Das Licht am Ende der Fahnenstange

 

KAPITEL V Teil 1

 

Nachdem Spike am Tage nach der Bierprobe wieder zum Leben erwacht war, sah er Buffy beim Reitenlernen zu. Er hatte Gwydion im Kinderwagen dabei und Morgan an der Hand, was sich natürlich schwierig gestaltete, weil sie immer weglaufen wollte. Zu den Ferkeln, zu dem weißen Blitz mit den grausigen Augen und zu Max.

Spike überlegte, ob er sich so ein Geschirr zulegen sollte, wie kleine Hunde es manchmal trugen, so dass sie nicht weglaufen konnte.

Um sie zu besänftigen, hielt er sie so hoch, dass sie über die Bande in die Reithalle schauen konnte, wo Buffy ganz alleine, man sehe und staune, mit ihrem kleinen Doppelpony übte.

Conny war natürlich stärker als sie, auch Jägerinnen müssen einsehen, dass ihre Kräfte natürliche Grenzen haben und dass jedes Pferd, nein sogar jedes Doppelpony stärker ist als eine Jägerin, zumal wenn man auf ihm sitzt und ihm somit vollständig ausgeliefert ist.

„Nimm deinen Hintern“, rief Spike ihr zu. Er rief das natürlich ziemlich leise, um das Pony Conny nicht zu irritieren.

„Scheiße“ zischte Buffy, die sich nicht wohl dabei fühlte, wenn er sie beobachtete.

„Treib ihn mit deinem Hintern voran“, wiederholte Spike seine Aufforderung. Er hob Morgan auf seine Schultern, damit sie Mommy besser zugucken konnte.

„Hinnern vor!“ sagte Morgan energisch. Buffys Tochter Morgan war wirklich ein Naturtalent im Reiten, wie es schien.

„Hörst du, sogar Morgan kann es. Du willst auch reiten, Fee?“ sagte Spike anerkennend zu seinem kleinen Mädchen.

„Mommy. Hinnern vor“, sagte die Fee.

„Hast du das gehört?“ rief Spike Buffy zu. „Morgan hat es kapiert. Wenn sie noch ein etwas kleineres Pferd hätten, würde ich Morgan drauf setzen...“ Spike musste sich das Lachen verkneifen, er genoss er richtig, Buffy zu verunsichern.

„Ich glaube, hier stinkt es nach Bier“, sagte Buffy giftig. „Und so klein ist Conny gar nicht“, zischte sie in sich hinein, konzentrierte sich auf Andromedas Ermahnungen und versuchte, einfach diesen lästigen Ehemann und ihre gemeinsame lästige Tochter zu ignorieren. Was aber gar nicht so einfach war.

„Frauen sollen angeblich mehr Gefühl im Hintern als Männer haben“. Spike konnte einfach nicht aufhören, sie zu veräppeln.

„Willst du damit behaupten, du hättest kein Gefühl im Hintern?“ Buffy versuchte, das Pferdchen zum Traben zu bringen und klopfte sanft mit beiden Unterschenkeln an seine Flanken. Und tatsächlich, es fiel in einen leichten Trab. Jetzt nicht nachlassen. Beine fest angeklammert, damit man von dem Geholper nicht runterfiel, aber nicht nachlassen, mit dem Hintern das Pferdchen vorwärts zu schieben. Und in Richtung Trense, damit es kürzer wurde und diesen erhabenen Gang bekam.

Das war alles ein bisschen viel auf einmal.

Aber oh Gott, es klappte, sie hatte es kapiert, und sie musste auch nicht mehr darüber nachdenken, über diesen ganzen verdammten Ablauf. Anscheinend kapierten die Pferde es ja auch, und sie war ja wohl nicht blöder als ein Pferd...

„Weiß nicht“, beantwortetet Spike gerade ihre Frage nach Gefühl in seinem Hintern. „Was meinst du denn? Du müsstest es doch wissen.“ Irgendwie schaute er hinterhältig fies dabei.

Woraufhin sie mit dem Trab ins Stocken kam, denn natürlich konnte sie nicht zugeben, dass Spike durchaus Gefühl im Hintern besaß, auch bei anderen Sachen...

Also wieder Schritt. Aber das war zu langweilig. Sie versuchte, Conny ein wenig schneller gehen zu lassen und probierte dann, mit ihrem Fuß hinten an seine linke Seite anzuklopfen und mit dem anderen Bein in der Mitte bleiben. Und tatsächlich rumpelte sich Conny in einen bequemen Galopp hinein. Das war ja wirklich... Klasse!

„Du bist echt gut“. Spikes Stimme klang nun bewundernd.

Sie war echt gut... Hahaha....Das war gerade mal ihre zweite Übungsstunde und das alles ohne Lehrerin, nur untermalt von den sarkastischen widerlichen Kommentaren ihres Ehemanns – also dafür ritt sie einfach göttlich!

Nur wie kriegte man das Doppelpony zum Stehen? Am besten gar nichts mehr machen. Am besten mit dem Hintern gar nichts mehr antreiben.

Am besten Spike zum Teufel jagen.

 

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Kurz nach Mittag, als die Kinder ihr Mittagsschläfchen hielten, machten sich Andromeda und Spike zu einem Ausflug zu Pferde auf. Spike wollte das Haus sehen, in dem Lilah als Kind gelebt hatte.

Buffy sah den beiden Reitern nach, als sie langsam im Schritt den Hof verließen.

Sie hatte eigentlich mitreiten wollen, war aber von den beiden abgewiesen worden, weil ihre Reitkünste noch zu unterentwickelt wären (genau dieser Wortlaut), und sie vermutete, dass man sie nicht dabei haben wollte.. Aber das Hierbleiben hatte auch seine Vorteile, denn sie wollte die Gelegenheit nutzen, um in der Bibliothek ein bisschen in den Büchern herumzustöbern. Da gab es soviel Interessantes, und man würde Jahre brauchen, um alles zu lesen. Dieser Stendhal, den Archibald den Schwätzer nannte, war allerdings wirklich ungenießbar. Wie der Name schon sagte.

Andromeda ritt einen kräftigen Braunen und Spike einen noch kräftigeren Apfelschimmel, namens Greyhound, wie Buffy wusste. Spike sah wirklich umwerfend auf diesem Pferd aus, auf diesem fast weißem Pferd...

Buffy seufzte auf.

Archibald kam ein paar Minuten später auch in die Bibliothek und bot ihr an, zu hoch gelagerte Bücher für sie herunterzuholen. Außerdem empfahl er ihr einiges zum Lesen.

Archibald war ein richtiger Gentleman. Im Gegensatz zu Spike.

 

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Auch Max, Cousin von Zirza und Verwalter des Gutes, sah den beiden Reitern nach. Er fühlte sich ausgeschlossen von Andromeda.

Andromeda war immer sein Mädchen gewesen. Mit Betonung auf ‚Mädchen‘ und nicht auf ‚sein‘. Schon als kleines Kind hatte er sie beschützt. Und auch die heranwachsende Andromeda hatte er vergöttert.

Die Frau, die Andromeda einmal werden würde, musste er demnach über alles lieben.

Aber das konnte nicht sein. Denn es gab keinerlei Hoffnung für seine Liebe. Er musste sich damit bescheiden, auf sie aufzupassen und sie zu beschützen.

Sie war in diesen Bill verliebt, und es schien etwas Ernstes zu sein, zum erstenmal überhaupt. Und es war anders als mit den jungen Burschen, mit denen sie in ihrem Zimmer vielleicht... Aber das ging ihn nichts an. Seltsamerweise hatte er nichts gegen Bill, und wenn Andys Verliebtheit in ihn nicht gewesen wäre, hätte er sich gerne mit ihm angefreundet. Außerdem mochte er Bills Musik. Und was Bill manchmal auf seiner Gitarre spielte, hörte sich auch recht vielversprechend an....

Und außerdem war er, Max, nur wie ein älterer Bruder für sie. Und auch, wenn sich dieses eines Tages ändern würde, so gab es keine Chance für ihn, denn diese Chance hatte er selber vor langer Zeit zunichte gemacht. Max starrte vor sich hin.

Hoffentlich wird sie nicht verletzt, dachte er. Sie schien ja total in diesen Mann verliebt zu sein, und dieser Mann hatte es noch nicht einmal gemerkt. Oder doch? Außerdem war der Kerl viel zu alt für Andromeda. Dann fiel es Max siedendheiß ein, dass er selber genauso alt wie Bill Castaway war. Wieder ein Grund mehr, alle Wünsche und Träume fahren zu lassen. Es hatte keinen Sinn, Er musste sich damit begnügen, sie heimlich zu beschützen.

Es gab keine Hoffnung.

 

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Andromeda und Spike kamen früher als erwartet zurück. Spike war auf dem Hinweg sehr nachdenklich gewesen. Er war nicht nachdenklich, weil er endlich Lilahs Haus sehen würde, sondern weil er in der Nacht wieder diesen seltsamen Schwarz-Weiß-Traum geträumt hatte. Nur hatte sich das Schwarz jetzt in ein dunkles Blau verwandelt und das Weiß in ein helles Hellblau – die Farben waren diffus. Alles andere war geblieben, die Aufteilung in ein oberes dunkles Rechteck mit einem hellblauen Kreis in der linken Mitte und in ein unteres helles Rechteck mit einem dunklen Kreis in der rechten Mitte. Für einen Traum war es zu statisch und zu unbeweglich, und Spike meinte, eine Grafik zu betrachten. Eine Grafik, die ihm irgend etwas sagen wollte und ein wenig bedrohlich in ihrer Schlichtheit aussah. Außerdem strahlte sie eine gewisse Kälte aus, was aber seltsamerweise nicht bedrohlich aussah.

Sie hatten sich nicht lange dort aufgehalten, wo Lilah als Kind und später gelebt hatte. Spike hatte das Haus gesehen. Es war ein schönes Haus, ein langgestrecktes Steinhaus, natürlich nicht so groß wie das Herrenhaus von Campe, aber ordentlich groß mit einer Holzveranda um seine Taille, und hinter dem Haus befand sich eine große Wiese mit vielen Obstbäumen.

Außerdem machte keiner auf, als sie an der Haustür klingelten.

Spike spürte in sich einen Verlust, den er gar nicht richtig beschreiben konnte. Dann begriff er: Sie entglitt ihm. Es hatte keinen Sinn, die Stätten aufzusuchen, an denen sie gelebt hatte. Das zählte nicht. Er hatte sie nie hier erlebt, alles was er hier vorgefunden hatte, waren die Erzählungen von Andromeda und den anderen. Aber er hatte seine eigenen Erinnerungen. Und nur die zählten.

„Wir sind früher immer mit Lilahs Käfer in der Gegend herumgefahren“, erzählte ihm Andromeda, als sie im Schritt Richtung Campodia ritten.

„Einen Käfer hatte sie?“ Spike war verwundert, er hatte Lilah nur mit ihrem Porsche gekannt, und ein Käfer schien gar nicht zu ihr zu passen.

„Sie hat mich in richtig vornehme Restaurants mitgenommen“, erzählte Andy munter weiter. „Und sie war diejenige, die mir das Essen mit Besteck beigebracht hat. Weißt du, so richtig von außen nach innen... Oder war’s umgekehrt?“

Von Spike kam keine Resonanz, er dachte immer noch nach. Es stimmte, sie entglitt ihm. Vielleicht waren sie nicht lange genug zusammengewesen, diese vierzehn Monate waren nicht sehr viel an Zeit gewesen. Oder ging es jedem Übriggebliebenen so – denn so fühlte er sich, übrig geblieben und allein gelassen. Fühlte jeder Alleingelassene, dass nach einer gewissen Zeit die Trauer verschwand und der Schmerz auch? Vielleicht war das eine natürliche Reaktion, ein Schutz, um nicht auf Dauer in Trauer und Frust zu versacken.

Aber er wollte sie nicht vergessen.

Und er würde sie nie vergessen, auch wenn er jetzt neu anfangen musste, zu leben.

Er hatte die Kinder. Er hatte seine Tochter kennengelernt.

Er war mit Buffy verheiratet.

Vielleicht war es an der Zeit, ein wenig freundlicher zu ihr zu sein.

Andromeda plapperte unterdes weiter, als ob sie gar nicht merken würde, wie schweigsam Bill war. Sie hatte anscheinend andere Sorgen.

„Heute hab ich einem Schulkameraden, Quatsch, Kamerad ist das falsche Wort, eins auf die Nase gegeben. Er hat einen kleineren Jungen gequält.“

„Find ich gut, Kitten“, sagte Spike anerkennend.

„Och, ich weiß nicht“, sagte Andromeda zweifelnd. „Dad findet das bestimmt nicht gut. Ich hab ihm nämlich das Nasenbein gebrochen. Und er will mich, oder besser gesagt Dad verklagen.“

„Whoow, nicht schlecht“, sagte Spike. „Sag mal Kitten, hast du in letzter Zeit das Gefühl gehabt, stärker geworden zu sein?“

„Kann sein.“ Andromeda überlegte. Es gefiel ihr sehr gut, dass Bill sie Kitten nannte. Das hieß, er beschäftigte sich mit ihr. „Stimmt, manchmal zerbreche ich Sachen, ohne dass ich es will.“

„Und wie lange schon? Ich meine, wann hast du zum erstenmal gemerkt, dass du... Sachen zerbrichst?“

„Weiß nicht. Seit zwei Jahren. Oder noch länger.“ Andromeda verlor das Interesse an diesem Thema und wandte ihre Gedanken wieder ihrem Vater zu, genauer gesagt der Reaktion ihres Vater auf eine Schadensersatzklage. Das war nicht das erste Mal. Andy war so eine Art Rächerin der Enterbten, der Witwen und Waisen und vor allem der unterprivilegierten Schulkameraden, der Freaks, die nicht in Mode waren, die kein Geld hatten, um sich Markenklamotten zu kaufen, die in der Schule lernten statt anzugeben. Und so weiter und sofort. Und vielleicht war Dad ja auch stolz auf sie. Das hoffte sie jedenfalls. Ihr Dad war in gewissen Dingen nicht so wie andere Dads.

Sie erreichten Campodia beide sehr schweigsam. Es war früher Nachmittag

Spike hatte etwas anderes erwartet und nicht das gefunden, was er erwartet hatte. Aber statt dessen hatte er etwas ganz anderes gefunden. Falls er sich nicht täuschte.

Nachdem sie die Tiere abgesattelt hatten, ihre Rücken mit Stroh abgerieben hatten, äußerte Spike den Wunsch, vielleicht noch ein bisschen in der Gegend herumzulaufen, mit den Kindern, mit Buffy und mit Andromeda.

„Klar“, meinte Andromeda, und sie zogen los, um Buffy und die Kinder zu suchen.

Die Kinder fanden sie auf der Wiese hinterm Haus, Morgan im Sandkasten, Gwydion in seinem leichten Kinderwagen, und Tante Mansell passte auf beide auf.

Buffy fanden sie in der Bibliothek, wo sie sich an einem Werk festgelesen hatte, das von einem gewissen Umberto Eco stammte und das ‚Das Foucaultsche Pendel’ hieß.

„Ganz nett“, meinte Spike. „Okkultismus und so ....Aber du wirst feststellen, dass am Ende nichts außer heißer Luft gewesen ist. Aber interessante heiße Luft. Komm Leseratte, lass uns lieber ein wenig in die Gegend gehen.“

„Wohin willst du denn“ fragte Buffy neugierig, sie hatte den dicken Wälzer zur Seite gelegt und meinte, eine Veränderung an Spike zu spüren. Anscheinend war er lockerer als sonst.

„Andy hat gesagt, es gäbe da einen fabelhaften Waldweg nach Shothouse“, sagte Spike munter. „Also, kommst du?“

„Klar.“ sagte Buffy.

Spike outete sich sofort als Nichteingeborener, als er am Ortsausgang von Campodia ein Weiblein, eins dieser blassen Exemplare, das ihn anscheinend nicht kannte, fragte, ob es auch einen anderen Weg nach Shothouse außer der Hauptstraße, geben würde.

„Einen anderen Weg?“ fragte das Weiblein entsetzt und guckte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Da werden sie doch nicht hergehen wollen!“ Kopfschüttelnd und vor sich hin murmelnd ging das Weiblein weiter.

„Was zum Teufel ist los mit diesem Weg, Kitten?“ fragte Spike Andromeda.

„Die spinnen hier, die alten Weiber“, sagte Andromeda. „Die finden, der Wald ist unheimlich, und die Straße ist sicher. Ist doch Quatsch. Hier gibt es nichts außer... vielleicht Wildschweinen.“ Andromeda schüttelte sich ein wenig, denn eigentlich hatte sie eine panische Angst vor Wildschweinen, eine Angst, die sie aber nie zugeben würde.

„Wildschweine?“ fragte Buffy nicht gerade begeistert.

Der fabelhafte Waldweg entpuppte sich als ein, im Gegensatz zur Straße nicht asphaltierter Weg, der parallel zur Straße verlief. Man konnte zwar die Straße nicht sehen, aber Spike hatte das Gefühl, dass sie nicht weit wäre.

Sie schlenderten langsam den ausgetrockneten Waldweg entlang. Er war wirklich idyllisch. Der Wald an der Ostseite von Campodia, und das war der einzige Wald Campodias, bestand aus Fichten und Kiefern. Ein richtiger Märchenwald. Spike hatte zwar noch nie eine Fichte von einer Tanne unterscheiden können, so wie er keinen Ahorn von einer Platane unterscheiden konnte, aber hierbei war er sich sicher. Das waren Fichten. Für Tannen wäre das Klima zu trocken und rau gewesen, und Kiefern wuchsen auch unter den bescheidensten Ansprüchen, ähnlich wie Birken, von denen es auch ein paar gab. Teilweise sah man dichtes Unterholz, teilweise sah man heideartige Flecken mit Sträuchern, die noch Himbeeren trugen, teilweise gab es auch Flecken mit Blaubeeren. Aber alles in allem schien es ein spartanisches Land zu sein. Und wenn hier nicht soviel Wald gewesen wäre, dann hätte man die hohen Berge hinter dem Wald sehen können.

Sie wanderten schweigend dahin. Sogar Morgan war sehr ruhig für ihre Verhältnisse. Sie untersuchte gerade einen großen Ameisenhaufen, und Spike überlegte, ob das gefährlich werden könnte. Er dachte an ‚Marabunta’, den Ruf, den die Eingeboren in Südamerika ausstießen, wenn sich die wilden Kriegsameisen auf ihren zerstörerischen Weg machten und ganze Landstriche kahl zurückließen. Diese Ameisenvölker schleiften ihre Königin immer mit sich herum und fraßen alles, auch größere Tiere, was sie auf ihrem Wege fanden... Grässlicher Gedanke, fand Spike und scheuchte diesen Gedanken weg. Aber diese Ameisen schienen relativ harmlose rote Waldameisen zu sein. Allerdings sollte man sich nicht in so einen Ameisenhaufen setzen...

„Uuuii schaut mal!“ Alle wurden von Buffys Stimme aufgeschreckt. „Da sind Hasen!!! Richtige Hasen!!! Und so große!!!“

Spike und Andromeda blickten vorwärts, konnten aber beim besten Willen keine Hasen sehen, sondern nur ein paar zierliche Rehe. Vielleicht war Rehe nicht das richtige Wort, vielleicht war es Damwild oder Rotwild, aber Hasen waren es mit Sicherheit nicht.

„Brauchst du ’ne Brille?“ fragte Spike

„Aber das sind doch Hasen“, Buffy verharrte stur auf ihrer Meinung.

„Du brauchst wirklich ’ne Brille, Buffy.“

„Und was soll das sonst sein?“ fragte Buffy unsicher geworden.

„Kennst du die berühmten Hirschhasen? Die wachsen nur in der Gegend von Campodia. Und nur ein Mädel namens Buffy kann sie sehen.“ Spike amüsierte sich köstlich. Buffy war einmalig. Eine Jägerin, die ein Reh nicht von einem Hasen unterscheiden konnte.

Buffy schwieg ein wenig verlegen.

Die zwei Meilen nach Shothouse zogen sich ganz schön hin. Buffy rangierte mit Gwydions leichtem Kinderwagen auf dem holprigen ausgetrockneten Waldweg herum, und Spike trug schließlich Morgan, denn die Kleine konnte noch nicht so weit laufen.

„Ich glaube, wir sind da“, sagte Andromeda nach einer Stunde schließlich. „Da ist es!“

„Da ist was!?“ fragten Buffy und Spike wie aus einem Munde, denn sie sahen... nichts.

Oder doch, bei genauerem Hinsehen, allerdings nur von Spike, (für Buffys Hinsehen wollen wir keine Garantien geben), sah er doch tatsächlich eine Ansammlung von vier (VIER??) Häusern, und auch bei genauerem Hingucken wurden es nicht mehr.

„Hier steppt der Bär“, sagte Spike schließlich.

„Hier kommt kein Bär hin“, sagte Buffy.

Andromeda fühlte sich ein wenig schuldig, weil hier so absolut nichts war. Diese verdammten Städter erwarteten immer so spektakuläre Sachen. Urplötzlich verspürte Andromeda Sehnsucht nach Max, nach Max, der die Gegend hier kannte und überhaupt nichts von der Gegend erwartete. Und Spike, obwohl sie in ihn verliebt war, schien ihr auf einmal sehr fremd zu sein. Oder war sie nur in ihn verliebt, weil er so fremd war?

Jedenfalls konnte sie mit Max schweigen, ohne dass es einem von ihnen peinlich war, und bei Max brauchte sie nicht so zu tun, als wäre sie interessant und intelligent und vor allem älter als sie in Wirklichkeit war.

„Nein, das gibt’s nicht!“ sagte Spike entgeistert, nachdem sie das zweite Haus des Ortes erreicht hatten, oder vielmehr den Anbau des zweiten Hauses des Ortes und Spike, neugierig wie er nun mal war, die plumpe Holztür geöffnet und auch hineingeschaut hatte...

„Komm’ doch mal her“, er hielt Buffy einladend die Holztür auf.

„Was ist das?“ fragte Buffy und rümpfte die Nase..

 „Das, meine liebe Buffy, ist eine der Segnungen aus uralter Zeit, na ja, damals war es wohl eine Segnung. Man nennt es Plumpsklo!“

„Du meinst“, Buffy schaltete schnell nach Jägerinnenart, „Plumpsklo, weil es plumpst, wenn da was reinfällt?“

„Das ist voll korrekt“, sagte Spike grinsend.

„Und wieso hat dieses Plumpsklo.... äääh“, Buffy war fasziniert von dem Klo und konnte sich von dem Anblick kaum losreißen, „zwei Sitze?“

„Zwei Löcher, Buffy. Nur zwei Löcher. Klodeckel gibt es nicht. Und es gibt es kein Licht und bestimmt jede Menge Spinnen“. Wieder musste Spike grinsen. „Nun, ich denke mal, es hat zwei Löcher von wegen der Geselligkeit...“

Das brachte Buffy zum Verstummen, zum einen wegen der Spinnen, zum anderen wegen der Geselligkeit...

Sie fanden übrigens heraus, dass das vierte Haus ein Gasthaus war, setzten sich auf die hölzernen Bänke, die draußen vor dem Haus standen und bekamen von einem freundlichen Wirtsehepaar kalte Limonade und kaltes Bier (Campes Bier) serviert.

Natürlich kannte das Wirtsehepaar Andromeda. Und sie kannten sogar Bill Castaway und seinen Sohn Gwydion. Auch Buffy und Morgan kannten sie, denn der Dorfklatsch war nicht auf Campodia beschränkt, sondern hatte weite Kreise gezogen.

Auf der großen stillen Wiese, die direkt am Waldrand lag, tauchten übrigens nach einiger Zeit mehrere sogenannte Hirschhasen auf, was Spike und Andromeda zu wahren Heiterkeitsstürmen hinriss, die so laut waren, dass sie die schreckhaften Hirschhasen vertrieben.

Und sogar Buffy musste lachen.

Nach zwei sehr lustigen Stunden hielten sich alle für zu müde, um zu Fuß nach Campodia zurückzugehen, egal ob auf der Hauptstraße oder auf dem ‚gefährlichen’ Waldweg. Andromeda rief schließlich über das Telefon der Waldschenke Max an und bat ihn händeringend, sie mit dem Landrover abzuholen.

Max war natürlich nicht gerade begeistert, und es dauerte fast eine Stunde, bis er dann endlich erschien. Er wollte wohl kundtun, dass er was Besseres zu tun hatte, als Leute abzuholen, die in ihrer Selbstüberschätzung zu weit durch den Wald gelaufen waren.

Nachdem er Spike beim Einladen des Kinderwagens geholfen hatte, setzte Andromeda sich zu ihm nach vorne und erzählte ihm von Buffys Hasen. Max musste lachen, und schaute sich amüsiert nach Buffy um. Andromeda fühlte sich aus ihr unbekannten Gründen erleichtert und entspannt. Es musste wohl an Max liegen. Die Stadtmenschen waren so kompliziert, und man wusste nie, wie man sie zufrieden stellen konnte.

Buffy und Spike saßen müde mit den Kinder hinten im Landrover und wollten eigentlich nur noch nach Hause. Buffy war erschöpft, aber wirklich angenehm erschöpft, und ihr Kopf berührte leicht Spikes Schulter. Er duldete es, fürwahr....

Außerdem hatten sie alle einen wahrhaft grandiosen Hunger.

 

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KAPITEL V Teil 2  Das Baby Andromeda (1 Jahr alt)

 

Sie wusste nicht, ob ihre Erinnerungen echt waren, man hatte ihr später so viel erzählt, dass vielleicht ihre eigenen Erinnerungen – kann man sich im Alter von einem Jahr überhaupt an etwas erinnern – mit diesen Erzählungen vermischt waren. Seltsamerweise sprach Max, der es eigentlich am besten wissen musste, nicht gerne darüber, aber alle anderen Leute, egal ob sie etwas wussten oder nicht, hatten immer bereitwillig ihren Senf dazugegeben.

Sie erinnerte sich, und sie war davon überzeugt, es waren ihre echten Erinnerungen, schemenhaft an das Kalte, an das Spitze, in das sie hineingekrochen war und an das Weiße, die fürchterlichen Zähne des großen Tieres, das sie angegriffen hatte und das nur von ihr abließ, weil es wohl annahm, sie wäre tot.

Und sie konnte sich an das Laute erinnern, das fürchterlich laut und bedrohlich war und an die gleißenden Lichter, die nach dem Lauten kamen. Immer abwechselnd geschah das, ein gleißendes Licht, so dass sie vor Angst die Augen zukniff und kurz darauf ein ohrenbetäubendes Krachen, gegen das sie nichts machen konnte, denn sie war nicht fähig, sich ihre Ohren zuzuhalten. Sie war ja noch ein Baby, das zwar ein bisschen laufen oder vielmehr stolpern konnte, aber dass man sich die Ohren zuhalten konnte – was sind Ohren – davon wusste sie nichts.

Dann kam das Nasse und saugte sich in ihren Kleidern fest und dann kam das Kalte, das sie zum Zittern brachte. Das Kalte und das Nasse verdrängten die Schmerzen in ihren Wunden, die von dem Tier herrührten und von dem starren borstigen Unterholz, in das sie gekrochen war, um instinktiv Schutz zu suchen. Sie hatte schließlich in einem Haufen Laub Zuflucht gefunden, das Laub erinnerte sie wohl an die Decke, die sie zu Hause in ihrem Bettchen hatte, und sie grub sich instinktiv darin ein. Das hatte ihr wohl erst einmal das Leben gerettet, aber sie war sehr schwach.

Es dauerte Ewigkeiten, das Kalte, das Nasse und die Schmerzen, bis sie schließlich nur noch leise vor sich hinwimmerte. Und auf irgendetwas oder irgendjemanden wartete, der sie von diesen Sachen erlösen würde.

Aber es kam niemand. Sie dämmerte langsam hinüber in das Vorland des Todes.

Dann auf einmal gab es eine Änderung.

Jemand fasste sie an, und wieder hatte sie Angst, es wäre das große Tier, das ihr schon einmal Schmerzen zugefügt hatte.

Aber es war nicht das große Tier.

Jemand streifte ihr die nassen Babysachen ab, auch ihre Windel, denn sie hatte seit drei Tagen praktisch in ihren eigenen Exkrementen gelegen, und ihr Po war rot und entzündet.

Jemand legte ihr etwas trockenes warmes um und hob sie dann hoch.

Sie fühlte, wie ihr jemand etwas an den Mund hielt und sie saugte daran. Diese Erinnerung war wohl wirklich echt, denn Max hatte ihr einen Schokoriegel an den Mund gehalten, weil er nichts anderes hatte, mit dem er sie füttern konnte.

Nie in ihrem Leben würde Andromeda den Geschmack des Schokoriegels vergessen. Und diese Erinnerung war wirklich real und konnte keine Einbildung oder das Echo von den Erzählungen anderer Leute sein.

Max brachte sie schließlich nach Hause.

Alles war warm und gut.

Sie erholte sich sehr schnell von den Strapazen dieser Tage und Nächte.

 

Andromeda hatte Glück im Unglück gehabt. Der Keiler, der sie angegriffen hatte, war nicht so degeneriert wie die seine domestizierten Artgenossen, die Hausschweine, die von den Menschen zu Fleischfresser gemacht worden waren. Dieser Keiler wollte Andromeda nur töten und nicht auffressen...

Das einzige Trauma, das sie von dieser üblen Sache behielt, war eine panische Angst vor Gewittern, bei denen sie es vorzog, sich irgendwo im Keller zu verkriechen, um die gleißenden Blitze nicht sehen und den krachenden Donner nicht hören zu müssen.

 

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Das Kind Andromeda (6 Jahre alt)

 

Ein Schlachtfest auf dem Gutshof ist immer ein spektakuläres Ereignis. Für die Männer.

Viele Leute sind da, alle rennen geschäftig herum, und kein Mensch kümmert sich um die sechsjährige Andromeda, die Tante Mansell ausgetrickst hat und ihr weggelaufen ist.

Ein fettes quiekendes Schwein wird von zwei starken Männern auf den Hof hinausgeführt, sie halten das Schwein mit zwei Stangen fest , der Kopf des Schweins steckt in einer Schlinge, und mit den Stangen kann man das Tier auf Distanz halten.

Das Schwein wehrt sich und kreischt und quiekt mörderisch, aber das hilft ihm nichts. Sie zerren es in den Hof hinaus.

Dort hat man einen flachen hölzernen Zuber aufgestellt. Er wird dazu dienen, das Blut des Schweins aufzufangen. Nachdem sie es mit einem Bolzenschuss getötet haben.

Früher hätte man dem Schwein einfach nur die Kehle aufgeschlitzt, um das Blut besser zum Fließen zu bringen, und dann starb es nach einer Weile, nachdem es immer noch gekreischt und geheult hatte, bis sein Leben in den hölzernen Zuber geflossen war. Daher kommt der Ausdruck: Er brüllt wie ein abgestochenes Schwein... Aber das macht man heute nicht mehr so.

Das Schwein scheint zu ahnen, was ihm bevorsteht. Es kreischt womöglich noch lauter als vorher. Und das Kreischen reißt nicht ab.

Erst als der Schlachter das Bolzenschussgerät an die Stirn des Schweins setzt und abdrückt, herrscht endlich Ruhe. Der Schlachter hat braune Augen.

Andromeda gerät in Panik. Das Kreischen des Schweins, die erwartungsvolle Unruhe unter den Männern – Frauen sind fast keine da, sie scheuen das blutige Spektakel – der laute knallende Schuss, das auf die Seite kippende Schwein, das sofort tot ist , ein Hinterbein zuckt zwar noch, aber das sind postmortale Nervenreflexe, all das schafft eine gewalttätige nach Blut riechende Kulisse, und sie hat Angst.

Ihren Daddy findet sie auch nicht. Der ist bestimmt da vorne bei dem toten Schwein, und Andromeda traut sich nicht dahin. Der Tod riecht nach Blut und nach Schrecken.

Das Schwein wird mit dem Kopf nach unten an einer Wand der Stallungen aufgehängt und vom Schlachter am Hals der Breite nach aufgeschlitzt, so dass das Blut in die große flache Holzwanne laufen kann. Nachdem das Schwein ausgeblutet ist, schneidet der Schlachter das tote Tier der Länge nach auf, entfernt geschickt alle Innereien des Schweins, wirft sie in ein separates breites Tongefäss. Die Därme des Schweins müssen gewaschen werden, damit man später Wurstmasse hineinfüllen kann.

Das Schwein hängt nun ziemlich leer an der Wand und ist zur Weiterverarbeitung bereit. Es wirkt nicht mehr wie ein Lebewesen – vor ein paar Minuten war es noch quicklebendig, aber jetzt ist es nur noch ein Lebensmittel.

Andromeda schaut sich um, ob Max irgendwo ist. Er ist nicht mehr oft da. Er muss viel lernen in der Hauptstadt. Er muss auch viel arbeiten, um das Lernen bezahlen zu können, hat Daddy ihr erzählt. Und deswegen könnte er nicht mehr so oft nach Campodia kommen. Andromeda ist traurig, dass Max nicht mehr so oft da ist wie früher.

Plötzlich sieht sie ihn unter den anderen Männern.

Sofort läuft sie zu ihm hin und schiebt vertrauensvoll ihre kleine Hand in seine große.

Sie geht ein paar Schritte mit ihm, blickt zu ihm auf und erkennt plötzlich, dass sie sich vertan hat. Das ist gar nicht Max, sondern einer aus seiner Verwandtschaft, der zwar einige Ähnlichkeit mit Max hat, aber bei näherer Betrachtung eigentlich gar keine Ähnlichkeit mit Max hat.

Verlegen lässt Andromeda die Hand des Mannes los und rennt weg.

Die anderen Männer haben das kleine Zwischenspiel mitbekommen und lachen gutmütig.

„Bist wohl doch nicht Max!“ sagt einer von ihnen, ein großer breiter mit slawischen Gesichtszügen, der von den anderen Onkel Herbie genannt wird, zu dem Mann, der mit Max einige Ähnlichkeit hat, aber bei näherer Betrachtung eigentlich gar keine Ähnlichkeit hat.

Andromeda ist zornig über ihren Irrtum. Und noch mehr zornig ist sie darüber, dass Max nicht zum Schlachtfest gekommen ist.

Dann fällt ihr ein, Max mag keine Schlachtfeste, das hat er ihr jedenfalls mal erzählt.

 

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Die heranwachsende Andromeda (12 Jahre alt)

 

Andromeda sitzt auf dem einzigen gut erreichbaren Ast des kleinen Lindenbaums und drückt ihre entzückende Nase an das Fenster des Häuschens. Tatsächlich sind die schweren Vorhänge nicht ganz zugezogen, so dass man recht gut in das Innere des Raumes schauen kann, der sich im 1. Stock befindet.

Andromeda sitzt dort in luftiger Höhe, um ein wenig zu spionieren.

Es ist spät am Abend. Andromeda hat sich heimlich aus dem Haus geschlichen. Sie liebt es, am späten Abend unterwegs zu sein. Manchmal geht sie in der Dämmerung noch in den Wald, genießt die schaurige Stille, die dort herrscht, bekommt dann ein wenig Angst wegen der schaurigen Stille, die dort herrscht und geht gemessenen Schrittes wieder nach Haus, ohne sich umzudrehen, als ob sie damit die Schrecken des Waldes abwehren oder einfach nur ignorieren kann.

Sie verspürt Sehnsüchte, die sie nicht benennen kann. Nicht genau erklären kann. Sie denkt an ihre Schulkameraden und besonders an einen bestimmten, den Quarterback des Footballteams, der sich anscheinend für sie interessiert. Eigentlich ist sie nicht der Typ für einen Quarterback. Sie liest viel, ist nicht Mitglied der Cheerleader und gilt als leichte Streberin, Aber sie ist gar keine Streberin, sie will einfach nur viel wissen. Aber weil sie hübsch ist mit ihrer blendenden Figur, ihrem langen braunen gelockten Haar und ihren wunderschönen mandelförmigem grünen Augen, sieht man ihr diese Verrücktheiten nach.

Ich muss aufpassen, dass, wenn ich schon früh heirate wie alle hier, ich zumindest nicht heiraten muss. Das denkt Andromeda manchmal, wenn sie irgendwie erregt den stillen Weg entlanggeht. Hier auf dem Land herrscht anscheinend so eine Einsamkeit, dass die jungen Leute schon in jungen Jahren zusammenkriechen, dann aus Blödheit ein Kind zeugen, heiraten, ein paar Jahre mehr oder weniger gut zusammenleben – eher weniger gut – und sich dann scheiden lassen.

Die Einsamkeit, die Stille, die Dunkelheit in der Nacht, die nicht von Straßenlaternen aufgehellt wird, das alles erzeugt Sehnsüchte, die befriedigt werden müssen.

Andromeda vergisst den Gedanken an den Quarterback. Eigentlich ist er nur ein dummer, wenn auch sehr gutaussehender Junge.

Denn jetzt späht sie ins Häuschen hinein. Sie ist verdammt neugierig. Vielleicht erfährt sie hier, was eigentlich so abläuft zwischen den Geschlechtern. Natürlich weiß sie aus den Ställen, wie es zwischen den Tieren abläuft, aber zwischen Menschen muss doch so eine Art Mysterium sein, es kann doch auf keinen Fall so wie bei Tieren sein.

Das Licht im Zimmer ist dämmrig, aber man kann alles genau sehen.

Allerdings sieht das, was sie sieht, nicht wie ein Mysterium aus.

Sie sieht einen Mann und eine Frau, die sich gegenseitig entkleiden und sich dann küssen. Der Mann streichelt die Frau, die anscheinend aufstöhnt, Andromeda kann es nicht hören, aber das Gesicht der Frau sieht so aus...

Die Frau lässt sich auf das breite Bett fallen, der Mann beugt sich über sie und küsst langsam ihre Brüste und dann ihren Bauch.

Andromeda verspürt selber ein leichtes Ziehen in den Brüsten und tiefer, aber sie ist so fasziniert von dem Akt, dass sie diese Gefühle verdrängt.

Dann wendet der Mann sich noch etwas tiefer. Er scheint Zeit zu haben.

Die Frau allerdings bekommt auf einmal ein verzerrtes Gesicht und sagt etwas zu ihm, nein sie keucht es. Andromeda meint von ihren Lippen lesen zu können, wie sie keucht: Nicht nicht, komm. Bitte. Bitte...

Der Mann richtet sich auf, er lächelt, er wendet sich zu einem kleinen Tisch neben dem Bett und nimmt dort etwas, packt es aus und streift es sich über sein Glied – Andy weiß, dass das ein Kondom ist – beugt sich dann über die Frau und dringt langsam mit seinem Glied in sie ein.

Andromeda hat es sehen können. Natürlich ist es nicht so groß wie von einem Hengst, aber... wenn sie sich vorstellt, das in sich zu haben, das wäre ... wieder verspürt Andromeda ein leichtes Ziehen im Unterleib, aber wieder ignoriert sie es.

Die Frau blickt nun mit ziemlich blöden Augen vor sich hin, wie Andromeda meint. Sie klammert sich an den Mann und hebt ihre Beine hoch und schlingt sie um seinen Rücken. Dann auf einmal bäumt sie sich auf, und ihr Körper zuckt ein paar Sekunden lang konvulsisch (konvulsisch fällt Andromeda spontan ein, obwohl sie gar nicht genau weiß, was das heißt) und will nicht aufhören zu zucken. Konvulsisch...

Der Mann beobachtet sie aufmerksam bei diesen Zuckungen. Bei diesen konvulsischen Zuckungen, und es scheint ihm zu gefallen.

Als sie ausgezuckt hat, entfernt er sich aus ihr, dreht sie um und zieht sie so, dass sie vor ihm kniet und ihre Arme sie weiter vorne abstützen. Er dringt diesmal von hinten in sie ein, seine Finger sind vorne an ihrer... und die Frau kann sich auf einmal nicht mehr abstützen aus irgendwelchen Gründen, und sie droht nach ein paar Stößen von ihm nach vorne zu fallen, aber er hält sie fest und beschleunigt seine Stöße, bis auch sein Gesicht sich ein wenig verändert, aber bei weitem nicht so extrem wie zuvor das Gesicht der Frau.

Andromeda hat genug gesehen. Sie haben es von hinten getrieben, es gibt kein Mysterium, Menschen sind genauso wie Tiere.

Und Andromeda kann die Frau nicht leiden. Warum, das weiß sie nicht, denn es gibt eigentlich keinen Grund dafür.

Sie klettert gewandt den Baum wieder hinunter.

Leider stolpert sie beim Hinunterklettern über das Motorrad, das irgendein Idiot vor dem Haus abgestellt hat und an das sie nicht mehr gedacht hat.

Andromeda kann nirgendwohin, denn der Hof wird von zwei Straßenlaternen gut beleuchtet, und wenn sie weglaufen würde, könnte man sie vom Fenster aus sehen. Also meint sie, das Beste was sie machen kann, ist sich jetzt ganz still und sozusagen unsichtbar zu verhalten Vielleicht entdeckt man sie dann nicht.

Leider klappt das nicht so ganz.

Nach ein paar Sekunden geht das Licht hinter der Haustür an, und der Mann, den sie die ganze Zeit beobachtet hat, kommt heraus.

Er hat sich auf die Schnelle eine Jeans angezogen, sonst trägt er nichts.

Zielsicher wendet er sich nach rechts zu dem Baum, hinter dem Andromeda steht – scheinbar unsichtbar steht – er packt Andromeda am Kragen ihrer Bluse und hebt sie ein bisschen hoch und schaut ihr forschend ins Gesicht.

„Was zum Teufel machst du hier? Was hast du gesehen?“ Seine Stimme klingt besorgt.

„Nichts, was ich nicht schon mal bei Tieren gesehen hätte“, sagt Andromeda trotzig. „Und ich wusste es, es ist kein Mysterium...“

„Oh Gott!“ sagt Max. „Doch, es ist ein Mysterium. Mit der richtigen Frau. Vielleicht...“ Letzteres murmelt er nur vor sich hin.

„Ist sie deine Freundin?“ fragt Andromeda freundlich.

„Nnnein, jjaaa, ach was weiß ich!“ Max ist immer noch ziemlich verwirrt. Der Gedanke, dass Andromeda ihn eben beim Liebesspiel beobachtet hat, macht ihn ziemlich verlegen.

Demnächst wird er die Vorhänge richtig zuziehen und zur Sicherheit die Haustür abschließen, damit Andromeda auf keinen Fall etwas mitbekommt von dem angeblichen Mysterium zwischen Mann und Frau.

Sie hat recht, es ist kein Mysterium, nicht für ihn, es ist nur die nackte Lust, die ihn ab und zu dazu treibt, eine Frau ins Verwalterhaus zu holen. Er hat keine Probleme, eine Frau zu finden. Er hat eher Probleme, sie wieder loszuwerden, wenn das Vergnügen schal geworden ist und die Zuneigung – von Liebe ganz zu schweigen – sich nicht einstellen will.

Zwei im Grunde wunderbare Frauen haben ihn schon verlassen, weil er emotional einfach nichts auf die Reihe kriegte. Sie wollten zuviel von ihm, und er konnte es ihnen nicht geben. Seine letzte längere Beziehung hielt drei Monate lang, und beim Abschied sagte sie: „Du empfindest für dieses Kind mehr als für mich!“

Irgendwie hatte sie nicht unrecht. Aber er konnte nichts daran ändern. Weder an seinen fehlenden Gefühlen, noch an seinem nicht vorhandenen Interesse an einer Partnerschaft mit einer dieser Frauen, die bei Lichte betrachtet großartige Frauen waren.

Vor allem die eine, und er hatte es wirklich bereut, sie gehen zu lassen. Aber trotz dieser seiner Reue war er hinterher erleichtert, als sie weg war. Diese eine hätte eigentlich seine Idealfrau sein müssen. Sie studierte das gleiche Fach wie er und das als Frau, was schon außergewöhnlich war, denn es gab praktisch keine Frauen unter den studierten oder nicht studierten Landwirten. Sie war intelligent und schön und im Bett einfach sensationell. Warum also hatte es nicht mit ihr geklappt?

Eigentlich wollte er ja mit einer Frau richtig zusammensein, aber er konnte es einfach nicht, zumindest nicht für längere Zeit.

Max hatte irgendwann aufgehört, sich über das Scheitern seiner Beziehungen Gedanken zu machen.

Es war eben so, und er konnte es nicht ändern. Nicht wirklich ändern.

 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

KAPITEL V Teil 3

 

Spike fixierte das kleine gerahmte Foto, das an der Wand hing, und er erinnerte sich:

Die Kaiserin in Irland, 1881, ein Jahr, nachdem er zum Vampir gemacht wurde, Elisabeth von Österreich, die er belauscht hatte, als sie in diesem seltsamen Raum trainierte. Spike hatte vorher noch nie eine Frau mit Hanteln trainieren sehen, die Kaiserin war die erste, sie hatte anscheinend das moderne Fitnesstraining erfunden.

Spike ahnte, warum sie so versessen trainierte, sie wollte ihren Körper in Form halten, ihre Schönheit konservieren – obwohl Spike dafür ein besseres Mittel gehabt hätte... Aber die anderen hatte ihn ja daran gehindert, der Kaiserin das (fast) ewige Leben zu schenken.

Nun gut, Andy schien Elisabeth zu bewundern, und Spike erinnerte sich auch daran, dass die gute Sissi einst als beste Reiterin der Welt gegolten hatte.

„Das sind die Bücher von Lilah“, erzählte Andy und wies auf ein gut gefülltes Bücherregal, das rechts vom Fenster in die Wand eingebaut war. Spike war von Andromeda eingeladen worden, sich mal ihr Zimmer anzuschauen.

„Ich habe sie alle gelesen, die meisten schon, als ich neun war.“

Spike trat neugierig näher, zog vorsichtig ein Buch aus der obersten Reihe und las den Titel des Buches vor: „Lady Chatterley“.

„Das hast du mit neun gelesen?“ fragte er zweifelnd.

„Na klar. Und ich habe alles verstanden“, behauptete Andy stolz.

„Ist ja nicht weiter schlimm. Da ist nichts drin, was anstößig wäre für so ein zartes Alter von neun Jahren“, meinte Spike lächelnd, überflog flüchtig die anderen Titel in dieser Reihe und war froh, dass ‚Die Geschichte der O’ nicht dabei war. Das hätte er dann doch als anstößig empfunden, diese Geschichte um den Masochismus einer Frau, die sich einem Mann total unterwirft, in allen sexuellen Spielarten – und schließlich von ihm weitergereicht wird an einen Freund. So etwas sollte ein kleines Mädchen wirklich nicht lesen. Aber in den siebziger Jahren, oder waren es die sechziger, war das Buch tatsächlich eine sexuelle Offenbarung gewesen. Für Menschen natürlich nur...

„Schau an, was haben wir denn hier?“ Spike nahm den Roman ‚Lolita’ aus dem Regal und blätterte ihn geringschätzig durch.

„Hat Lilah die Bücher geerbt oder was?“

„Ich glaube, diese Bücher stammen von einer älteren Tante. Ja stimmt, sie gehörten irgendwann Tante Mansell, meine Mutter hat Tante Mansell mit nach Campodia gebracht, und Lilah hat ihre Bücher bekommen. Als Lilah das Haus verkauft hat, wollte sie die Bücher nicht wegwerfen und hat sie mir gegeben. Sie hat immer gesagt: Auch der größte geschriebene Mist hat einen Sinn, nämlich den Mist darin zu erkennen. Und sie hat auch immer gesagt: Es gibt nichts, was nicht an subjektiver Idiotie irgendwann auf Papier verewigt worden ist.“

„Da hatte sie, verdammt noch mal, recht!“

„Obwohl, das mit Lolita“, Andy nahm Spike den Roman aus der Hand, „kann man doch verstehen oder? Ein ganz junges Mädchen, noch keine Frau, könnte doch anziehend auf einen viel älteren Mann wirken. Was meinst du?“

„Vielleicht... Ich glaube allerdings, er hat das anders gemeint und sich an Mädchen aufgegeilt, die noch keine richtigen Frauen waren, weil er Angst vor richtigen Frauen hatte.“ ereiferte sich Spike. „Und die amerikanische Verfilmung, zumindest die aus den Sechzigern, ist unter aller Sau. Lolita wird als blutjunge pralle Sexbombe dargestellt im neckischen Baby-Doll, und das hat Vladimir so nicht gemeint...“

„Du findest also junge Mädchen nicht attraktiv, Bill?“ Andy hatte Spike bei seinem letzten Satz gar nicht richtig zugehört.

„Das habe ich nicht gesagt. Natürlich sind sie schön... Aber für meinen Geschmack fehlt ihnen doch einiges.“ Spike blickte Andy forschend an, als er das sagte.

„Du meinst, sie können noch keine richtige Liebe empfinden?“

„Das ist... äääh, das weiß ich nicht“, Spike zuckte zusammen, als ihm ein bestimmter Gedanke kam. „Wie alt bist du jetzt, Andy?“

„Fast sechzehn.“

„So jung... Obwohl... manche Frauen verlieben sich schon mit fünfzehn, und es ist für ihr ganzes Leben. Ich kenne da eine...“ Spike lächelte, aber sein Lächeln wirkte verkrampft und ähnlich starr wie eine Maske.

„Wen meinst du?. Kenne ich sie?“ fragte Andy gespannt. Obwohl, woher sollte sie diese Frau oder dieses Mädchen kennen.

„Du kennst sie“, sagte Spike. „Es ist Buffy.“

„Buffy?“

„Es ist Buffy“, bekräftigte Spike nach einer kurzen Weile und entschloss sich von einem Augenblick zum anderen, die Maskerade aufzugeben, denn Andy hatte es nicht verdient, dass man sie belog. Und er wollte die Situation entschärfen, er wollte nicht, dass Andromeda sich in etwas verstrickte, was unmöglich war.

Und er hatte die Schnauze voll von dem Theater.

Er hatte es satt, von Max ignoriert zu werden, denn Max war eifersüchtig, weil die kleine Andromeda wohl ein bisschen in ihn, Spike, verknallt war. So ein verkalkter Bastard war er noch nicht geworden, dass er so etwas nicht bemerkt hätte. Egal, er wollte sich mit Max anfreunden, denn er mochte diesen verschlossenen jungen Mann irgendwie. Max schien auch ein dunkles Geheimnis zu haben. So wie Spike.

Allerdings dachte Spike verbittert, dass er selber wohl zehntausende von kleinen und größeren dunklen Geheimnissen hatte.

„Außerdem sind wir verheiratet, sie ist nicht nur mein Kindermädchen und die Mutter von Morgan, nein, wir sind wirklich verheiratet.“

 

Andy stieg das Blut ins Gesicht, und sie fühlte förmlich, wie ihr irgend etwas in der Herzgegend wehtat.

Sie war geschockt. Spontan trat sie zwei Schritte zurück. Sie hatte zwar gespürt, dass zwischen Bill und Buffy etwas war, aber dass sie verheiratet waren, das konnte nicht sein. Oder? Doch, es stimmte. Bill würde sie nie anlügen.

Bill war für sie verloren. Wieder schmerzte irgend etwas in ihrer Herzgegend, nein falsch, ihr ganzer Körper schmerzte.

„Und das war Buffy? Sie hat sich mit fünfzehn schon in dich verliebt?“ Andy riss sich mühsam zusammen, um Bill nicht ihre Verzweiflung zu zeigen.

„Nicht doch. Du verstehst das falsch. So war es nicht. Sie hat sich mit fünfzehn in einen anderen verliebt. Und der ist ihre große Liebe.“

„Wenn sie dich nicht liebt“, fragte Andy so grausam wie nur die Jugend fragen kann, „warum hast du sie dann geheiratet? Moment mal, Lilah kann doch erst ein paar Wochen tot gewesen sein, als....“

„Richtig“, gab Spike zu, „aber es war wegen der Kinder. Ich wollte die Kinder schützen.“ Und dann erzählte er Andromeda alles:

Über seine vielen verschiedenen Namen. Über sein Leben. über seinen Tod. Über sein ‚Leben’ als Vampir und über das Morden... Über seine Liebe zu Drusilla. Über Drusillas Krankheit und die daraus folgende Reise zum Höllenschlund. Über seine erste Begegnung mit der Jägerin. Über Angel und die Jägerin. Über sein Bündnis mit der Jägerin. Über den Chip. Über die Gefühle zur Jägerin, die Gefühle, die er zuerst träumte, sie zum Verrecken nicht haben wollte, sie aber doch zulassen musste. Weil es nicht anders ging. Über den Tod der Jägerin. Über die Wiedererweckung der Jägerin. Über die wochenlange wilde sexuelle Beziehung zur Jägerin.  Über die versuchte Vergewaltigung. Und die daraufhin folgende Zurückweisung durch sie. Über die Wiedererlangung seiner Seele. Über seine neue Beziehung zur Jägerin. Über die Liebe der Jägerin zu Angel. Über das Amulett und den Tod in der Höhle. Ende. Aus. Nein, nicht ganz. Man holte ihn zurück. Als Mensch, und es war Lilahs Firma, die das bewerkstelligt hatte. Aber unabhängig davon hatte das Amulett ihn aus unerfindlichen Gründen auserwählt und ihm neue Kräfte verliehen.

Und schließlich über Lilah. Und dass sie wohl die erste Frau war, die ihn wirklich liebte. Eine ganz neue Erfahrung für ihn. Und gleichzeitig ein Maßstab... Über Lilahs Tod. Über die Zerstörung von W&H nach ihrem Tode, von ihr geplant und ausgeführt durch Casio. Über W&H, die nicht kaputt zu kriegen waren, denn in Chicago gab es noch eine Filiale... Über die Jägerin, die eine Tochter von ihm hatte und die er schützen wollte, genauso wie er seinen Sohn schützen wollte. Vor W&H. Über die Heirat mit der Jägerin....

 

Spike musste schließlich tief Luft holen, denn es war alles erzählt.

Andromeda hatte ihm gebannt zugehört. Seltsamerweise war sie nicht erstaunt oder schockiert ob der Tatsache, dass Spike ein Vampir gewesen war. Das Wissen um Vampire und andere Dämonen schien ihr irgendwie vertraut, obwohl sie vorher noch nie von der Existenz solcher Wesen gehört hatte. Aber in einem Winkel ihres Bewusstseins hatte sie es immer schon gewusst. Wieso gewusst? War ihr im Augenblick vollkommen egal.

Und allmählich dämmerte ihr, dass Spikes frühere Existenz als Vampir und die dazugehörende über hundert Jahre alte Erfahrung seine ungeheure Ausstrahlung, sein Charisma erklärte, das immer noch auf viele Frauen so überwältigend wirkte. Und das, obwohl er mittlerweile ein Mensch war.

Aber nicht die Vampirsache hatte sie wirklich geschockt, sondern die Ehesache. Dass Bill, oder Spike, wie er richtig hieß, verheiratet war.

Allerdings machte ihr auch die Neugier zu schaffen. Was ist eine Jägerin? Wie wird man eine Jägerin? Ist es vielleicht angeboren?

„Dann ist Buffy also die Jägerin?“ Andromedas Gedanken flogen wild ihrem Kopf herum, sie musste das alles erst einmal verdauen, dieses ganze Zeug über blutrünstige Vampire – Spike war einer gewesen – und Jägerinnen, die gegen diese Vampire kämpften. Und über Jägerinnen, die sich manchmal in diese Vampire verliebten. Und über Vampire, die sich manchmal in Jägerinnen verliebten.

„Das ist sie“, bestätigte Spike.

„Und wann hast du dich“, diese Frage erschien Andy auf einmal sehr wichtig, „in sie verliebt? Ich meine, wie alt war sie da?“

„Als es mir bewusst wurde?“ Spike dachte nach. „Ich glaube, da war sie ungefähr achtzehn oder neunzehn...“

„Liebst du sie immer noch?“ fragte Andy gewissenhaft.

All ihre Träume waren den Bach hinunter gegangen. Ihre Liebe zu ihm war sinnlos. Er war in Wirklichkeit uralt, und er hatte Dinge erlebt, die für sie unvorstellbar waren. Sie war seine angeheiratete Nichte und auch viel zu jung für ihn. Und außerdem war er verheiratet mit der Jägerin. Und er stand auf ältere Frauen, wie es schien.

„Keine Ahnung“, gestand Spike ratlos.

Diese Antwort erweckte in Andy wieder den Schimmer der Hoffnung. Es konnte doch nicht sein, dass er für sie verloren war. Das wäre zu grausam.

„Wenn sie dich nicht liebt“, Andys Stimme klang verzweifelt, „warum bleibst du dann bei ihr. Sie liebt doch diesen anderen...“

„Ich habe gesagt, es ist wegen der Kinder“, Spike entschloss sich hart zu sein. „Und auch, wenn sie mich liebt oder nicht liebt – oder ich sie liebe oder nicht liebe – es ist egal, ich habe soviel Strafe und Qualen verdient, dass ich damit klarkommen muss.“

„Bill, du tust mir so leid“, Andy streckte ihre Hand aus und fuhr zart mit der Hand über seine zernarbte Augenbraue. Er war für sie verloren, aber zu ihrer Verwunderung verspürte sie eine seltsame Erleichterung darüber. Und es tat nicht mehr so weh wie vor ein paar Minuten. Was hatte sie sich denn vorgestellt? Eigentlich nur ein paar Küsse, na ja vielleicht ein bisschen mehr, aber sie hatte sich nie richtig ein Leben mit ihm vorstellen können. An einem bestimmten Punkt hatten ihre Liebesfantasien immer stagniert, alles hatte aufgehört zu sein und war sozusagen im Nichts verlaufen...

„Nenn mich Spike. Das ist mein wahrer Name.“ Spike nahm ihre Hand von seinem Gesicht und küsste sie leicht auf die Wange, bevor er sich wieder zurückzog.

„Ich bin ein ziemlich verkorkster Typ. Ich hoffe, du verliebst dich nicht in so einen wie mich, wenn du dich mal verlieben wirst.“ Spike mochte dieses Mädchen wirklich, sie kam seinem Idealbild von einer Frau, abgesehen von ihrer Jugend natürlich, sehr nahe, sie war geradeheraus, sie sah Lilah ähnlich, und sie flirtete nicht so dämlich herum wie Buffy, was er wirklich verabscheute. Auch darin ähnelte Andromeda ihrer Tante Lilah. Leider kann man sich aber nicht aussuchen, wen man liebt....

„Bestimmt nicht“, sagte Andy mit leicht zitternder Stimme.

„Ach Kitten! Ich gehe mit dir jede Wette ein, dass du ein cleveres Mädchen bist.“

„Ich weiß nicht. Ich heiße nicht umsonst Andromeda.“

„Wie meinst du das, Kitten?“ Spike verstand sie nicht. „Ich kenne nur das Sternbild Andromeda. Man sieht aber nur zwei, drei Sterne, es ist nicht besonders ausgeprägt, das einzig interessante an ihm ist der Andromedanebel, die Schwesterngalaxie der Milchstraße.“ Spike hatte echt Ahnung von Astronomie, wie man sieht, und er liebte es, darüber zu dozieren...

„Ich meine damit die griechische Sage. Ich bin Andromeda, aber wo ist mein Perseus?“

Und Andromeda wiederum hatte echt Ahnung von griechischen Sagen, vor allem von der Perseus-Sage, in der die Königstochter Andromeda einem Meeresungeheuer geopfert werden soll – weil ihre Mutter Kassiopeia die Götter beleidigt hat – und dann von dem strahlenden Helden, dem Halbgott Perseus, Sohn von Zeus und der Danae gerettet wird. Von Perseus gerettet wird, der für Andromeda die abscheuliche Medusa bezwingt und sie heiratet, natürlich nicht die abscheuliche Medusa, sondern Andromeda.

„Die Geschichte hinkt aber“, sagte Spike lächelnd. „Deine Mutter hat bestimmt nicht die Götter beleidigt. Und außerdem brauchen die Mädchen heutzutage keinen Perseus mehr, die können sich gut selber helfen. Du vor allen Dingen...“

Andromeda seufzte in sich hinein.

„Ich kann dir ja mal meinen Freund Snikkers vorstellen, der ist auch ein Halbgott, aber für'n Halbgott ist er ein ziemlich armes Schwein....“

Wieder seufzte Andromeda in sich hinein.

„Du wirst deinen Perseus schon irgendwann finden. Und vielleicht hast du ihn ja schon gefunden.“ Spike dachte dabei vage an Max, der Andromeda damals im Wald entdeckt und wahrscheinlich vor dem Tode gerettet hatte. „Aber wie gesagt, Kitten, du brauchst ihn nicht wirklich.“

Hier irrte Spike, er irrte nicht oft, aber hier irrte er....

„Wäre aber trotzdem schön, wenn...“, Andromeda sah betrübt aus.

„Weißt du was, geh’ doch mal zu Buffy und sprich mit ihr.“

„Später vielleicht. Eigentlich wollte ich zu Max. Darf ich es ihm erzählen?“

„Er ist kein Schwätzer, oder?“

„Max ein Schwätzer? Nein!“ Andromeda musste lachen.

„Geh trotzdem mal zu Buffy.“

„Warum... Spike?“ Der Name ‚Spike’ kam erst nach einigem Zögern aus Andromedas Mund, und er klang nach Verzicht und Trauer.

„Weil ich glaube, dass du selber eine Jägerin bist.“

 

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KAPITEL V Teil 4

 

„Dawn? Bist du da?“ Die Verbindung war nicht gut, und Buffy konnte ihre kleine Schwester kaum verstehen.

„Buffy, kannst du mich jetzt hökrrrrrakks?“

„Jetzt ist es besser. Wie geht’s dir, Dawnie?“

„Mir geht’s gut. Aber nett, dass du dich auch krrrrrakks meldest.“

„Ich konnte dich nicht früher erreichen“, sagte Buffy bedauernd. „Ja, über sechs Wochen sind wir schon hier, man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht.“

„Habt ihr denn auch Gwydions krrrrrakksgefeiert... ?“

„Natürlich haben wir Gwydions Geburtstag gefeiert. Er hat allerdings die meiste Zeit geschlafen. Aber die kleine Torte, die Tante Bernadette gebacken hat, die war echt süß... Er hat übrigens zum erstenmal Mama zu mir gesagt! Ist das nicht Wahnsinn!“

„Ich konnte ihm krrrrrakks nichts schenken....“

„Was soll‘s, du kannst ihm später was schenken, wenn wir wieder in Woodcape sind. Vielleicht ist er dann alt genug, um es zu würdigen... Er ist so süß, jeder liebt ihn. Ich kann jetzt reiten, ist das nicht irre?“ Buffys Rede war etwas sprunghaft.

„Du und krrrrrakks?!?“

„Na und? Warum sollte ich’s nicht können! Weißt du überhaupt, wie hoch man auf einem Pferd sitzt? Mein Pferd ist zwar nicht ganz so groß wie das von Spike, aber man kommt sich vor, als säße man drei Meter über dem Erdboden...“

„Hahakrrrrrakks...

„Du brauchst nicht zu lachen, ich kann es. Das Pferd heißt Conny, und er ist ganz lieb. Er frisst unheimlich gerne Äpfel. Ist ein irres Gefühl, wenn er mit seinem weichen Maul vorsichtig einen Apfel aus meiner Hand nimmt.“

„Und was krrrrrakks ihr sonst noch so?“

„Jede Menge. Wir haben einen Pool im Haus. Ich schwimme viel, vor allem am frühen Morgen. Wir fahren und laufen in der Gegend rum, und reiten tun wir natürlich auch. Ich darf natürlich noch nicht alleine draußen reiten, sondern muss immer in einer Gruppe reiten. Wir haben Rehe und Plumpsklos gesehen. Zuerst hab ich gedacht, es wären Hasen. Die Rehe natürlich, nicht die Plumpsklos. Es ist immer schönes Wetter hier, heiß am Tage, aber kühl in der Nacht. Ich lese viel in der Bibliothek. Manchmal sitzen wir auf der Terrasse oder im Garten und sonnen uns.

Krrrrrakks auch?“

„Wer? Spike? Nein, der hat’s nicht so mit der Sonne. Der sitzt meistens im Schatten.“

„Hätte mich auch krrrrrakks....“ murmelte Dawn.

„Morgan spielt gerade mit zwei anderen Kinder aus dem Dorf im Sandkasten. Sie kommandiert die anderen Kinder herum wie ein Feldwebel. Ich frage mich, von wem sie das hat... Im Garten ist auch ein ziemlich großes Planschbecken, das Gejohle ist kaum zu ertragen, wenn die Kinder alle drin sind. Gwydion rollt gerade mit seiner Lauflernhilfe auf der Terrasse herum wie ein Irrer. Kannst du das hören? Wir nennen ihn auch den kleinen Blitz. Und er versucht auch schon, ohne das Ding zu laufen. er läuft so auf den Zehenspitzen! Süß ist das. Natürlich nur, wenn ihn jemand festhält, ohne Festhalten hat er noch Angst.“

„Hört sich an, als wären die Kinder sehr krrrrrakks...“

„Irre beschäftigt! Die toben den ganzen Tag so herum, dass sie am frühen Abend total kaputt ins Bett fallen. Und wenn wir wirklich mal was dringendes zusammen vorhaben, dann gibt es hier ein Ehepaar, ein kinderloses Ehepaar, das geiert geradezu danach, auf die Kids aufzupassen.

„Könnt ihr denen denn krrrrrakks?“

„Ich denke schon. Archie kennt die Leute schon seit Jahrzehnten und verbürgt sich für sie. Aber wir brauchen eigentlich gar keinen. Die Kinder sind so lieb – na ja Morgan ist zwar nicht ganz so lieb, kann ein richtiges Aas sein – und ich könnte es nicht lange ohne sie aushalten. Und wir müssen ja auch vorsichtig sein.“

„Wegen W und krrrrrakks?“

„Ja. Spike meint, wir könnten keinem trauen, den wir nicht kennen. Andererseits sind Tante Mansell und Tante Bernadette so lieb, dass ich ihnen nichts Schlechtes zutraue. Für Tante Mansell ist Gwydion der einzige noch lebende Verwandte von Kassiopeia, außer Andromeda natürlich. Und für Tante Bernadette ist Morgan irgendwie ein Ersatz für ihr totes Enkelkind. Und wir können die Kinder ja auch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag bewachen...“

„Wer zum Geier ist Kassio....“

„Das ist Lilahs verstorbene Schwester.“

„Ach so... Übrigens, ist Morgan immer noch so krrrrrakks auf Spike?“

„Oh ja, immer noch. Sie liebt ihn abgöttisch.“ Buffys Stimme klang nun etwas nachdenklich. „Wie alle Frauen anscheinend.“

„Wie krrrrrakks du das?“

„Na ja... Hier ist so ein junges Mädchen, übrigens ist sie die Tochter von Kassiopeia und somit Spikes Nichte, sie kam mir von Anfang an irgendwie besonders vor, und jetzt weiß ich auch warum, also, ich glaube, sie ist in Spike verschossen. Andererseits, jetzt hat sie wohl eingesehen, dass es zwecklos ist.“

„Was!!! Und wie krrrrrakks ist die?“

„Sie wird bald sechzehn. Sie ist wirklich eine Schönheit. Und sieht sie fast aus wie Lilah. Jedenfalls von weitem. Ach ja, das hatte ich vergessen, sie ist ’ne Jägerin... Deshalb kam sie mir von Anfang an besonders vor. Spike hat das vor kurzem rausgekriegt. Ich trainiere jetzt immer mit ihr.“

„Das ist ja wohl ein krrrrrakks!!!“

„Ja, das ist wirklich ein Hammer. Aber ich bin eben nicht mehr die einzige...“

„Und Spike? Denkt er noch viel an krrrrrakks?“

„Ich weiß nicht. Er denkt bestimmt noch an sie, aber ich meine, in den letzten Wochen guckt er nicht mehr ganz so gequält, wenn von ihr die Rede ist. Ich schätze mal, irgendwann ist er endgültig drüber hinweg.“

„Und habt ihr...?“

„Neeiin, neeeiin, da läuft nichts... Ist wahrscheinlich noch zu früh. Und ich kann warten.“ Nun klang Buffys Stimme ein wenig traurig. „Aber ich hab jetzt lange genug von mir geredet. Was machst du denn so?“

„Ich habe viel zu krrrrrakks an der Uni...“

„Ach, da fällt mir noch was ein, wir waren Drachenfliegen. Das war echt geil. Und morgen früh gehe ich auf die Felder zum Erbsenpflücken. Das ist so eine Tradition, die Max ins Leben gerufen hat. Der lässt die Gäste hier richtig arbeiten. Die Frauen aus dem Dorf brauchen das Geld fürs Pflücken aber wirklich. Und dann gibt es später die Bohnenfelder, falls ich auf den Geschmack kommen sollte.

„Wer zum krrrrrakks ist Max?“

„Max ist der Verwalter, er sieht übrigens sagenhaft gut aus, groß, dunkelhaarig und mit wirklich athletischer Figur... Also wenn ich nicht Spike lieben würde, dann... Aber ich hätte sowieso keine Chance bei ihm.“

„Warum nicht?“

„Er ist total vernarrt in Andromeda und guckt keine andere Frau an. Leider nicht....“ Trotz dieser Worte hatte Buffys Stimme keinen bedauernden Unterton. Sie nahm es wohl nicht besonders schwer, dass sie bei Max nicht landen konnte

„Andromeda... Ist das die krrrrrakks?“

„Ja genau, Andromeda, das ist die Jägerin. Und gleichzeitig auch Spikes Nichte. Die ist so dämlich, dass sie nichts davon merkt. Oder es ist ihr egal.“

„Wovon nichts merkt?“

„Dass Max in sie verknallt ist. Dass sie eine Jägerin ist, das hat sie schon geschnallt. Aber ich glaube, ihre Kräfte sind anders gelagert als bei mir, sie ist nicht so stark wie ich, sondern sie hat dafür eine unglaubliche Selbstheilungskraft, und die hat sie verdammt noch mal auch gebraucht, bei allem, was sie als Baby schon durchmachen musste.“

„Was denn?“

„Das erzähl ich dir irgendwann einmal... So, ich muss Schluss machen. Ich muss ein bisschen reiten üben, denn wir wollen demnächst einen Ausflug in die Berge machen, und bis dahin muss ich perfekt sein im Reiten, sonst nehmen sie mich nicht mit.“

„Das von Max hört sich gut an. Ist in Campodia eventuell auch ein krrrrrakks für mich dabei?“ fragte Dawn hoffnungsvoll.

„Nein, das war’s dann schon. Außer vielleicht dem Dorfpapagalli Onkel Herbie, oder Moment mal, einen weiß ich noch... Archie! Aber der ist zu alt. Obwohl, er sieht noch verdammt gut aus, und er ist ein wirklicher Gentleman. Und Spike ist eifersüchtig auf ihn, weil er mir den Hof macht. Archie weiß nämlich immer noch nicht, dass wir verheiratet sind. Das wissen nur Max und Andy. Und Spike denkt doch tatsächlich, ich merke nicht, dass er eifersüchtig auf seinen Schwager ist.“ Buffy kicherte vor sich hin..

„Wie alt?“, fragte Dawn misstrauisch.

„Na gut, so an die fünfzig, aber wie gesagt....“

„Du hast wohl nicht alle krrrrrakks im Schrank, das ist ja ein Tattergreis!“ empörte sich Dawn. „Das war wohl nix. Na egal... Wie lange bleibt ihr denn noch?“

„Ich schätze mal bis Anfang September, dann muss Spike mit seinem Studium anfangen. Ach, ich will hier nicht weg!“ Buffys Stimme klang ein wenig verzweifelt.

„Oh Mann!“ Auch Dawnies Stimme klang ein wenig verzweifelt, denn bis jetzt war sie praktisch nicht zum Reden gekommen. Sie war nur die Stichwortgeberin. Mehr nicht.

„Hör’ mal Dawnie, die Verbindung ist so schlecht, dass ich fast nichts verstanden habe – warum kommst du nicht hier vorbei? Ich bezahl’ den Flug, und von Boise aus könnten wir dich mit dem Auto abholen.“

„Ich kann nicht, hab’ zuviel zu lernen. Leider...“

„Schade... Okay, dann eben nicht. Mach’s gut, Dawnie!“ Buffy legte den Hörer auf und eilte zwei Sekunden später in die Reithalle.

 

 

© Ingrid Grote 2004   Fortsetzung HIER

 

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