Das Licht am Ende der Fahnenstange

 

KAPITEL IV Teil 1

 

Der Ort Campodia bestand eigentlich nur aus vielen Häusern , die größtenteils entlang der Durchgangsstraße angeordnet waren. Man unterschied das Obere Dorf, das war die Richtung nach links, bevor das Schild Landsend auftauchte, und das Untere Dorf, das sehr viel kleiner als das Obere Dorf war, obwohl die beiden Teiche des Unteren Dorfes, der mittlere und der untere Teich, sehr viel größer als das eigentliche Untere Dorf waren. Verwirrend das.

Aber alles war in einem überaus prächtigen Zustand des Verfalls.

Buffy und Spike gingen mit den Kindern das Dorf erkunden. Als erstes natürlich die nähere Umgebung des Gutshofes.

Sie gingen den Weg am Herrenhaus entlang, den Spike erspäht hatte, als er hier angekommen war. Links und rechts vom Weg gab hohe Backsteinmauern, die rechte musste die Mauer sein, die man von der Terrasse des Herrenhauses aus sah. Wilder Wein rankte über die Mauer hinunter. Kurz darauf führte der Weg leicht nach links, und ein paar ziemliche alte Häuser tauchten auf. Trotz mancher Geschmacksverirrungen, zum Beispiel aus Glasbausteinen gemauerte Eingangsbereiche, wirkten sie doch idyllisch. Alles war so wunderbar grün, und die Blumen in den Gemüsegärten waren wunderschön sommerlich und bunt. Obwohl das Gemüse vorherrschte. Manche Blumen kannten Buffy und Spike gar nicht.

„Die gibt es nicht im Blumengeschäft“, meinte Spike und erinnerte sich an den Tag in L.A., als er für Buffy Blumen gekauft hatte und dann... Ach Shit!

„Sie sehen so knackig aus“, meinte Buffy und blieb stehen, um sich die langstieligen steifen Gladiolen näher anzuschauen.

„Morgan, um Gottes Willen, fass das nicht an!“ Spike eilte schnell zu seiner Tochter und hielt ihr die Hände fest, bevor sie den knackig runden Pferdeapfel in ihre Fingerchen und danach in ihren Mund bekam.

„Haamm!“ Morgan guckte ihren Vater fordernd an.

„Nein Fee, das ist nicht gut. Das ist Babba!“ Spike musste lachen, weil er die beknackte Babysprache anwandte, um Morgan etwas klarzumachen. „Na ja, eigentlich ist es Scheiße“, fuhr er fort, „und es ist... äääh ungesund.“

„Sseiße?“ sagte Morgan fragend.

„Ja, Scheiße“, sagte Spike

Morgan gab den Versuch auf, sich den Pferdeapfel anzueignen und tanzte stattdessen ein bisschen um ihn herum, während sie vor sich hinplapperte: „Sseiße Sseiße Sseiße Sseiße Sseiße Sseiße...“

„Und schon wieder ein Wort gelernt“, sagte Buffy lächelnd.

„Wie hätte ich es ausdrücken sollen. Als Pferdeapfel? Hinterher hätte sie noch versucht, ihn zu essen, den Apfel.“

„Budda Sseiße?“ Morgan hatte mit dem Tanz rund um den Pferdeapfel aufgehört und deutete mit ihrer winzigen Hand auf ihren kleinen Bruder.

„Nein Fee, Buddha darf auch keine Scheiße“, erklärte Spike.

„Mommy?“

„Nein ,verdammt! Mommy auch nicht.“

Morgan hörte gar nicht mehr auf seine Antwort, sie war nämlich fasziniert von einem großen flitschig aussehenden flachen Haufen, der sich, als Spike näher hinsah, als ein von Fliegen umschwärmter Kuhfladen entpuppte.

Oh nein!!!

„Nein nicht anfassen! Scheiße!“ rief Spike, als Morgan sich interessiert zu dem Fladen hinunterbeugte und ihre Hand nach ihm ausstreckte.

„Ääääh?“ Morgan schickte ihm einen ungläubigen Blick, denn das konnte nicht sein, dass das auch Sseiße war, das sah ja ganz anders aus als die Balla-Sseiße...

„Andere Scheiße“, versuchte Spike zu erklären, aber Morgan sah ihn an, als ob er bescheuert wäre. Und Spike kam sich auch tatsächlich ein wenig bescheuert vor.

„Budda Sseiße?“

„Nein, verdammt noch mal. Und Mommy auch nicht! Und jetzt lauf...“

Morgan lief munter vor ihnen her und suchte nach weiterer Sseiße, fand aber nur noch diverse Pferdeäpfel und einen kleineren Kuhfladen. Also nicht neues.

„Was für Gespräche!“ sagte Buffy. „Könnt ihr euch nur über Scheiße unterhalten?“

„Hmmm“, brummte Spike. „Also Fladen zu erklären, das wäre schlecht, da denkt man automatisch an Fladenbrot. Also an was Essbares.“

Ein paar malerische verfallene Häuser weiter standen sie auf der Hauptstraße vor einem Hinweisschild auf den nächsten Ort, und das Dorf war zu Ende.

Der nächste Ort hieß Shothouse, und er war 2 Meilen entfernt von Campodia.

„Oh, das war’s schon?“ meinte Buffy bedauernd.

„Shothouse?“ meinte Spike verächtlich. „Die meinen doch bestimmt Shithouse....“

„Also wirklich, Spike....“ Buffys Tonfall war vorwurfsvoll, nur jemand , der sie genau kannte, hätte das Kichern hinter diesen vorwurfsvollen Worten erkannt.

„Es muss hier noch einen Teich geben“, sagte Spike. Er führte seine Familie auf der Landstraße wieder zurück, sie kamen an eine kleine Brücke, nichts weltbewegendes, und man sah auf einmal den mittleren Teich, den Spike schon vom Park des Herrenhauses aus gesehen hatte, und sie hörten bald das Murmeln eines Bächleins.

Es war aber kein Bächlein, sondern ein Ausläufer des mittleren Teichs, der unter der Brücke herführte und auf der anderen Seite der Straße ein Mühlrad antrieb.

Ein Mühlrad an einer richtigen MÜHLE!.

„Oh, mein Gott“, sagte Buffy ehrfürchtig.

„Hier ist die Zeit wohl stehen geblieben“, sagte Spike verwundert, denn auch er hatte seit fast einhundert Jahren kein funktionierendes Mühlrad mehr gesehen.

Die Mühle war eigentlich nur ein kleines Steinhäuschen mit einem Bach und einem großen Mühlrad an der Seite.

Buffy und Spike mit Gwydion – den in einem dieser praktischen Tragebänder mit sich herumtrug – folgten dem Bachlauf so gut es ging, denn er wurde immer wieder durch ältere Häuschen versperrt. Morgan, die zuerst in den leichten Kinderwagen steigen wollte, hatte es sich anders überlegt und schob den Wagen vor sich her. Was man so schieben nennt... Leider kam sie mit den leichten Kurven überhaupt nicht klar, und Buffy musste des öfteren den Wagen aus einem Busch herausziehen. Häuser gab es kaum noch welche.

Endlich kamen sie an einen großen Teich. Das musste dann wohl der Untere Teich sein.

Weiden standen an seinem Ufer, er war langgezogen, nicht sehr breit, und ein paar Enten schwammen auf ihm herum.

Er war auch nicht besonders groß, aber durch die Abwesenheit von Häusern, also durch die Einsamkeit war er wohl der schönste Teich in Campodia. Spike stellte sich automatisch die vollkommene schöne nahezu lautlose Stille und Einsamkeit vor, die abends an diesem Teich herrschen musste. Sie war bestimmt überwältigend.

„Da hinten geht der Bach weiter“, meinte Buffy.

Die Weiden setzten sich in einer geschlängelten Reihe fort, und man konnte den Lauf des Baches an den Weiden erkennen.

Gut, das war dann wohl alles hier.

„Dann sollten wir jetzt das Obere Dorf erkunden.“ sagte Spike. Diesmal gingen sie nicht den Weg entlang des Gutshofs zurück, sondern folgten der Hauptstraße, und tatsächlich kamen sie nach zehn Minuten an die Stelle, wo Spike mit dem Auto ankommend zum erstenmal den oberen Teich und das Herrenhaus gesehen hatte und wo es nur nach rechts oder links gegangen war.

Allmählich blicke ich durch“, sagte er zufrieden.

Alte Frauen saßen auf Bänken vor ihren Häusern und grüßten freundlich, als Spike mit Buffy und den Kids vorbeigingen. Sie grüßten zurück. Dieses jeden und alles Grüßen war schon verdammt ungewohnt. In Woodcape, dachte Buffy, waren die Nachbarn froh, wenn man sie nicht mit Grüßen, geschweige denn mit Gesprächen belästigte. Manchmal fand sie das auch gut, aber manchmal verspürte sie das Bedürfnis nach ein wenig Freundlichkeit.

„Hier kennt jeder jeden“, sagte Spike zu ihr. „Ich schätze mal, die wissen ganz genau, wer wir sind. Bis ins Detail wahrscheinlich.“

„Alles wissen sie natürlich nicht“, sagte Buffy vielsagend in einem leicht vorwurfsvollen Tonfall, so kam es Spike jedenfalls vor.

„Stimmt. Sie wissen nicht alles. Aber das müssen sie auch nicht. Oder?“

Buffy schwieg.

Das Obere Dorf war bei weitem nicht so romantisch wie das Untere, aber dafür war es sehr viel größer. Von der Hauptstraße gingen zwei neuere Straßen ab, und entlang dieser Straßen wurden die Häuser immer moderner. Buffy und Spike kehrten nach kurzen enttäuschenden Ausflügen schnell auf die alte Hauptstraße zurück, an der fette Gehöfte lagen, die mit Schiefer behangen waren und die teilweise noch altes Fachwerk hatten.

Sie kamen zu der anonymen Bäckerei.

Buffy blickte Spike fragend an. „Sollen wir mal reingehen?“

„Klar. Warum nicht.“

Sie ließen den Kinderwagen draußen stehen. Als sie die Tür öffneten, erklang ein leises melodisches RING-RING-RING.

Es roch so, wie es nur einer uralten Bäckerei riechen konnte, in der seit hundert Jahren gebacken wurde.

Aus der Backstube kam eine ältere Frau und begrüßte sie freundlich mit „Guten Morgen“. Dann setzte sie noch an Spike gerichtet hinzu: „Sie müssen Lilas Mann sein. Und das ist bestimmt der kleine Gwydion.“

Spike lächelte. „Sie haben Lilah gekannt?“

„Aber sicher doch. Sie war immer im Sommer hier und hat mit Andy Ferien gemacht.“

Die Frau schwieg eine Weile. „Was für ein Unglück!“

Spike sagte nichts, sondern schaute nur leidvoll vor sich hin.

Buffy verspürte auf einmal den überwältigenden Drang, ihn zu trösten, aber sie wusste nicht wie. Und dann fiel ihr ein, dass sie ihn bisher noch nie getröstet hatte, sondern es war immer umgekehrt gewesen. Vor allem, als man sie zurückgeholt hatte aus dem... ja was war es... Himmel? Dann fiel ihr ein, das sie ihn doch einmal getröstet hatte, und zwar nach Lilahs Tod. Sie hatte ihn mit Sex getröstet...

Wie hatte er sie überhaupt jemals lieben können? Es stimmte doch, dass er sie damals geliebt hatte, mittlerweile hatte sie es akzeptiert, dass auch Vampire ohne Seele lieben konnten, aber was hatte er in ihr gesehen? Hatte sie überhaupt etwas Liebenswertes gehabt? Vielleicht ein kleines bisschen Liebenswertes?

„Und die süße Kleine ist dann wohl Ihre Tochter Morgan?“

„Das ist richtig, Frau...“ Spikes Stimme stockte, und die ältere Frau half ihm, indem sie sagte: „Nennt mich Tante Emily, wir sind nämlich ein wenig verwandt.“ Sie nickte auch in Buffys Richtung. „Und sie müssen Buffy sein...“

Buffy tauchte aus ihren Überlegungen empor, riss sich zusammen und nickte der älteren Frau freundlich zu. Sie fand sie sehr nett. Sie fand sie auch nicht zu aufdringlich oder zu neugierig. Sie war eben Verwandtschaft, wenn auch keine richtig leibliche, aber doch Verwandtschaft irgendwie.

„Also was wollt ihr haben. Ich habe gerade frischen Butterkuchen gemacht, der ist wirklich sehr gut.“

„Jaaaa“, hauchte Morgan liebreizend und drückte ihre Nase an die gläserne Vitrine, in der nicht viel zu sehen war außer ein paar Brötchen und paar Gläsern Marmelade.

Die Frau nahm Morgans gehauchtes Jaaaa als Aufforderung, in der Backstube zu verschwinden und nach kurzer Zeit wieder mit einem Papptablett herauszukommen, das mit weißem Papier abgedeckt war.

Sie wollte kein Geld annehmen, sondern drückte das Tablett Buffy in die Hand mit den Worten: „Ich hoffe, er schmeckt euch.“

„Vielen Dank, Tante Emily“, sagte Spike lächelnd, „und einen schönen Tag noch.“

Auch Buffy verabschiedete sich von Tante Emmy.

„Wie können die hier überhaupt was verdienen?“ meinte Spike verwundert, nachdem sie ein paar Meter vom Laden weg waren. „Wenn sie alle miteinander verwandt sind...“

„Ich fand’s nett“, sagte Buffy leise, und ihre Nase nahm den Duft des Butterkuchens wahr, der sich durch das Papier hindurch in der Luft verströmte. „Er riecht verdammt gut... Ich brauche frischen Kaffee dazu.“

„Ich glaube, an der Bar stand eine Kaffeemaschine mit allem, was dazu gehört“, glaubte Spike sich zu erinnern.

„Gut, dann ab nach Hause, ach du Lieber Himmel, jetzt sag ich schon nach Hause, das ist irre.“

„Dieser Ort hat seltsame Fähigkeiten“, meinte Spike verwundert. „Aber die Vorstellung ist schön: Wir setzen uns nach draußen und essen Kuchen.“

„Und was machen wir später?“ fragte Buffy, die diese Vorstellung auch sehr schön fand.

„Ich werde mir die Ställe anschauen, da soll es eine Reithalle geben.“

„Okay, und ich werde mir mal die Bibliothek anschauen, da soll es verdammt viele Bücher geben.“

„Und die Kinder?“

„Halten währenddessen ihr Mittagsschläfchen. Und zur Not habe ich immer noch das Babyphon. Und Archibald hat gesagt, wir könnten sie jederzeit bei Tante Mansell lassen.“ Buffy seufzte erleichtert auf. „Ich glaube, ich bin hier im Paradies.“

„Aber erst einmal Kuchen essen und Kaffee trinken. Vor allem, weil man hier ja nicht zunimmt.“

„Neeeiin“ ,sagte Buffy gedehnt im Brustton der Überzeugung, „man nimmt sogar ab.“

Irgendwie waren sie sich im Augenblick zwar nicht so nah, wie ein Ehepaar sich eigentlich nah sein sollte, aber doch ziemlich einig.

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*


KAPITEL IV Teil 2

 

Die Stallungen waren riesig, und Spike wollte sie dieses Mal richtig erforschen und mehr sehen als bei dem flüchtigen Blick, den er vor seiner ersten Reitstunde mit Andromeda auf sie hatte. Er wollte sie alleine sehen...

Hauptsächlich waren dort Pferde untergebracht. Man hörte ab und zu ein leises Prusten, Wiehern und Rascheln. Der Stall war sonnenlichtdurchflutet, denn durch die kleinen verstaubten Fenster – Fenster waren eigentlich unüblich für Ställe – drang immer noch genügend Sonnenlicht herein, um den Stall bis in den letzten Winkel zu erhellen.

Jede Menge Heu und auch riesige gestapelte Strohballen waren in einem separaten Teil des Stalles gelagert.

Ein Schmatzen erregte Spikes Aufmerksamkeit. Er ging die lange Reihe von Pferdeboxen entlang dem Geräusch nach und wurde schnell fündig. Die hintere Ecke des Stalls war für Schweine reserviert. Spike sah in einem Stall eine riesige fette Sau, an der circa zehn, so genau konnte man das nicht einschätzen, winzige Schweinchen herumnuckelten. Über dem Verschlag befand sich eine sogenannte Ferkellampe, die den kleinen Schweinchen zusätzliche Wärme spenden sollte. Ein paar andere recht große Ställe waren leer. Ihre schweinischen Insassen hatten Freigang und waren, wie Spike sich erinnerte, auf einer eingezäunten Wiese hinter der kleinen Kirche.

„Schinken und Mettwurst kommen also von euch, ihr armen Schweine“, dachte Spike mitleidig. Die kleinen Würmer würden schnell erwachsen werden und dann ihr Leben lassen müssen.

Er ging wieder zurück und schaute sich links und rechts die Pferde an. Obwohl er nicht viel Ahnung von Pferdedingen hatte, sah er doch, dass es sich um stattliche gepflegte Exemplare handelte. Archie hatte ihm erzählt, dass er zum Spaß ein wenig züchtete, er nahm warmblütige Pferde, wie zum Beispiel Hannoveraner und kreuzte sie mit gescheckten Mustangs, den ehemaligen wilden Indianerpferden, bei denen es sich eigentlich auch nur um verwilderte Hauspferde handelte, die den Spaniern damals im 16. Jahrhundert ausgebüchst waren. Diese Züchtungen erfreuten sich großer Beliebtheit bei Pferdenarren, sie verbanden die Robustheit der angeblichen Wildrasse mit dem Springvermögen der europäischen Warmblütler.

Ein großer brauner, wild gescheckter Mustang stand unruhig in seiner Box, und in der Box daneben träumte ein rabenschwarzer Rappe vor sich hin. In der hinteren Ecke der Box sah Spike etwas Weißes. Ein kleineres Tier vielleicht? Es schlief wohl.

Die meisten der Pferde allerdings gehörten anderen Leuten, die sie hier quasi geparkt hatten und die hier versorgt, gepflegt und auch geritten wurden. Hatte Kitten ihm erzählt.

Spike erblickte eine Tür, die nur angelehnt war, öffnete sie und befand sich in der Reithalle, das heißt in einem schmalen Gang für Zuschauer, der durch eine brusthohe Holzbalustrade von der eigentlichen Reithalle abgetrennt war.

Zur Linken führte eine Holztreppe nach oben, die Spike bei seiner ersten Reitstunde gar nicht gesehen hatte, und er entschloss sich nach kurzem Zögern, die Treppe hinaufzugehen.

Zu seinem Erstaunen endete die Treppe in einer kleinen rustikalen Bar, und zwar an einer Theke aus groben Balken mit genauso groben Barhockern davor. Und es standen auch noch zwei Tische mit Holzstühlen an der anderen Seite der Theke. Tatsächlich konnte man von den Tischen aus hinunter in die Reithalle schauen. Auch hier gab es eine Holzbalustrade, die dafür sorgte, dass man nicht in die Reithalle hinunterfallen konnte.

Ein Reiterstübchen! Das war wirklich saumäßig gut, fand Spike. Ob’s denn auch was zu trinken gäbe? Das wäre Klasse.

„Na Bill, gefällt’s dir?“ Archibald von Campe war hinter ihm in das hölzerne Gemach gekommen, das bestimmt einmal ein Heuboden über dem Stall gewesen war.

„Es ist wirklich allerliebst“, sagte Spike gelassen und musste grinsen. „ Gibt‘s hier auch was zu trinken? Denn es könnte sein, dass ich mich vor meinen Reitstunden ein wenig lockerer machen will.“

„Lockerheit ist alles, Bill.“ Archie begab sich hinter die Theke, öffnete einen großen in der Ecke stehenden Kühlschrank, holte zwei Flaschen Bier heraus und machte sie auf. „Du musst nur aufpassen, dass du nicht zu locker wirst... Das ist übrigens unser hauseigenes Bier.“ Er reichte Spike eine Flasche.

„Ist korrekt“ , meinte Spike, nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte. Das war nicht gelogen, das Bier schmeckte richtig nach Bier, war aber nicht so herb, dass jeder andere Geschmack dadurch totgeschlagen wurde und hatte, so hoffte Spike jedenfalls, genug Alkohol intus, um einen ein bisschen besoffen zu machen und nicht nur auf die Blase zu wirken.

„Was meinst du Bill, hast du Lust, mal einer Bierprobe beizuwohnen?“ Archibald trank genüsslich seine Flasche leer.

„Eine Bierprobe?“ Spike musste nicht lange überlegen. „Ich glaube, das würde mir gefallen. Das würde mir sogar sehr gefallen.“

„Nächste Woche?“

„Klar. Warum nicht? Ist bestimmt interessant.“

„Am Anfang ja“, sagte Archibald. „Hinterher ist es einfach nur lustig...“ Und musste laut auflachen, weil er wohl an irgend etwas sehr Lustiges gedacht hatte.

Man hörte leises Hufgetrappel. Jemand führte ein Pferd in die Reithalle. Spike sah interessiert zu. Wenn er jemanden beim Reiten zusehen würde, konnte er bestimmt was dazulernen, denn seine Reitkünste waren seiner Meinung nach wirklich nicht berauschend.

Die Person, die das Pferd in die Reithalle führte, war Andromeda. Wieder war Spike verwundert über die Ähnlichkeit, die sie von weitem mit Lilah hatte. Er war nicht nur verwundert sondern auch betroffen.

Andromeda saß mühelos auf, und das Pferd fiel in einen leichten Trab.

Spikes Augen folgten ihr fasziniert. „Sie hat eine tadellose Haltung“, meinte er anerkennend zu seinem Schwager Archie.

„Das hat sie, das arme Kind.“

„Wieso armes Kind?“ fragte Spike.

„Ich habe dir doch geschrieben, dass ihre Mutter bei der Geburt gestorben ist.“

„Ja. Natürlich.“

„Ich wollte ihr eine neue Mutter verschaffen und habe kurz nach Kassiopeias Tod wieder geheiratet. Ein Mädchen aus dem Dorf.“

„Ja und?“

„Es war nicht ganz so uneigennützig, wie es sich anhört, denn ich war auch wirklich scharf auf dieses Mädchen. Sie und Kassiopeia waren befreundet, aber Kassiopeia war die große Liebe meines Lebens. Ich war fünfunddreißig, als ich mich in sie verliebt habe, und sie war zwanzig.“ Archibald lächelte, aber seine Augen blickten traurig. „Wie auch immer, es klappte nicht mit Zirza. Sie ist nicht der Typ, um Mutter zu sein. Zwei Jahre später verlor sie ihr eigenes Kind, unser Kind, und danach hatte sie keinerlei Interesse mehr, sich um Andromeda zu kümmern. Hatte sie vorher eigentlich auch nicht.“

„Arme Andy“, meinte Spike bedauernd.

„Kurz nach Kassiopeias Tod besorgten wir Andromeda eine Amme, es war Tante Bernadettes Tochter, die auch gerade ein Kind bekommen hatte. Aber die ist dann ganz plötzlich an einer Pilzvergiftung gestorben, und ihr Baby auch kurz darauf..., das arme Ding. Wir mussten Andromeda mit der Flasche großziehen. Manchmal denke ich, das war wirklich zuviel Unglück auf einmal“, sagte Archibald nachdenklich. „Wie Murphys Gesetz – wenn etwas schief geht, dann geht aber auch alles schief.“

„Hört sich alles ziemlich seltsam an“, meinte Spike. „Aber Andromeda hat es anscheinend gut überstanden. Habe ich dir erzählt, dass Gwydion auch mit der Flasche großgezogen wurde?“ Spike überlegte und sagte dann schließlich: „Lilah hatte nach zwei Monaten keine Milch mehr für ihn, ja, es war nach zwei Monaten, aber Gwydion ist trotzdem kräftig und gesund, na ja du weißt ja wie er ist.“

„Er ist ein Prachtkerl“, sagt Archie ernst. „Gut. Andromeda ist auch ein gesundes kräftiges Baby geworden, aber als sie ein Jahr alt war, wurde sie entführt oder etwas anderes... Kein Mensch weiß genau, was damals passiert ist.

„Scheiße!“ sagte Spike.

„Aber wir hatten Glück. Nach drei Tagen wurde sie im Wald gefunden, zwar stark unterkühlt und abgemagert, aber sie lebte, und sie hat sich unheimlich schnell wieder erholt. Es war übrigens Max Lakosta, unser Verwalter, der sie gefunden hat. Damals war der Junge erst fünfzehn.“

„Das grenzt an ein Wunder“, sagte Spike und schaute hinunter zu der jungen Andromeda mit der bestechend tadellosen Haltung, hinunter zu Andromeda, die so gekonnt ihr Pferd dirigierte, dass man gar nicht sehen konnte, wie sie es eigentlich machte. So etwas nannte man Reitkunst.

Spike sah, dass der große schwarzhaarige Verwalter in die Halle gekommen war, sich über die Balustrade gelehnt hatte und Andromeda beim Reiten zusah. Sein Gesicht hatte einen undefinierbaren Ausdruck, möglicherweise eine Mischung aus Verlangen, Zuneigung und Resignation. Jedenfalls kam es Spike so vor.

„Max hat es abgelehnt, die Belohnung anzunehmen, die wir damals ausgesetzt hatten. Er ist sehr stolz und hat sein Studium selber finanziert. Wir waren froh, dass er sich entschlossen hat, hier für uns zu arbeiten, denn er hatte genug andere Angebote.“ Archibald war anscheinend sehr von Max angetan.

Spike hatte Max Lakosta noch nicht oft gesehen, höchstens beim Abendessen, und da blieb er nicht lange, sondern verschwand direkt nach dem Essen wieder. Er wohnte in dem Häuschen, das Buffy und Spike beim ersten Hingucken als Poolhaus ohne Pool bezeichnet hatten. Spike wollte den schweigsamen jungen Mann eigentlich gerne näher kennen lernen, aber der Verwalter schien ihn aus unerfindlichen Gründen abzulehnen, so dass Spike schon gedacht hatte, er hätte ihm irgendwas getan, aber er konnte sich zum Verrecken nicht vorstellen, was.... Spike fühlte sich seltsam hingezogen zu ihm, und das kam bei Gott nicht oft vor, dass er sich zu jemanden hingezogen fühlte, nein war eigentlich noch nie vorgekommen. Aber der Verwalter schien unnahbar und lehnte ihn anscheinend rigoros ab. Seltsam...

„Und was ist mit deiner Frau? Wo ist sie?“ meinte Spike fragen zu müssen, obwohl es ihn nicht wirklich interessierte.

„Das ist der Witz an der Sache...“ Archie musste lachen. „Sie hat mich auf dich und Gwydion aufmerksam gemacht. Zirza ist Geschäftsfrau.“ fügte er erklärend hinzu. „Sie hat mehrere Boutiquen in San Francisco. Und sie weiß natürlich mehr als wir Hinterwäldler. Sie schickte uns eines Tages einen Zeitungsausschnitt, in dem über dich und Lilahs Tod berichtet wurde. Normalerweise hätten wir es gar nicht erfahren. Unsere Hauptstadt Boise ist ein hochkarätiges Provinznest, hat vielleicht achtzigtausend Einwohner, und die Presse ist so provinziell und mit sich selber beschäftigt, dass Skandale aus anderen Bundesstaaten zum Verrecken nicht erwähnt werden.“

„Also haben wir es Zirza zu verdanken, dass wir jetzt hier sind.“

Spike dachte nach. Zirza, ein seltsamer Name, der ihm ein wenig bekannt vorkam, obwohl er nie eine Person dieses Namens gekannt hatte. Archie und seine zweite Frau schienen nicht gerade ein inniges Verhältnis zu haben. Aber das konnte er natürlich nicht beurteilen, vielleicht war es die glücklichste Ehe der Welt. Es hatte was für sich, so weit voneinander entfernt zu leben. Das hielt die Leidenschaft wach und wirkte der ehelichen Abstumpfung entgegen. Andererseits war er mit Drusilla so viele Jahre zusammen gewesen, und ihr Liebesleben hatte nie eine Abstumpfung erfahren. Es gab sonne und sonne Ehen...

„Zirza ist nicht jedermanns Sache“, Archibalds tiefe sonore Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. „Entweder man verfällt ihr – oder man verabscheut sie. Nein das ist nicht ganz richtig: auch wenn man sie verabscheut, kann man ihr verfallen.“

Spike überlegte, ob Archibald mit diesen Worten auf sich selber und sein Verhältnis zu seiner zweiten Frau anspielte.

„Da es Verwandtschaft ist, werde ich sie wohl nicht verabscheuen können. Und ihr verfallen werde ich wahrscheinlich auch nicht.“ Spike hatte trotz der kurzen Zeit, die er seinen angeheirateten Schwager erst kannte, ein recht vertrautes Verhältnis zu ihm, und sie verstanden sich so gut, dass sie sich einiges sagen konnten...

„Man kann nie wissen“, sagte Archibald nachdenklich.

Spike beobachtete weiterhin seine Nichte Andromeda bei ihren Runden durch die Bahn der Reithalle. Sie ritt gerade eine Traverse durch die ganze Diagonale der Reithalle, und ihr Pferd, ein riesiger Brauner, setzte so korrekt seine Schritte , dass es nahezu perfekt schien. Es sah alles mühelos leicht aus, was Andromeda und das Pferd machten, und obwohl sie Jeans und ein schwarzes T-Shirt trug, kam es Spike vor, als würde sie die Hohe Schule der Dressur in einem schwarzen Anzug mit Zylinder vor einem verwöhnten Publikum vorführen... und natürlich den ersten Preis machen. Sie könnte ohne weiteres in der Olympiamannschaft der Vereinigten Staaten mitreiten.

Max hatte seinen Posten an der Bande verlassen und war wohl gegangen.

„Sie reitet verdammt gut. Ich wünschte, Buffy würde das Reiten lernen“, sagte Spike schließlich, nachdem er einen weiteren großen Schluck aus der Bierflasche genommen hatte. Buffy, immer wieder Buffy. Konnte er sie nicht einfach mal außen vor lassen?

„Buffy ist eine sehr reizvolle Frau, nicht wahr?“ sagte Archie und nahm seinerseits einen großen Schluck aus der Bierpulle.

„Ja, das ist sie“, sagte Spike schließlich nach einer längeren Pause verdrießlich.

„Sag mal Bill“, Archie räusperte sich, „hättest du etwas dagegen, wenn ich Buffy ein wenig, ja wie soll ich sagen... eventuell den Hof mache?“

Spike fiel nun wirklich aus allen Wolken. Er hatte tatsächlich angenommen, Archie wäre ein treuer Ehemann, der nicht irgendwelchen Frauen von irgendwelchen entfernten Verwandten nachsteigen würde. Dann fiel ihm ein, dass Archie gar nicht wusste, dass Buffy mit ihm, Spike, verheiratet war.

Und das war ja auch unwesentlich.

„Sie ist schließlich alt genug, um zu wissen, was sie tut.“ Diese Worte waren ruhig dahergesagt, aber in Wirklichkeit verspürte Spike urplötzlich einen Zorn, nein nicht auf seinen Schwager und auch nicht auf seine Ehefrau Buffy, sondern auf diese absolut beschissene Situation mit der verheimlichten Ehe. Mit der nicht vollzogenen Ehe. Und überhaupt...

Er verspürte auch ein wenig Zorn auf sich selber, weil er so dämlich gewesen war, die Ehe nicht zu vollziehen. Warum eigentlich nicht? Aus Angst, sie könnte wieder diese Macht über ihn erlangen? Ja das war es. Er wollte nie wieder der Liebesidiot sein. Andererseits könnte man er es ja mal ausprobieren... Sie hätte bestimmt nichts dagegen.

Nein, besser nicht. Wäre zu gefährlich. Wenn Archie sie anmachen wollte, dann würde er nichts dagegen tun.

Falsch, alter Junge, dann konnte er nichts dagegen tun. Und warum sollte er auch irgendwas dagegen tun? Wie schon gesagt, sie war schließlich erwachsen und konnte tun und lassen, was sie wollte.

Andromeda hatte wirklich eine ausgezeichnete Haltung zu Pferde. Wieder manifestierte sich bei Spike der Eindruck, Lilah vor sich zu sehen. Er durfte nur nicht genau auf Andromeda schauen, sondern ein bisschen daneben. Dann war die Illusion perfekt.

Wie wohl Zirza, Andromedas Stiefmutter so war?

Nicht, dass es ihn wirklich interessierte. Wirklich interessieren tat ihn im Augenblick nur eines: Was wollte Archie von Buffy?

Spike, du verdammter Idiot, was konnte er schon von ihr wollen. Er wollte sie poppen. Und wie würde Buffy auf Archies Anmache reagieren?

Spike fühlte ein seltsames Gefühl des Ärgers, ein Gefühl, das er nicht genau bezeichnen konnte. Die Vorstellung, dass Buffy in irgendeiner Art und Weise irgend etwas mit Archie zu tun hatte, brachte ihn auf, mehr auf, als er es sich eingestehen wollte.

Aber wie gesagt, sie war erwachsen und musste selber wissen, was sie tat.

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

KAPITEL IV Teil 3

 

„Woher stammen die von Campes denn nun eigentlich?“ Spike schien sich wirklich für die Herkunft der Familie von Campe zu interessieren.

Archibald und Spike waren vor drei Stunden im Keller der Campeschen Brauerei angekommen und hatten schon mehrere Biersorten zum Aufwärmen angetestet.

Max Lakosta, der Verwalter und übrigens ein Verwandter von Archies Frau Zirza, hatte die Gruppe von vier Leuten (allesamt Männer!!! Wen wundert’s?) zur Brauerei gefahren und war dann mit leichten Anzeichen des Bedauerns alleine zum Gut zurückgefahren. Er wollte sie am frühen Abend wieder abholen und hoffte, dass sie ihm dann nicht den Wagen voll kotzen würden.

Andererseits könnte er auch einen Trecker nehmen mit einem offenen Leiterwagen hintendran, sie aufladen, nach Hause karren und vor die Haustür kippen. Sie würden nicht mehr viel merken. Tja, diese Bierproben hatten es in sich...

Auf dem langen Tisch, an dem sie saßen, war ein kaltes Büffet aufgebaut, und zwar nur aus dem einen Grunde, nämlich den Bierprobanten Durst zu verschaffen und den Geschmack für ein anderes neues Bier freizumachen. Also gab es Kaviar, salzige dänische Fischhäppchen, gekochte Eier, die unvermeidliche hausgemachte Mettwurst, salzigen rohen Schinken... und lange Baguettestangen für Leute, die das salzige Zeug nicht pur essen wollten.

Es gab viele viele verschiedene Flaschen Bier aus allen möglichen Ländern, und es gab auch viele viele Fässchen aus allen möglichen Ländern, aus denen frisch gezapft wurde.

Es ist perfekt, dachte Spike.

„Wie wär’s jetzt mit einem leichten Ale?“ schlug Archibald vor.

„Immer her damit!“

Archibald fing nun allmählich und gemütlich an, Spikes Frage nach der Herkunft der von Campes zu beantworten.

„Also, zuerst waren wir Franzosen, genauer gesagt Hugenotten. Durch das Edikt von Nantes gab man uns Religionsfreiheit.“ Archibald schnaubte verächtlich. „....Um sie uns später durch das Edikt von Fontainebleau unter Ludwig dem, ... war’s der Vierzehnte oder der Viertelvorzwölfte, egal, wieder wegzunehmen. Prost Bill!“ Archibald hob sein Glas, um Bill zuzuprosten. „Man wollte uns zu Katholiken machen, uns also zur wahren Religion bekehren... Oh ja, da fällt mir ein, es war tatsächlich der Sonnenkönig mit seiner beschissenen Mätresse, der Marquise de Maintenon, die uns das eingebrockt hat. Und diese Dame hat er dann später heimlich geheiratet.“ Archibald bekam einen Schluckauf und musste seine Ausführungen für einen Augenblick unterbrechen. „Sag mal Bill, kennst du das Reinheitsgebot?“

„Das ist irgendwas kontinentales, ich glaube, das ist deutsch. Muss zugeben, dass deutsches Bier mir am besten schmeckt. Seltsam, dass die Bastarde so ein gutes Bier machen.“

„Und die Dichter...“ Archibald deutete schwärmerisch vage mit dem rechten Zeigefinger auf irgend etwas hin. Haarscharf an Spikes Ohr vorbei.

„Die Dichter? Na, ich weiß nicht... Goethe zum Beispiel, die Franzosen haben sich kaputtgelacht über seinen Faust mit dem Gretchen. Das hörte sich für die so beschissen provinziell an...“

„Ach Goethe... Firlefanz! Außerdem sollen die Franzosen die Schnauze halten. Hast du schon mal Stendhal, den Schwätzer gelesen? Buffy liest ihn übrigens gerade. Nein, ich dachte eigentlich an Heinrich Heine....“

„Na ja...“ Spike mochte keine Gedichte mehr, seitdem er von Drusilla zum Vampir gemacht worden war – denn er war vorher ein wirklich, das dachte er zumindest, beschissener Dichter gewesen – und er hasste aus Prinzip die Gedichte anderer Leute, egal wie berühmt sie waren und egal, was die Gedichtskritiker von ihnen hielten.

Außerdem war Spike gerade aufgefallen, dass Archie ziemlich viel Zeit mit Buffy in der Bibliothek verbrachte.

Oooh Gott! Dieses leichte Ale mit der Aufschrift ‚Campes Ale‘ war einfach göttlich gut!

Das Ale war göttlich, obwohl die Tatsache, dass Buffy gerade diesen Schwätzer Stendhal las und es ihm nicht erzählt hatte, ihn einigermaßen wurmte. Hielt sie Archie für einen besseren Literaturkritiker als ihn selber? Das war schon bitter, aber im Augenblick nicht so wichtig, weil das Bier soooo verdammt gut schmeckte.

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so terrraurig bin!“ deklamierte Archie mit schon leicht stockender Stimme. „Also komm, das ist doch wohl eindrucksvoll...“

„Ist korrekt“, sagte Spike zustimmend. „Aber was ist denn jetzt mit der Marquise?“

„Mit was? Wir haben doch Sonnenschutz genug auf der Terrasse. Du brauchst dich doch nur in den Schatten setzen.“

„Der Marquise von Maintenon, die der...ääääh... Ludwig geheiratet hat angeblich. Was war denn mit der?“ Man muss feststellen, dass Spike nach der Einnahme mehrerer Biere irgendwie die korrekte Satzstellung abhanden gekommen war.

„Ach die...“ Archibald machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die war so fromm, mein Gott, war die fromm!“

„Fromme Frauen sind nichts für mich“, murmelte Spike vor sich hin und nahm eine Baguettestange in die Hand.

„Für mich aunich“, es war deutlich zu merken, dass Archie schon ein bisschen einen in der Krone hatte. „Zirza zum Beispiel, die iss überhaupt nich fromm, die hat Sachen drauf...“ Archie verstummte und guckte irgendwie lüstern in seine Bierflasche, wobei er aussah wie ein vorwitziger Kater, der in das Loch eines Starenkastens guckt, mit nur einem Auge wohlgemerkt.

„Fromme Frauen!!! Nee danke.“ Spike klopfte mit seinem Baguette auf die Tischplatte. „Was ist denn mit den frommen Frauen?“ Zwischen jedem Wort klopfte Spike mit der Baguettestange auf den Tisch, an dem sie saßen. „Was ist denn jetzt mit der Marquise?“ Er klopfte ein letztes Mal zur Bestätigung. Klopf!

„Sie brachte ihn dazu, hupppps“, Archie musste rülpsen, bevor er weiterredete, „das Edikt von Nantes aufzuheben .Diese fromme Frau brachte den König dazu. Sie haddim wahrscheinlich endlos vorgeplärrt, dass sein Seelenheil in Gefahr wäre... und diesen ganzen anderen relli...“ hier musste Archie zweimal Anlauf nehmen, bevor er das Wort herausbekam, „relligiliösen Quatsch....“

„Whoow!! Das was? Ach das! Das Edikt von Nantes?!“ Spike war natürlich voll auf der geistigen Höhe trotz seiner leichten Trunkenheit. Dieser Trunkenheit, die man vom Trinken von Bier erlangt und die nicht so verblödend ist, wie die Kritiker von Bier dies behaupten. Von Wein wird man schließlich auch besoffen, und dieser Zustand wirkt keineswegs intelligenter als der Vonbierbesoffenezustand. Rülppps... .Die Weinexperten meinen allerdings wirklich, dass der Weinrausch eher etwas intellektuelles habe und der Bierrausch eher etwas, ja was, vielleicht etwas dummes? Wenn dieses stimmen sollte, was ist dann noch schlimmer oder verblödender als der Bierrausch? Vielleicht der Schnapsrausch? Vielleicht der Feuerzangenbowlenrausch? Spike wollte sich da kein Urteil anmaßen, er kannte sie alle, den Bier-, Schnaps-, Weihrauch, äääh... Weinrausch, den Feuerzangenbowlenrausch, bei dem man aufpassen sollte, dass, wenn man ein Gefäß aus Glas benutzt, man 1.) Gefahr läuft dass der obere Rand des Gefäßes einfach abgesprengt wird durch die Hitze des brennenden Zuckers, und dass man 2.) nicht aus Versehen in das Restgefäß hineintreten sollte... Na gut, der Feuerzangenbowlenrausch war schon ultimativ verschärft, aber Spike kannte als geübter Trinker noch weitere Räusche.

„Gagaggott schütze uns vor frommen Frauen“, stammelte Archie. „Diese war genauso unheilvoll für den Vvviertelvorzwölften und fffür das ganze Land wie die gute....“ Archibalds Stimme war anzumerken, dass er sie zwar nicht mehr richtig kontrollieren konnte, aber dass er ,Archibald von Campe, geistig auch noch voll auf der Höhe war, „Gwenüffffar für König Artus.“ Archibalds Stimme hatte einen leicht spöttischen Ton angenommen, natürlich leicht gefärbt von einem Bierrülpser, und er schloss seine Ausführungen mit dem Satz: „Ist Religion nicht schön?“

„Ist Liebe nicht schön?“ Auch Spike musste seinen Senf dazugeben.

„Religion oder Liebe! Ist doch alles gleich. Uuuäääh Bill, jetzt probieren wir ein leichtes Guinness. Absolut ohne Schaum...“

„Ihr wart also Protestanten.“ schloss Spike messerscharf, jedenfalls messerscharf für seine leicht benommenen geistigen Verhältnisse. Das letzte leichte Pils aus der Brauerei Campe hatte seine Geschmacksnerven und seine Gehirnwindungen ziemlich angegriffen, und er nahm sich ein Stückchen Weißbrot und ein Stück Schinken, um seine Geschmacksnerven zu neutralisieren. Mit den Gehirnwindungen klappte das allerdings nicht.

„Ja, die ‚du Campes’, wie wir damals noch hießen,“ Archie machte eine kleine Pause, stierte ein bisschen vor sich hin und fuhr dann fort: „Waren Protestanten.“ Wieder stierte er ein bisschen vor sich hin, bevor er weitersprach. „Un wir warn die Leidtragennen dieser ganssen relli... na du weiß schon... Scheiße. Wollten sich nich anpassen, meine Vorfahrn, sondern wannnerten aus. Gen Westen in das ehemalige ‚Römische Reich Heiliger Deuscher Nation‘, oder war es ‚Heiliges Römisches Reich Deuscher Nation’ Oder Deusches Reich Römisch Heiliger Nation? Egal, wie auch immer. Waren viele viele klitzekleine Königreiche oder Herzogtümer. Annnere Familien blieben in Holland hängen. Viele“ – Pause mit Rülpsen – „gingen auch noch weider gen Osten. Nach Preußen un vielleicht sogar nach Russland.“

„Das muss so um Sechsehnhunnnertachssig gewesen sein“ Das Bier hatte Spikes Wissen um Geschichte zu Höchstleistungen angefeuert.

„Du biss echt gut, Bill! Sechsehnhunnertfüfunachssig, um genau zu sein. Meine Familie gehörte zu den Schannnelleren. Hach, was waren die schannnell! Verramschten alles! Hauptsache schannnelll!! Verhökerten ihre Güter. Schannnell!!!. Sie waren auf das Desaster vobbereidet, un zwar schon Jahre vorher.“ Archibald zog sich einen tiefen Zug des schaumlosen dunklen Guinness hinein, das ihn seltsamerweise ein wenig ernüchterte, so dass er fast normal sprechen konnte, zumindest hatte er den letzten Satz fast fehlerfrei herausgebracht.

Hat Guinness kein Alkohol? dachte Spike fallüchtig.

„Sie konnen rechzeidig fallüchten. Meine Vorfahren blieben irndwo össlich der Weser in einem kaggen Landstrich hängen. Der Herssog dieses Landes wies uns eine Gegend zu, die vielleicht noch kagger war als der Durch...“ Archie ließ das Wort aus. „Wir ließen uns in einem Dorf nidder, bauden einen Landsitz, blaahblaahblaaah, ’ne Kapelle, ’nen großen Stall und gam der Dorfbevölkerung Arbeit und Brot. Und ville Kinner gaben wir ihr auch...“ Archibald musste lachen, nahm sich ein Stückchen Weißrot, belegte es mit Kaviar und aß es, um wieder einen neutraleren Geschmack zu bekommen. „Nimm bisschen Kaviar, Bill“, sagte er nicht ganz vollständig zu Spike.

„Ich lach mich kaputt! Ihr ward also Deusche?!“ Spike musste automatisch kichern und nahm auch ein Stückchen Weißbrot, belegte es mit Kaviar und aß es, um wieder einen neutraleren Geschmack zu bekommen. Diese Bierprobe hatte es wirklich in sich.

„Neeiin, neeiin!!! Nich direkt! Um diesse Zeit besseichnete sich niemand in diessem – uppppss – riessigen übriggeblieben Ressreich als Deuscher. Sie nannen sich Hannoverer, Braunsssweiger, Preußen und so weiter, es gab in der Tat unsssählige Fürstentümer, Hersssogtümer und kleinere Königreiche. Uppppss, nich ssu verwechseln mit den Hannoveranern, den Pferden, weiss du....“

„Die du Campes sind also wegen der Religion aussegewandert – oder besser gesagt geflüchtet?“ Spike genoss es, so trinkfest zu sein, dass er noch nicht wirklich stotterte... Na gut, er stotterte ein bisschen, aber nicht soviel wie Archie.

„Ddamals ja. Als ddann einer meiner Vorfahren nach Amerika auswanderte, ging es ihm nich mehr um Religion, sonnnern er wollde Freiheit, sssowohl ppolitischer als auch räumlicher Art.“ Man merkte Archibald an, dass er überhaupt nicht besoffen war, sondern dass nur seine Stimmbänder aus was auch immer für Gründen seinen Gedankengängen nicht folgen und sie dem gemäß auch nicht richtig artikulieren konnten. „’Sss war ihm einfach jenseits der Weser sssu eng...“, hier machte Archibald eine Gedankenpause, um eben die Gedanken wieder zu sammeln und sie einssufangen, denn sie wollden ihm immer widder davonfleuchen.. „Das war um achsehnhunndertsiebssig, kursss bevor Deuschland widder ein Kaiserreich wurde.“

„Und du, Archie? Du gehss jeden Sonntag in deine Kirche, spennes jede Menge Kohle un soweiterunsofort.... Biss du eindlich in Wikklichkeit gläubisch?“ Spike meinte, diese für amerikanische Verhältnisse wirklich unverblümte Frage stellen zu können.

„Bin nich viel religiöser als meine Sssiamkasse“, sagte Archibald von Campe lachend.

„Kassen glauben nur an sich selber“, sagte Spike. „Deswen magg ich sie so.“

Und irgendwie mochte Spike auch Archibald von Campe. Er war ein ähnlicher Spötter wie Spike und hatte ziemlich den Durchblick, was leider meistens von Nachteil für den Durchblicker war, denn zuviel Durchblick macht desillusioniert. Besser dumm und keinen Durchblick, aber dafür glücklich....

„Dieses Bier schmeckt zimmelich volluminöls....“ Oh Gott, jetzt fing Spike richtig an, zu stammeln.

„Es hat eben viel Körper“, meinte Archibald nebulllöls.

„Besser das, ich ess noch so ne Weißbrot mit bisschen Kaviar.“

„Klar sonss kannss du die Blume nicht mehr erkennen.“

„Hääääh?“

„Die Blume beim Bier, weiisss du.“

„Un der Körper... Jawolll! Sag mal Archie, du biss doch so ne Art Schwagger von mir.“ Spikes Stammeln war nun konstant geworden, aber er fühlte sich absolut nicht besoffen, sondern überaus blendend, und er hatte auf einmal großartige Ideen, eine Art Formel war in seinem Gehirn, eine Formel, um die ganze Welt zu retten. Es war alles ganz einfach. Herrlich fantastische Formel. Er sollte sie aufschreiben, um die Welt damit beglücken zu können. Ach was, die Formel war so leicht, er würde sie morgen auch noch wissen. Seltsamerweise konnte er sie nicht in Worte fassen, sie existierte nur in seinem Kopf, und seine Stimmbänder weigerten sich einfach, sie zu sagen. Mist aber auch.

„Köper. Ja. Bier hat Köper. Schwagger? Naddürlich sin wir Schwaggern. SCHWIPPS-SCHWAGGGERN sin wir.“ Archibald krümmte sich in einem Lachanfall, und auch Spike musste loslachen. Schwipps-Schwaggern! Gute Güte!

Archibald spuckte das Bier auf den Boden des Kellers und aß wieder ein Stückchen Weißbrot. Er hatte wahrscheinlich im Kopf, dass er einer Weinprobe beiwohnte, in der die Weintester auch immer den Wein auf den Boden oder sonst wohin spuckten.

Spike tat es ihm nach. Glotzte auf die Bierpfütze und musste noch mehr lachen.

„Ich glaube, mein Schmack is weg“, sagte Archie. „Lass noch ein bissel essen, dann könne wir von vorne anfang. Jetzt Bockbier!!!“

Das Bockbier war allerdings das letzte Bier für die beiden an diesem Tage. Bockbier hat nämlich wirklich die Eigenschaft, jeden Gedanken abzutöten und nicht nur die Zunge und die Stimmbänder lahm zulegen, sondern auch das Gehirn mit seinen großartigen Gedanken... Nach dem Bockbier regiert nur noch der Überlebenstrieb, das heißt, der Wille zur senkrechten Fortbewegung, oder zur waagerechten Fortbewegung, die man auch Kriechen nennt....

Leider tötete das Bockbier (mit einer Stammwürze von 18%) auch die geniale Weltformel ab, mit der Spike die Welt hätte beglücken können. Diese Formel hätte die Rettung für die Menschheit und auch für die meisten Tierarten (mit einer Chance von 85%) bedeutet. Aber was soll’s.... Ein bisschen Schwund ist immer....

Die anderen Kumpanen waren übrigens mindestens genauso, wenn nicht noch mehr besoffen als Spike und sein Schwipps-Schwager Archie.

Und Spike würde zwar seine die Welt beglückende Formel vergessen ( was wirklich ein Jammer war), aber er kannte nun einen Rausch mehr, nämlich den total blöde machenden Bockbierrausch.

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Fast zur gleichen Zeit, nein es war ein paar Stunden früher, wollte Buffy in Erwartung ihrer ersten Reitstunde die Stallungen betreten. Sie hatte nicht nur ein wenig Bammel davor, sondern richtig Bammel, und sie war froh, dass Spike weg war auf dieser Bierprobe und sie nicht verspotten konnte, wenn sie vielleicht vom Pferd fiel.

Tante Mansell; die Haushälterin von Archie, übrigens eine sehr nette ältere Dame war so freundlich, auf Gwydion aufzupassen. Sie saß vor dem Herrenhaus auf einer Bank und bewachte den Kinderwagen, in dem der kleine Buddha lag.

Tante Bernadette, Buffy hoffte darauf, irgendwann in den nächsten Tagen bei ihr Kochunterricht nehmen zu können, hatte Morgan an die Hand genommen und ging hinter Buffy her. Sie unterhielt sich angeregt mit dem kleinen Mädchen.

„Ist alles halb so wild“, hatte Andy am Morgen zu Buffy gesagt, bevor sie ein letztes Mal vor den großen Ferien zur Schule musste. „Mehr als runterfallen kannst du nicht. Aber ich glaube, du bist ein Naturtalent.“

„Ist Sp.... äääh Bill auch ein Naturtalent?“ hatte Buffy das junge Mädchen gefragt.

„Bill ist es angeboren“, hatte Andy seltsam verlegen gesagt.

Und Buffy war feinfühlig genug, es zu kapieren. Die Kleine war in Spike verschossen, wenn nicht gar richtig verliebt. Und schlimmstenfalls liebte sie ihn wirklich. Sie war zwar sehr jung für die große Liebe, aber Buffy hatte da ihre eigenen Erfahrungen gemacht, damals war sie noch jünger als Andy gewesen...

Und Spike? Buffy hatte nichts Auffälliges an ihm bemerkt, er schien die Kleine – haaa Kleine war gut, sie war viel größer als Buffy – zu mögen, manchmal hatte er allerdings diesen Blick, als ob er etwas in Andromeda suchen würde, allerdings sah er sie dabei nicht direkt an, sondern immer haarscharf daneben.

Sie erinnert ihn an Lilah. Diese Eingebung kam Buffy urplötzlich. In einem Anfall von Einfühlsamkeit erkannte sie plötzlich, dass er sich vielleicht vorstellte, mit Lilah hier zu sein, wie es sich eigentlich gehörte. Sie, Buffy, war nur ein Fremdkörper an diesem Ort, das fühlte sie, obwohl alle sehr freundlich zu ihr waren. Nein das war es nicht. Spikes Verhalten machte sie zu einem Fremdkörper hier. Wahrscheinlich wünschte er, mit Lilah hier zu sein. Er hatte sie immer noch nicht vergessen.

Eigentlich sprach das für seine Treue. Lilah war nun über acht Monate tot, und er konnte sie immer noch nicht vergessen. Und dieses Land hier war Lilahs Land. Andromeda war ihre geliebte Nichte, Andromeda hatte viel von Lilah erzählt und dass sie fast wie Schwestern gewesen waren. Jeder hier hatte Lilah gekannt, und jeder hier hatte freudig den kleinen Gwydion begrüßt. Sie hatten natürlich auch Morgan freudig begrüßt, aber eine winzige Nuance der Freude fehlte. Morgan war eben nicht Lilahs Tochter:

Buffy war überaus froh, dass Spike seine Tochter genauso liebte wie seinen Sohn, obwohl dieser Sohn von Lilah war und die Tochter nur von ihr, Buffy...

Ach Quatsch alles! Buffy schob diese deprimierenden Gedanken beiseite, um sich voll auf ihre erste Reitstunde zu konzentrieren und öffnete entschlossen und zu allem bereit die Tür zu den Stallungen.

Woraufhin ein weißer, gehörnter Dämon auf sie zustürmte, sie mit wütenden Augen anfunkelte und Anstalten machte, sie niederzutrampeln und danach aufzuspießen.

Oder in umgekehrter Reihenfolge: Sie aufzuspießen und danach erst niederzutrampeln...

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

KAPITEL IV Teil 4

 

Der weiße, gehörnte Dämon mit den wütenden blutunterlaufenen Augen entpuppte sich beim Näherstürmen als ein weißer Ziegenbock mit Hörnern und mit wütenden Augen, aber das machte ihn nicht gerade sympathischer.

Buffy sprang flink zur Seite, um dem Angriff zu entgehen, und der Bock rannte geradeaus ins Leere. Allerdings war er durch die geöffnete Tür nach draußen gelangt und tobte dort herum und stürmte auf die Hühner zu, die laut gackernd vor ihm aufflogen. Es herrschte ein ziemliches Chaos im Hof.

„Was zum Teufel war das?“ fragte Buffy erstaunt Andromeda, die ihr eilig entgegenkam.

„Er ist mir ausgerissen, dieser verfluchte Kalybos“, entschuldigte sich Andromeda mit verzweifeltem Gesichtsausdruck bei Buffy. „Ich dachte, er schläft, und dann ist er an mir vorbeigaloppiert.“

„Dann war das also eben Bockalarm“, sagte Buffy und musste lachen. „Im Gegenteil zum Zickenalarm....“

Andromeda musste auch lachen. „Dieses weiße Miststück hält sich für den Herrscher der Welt. Und er hätte dir bestimmt nichts getan, er liebt Frauen. Er mag nur keine Männer.“

„Der hat Geschmack, dieser geile Bock!“ Buffy konnte sich gar nicht beruhigen. Es war so herrlich, mal wieder begehrt zu werden und sei es auch nur von einem Ziegenbock.

„Er versteht sich auch nicht mit Alfonso. Alfonso ist ja schließlich auch so ’ne Art Mann“, sagte Andromeda, „wenn auch nur ein kleiner...“ Andromeda musste nun auch lachen, als sie Buffys amüsierten Gesichtsausdruck sah.

„Oh jaa Männer!“, sagte Buffy verachtungsvoll und musste sich das Lachen verbeißen. „Dieser weiße Blitz, wie heißt er noch mal...“

„Kalybos.“

„Kalybos. Der hält uns bestimmt für seinen Harem. Das ist ja irre!“

Kalybos hatte seinen Namen aus dem Munde einer Frau ausgesprochen gehört und trottete jetzt elegant wieder in den Stall hinein, er positioniert sich vor Buffy und stupste mit seiner langen Ziegenschnauze in ihren Bauch. In ihren unteren Bauch.

„Was für ein Ferkel“, sagte Buffy und schob Kalybos ein wenig von sich weg.

Kalybos starrte sie wie verzaubert aus seinen braunen Augen an. Irgendwie erinnerten sie diese Augen an Angels Augen, die waren auch so tierhaft braun...

„Da hast du jetzt einen Freund fürs Leben“, meinte Andromeda lächelnd. „Muss ich etwa eifersüchtig sein.“

„Um Gottes Willen nein“, sagte Buffy beschwichtigend. „Du kannst diesen Verehrer ruhig behalten.“ Und nach einer kurzen Pause sagte sie entschlossen: „Ich will jetzt verdammt noch mal das Reiten lernen.“

„Ist was passiert?“ fragte eine besorgte angenehme Stimme. Es war Max, der Verwalter des Gutes, der gerade von der Brauerei zurückgekommen war, wo er die Bierprobanten abgeliefert hatte.

„Es ist alles in Ordnung, Max“, sagte Andromeda zu dem gutaussehenden dunkelhaarigen Mann, der wohl an die Dreißig war, wie Buffy schätzte und der sie mit keinem Blick angeschaut hatte. Seine Blicke waren einzig und allein auf Andromeda gerichtet.

Er ist in Andy verknallt, sagte sich Buffy überrascht. Es konnte nicht anders sein. Wenn Männer eine Frau überhaupt nicht beachteten, konnte das zwar auch bedeuten, dass sie in diese Frau verknallt waren – manche Männer hatten eben Angst, ihre Gefühle zur Schau zu stellen – aber da er sie, Buffy, kaum kannte, hielt sie es für unwahrscheinlich, dass er in sie verknallt war. War schon seltsam, dass ein Mann überhaupt nicht auf sie reagierte... War sie alt geworden? Nein, es musste Andromeda sein, in die er verknallt war. Wirklich seltsam, ein Mann an die dreißig und in die Stieftochter seiner Cousine verliebt – das mit der Cousine hatte Andy ihr erzählt. Max war eindeutig zu alt für Andromeda, obwohl sie objektiv gesehen ein schönes Paar abgeben würden. Aber hier in den Staaten wäre so eine Verbindung absolut unrealistisch, die Teenies blieben unter sich, und sogar in der high school waren Verhältnisse zwischen Verschiedenaltrigen verpönt. Das hatte zur Folge, dass die Mädels sich immer mit gleichaltrigen, auf jeden Fall ein wenig unreifen Jungs abgeben mussten...

Lieber Himmel, dachte Buffy bestürzt, war sie dann nicht auch zu jung für Spike? Und für Angel war sie auf jeden Fall immer zu jung gewesen.

Allerdings machte Andromeda nicht den Eindruck, als sähe sie etwas Besonderes in ihrem Onkel Max.

Aber das hatte Buffy schließlich nicht zu interessieren.

„Wenn Max Kalybos einsperrt, dann können wir vielleicht mit der Reitstunde anfangen.“ Andromeda zwinkerte Buffy zu, die feststellte, dass Andromeda es gewohnt war, dass Onkel Max alles für sie tun würde, sich aber dessen nicht bewusst war und sie sich auch keinerlei Gedanken darüber machte, warum Onkel Max das alles für sie tat.

Aber auch das hatte Buffy schließlich nicht zu interessieren. Sie wollte das Reiten lernen und zwar so schnell wie möglich.

Aber so schnell ging es anscheinend nicht mit dem Reiten.

Andromeda führte sie in eine Pferdebox, in der ein nicht sehr großes Pferd stand. Von weitem gesehen jedenfalls.

„Das ist dein Pferd“, sagte Andromeda aufmunternd zu Buffy.

„Er sieht ein bisschen klein aus“, meinte Buffy.

„Wir gehen jetzt erst mal ganz vorsichtig in die Box. Sag irgendwas zu ihm, damit er sich nicht erschreckt. Er heißt Conny. Normalerweise geht man immer von der linken Seite an die Pferde heran, das sind sie gewohnt.“

„Hallo Conny“, sagte Buffy zaghaft, woraufhin Conny seinen Kopf nach hinten drehte und abcheckte, wer da wohl seine Ruhe stören würde.

„Du darfst nie ohne Vorwarnung von hinten einem Pferd zu nahe kommen“ Buffy hörte Andromedas Ermahnung, und sie trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite, von Conny weg und an den Rand der Box.

„Und auch keine heftigen Bewegungen machen. Pferde sind Fluchttiere. Sie erschrecken sich leicht.“

Buffy verlangsamte ihre Bewegungen und ihren Herzschlag, um ja nicht dieses kleine Wesen, äääh Pferdchen zu erschrecken, das ihr Gewicht wahrscheinlich gar nicht tragen konnte.

„Geh ganz langsam an ihn heran. Von der Seite, so dass er dich sieht. Und dann sprich mit ihm.“

Buffy tat, wie Andromeda ihr geheißen hatte, näherte sich dem Pferdchen, das jetzt auf einmal gar nicht mehr so klein aussah, von der Seite, so dass das Pferdchen sie voll ansehen konnte und stammelte die Worte: „Hallo, Conny, du bist ja echt ein Süßer.“

Conny wandte ihr rehbraune, nein pferdebraune Augen zu und stupste sie leicht mit seinem Kopf an, woraufhin Buffy sich am Rand der Pferdebox wiederfand.

„Er ist ein Lieber“, sagte Andromeda.

„Findest du?“ sagte Buffy zweifelnd.

„Er ist wirklich lieb, und er bläht sich nicht auf wie andere Pferde.“

„Häääh? Bläht sich nicht auf?“ sagte Buffy, der nun schwante , dass das Reitenlernen vielleicht doch nicht so einfach werden würde, wie sie es sich gedacht hatte.

„Wenn man sie sattelt, holen die meisten Pferde noch einmal richtig tief Luft und haben dann einen richtig dicken Bauch“, erklärte Andromeda ihr geduldig, „aber das hält nicht lange vor... Irgendwann wird der Bauch wieder dünner, der Sattel lockert sich, und der Reiter hängt mit seinem Kopf nach unten zwischen den Beinen des Pferdes....“

„Das, äääh....“ Buffy musste lachen, „stelle ich mir sehr lustig vor...“

„Klar. Wenn Bill das sehen würde, fände er es bestimmt auch sehr lustig“, wandte Andromeda ein. Sie wusste schon, wie man Buffys Ehrgeiz kitzeln konnte, denn Buffy machte irgendwie einen verliebten Eindruck in Bill. Na ja, sie war die Mutter seiner Tochter und sein Kindermädchen. Oder war sie mehr?

Andromeda spürte etwas zwischen den beiden, was die beiden vielleicht selber gar nicht spürten, aber es war da... Unzweifelhaft.

„Gut, zieh den Sattelgurt nach. Sicher ist sicher!“

Buffy machte sich zaghaft daran, den Bauch des auf einmal gar nicht mehr so kleinen Pferdchens mit dem Sattelgut abzuschnüren, bis es wahrscheinlich an Luftmangel krepieren würde.

Aber anscheinend störte der enge Sattelgurt Conny nicht besonders.

„Die Trense habe ich schon angelegt“, sagte Andromeda. „ Nimm jetzt die beiden losen Enden“, sie deutete auf die Lederbänder, „und dirigier ihn vorsichtig nach hinten aus der Box. Und sprich mit ihm.“

„Äääch, du süßer kleiner Conny, du wirst doch nicht deinen Bauch aufblähen“ stammelte Buffy, während sie vorsichtig versuchte, Conny zum Zurückgehen zu bewegen.

Conny war aber wirklich ein liebes Tier und ging einfach rückwärts mit.

„Lieb, lieb,“ flüsterte Buffy. „So jetzt um die Kurve, rückwärts natürlich, und schon stehen wir startbereit.“

„Du bist gut“, sagte Andromeda.

„Du willst mich wohl veräppeln. Ich mach mir fast in die Hose“, sagte Buffy. Diese Buffy, die es schon mit den widerlichsten gefährlichsten Dämonen aufgenommen hatte, von den Vampiren ganz zu schweigen.

Mittlerweile waren sie in der Reithalle angelangt.

„Stehenbleiben“, sagte Andy leise.

Alle drei standen still. Vor allem Buffy, die fühlte, jetzt würde es ernst werden.

„Kommst du alleine rauf?“ fragte Andy.

„Ich weiß nicht. Wie macht man’s denn?“

„Setz deinen linken Fuß in den Steigbügel.“

Buffy tat, wie geheißen.

„Jetzt schwing dein rechtes Bein über den Pferdehintern. Ja, du musste wirklich ein bisschen Schwung haben, sonst kriegst du deine Kiste“, Andromeda lachte, „nicht hoch.“

Buffy kriegte zu ihrem eigenen Erstaunen ihre Kiste hoch, und sie fand sich auf einmal sitzend auf einem Pferd wieder. Das war wirklich irre.

„Findest du den rechten Steigbügel?“ fragte Andromeda.

„Hab ihn“, sagte Buffy. Das war wirklich nicht schwer. Sie saß auf einem Pferd. Und hatte beide Füße in den Steigbügeln...

Und es war verdammt hoch. Buffy hatte das Gefühl, im zweiten Stock eines Hauses im Freien zu sitzen.

Obwohl sie doch nur auf einem Winzling von Pferd saß.

„Conny ist ein sogenanntes Doppelpony“, erklärte Andromeda.

Ein Doppelpony. Conny ein Doppelpony?

„Dann ist es doppelt so groß wie ein Pony?“ fragte Buffy zaghaft. Sie meinte, dass ein einfaches Ponypony vollkommen ausgereicht hätte bei ihrer ersten Reitstunde.

„Jetzt nimm die Zügel in die Hände. Es ist natürlich größer als ein Pony, aber nicht doppelt so groß“, sagte Andromeda, die angefangen hatte, das Pferd am Halfter zu führen, so dass es langsam vorwärts ging.

„Aber nicht so groß wie ein richtiges Pferd“, plapperte Buffy, die es gar nicht so unangenehm fand, auf einem Pferd... äääh Doppelpony zu sitzen, das sich dazu auch noch bewegte. Wahnsinn! Und wie sie ihre Beine spreizen musste....

„Ein Pferd ist natürlich noch viel größer“, sagte Andromeda lächelnd. „Da hat man manchmal das Gefühl, auf einem dicken Fass zu sitzen.“

„Auweia“, sagte Buffy.

„Versuch jetzt, abwechselnd deine Beine auf seine Flanken einwirken zu lassen. Du musst seinen Rhythmus finden. Lass deine Beine einfach mal locker baumeln, dann wirst du merken, dass sie immer abwechselnd auf seine Flanken drücken. Diesen Druck musst du ein bisschen verstärken. Dann läuft Conny weiter.“

Buffy versuchte es und war erstaunt, wie leicht es ging.

Bis sie dann einen gehörigen Schreck bekam. Als sie merkte, dass Andromeda Conny nicht mehr führte, sondern dass sie ganz allein mit dem Doppelpony daherschritt.

„Einfach gesagt, ist es wie Autofahren. Allerdings mit einem durchgeknallten sensiblen Auto, wo die Bremse manchmal nicht funktioniert und die Gänge kaputt sind.“ Andromeda hatte einigermaßen Ahnung von Autos, wenn auch nicht so viel wie von Pferden, denn Max besaß einen Lister-Jaguar aus den 60er Jahren, an dem er an den Wochenenden herumschraubte, und Andromeda durfte ihm manchmal gewisse Werkzeuge anreichen....

„Und wie leg ich jetzt den zweiten Gang ein?“ fragte Buffy, mutiger geworden durch die bisher recht problemlose Reiterei.

„Der... äääh zweite Gang“, sagte Andromeda warnend, „ist der schwierigste. Hör erst mal zu. Hast du die Zügel in der Hand?“

Buffy bejahte das.

„Nicht dran reißen. Nicht durchhängen lassen, aber auch nicht zu hart anziehen. Dein Hintern muss ihn jetzt vorwärts treiben.“

„Mein Hintern? Wie das?“

„Du musst ihn vorwärtstreiben, und das geht nur durch dein Eigengewicht und nur durch deinen Hintern.“

„Ooh, ich merke wie er schneller wird“, sagte Buffy, und das war nicht gelogen, man konnte sein Gewicht in die Waagschale legen, und das Doppelpony wurde dadurch tatsächlich schneller.

„Man nennt das Heranreiten“, sagte Andromeda. „Man muss da sehr behutsam vorgehen. Die meisten Männer können es nicht. Haben eine zu harte Hand.“

„Aber Sp... äääh Bill kann es?“

„Bill kann es“, bestätigte Andromeda und wurde ein wenig rot, aber da sie hinter Buffy und Conny herging, sah es niemand. „Bill reitet anders als die meisten Männer. Manchmal denke ich, er reitet wie jemand aus einer vergangenen Zeit. Wie ein Edelmann....“

„Oh. Ja wirklich?“ sagte Buffy ungläubig, denn sie hatte die leisen Worte gehört.

„Weiter: Wenn du jetzt gleichzeitig mit beiden Beinen auf seine Flanken klopfst, dann wird er in einen Trab fallen“, sagte Andromeda. „Aber pass auf, du musst dich schon mit den Oberschenkeln an ihm fest pressen, sonst fällst du runter. Trab ist ... jaaa ziemlich rappelig.“

Buffy versuchte es trotzdem. Nachdem ihre Schenkel Conny fest umschlossen hatte, versuchte sie ein zaghaftes gleichzeitiges Klopfen mit den Unterschenkel, und siehe da, Conny fiel kurzfristig in einen rappeligen Trab, und Buffy war froh, dass ihre Oberschenkel so fest an Conny Körper anlagen, dass sie nicht hinunterfallen konnte.

„Kommst du klar?“ Andromedas Stimme drang durch Buffys Konzentration hindurch. „Wenn du weitertraben willst, musst du ihn immer wieder dazu antreiben. Nicht zu feste. Und denk an die Trense. Nicht zu straff. Nicht zu locker. Und denk an deinen Hintern. Und nicht runterfallen!“

„Hey, das ist einfach zu viel, um an alles zu denken.“ Buffy hörte auf, das Doppelpony mit ihrem Hintern anzutreiben, denn es war ein mörderisches Getrappel, man wurde so durchgerüttelt von diesem Getrappel, dass einem das Kreuz wehtat. Sie hörte mit ihren anderen Bemühungen auch auf, und das Doppelpony fiel wieder in den Schritt.

„Galoppieren ist übrigens einfacher“, meinte Andromeda ermutigend. „Du legst ein Bein nach hinten, das andere Bein bleibt in der Mitte und du klopfst ...ja du klopfst auf den Hintern des Pferdes. Damit kann man bestimmen, je nachdem, mit welchen Bein man hinten anklopft, ob es in den Links- oder in den Rechtsgalopp fallen soll.

„Wenn der Postmann zweimal anklopft...“ sagte Buffy verzweifelt und überlegte, ob sie nicht schon zu alt wäre, das Reiten zu erlernen. Das hörte sich alles so wahnsinnig kompliziert an. Das Klopfen links hinten oder in der Mitte oder sonst wo. Abgesehen vom Hintern...

Aber sie würde es lernen. Koste es was es wolle!

 

© Ingrid Grote 2004   Fortsetzung HIER

 

Alle Romane befinden sich auf:   LONGSTORIES>>>

 

und der Rest dort:  SHORTSTORIES>>>  bEST of bLOG>>>