohend anhörte, und Archibald reagierte auch dementsprechend wohlwollend – weil er spürte, dass sein Schwager Bill es nicht zulassen würde, wenn seine uneheliche Tochter Morgan irgendwie benachteiligt würde – mit den Worten: „Die ist aber wirklich hübsch!“ Woraufhin er auch Morgan in den Arm nahm, nachdem er Gwydion an Buffy weitergereicht hatte. Archibald musste das nicht heucheln, nein er empfand wirkliche Liebe zu Kindern, egal ob sie jetzt mit ihm blutsverwandt waren oder nicht.

Spike blickte ihn befriedigt an,. Er hätte es nicht geduldet, wenn sein Schwager oder sonst wer Morgan nicht respektiert hätten.

„Oh, da kommt sie ja“, sagte Archibald und er blickte zu den Ställen herüber.

Ach ja, das Töchterchen, dachte Spike.

Allerdings deckte sich sein erster Eindruck absolut nicht mit der Vorstellung Töchterchen oder kleine Tochter.

Er sah ein Mädchen aus der Stalltür herauskommen, fast schon eine junge Frau, und dieses Mädchen hatte von weiten solch eine Ähnlichkeit mit Lilah, dass ihm die Kehle trocken wurde, denn das konnte einfach nicht sein.

Sie trug verwaschene blaue Jeans, Reitstiefel und eine strahlend weiße Bluse.

Sie sah Lilah so ähnlich, dass ihm das Herz fast stehen blieb.

Sie hatte das gleiche lange braune Haar mit den goldenen Lichtreflexen wie Lilah, nur mehr gelockt. Wahrscheinlich versuchte sie es zu bändigen und zu glätten. Ihre Lockenpracht hatte sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengerafft.

Sie hatte fast die gleiche Figur wie Lilah, nur war sie nicht so zierlich gebaut wie Lilah, sondern kräftiger. Und sie war sowohl kleiner wie auch größer als Lilah. Lilah musste ursprünglich recht groß gewesen sein, Spike wusste das, denn er hatte in einer Vision Gwydion im Alter von vielleicht 25 Jahren gesehen, und Gwydion war sehr groß gewesen. So groß wie ein Basketballspieler. Warum so groß? Spike vermutete, dass sie Lilah zwar kleiner erschufen, aber dass ihre Gene nicht kleiner zu machen waren und dass Gwydion ihre Gene teilweise geerbt hatte. Und Gwydion würde groß werden. Spike wusste das.

Das Mädchen, das er auf sich zukommen sah, war mittelgroß. Sie war zwar kleiner als Spike, aber auch größer als die Lilah, die er gekannt hatte..

Als sie mit langen geschmeidigen Schritten näher kam, sah er, dass sie die gleichen gut geschnittenen Gesichtszüge wie Lilah hatte. Nur hatte sie graugrüne schräggestellte Augen statt Lilas blauer Augen. Sie erinnerte ihn an eine wunderschöne Katze.

Beim Näherkommen verflüchtigte sich die Illusion vollkommen, Lilah vor sich zu haben. Das junge Mädchen war eine ganz andere Person, wenn auch mit vielen Ähnlichkeiten zu Lilah.

„Meine Tochter Andromeda. Wir nennen sie Andy“, sagte Archibald von Campe und fügte hinzu: „Sie hat sich so auf ihren Neffen gefreut.“

Spike lächelte unsicher. Andromeda war schnell näher gekommen. Sie hatte ihn angeblickt, und ihr Blick sah aus, als wäre sie bis ins Herz betroffen, aber sie verbarg diesen Blick, schaute kurz auf den Boden, wandte sich dann ruhig an Spike und sagte: „Das ist Gwydion? Natürlich ist es Gwydion. Ooooh, ist der süß!“

Sie nahm ihn auf den Arm und blickte ihn neugierig und bewundernd an. Und der Blitz, der in sie gefahren war, als sie Spike zum erstenmal in Wirklichkeit sah, sie versuchte, ihn zu verdrängen. Wenn auch mit wenig Erfolg.

Natürlich hatte sie ihren angeheirateten Onkel schon auf einer DVD-Hülle gesehen, aber nichts hatte sie im entferntesten darauf vorbereitet, was für eine gewaltige Ausstrahlung dieser Onkel in der Realität auf sie haben würde. Nein, auf so etwas konnte man durch nichts und niemand vorbereitet werden.

Es war Liebe. Es musste Liebe sein. Andromeda war zwar noch sehr jung, aber da sie dieses noch nie erlebt hatte, war sie bereit, es zu akzeptieren

Spike stellte auch ihr Buffy als Mutter von Morgan vor. Spike hatte mittlerweile realisiert, schnell realisiert, dass Andromedas Erscheinung nur ein Truglicht seiner Erinnerung an Lilah war, aber trotzdem... Wenn er nicht ganz genau hinsah, könnte er sich vorstellen, dass Lilah jetzt an seiner Seite wäre. Die Illusion wäre vollkommen. Ein verführerischer Gedanke, in den man sich fallen lassen konnte. Ooh ja.!

Auch Buffy versuchte sich mühsam zu beherrschen.

Diese Andromeda – oh Gott was für ein Name! – war so wundervoll jung, und sie war unschuldig, das wusste Buffy genau. Andy war vielleicht körperlich keine Jungfrau mehr, aber sie war noch unberührt von der Liebe. Und Andy kam ihr vor wie sie selber, bevor sie Angel kennen gelernt hatte. So unschuldig war sie damals auch gewesen. Und auch so anfällig für die Liebe. Für die Liebe zu Angel. Verdammt! Verdammt!

Sie hatte den Blick gesehen, mit dem Andromeda Spike anschaute. Konnte es möglich sein, dass Andromeda sich in Spike verliebt hatte? Natürlich, warum nicht? Spike hatte das Charisma dafür. Er war zwar kein Vampir mehr, aber er hatte immer noch diese gewisse Ausstrahlung. Er war derjenige, welcher...

Buffy fühlte sich auf der Stelle unglücklich. Das hatte sie nicht erwartet.. Das erschwerte alles nur. Lilahs Schatten war eigentlich schon lang genug, und jetzt kam noch der Schatten von Lilahs Nichte dazu. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein!

 

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KAPITEL III Teil 4

 

Der erste Tag in Campodia war für Buffy, Spike und natürlich auch für die Kinder wie im Fluge vergangen.

Sie hatten eine Wohnung im ersten Stock bezogen. Ja, es handelte sich um eine richtig abgeschlossene Wohnung. Es handelte es sich zwar um eine kleine Wohnung, aber sie war gut aufgeteilt, hatte drei kleine Schlafzimmer mit in die Wand eingebauten Schränken, einen recht großen Wohnraum mit einer Kochnische und natürlich ein Badezimmer mit Wanne und Dusche. Von allen Zimmer aus konnte man, bis auf das Badezimmer natürlich, auf den Balkon gehen, der auf der Hinterseite des Hauses angebaut war und der von den anderen Wohnungen in diesem Stockwerk durch Holzspaliere abgeteilt war. Man sah vom Balkon aus auf einen großen parkähnlichen Garten mit vielen großen Bäumen.

Nachdem sie die Kinder versorgt, sich selber geduscht und endlich frische Sachen angezogen hatten, nahmen sie die Kinder auf den Arm und ließen sich von Archibald das ganze Haus zeigen. Archibald fing unten damit an.

Im Souterrain befanden sich die Wirtschaftsräume.

„Wenn ihr etwas waschen wollte, findet ihr hier die Waschmaschinen und die Trockner, Archibald deutete auf drei Waschmaschinen und drei Trockner. „Natürlich könnt ihr auch eure Wäsche zum Waschen hier abgeben. Tante Mansell bringt nichts durcheinander.

Buffy und Spike sahen sich an und entschieden, ohne darüber gesprochen zu haben, dass sie ihre Wäsche und die der Kinder selber waschen wollten. Zumindest größtenteils.

Archibald zeigte ihnen dann die Vorratskammern, zwei an der Zahl, die so groß waren, dass man sich darin verlaufen konnte. Darin hingen riesige geräucherte und ungeräucherte Schinken und Würste aus eigener Schlachtung, standen jede Menge Konserven und jede Menge mit Obst und Gemüse gefüllter Einmachgläser. Ein kleines Kühlhaus war auch dabei. Darin stapelten sich jede Menge Kisten mit Mineralwasser, Bier und Limonade.

„Hast du ’ne Brauerei?“ fragte Spike, verwundert ob der überaus beruhigenden großen Anzahl von Bierkästen.

„Ja“, sagte Archibald van Campe, „und sie ist die eigentliche Quelle unseres Wohlstandes, wenn man einmal von den Kupferminen absieht...“

Daraufhin war Spike wirklich beeindruckt. Natürlich weniger von den Kupferminen...

Ferner gab es im Souterrain die Räume für das Personal. Archibald sprach von Tante Bernadette, der Köchin, von Tante Mansell, die wohl das Haus in Ordnung hielt und von zwei Stubenmädchen.

„Ihr könnt eure Wohnung selber saubermachen, wenn ihr wollt, ihr könnt es aber auch einem der Mädchen überlassen.“

Das hörte sich alles gar nicht schlecht an.

„Und das hier?“ fragte Buffy aufgeregt, als sie eine Tür sah, auf der stand Swimming Pool. „Ist da etwa ein Swimming Pool drin?“

„Er ist nicht besonders groß“, gab Archibald von Campe zu, „nur sieben mal vier Meter. Aber wenn man die Gegenstromanlage einschaltet, kann man ganz nett schwimmen.“

Daraufhin war Buffy zum erstenmal wirklich beeindruckt. Nur sieben mal vier Meter! Eine Pfütze von einem Swimming Pool war das.

„Also weiter“, Archibald fing nun an, den Tagesablauf auf dem Gut zu erklären: „Frühstück gibt es ab sieben Uhr und bis zehn Uhr. Danach kann man sich selber etwas aus dem Kühlschrank holen, wir haben immer eine Reserve da für Spätaufsteher. Sieben Uhr hört sich vielleicht früh an“, Archibald lächelte, „aber die meisten unserer Gäste stehen ganz früh auf, um irgend etwas zu unternehmen, seien es Ausflüge oder auf die Jagd gehen oder Reiten oder Erbsenpflücken... Manche wollen schon um sechs Uhr geweckt werden.

„Wirklich?“ fragte Buffy verwundert.

Auf die Jagd? Spike überlegte. Nein das war nichts für ihn, Auf der Jagd war er einhundertzwanzig Jahre lang gewesen, und das Wild, welches er gejagt und zur Strecke gebracht hatte, unterschied sich bestimmt sehr von den hiesigen Jagdopfern...

Erbsenpflücken? Buffy überlegte auch. Was zum Geier sollte das für eine tolle Unternehmung sein? ...Archibald hatte ein wirklich schöne Stimme, sie klang wie die von Sean Connery.

„Können Sie reiten, Buffy?“ fragte Archibald.

„Nein, um Himmels willen“, gab Buffy verlegen zu.

„Sie sollten es lernen. Natürlich erst einmal drinnen in der Reithalle. Wir haben da ein besonders gutmütiges kleines Pferdchen. Ein richtiges Schaukelpferdchen.“

„Hhmm“, sagte Buffy zögernd, denn eigentlich hatte sie noch nie auf einem Pferd gesessen und das eigentlich auch nie vorgehabt. „Ja vielleicht irgendwann.“

Archibald von Campe lächelte. „Und du Bill? Wie steht’s mit dir?“

„Ich kann einigermaßen reiten. Natürlich nur für den Hausgebrauch“, sagte Spike.

„Das wird reichen. Also weiter: Mittagessen gibt es nicht bei uns, bis auf den Sonntag, wer mittags Hunger hat, kann immer noch die Reste von Frühstück essen. Am frühen Nachmittag reichen wir eine sogenannte Vesper. Es gibt dann hausgemachten Kuchen, Brote mit Schmalz, Mettwurst und Schinken. Die Gäste sind ganz wild danach.“

„Mein Cholesterinspiegel steigt schon beim bloßen Zuhören, Archie“, sagte Spike grinsend und schüttelte sich ein wenig.

„Der Cholesterinspiegel ist hier kein Thema. Hier wird einem körperlich soviel abverlangt, dass das ganze Fett vollständig verbrannt wird und man sogar noch abnimmt. Ich glaube, das macht der viele Sauerstoff in der Luft.“

„Echt?“ fragte Buffy ungläubig.

„Echt! Natürlich haben wir auch Gäste, die es vorziehen, den ganzen Tag in ihrem Zimmer zu bleiben und zu lesen oder fernzusehen. Jeder wie er will. Es gibt natürlich auch kalorienreduzierte Nahrungsmittel für diese Gäste“, sagte Archibald, wie Spike zu hören zu meinte, eine Spur herablassend.

„Apropos Fernsehen“. Spike musste das wissen. „Habt ihr Kabel oder was?“

„Wir haben eine riesige Satellitenschüssel auf dem Dach, man kann sie nur vom Garten aus sehen. Also für Programmvielfalt ist gesorgt. Aber wie gesagt, Bill, ich glaube nicht, dass du viel fernsehen wirst.“

„Gott sei dank!“ war Spikes erleichterte Antwort, und er dachte bei sich: Ich glaube schon, dass ich viel fernsehen werde.

„Also die Aktivitäten haben wir jetzt durch, zumindest einen Teil davon. Oh, da fällt mir noch ein, man kann hier in der Nähe Segelfliegen oder mit dem Gleitschirm was machen, Es gibt hier eine wunderbare Thermik. Außerdem werdet ihr feststellen, dass wir nichts typisch amerikanisches machen, sondern eher europäische Bräuche pflegen. Wir veranstalten kein Barbecue, sondern ein Grillfest. Wir grillen keine Hamburger, sondern Koteletts und Spar-Rips. Wir veranstalten kein Rodeo, sondern feiern ein Schützenfest. Und so weiter und so fort. Und wir bieten noch ganz besondere Aktivitäten, ein Beispiel: Ein weiblicher Gast, eine reiche Industrielle ist das, liebt es, der Köchin zu helfen.“

Buffy und Spike schauten sich verblüfft an.

„Ja, sie findet Vergnügen daran, Brot zu schneiden, Gemüse zu schnetzeln, Kartoffeln zu schälen, der Köchin bei ihrer Arbeit zuzuschauen und ihr was abzugucken, einen Speiseplan aufzustellen und natürlich auch für mehrere Leute zu kochen. Das ist so eine Art Kochkurs für Großfamilien, nach dem Motto: Man nehme zwanzig Eier....“ Archibald lachte auf. „Übrigens sind die Köchin genauso wie auch Mansell entfernte Tanten von mir, genauer gesagt sind es beide verwitwete Tanten, die hier leben und sich die Langeweile vertreiben mit ihrer Arbeit, man kann die Tanten also nicht als Personal bezeichnen. Natürlich wohnen sie auch hier.“

„Vielleicht wäre das mit der Küche was für dich“, schlug Spike vor und schaute Buffy hinterhältig von der Seite an.

„Möglicherweise“, sagte Buffy nachdenklich. Sie sah sich im Geiste schon ein wunderbares Mahl für mehrere Personen kochen. Demnächst in Woodcape. Alle würden begeistert sein und sie für ihre Kochkünste loben. Moment mal, wen würde sie einladen? Willow und Kennedy, Robin und Faith und Xander natürlich mit einer Frau seiner Wahl. Das wären dann schon sechs Personen. Dawn musste natürlich auch dabei sein. Mit Spike wären sie dann neun Personen, fürwahr eine Großfamilie... Allerdings hatte sie leise Bedenken, ob Spike und Robin sich vertragen würden.

„Wir hätten vielleicht doch die Schürzen einpacken sollen“, sagte Spike, als er sie so in Gedanken verloren sah.

„Möglicherweise“, sagt Buffy, immer noch in Gedanken verloren.

„Ein anderes Ehepaar, das aber jetzt noch nicht da ist, kümmert sich liebend gern den ganzen Tag um den kleinen oder größeren Nachwuchs von anderen Leuten. Das Paar ist kinderlos und freut sich das ganze Jahr darauf, irgendwelche kleinen Scheißer hier betreuen zu können.“

„Ist ja irre“, sagte Spike begeistert und knuffte Buffy zart in die Seite. „Was meinst du dazu, wir könnten richtig Ferien machen, natürlich nur ab und zu. Nicht dass ich little Buddha und die Fee irgendwie loswerden möchte...“

„Hhmmm“, sagte Buffy verträumt.

„Wenn jemand lesen möchte, steht ihm unsere Bibliothek zur Verfügung. Meine Vorfahren haben allerlei Schätze im Laufe der Jahre zusammengetragen, von Ovid bis Shakespeare... Aber wir haben natürlich auch neuere Literatur, amerikanische Literatur, Chrichton und Grisham zum Beispiel, falls jemand das mag...“ Van Campe zog ein Gesicht, als würde er diese beiden Technokraten unter den Schriftstellern nicht besonders mögen.

„Eine Bibliothek?“ Buffy wirkte jetzt voll aufgekratzt. „Wo ist sie?“

„Im Erdgeschoss ganz hinten, sie ist sozusagen der Wurmfortsatz des Ballsaals.“

Man ging die gewundene Treppe zum Parterre hoch, denn von Campe wollte ihnen wirklich alles zeigen, und sie hatten im Kellergeschoss angefangen.

Der Ballsaal wurde, wie er erzählte, nur selten als ‚Ballsaal‘ benutzt. Er wurde eigentlich nur im Spätsommer für den Sommerball und zu Weihnachten für die Gala-Weihnachtsfeier benutzt. Ansonsten diente der kleinere Teil des Ballsaals – abgetrennt durch eine Schiebetür von dem größeren Teil – als Frühstücksraum, Speisezimmer und Aufenthaltsraum. Fünf Esstische standen direkt an den großen Fenstern. Außer den Esstischen und Stühlen gab es im Aufenthaltsraum mehrere bequeme Sofas mit Tischchen und eine kleine Bar.

Und es gab einen Billardtisch.

„Wunderbar“, sagte Spike. Der Billardtisch hatte Löcher und war Gott sei Dank keiner von diesen beknackten Quadre33-ohne-Löcher-Billardtisch. Dreiband, gute Güte, wer hatte denn Spaß bei so etwas? Ohne Löcher...

Eine zweiflügelige Glastür führte nach draußen auf eine geräumige halbrunde Steinterrasse, auf der zwei große Tische mit Stühlen aus wetterfestem Holz standen. Das Holz hatte durch die Witterung eine silberne Farbe angenommen. Mehrere Deck-Chairs aus dem gleichen Holz standen auf der linken Seite der Terrasse an einer Backsteinmauer, die von wucherndem Efeu fast verdeckt wurde.

„Bei guten Wetter frühstücken und vespern wir natürlich draußen“, klärte Archibald sie auf und wies auf die Tische und Stühle, die jetzt natürlich noch unbesetzt waren.

Eine Steintreppe führte hinunter in den riesigen Garten mit diesen riesigen Bäumen. „Im Augenblick ist es noch ein bisschen zu kühl dafür, aber wir hatten auch schon Tage, an denen wir draußen gesessen haben.“

„Wundervolle alte Ahornbäume“, sagte Buffy.

Archibald klärte sie darüber auf, dass es sich um Platanen und nicht um Ahornbäume handelte. Sie ähnelten sich zwar sehr, aber die Ahörner hatten als Früchte kleine Propeller und die Platanen stachelige Kugeln.

Der riesige Park war an seinen äußeren Rändern ummauert. Spike war neugierig, wie es außerhalb des Gartens aussah und ging nach rechts bis an den Rand der Mauer. Sie war recht hoch, und man konnte gerade noch drüberblicken. Spike blickte auf einen Teich, auf dem mehrere Schwäne majestätisch daherschwammen und der teilweise mit einem grünen Zeug bedeckt war. Spike wusste nicht, ob dass der gleiche Teich war, den er beim Ankommen gesehen hatte. Und dieses grüne Zeugs? Sah nett aus.

„Entengrütze!“ sagte Archibald lakonisch, als Spike wieder von seiner Exkursion zurück war. „Wir haben drei Teiche in Campodia, den oberen, das ist der, den man zuerst sieht, wenn man in Campodia ankommt, den mittleren, den sieht man ,wenn man nach rechts fährt und dann den unteren, der ist schon fast im Nachbarort. Dieses ist der mittlere.“

„Klingt einleuchtend“, sagte Spike, der sich in diesem Augenblick vornahm, Campodia zu Fuß zu erforschen.

„Hey, man kann vom Garten ja in den Swimming Pool gehen. Das ist aber verdammt praktisch“, stellte Buffy gerade fest.

Das fand Spike auch.

Sie gingen wieder ins Haus hinein. Das Wetter war nicht so berauschend, dass man das Bedürfnis verspürte, sich draußen aufzuhalten, nein, es war recht kühl und windig.

„Der Sommer kann hier ganz plötzlich kommen“, sagte der Hausherr, der wohl das Bedürfnis verspürte, sich für die nicht so dollen Wetterverhältnisse zu entschuldigen, „aber wenn er erst einmal da ist, dann bleibt er auch. Ab und zu gibt es ein paar richtig heftige Gewitter, und es gießt in Strömen, aber danach ist alles wieder fantastisch.“

„Regen kann auch sehr schön sein“, sagte Spike, und er meinte es auch so.

Wieder im Haus deutete Archibald auf die kleine Bar.

„Man muss sich hier schon selber bedienen“, erklärte er. „Einer unserer Gäste empfindet ein ausgemachtes Vergnügen dabei, sich hinter die Bar zu stellen, Bier und Wein auszuschenken und Cocktails zu mixen. Im Augenblick ist er allerdings noch in den Ställen und hilft beim Ausmisten.“

„Aha! Cocktailkleider?“ sagte Spike vielsagend zu seiner Ehefrau.

„Arbeitet in den Ställen?“ gab seine Ehefrau vielsagend zurück.

„Die meisten unserer Gäste treffen erst im Juli ein, und ich kann mittlerweile sagen, dass sie Freunde für uns geworden sind. Außerdem muss ich noch hinzufügen, dass wir es eigentlich nicht nötig haben, Geld für unser Haus zu verlangen, aber sie zahlen es gerne und wir sind froh über ein wenig kultivierte Gesellschaft. Hier im Dorf... Aber ihr werdet es ja selber sehen“, Archibald zwinkerte ihnen zu.

„Also, Archie, ganz unten befinden sich die Wirtschaftsräume, die Vorratskammern, die Küche, ein paar Zimmer für die Tanten und die Dienstmädchen und ein klitzekleiner Swimming Pool. Im Parterre befinden sich also die Bibliothek und der sogenannte Ballsaal. Und ein paar Waschräume.“ fasste Spike zusammen.

„Richtig. Und der erste Stock ist für die Gäste reserviert. Es gibt dort fünf Wohnungen in allen Varianten, mal für ein Ehepaar mit Kindern, mal für ein kinderloses Ehepaar, mal für eine Einzelperson. Ihr habt die Ehepaar-mit-Kindern-Variante. Ich hoffe, dass es euch recht ist? Obwohl ihr nicht verheiratet seid, kennt ihr euch ja gut genug...“ Archibald lächelte anzüglich, denn die beiden hatten schließlich eine gemeinsame Tochter, und die war bestimmt nicht beim Händchenhalten entstanden...

„Es ist schon okay“, sagte Buffy nach kurzem Zögern, und sie bedachte Spike mit einem vorwurfsvollen Blick, aber Spike kümmerte nicht groß drum, sondern ignorierte den Blick schlauerweise einfach. Hatte er vielleicht ein schlechtes Gewissen? Sein Schwager kannte nicht die ganze Wahrheit. Aber was war das für eine Wahrheit? Sie waren zwar verheiratet, aber... Ach jaa, Buffy seufzte innerlich.

„Und was ist im Dachgeschoss?“ fragte Spike.

„Nun, dort wohne ich mit Andromeda. Und mit meiner zweiten Frau natürlich – wenn sie mich mal besucht...“

„Wie konnte ich nur so blöd sein“, sagte Spike. „Irgendwo müsst ihr ja wohnen...“

„Außerdem befindet sich dort unsere Hochzeitssuite, aber die ist nur selten belegt. Kommen wir zum Abendessen“, fuhr Archibald mit seinen Erklärungen fort. „Also, das Abendessen ist für uns die wichtigste Mahlzeit des Tages. Es wird alles aufgetischt, was unsere Ställe und Felder hergeben. Meistens werden zwei verschiedene Menüs serviert. Ohne Vorbestellung. Denn die Gäste sind so ausgehungert nach einem arbeitsamen und mit Aktivitäten vollgestopften Tag, dass sie viel mehr essen, als sie jemals beabsichtigt haben. Aber sie nehmen nicht an Gewicht zu, nein...“

„Im Gegenteil“, sagten Buffy und Spike wie aus einem Munde. „Man nimmt sogar ab!“

Beide schauten sich recht sprachlos und verwundert an ob dieser gedanklichen Übereinstimmung und mussten lachen.

Auch Archibald von Campe fing an zu lachen: „Ganz genau. Man nimmt sogar ab.“ Nach einer kleinen Weile fiel ihm noch etwas zu dem unerschöpflichen Thema der Aktivitäten in Campodia und Umgebung ein: „Ach ja, ich hatte das Bergsteigen und das Angeln vergessen. Aber du, Bill, siehst mir nicht so aus, als wolltest du auf die Berge kraxeln.“

„Da sei Gott vor,“ sagte Spike entsetzt.

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Andy lag in ihrem Zimmer auf dem Bett. Ihre Gedanken waren seltsam verschwommen, und sie musste unaufhörlich lächeln. Sie hatte Angst, dass jedermann ihre wunderbare Stimmung spüren würde, ihre Benebelung und ihr Glück. Sie wollte nicht dabei ein, wenn ihr Vater Bill und Buffy das Haus zeigen würde. Sie hätten vielleicht ihre Gefühle erraten.

„Komm her, Alfonso“, sagte sie zärtlich zu dem kleinen getigerten Kater, der gerade durch die nur angelehnte Tür hereinkam und sie frech anschaute. Alfonso war Andys bevorzugter Liebling. Sie hatte ihn bei seiner Geburt praktisch aus seiner Mutter herausgezogen, weil er mit seinem dicken Kopf im Geburtskanal steckengeblieben war. Sie hatte ihn trockengerieben und ihm ihre eigene Atemluft in das winzige Mäulchen geblasen, bis er endlich angefangen hatte zu atmen.

Andromedas Onkel Bill schien den gleichen Blick wie Alfonso zu haben.

Alfonso durfte im Haus bleiben, er wurde der unumstrittene King von Campodia, der Schrecken der Hunde und ein wirklich unausstehliches verwöhntes Vieh.

„Mein Süßer“, gurrte Andy ihm ins Ohr, denn er war natürlich sofort auf ihr Bett gesprungen und trampelte auf ihrem Magen herum. „Wie findest du ihn?“

Alfonso schnurrte laut in Andys Gesicht und schaute sie aus seinen großen grünen Augen an, er schaute sie intelligent an, denn Alfonso war kein Blödmann... äääh Kater. Alfonso wusste nur noch nicht, was er werden sollte, ein Huhn, eine Ente, ein Hund oder ein Mensch vielleicht? In diesem Alter war alles möglich.

„Er sieht so gut aus“, seufzte Andy. „Ich fühle mich schwach, wenn ich in seiner Nähe bin. Ich hoffe, er merkt nichts davon. Was meinst du, Alfons?“

Alfons bezog diese bewundernden Worte natürlich auf sich selbst, nach dem Motto: Ich bin schön, ich bin klug – als Haustier bin ich überqualifiziert – er legte noch einen Gang zu im Schnurren und ließ ein leises heiseres Krähen hören.

„Er ist wunderbar“, sagte Andy. „Ich wusste, dass du auch so denkst, mein süßer Alfi.“

„Kräääh!“ Alfi rieb sein wunderbar getigertes Schnäuzchen an Andromedas Nase und dachte: Ich bin so wunderbar.. und der größte unter dem Ding, das so schon warm ist...

 

Spike wachte früh auf und fühlte sich prächtig ausgeschlafen.

Sie waren so zeitig schlafen gegangen, dass sie das grandiose (nach Archies Worten) Abendessen verpasst hatten, und sie waren sofort eingeschlafen. Die Kinder waren noch viel früher eingeschlafen.

Er würde hier wirklich eng mit Buffy, seiner Ehefrau – Spike musste unwillkürlich lächeln – zusammenwohnen. Er hatte sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, mit ihr verheiratet zu sein, eigentlich war es unglaublich bei ihrer Vergangenheit. Er konnte nur hoffen, dass ihr freundschaftlicher Umgang auch weiterhin so freundschaftlich bleiben würde.

Nachdem er geduscht hatte, war auch Gwydion wachgeworden, und Spike nahm ihn aus dem Kinderbett. Alles was man braucht ist da, dachte er beifällig, sogar eine Wickelkommode stand in dem Kinderzimmer. Spike verpasste Gwydion eine neue Windel und zog ihm ein Sweatshirt und Hosen an. Er nahm den Kleinen auf den Arm und trat auf den Balkon hinaus. Die Sonne schien, es war angenehm warm, und Gwydion hatte die richtige Kleidung für dieses Wetter an.. Spike warf noch einen Blick auf die Uhr, es war acht, warf noch einen Blick auf die Fee, die aber noch fest schlief und ging schließlich hinaus aus der kleinen Wohnung, die Treppe hinunter in den Frühstücksraum.

Außer Andromeda, die sich gerade am Büffet einen Teller vollud mit Brot und Rührei, befand sich kein Mensch darin.

Drei von den sieben Tischen waren gedeckt mit Tellern und Tassen. Große Warmhaltekannen standen darauf, beschriftet mit ‚KAFFEE, ‚TEE‘ und ‚MILCH‘.

„Hallo“, sagte Spike zu Andromeda.

Sie lächelte ihn an, verlegen wie es ihm schien und sagte ihrerseits: „Hallo.“

Spike setzte Gwydion in einen Babystuhl, von dieser Sorte gab es drei Stück, nahm sich einen Teller und ging zum Frühstücksbüffet, das an einer langen Tafel aufgebaut war. Zu seiner Überraschung gab es ein richtig kontinentales, das heißt englisches Frühstück mit Rührei, gebackenem Schinken und gebratenen kleinen Würsten. Alles befand sich auf elektrischen Warmhalteplatten und war mit großen silbernen Deckeln zugedeckt. Es gab auch gekochte Eier, diverse Brotsorten und Brötchen, die Spike eher mitteleuropäisch als amerikanisch vorkamen, Toast, Butter, Halbfettmargarine, mindestens – wie Spike nach einem flüchtigen Blick feststellte – vier Sorten Käse, ferner Marmelade und Honig, Nusscreme, rohen und gekochten Schinken, diverse Wurstsorten und Mettwurst, teils geschnitten, teils am Stück. Ein großes Messer lag einladend daneben.

„Hier im Dorf ist es üblich, dass man sich die Mettwurst selber abschneidet“, sagte Andromeda erklärend zu Spike, als sie seinen verwunderten Blick bemerkte. „Man isst ein Stück von diesem“, sie deutete auf das graue Körnerbrot, „Brot dazu. Und man isst es immer abwechselnd.“

„Das hört sich aber sehr mächtig an“, sagte Spike ungläubig und dann lachend: „Ach ja, ich vergaß, man nimmt hier nicht zu...“

„Nein, man nimmt hier eher ab“, sagte Andromeda nun auch lachend. Er hat eine wahnsinnig erotische Stimme, dachte sie, so rauh und trotzdem wohlklingend.

„Was zu beweisen wäre“, sagte Spike, nahm sich ein wenig Rührei, ein bisschen von den rohen Schinken, der übrigens in kleine Würfel geschnitten war und mit einem Löffel gelöffelt werden musste, eine Scheibe Brot, ein wenig Butter und schnitt sich ein Stück von der Mettwurst ab. Für Gwydion nahm er ein bisschen Käse mit. Gwydion würde später sein Fläschchen bekommen. Ansonsten aß er schon fast alles, was auf den Tisch kam.

„Setzt du dich zu mir?“ fragte er das Mädchen.

„Hätte ich auch ohne Aufforderung getan. Ich hab’ allerdings wenig Zeit, muss gleich zur Schule, und der Schulbus kommt in einer halben Stunde. Aber in zwei Wochen habe ich endlich Ferien.“ Andromeda seufzte erleichtert auf.

„Wo ist die Schule?“

„In New Brunswick. Das ist ungefähr drei Meilen von hier.“

„Die Wurst schmeckt interessant, ein bisschen wie Mailänder Salami“, sagte Spike anerkennend.

„Das ist ein deutsches Rezept. Mein Ur-Ur-Urgroßvater hat es damals mitgebracht. Probier mal den Schinken. Ist nicht jedermanns Sache, er ist kaum geräuchert, nur gesalzen und getrocknet. Ich finde, er hat einen Hauch von Verwesung.“

Auch der Schinken inklusive Hauch von Verwesung fand Spikes Zustimmung. Der Schinken schmeckte übrigens wie italienischer Parmaschinken. Seltsam, diese deutsch-italienische Geschmacksübereinstimmung.

„Darf ich ihm was geben?“ fragte Andromeda zaghaft und betrachtete Gwydion zärtlich.

„Er wird dich schon nicht beißen“, sagte Spike erheitert. „Nein, ganz in Gegenteil, little Buddha hat einen Charme, da könnte ich blass vor Neid werden.“

„Little Buddha?“

„Ich nenn ihn so, weil er die Leute zur Erleuchtung bringt. Zur Wahrheit oder zum Guten. Ich kann es nicht genau erklären. Jedenfalls hat der kleine Hosenscheißer irgendwas an sich...“

„Er ist süß“, meinte Andromeda und reichte Gwydion ein Stückchen Brot mit Honig, welches er dankbar entgegennahm, vorsichtig hineinbiss und sie dann anlächelte. Gwydions Charme war wirklich umwerfend. Den Rest des Brotes matschte er sich auf sein Sweatshirt, woraufhin Spike nun aufseufzte.

„Nein, du kriegst nichts“, sagte Andromeda auf einmal mit fester Stimme und schaute hinter sich. „Gar nichts kriegst du!“

„Was meinst du?“ fragt Spike erstaunt, der das auf sich bezogen hatte.

„Alfonso kriegt nichts. Der bettelt jeden an und ist sooo verfressen...“

„Der Tiger hier?“ Spike beugte sich zu dem strammen Katerchen hinunter und klopfte ihm anerkennend auf das Hinterteil. Alfons drückte seine Hinterbeine fest durch, wurde dadurch automatisch ein paar Zentimeter größer und drückte den hinteren Teil seines Rückens fest gegen Spikes tätschelnde Hand.

„Er hat die gleichen Augen wie du“, meinte Spike verwundert. Und das stimmte. Andromeda sowie auch Alfonso hatten große mandelförmige graugrüne Augen.

„Öööcch!“ Gwydion hatte die Katze bemerkt und streckte sein Händchen aus, um dieses wunderbare pelzige Wesen zu berühren. Alfonso rümpfte die Nase, anscheinend hatte er mit Kleinkindern nicht viel im Sinn. Alfonso hielt diese kleinen... Dinger für eine ganz andere Spezies als die großen Menschen, mit denen er es normalerweise zu tun hatte. Diese kleinen... Dinger, das waren mit Sicherheit irgendwelche Tiere, und vor allem, wenn diese Tiere anfingen zu laufen, dann kniffen und zwackten sie Alfonso, und deswegen war es besser, ihnen aus dem Weg zu gehen. Obwohl, dieses Tier machte einen recht annehmbaren Eindruck.

„Öööcch!“ Jetzt klang Gwydions ‚Öööcch’ enttäuscht, denn als Alfonso feststellte, dass er nichts zu Essen bekam, verschwand er schnurstracks durch die geöffnete Terrassentür nach draußen, sprang dort auf einen Deck-Chair, der schon ein bisschen Sonne abbekam, legte sich auf den Rücken und rekelte wollüstig seinen weißen pelzigen Bauch in den wärmenden Sonnenstrahlen.

„Der will nix mit dir zu tun haben, Buddha“, sagte Spike lächelnd zu seinem Sohn.

„Immerhin hat er ihn nicht angefaucht“, meinte Andromeda. „Das ist schon ein gutes Zeichen. Normalerweise ist Alfons nicht so nett.“

„Du siehst Lilah sehr ähnlich“, sagte Spike nachdenklich zu Andromeda.

„Das sagen viele. Aber es stimmt nicht“, meinte Andromeda, die sich geschmeichelt fühlte. „Es ist vielleicht unser Haar.“

„Kann sein“, sagte Spike, „aber als ich dich gestern aus dem Stall kommen sah, da hab ich zuerst gedacht, du wärst Lilah. Aber nur auf den ersten Blick...“

„Wie hast du sie kennen gelernt?“ fragte Andromeda neugierig..

„Ich habe sie“, Spike musste grinsen, „neben einem Müllcontainer gefunden.“

„Häääh!!??“ sagte Andromeda ungläubig und dachte, er wollte sie ein wenig veräppeln.

„Nein wirklich, es stimmt. Sie war überfallen worden, und ich hab sie dann in mein Hotelzimmer mitgenommen.“

„Das klingt irgendwie romantisch.“

„Das war es nicht. Na ja, vielleicht ein bisschen. Sie war bewusstlos und hatte sich den Unterarm gebrochen. Ich hab ihr vorgeschlagen, bei mir zu wohnen, wegen ihrem Arm natürlich nur, sie machte so einen hilflosen Eindruck, und sie hat dann wirklich bei mir gewohnt.“ Spike verschwieg Andromeda natürlich, dass er von W&H als Mensch zurückgebracht worden war, und dass sie die kurz vorher gestorbene Lilah auch zurückgebracht hatten. Sie waren beide ziemlich durcheinander gewesen, und das erklärte vielleicht, warum sie sich so gut verstanden hatten.

Gut verstanden am Anfang und geliebt am Ende.

„Hinterher ist es dann passiert. Ich hatte mich so an ihre Nähe gewöhnt, dass ich es gar nicht gemerkt habe...“ Spikes Stimme stockte.

„Du hast sie sehr geliebt?“ sagte Andromeda leise.

„Sie hat mich verdorben“, sagte Spike und lächelte.

„Äääh was?“ Andromeda war ein wenig bestürzt.

„Sie hat mich verdorben für jede andere Frau“, sagte Spike.

„Aber Onkel Bill“, Andromedas Stimme klang aufgeregt, „du willst mir doch nicht erzählen, dass Lilah die einzige Frau war, die dich glücklich gemacht hat. Du bist doch so...“ überwältigend hätte sie fast gesagt, Andromeda stotterte ein wenig und hörte auf zu sprechen. Sie hatte Angst, dass sie schon zu viel gesagt hatte.

„Onkel Bill? Bitte nicht! Nenn mich Bill, bei Onkel Bill muss ich immer an diese Fernsehserie denken mit dem Butler und den zwei bescheuerten Gören, diesen rothaarigen sommersprossigen Gören, die kreischten auch immer rum: Onkel Bill, Onkel Bill!“

„Gut“, sagte Andromeda, „also Bill ohne Onkel. Du willst mir wirklich erzählen, dass Lilah die einzige Frau war, die dich...?“

„Kaum zu glauben, was? Aber es ist so. Die anderen... ach was soll’s. Reden wir nicht mehr drüber.“

„Bill?“ Andromeda kostete das Wort ‚Bill’ aus, es hatte einen so wunderbaren Klang.

„Ja, Kitten?“

„Kitten?“ Andromeda war erstaunt über diesen Kosenamen.

„Du siehst wirklich aus wie ein Kätzchen. Mit diesen grünen Augen“, sagte Spike und lächelte sie an, was Andromeda reichlich verwirrte.

„Finde ich gut... Kitten“, sagte sie nach einer Weile, und ließ das Worte auf ihrer Zunge zergehen. „Also Bill, hast du Lust, irgendwann das Haus zu sehen, in dem Lilah gelebt hat? Ich meine, wo sie gelebt hat, bevor sie nach Los Angeles ging. Ich war als Kind oft dort bei meinen Großeltern. Dann hatten sie einen Autounfall und sind gestorben.“

„Das hat Lilah mir erzählt“, sagte Spike, er hatte so wenig Zeit mit Lilah verbracht, dass er jeden kleinen Hinweis auf ihre Herkunft und ihr Wesen suchen würde, um sie länger in sich tragen zu können. Und dieses Kind, dieses Kitten schien eine gute Mittlerin zu Lilahs Wesen zu sein.

„Es ist nicht weit. Vielleicht eine Stunde zu Pferde“, sagte Andromeda.

„Wir sollen dahin reiten?“ meinte Spike zweifelnd. Er konnte zwar reiten, aber mitten in dieser Gegend, das schien ihm etwas riskant zu sein. Wenn er sich den Hals brach, dann blieben seine beiden Kinder als Halb- beziehungsweise Vollweise zurück.

„Du wirst dir schon nicht den Hals brechen“, Andromeda schien seine Gedanken zu erraten und blickte ihn lächelnd an. „Wir üben natürlich vorher in der Reithalle.“

„Das kann aber noch ein Weilchen dauern, bis ich soweit bin...“ Spike spürte auf einmal, etwas sehr Vertrautes in Andromeda, aber er konnte sich nicht erklären, was es war. Es war bestimmt ihre Verwandtschaft mit Lilah. Was hätte es auch sonst sein können.

Buffy sah die beiden, als sie mit Morgan auf dem Arm in den Aufenthaltsraum kam.

Unwillkürlich ging sie zwei Schritte zurück. Die beiden machten so einen vertrauten Eindruck, dass es ihr schon fast weh tat.

Nach einer Sekunde beruhigte sich aber ihr etwas schneller gewordener Puls, und sie dachte, als sie lächelnd auf den Tisch zuging, an dem die beiden samt Gwydion saßen: Was kann dieses Kind Spike schon bedeuten. Klar, sie sieht ein wenig aus wie Lilah, aber sie ist noch so jung. Hatte Spike vielleicht eine Vorliebe für junge Mädchen? Eher nicht. Aber was weiß ich schon groß von ihm? Das dachte Buffy.

„Du bist aber früh aufgestanden,“ sagte sie zu Spike und lächelte Andromeda zu. Trotz einer kleinen unterwelligen Eifersucht auf das junge Mädchen mochte sie es eigentlich gut leiden.

„Oh, Buffy“, sagte Spike freundlich zu ihr und streckt die Arme aus, um Morgan entgegen zu nehmen, die sich schon zu ihm heruntergebeugt hatte.

„Daddy“, jauchzte Morgan begeistert und legt ihre Arme um seinen Hals.

Beneidenswertes Kind, dachte Andromeda.

Beneidenswertes Kind, dachte Buffy.

Was Morgan in diesem Augenblick von beiden empfing, hätte sie vielleicht verwirren können, aber Morgan hatte es sich angewöhnt, nicht auf die Gedanken in ihrer Nachbarschaft zu achten. Sie hatte so eine Art geistiger Firewall aufgebaut, um sich vor anderer Leute Gedanken zu schützen. Es war meistens lästig, anderer Leute Gedanken zu sehen, es war lästig, weil das meiste unverständlich war... Und es war langweilig wie die Gedanken ihrer Mom. Also blockte sie es ab.

„Oooh, ich glaube, ich habe den Bus verpasst“, sagte Andromeda, stand eilig auf, winkte Buffy, Spike und den Kindern noch einmal zu und verschwand aus dem Frühstücksraum. Einen par Minuten später kam sie wieder herein, nahm sich zwei Scheiben Brot und ein Stück Wurst, packte das ganze in eine der Frühstückstüten, die auf dem Tische lagen, winkte noch einmal verlegen zu der Gruppe am Tisch hin und sagte: „Ich frag’ Max, ob er mich zur Schule fährt.“ Und verschwand endgültig.

„Das sieht gut aus“, sagte Buffy nach einem gründlichen Blick auf Spikes Teller, von dem er noch fast nichts gegessen hatte.

„Es ist gut“, Spike nickte anerkennend. „Und man wird nicht dick davon.“

„Dann hol’ ich mir auch was. Was sollen wir heute machen?“

„Ich dachte mir“, sagte Spike, „dass wir einen kleinen Spaziergang machen und den Ort erkunden, das wird ja nicht lange dauern, so klein wie er ist. Und dann hatte ich vor, in den Pferdestall zu gehen und mir die Schaukelpferdchen anzugucken.“

„Die Schaukelpferdchen? Irgendwie hab ich Angst vor denen“, gab Buffy zu.

Andromeda schien wirklich ein nettes Mädchen zu sein. Buffy spürte etwas sehr Vertrautes in ihr, aber sie konnte sich nicht erklären, was es war. Nein, sie hatte wirklich absolut keine Ahnung, was es sein könnte.

Ein begeistertes Quietschen riss Buffy aus ihren Gedanken.

Morgan hatte Alfonso erspäht.

Der kleine Tiger machte einen großen Satz aus seinem Deck-Chair und brachte sich in Sicherheit. Noch ein Tier! In ein paar Metern Entfernung blieb Alfonso erst einmal sitzen, um die Lage zu peilen.

Morgan konnte sich voll auf ihn konzentrieren. Er hat Angst, er denkt ich will ihn kneifen oder ihm wehtun. Andere kleine ... haben ihm schon wehgetan.

Automatisch entstand in ihrem Kopf ein Bild, in dem sie Alfonso zeigte, dass sie überhaupt nicht vorhatte, ihn zu zwicken oder ihm wehzutun, sie wollte ihn doch nur streicheln. Ganz zart nur.

Alfonso war wirklich kein Blödmann, Er war wie manche Katzen leicht telepatisch veranlagt, er ließ sich von dem Tier, dass möglicherweise doch kein Tier war, zart über den Kopf streicheln, obwohl er dabei ein bisschen zitterte. Aber das Zittern ging schnell in Schnurren über.

 

© Ingrid Grote 2004   Fortsetzung HIER

 

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