KAPITEL
V – Teil 1 GEWITTER
Es geschah nicht oft, dass Daddy Archibald seine Tochter schockte, aber diesmal schaffte er es. Er war nämlich sauer auf Andromeda wegen der Schadensersatzklage, die ihm der Anwalt eines von seiner Tochter verprügelten kleinen Idioten angedroht hatte. Er hatte die Klage zwar verhindert durch Zahlung einer großzügigen Summe an die Familie des kleinen Idioten, aber Andromeda wurde allmählich zu teuer. Und ihr Gerechtigkeitssinn in allen Ehren, aber musste sie den Jungs immer gleich die Nase einschlagen? Das Kind schien wohl unbefriedigt zu sein.
Archibald
war kein Heuchler wie gewisse andere Väter, die ihre fast erwachsenen Söhne in
einen Puff schickten, damit sie dort die ‚Liebe’ kennen lernten, und die
andererseits ihren fast erwachsenen Töchtern einen Keuschheitsgürtel anlegen
wollten, nein, so einer war Archibald nicht. Er meinte allen Ernstes, wenn Andy
mal so richtig guten Sex hätte, dann wären ihre Gelüste auf eingeschlagene
Nasen vielleicht nicht mehr ganz so groß. Und diese seine Meinung teilte er
seiner Tochter auch ganz unverblümt mit.
„Das hat doch gar nichts
miteinander zu tun“, sagte Andromeda empört. „Also wirklich Daddy, du mit
deinem zwanghaften Denken an Sex. Du bist nicht ganz normal!“
„Und du bist auch nicht ganz
normal!“ konterte ihr Daddy.
„Ich höre mir das nicht mehr
länger an“, Andromeda war wirklich wütend. „Ich gehe jetzt zu Max, der würde er
mir nie so einen Quatsch erzählen.“
„Geh’ ruhig zu Max.“ Archie erhob
seine Stimme ein wenig. In diesem Augenblick war er im Gegensatz zu sonst ein
kleines bisschen eifersüchtig auf Max und sein gutes Verhältnis zu Andy, und er
hatte das Bedürfnis, deswegen seine Tochter ein bisschen zu ärgern. „Meinst du,
dein Max bleibt ewig hier? Neeiiin, bestimmt nicht! Irgendwann wird er heiraten
und Kinder kriegen, und dann wird er woanders seinen eigenen Betrieb
aufmachen.“
Andromeda war geschockt. Max
gehörte so zu ihrem Leben, dass alleine die Vorstellung, er könnte eines Tages
nicht mehr da sein, vollkommen absurd war. Vollkommen unvorstellbar war.
„Quatsch!“, giftete sie. „Max und
heiraten! Er ist doch überhaupt nicht der Typ dazu!“
„Andromeda, ich bitte dich! Ist er
schwul?“ Archie machte eine sehr effektvolle Pause, bevor er leicht ironisch
weitersprach: „Oder ist er etwa impotent?“
Andromeda erinnerte sich sofort an
einen gewissen Abend vor ein paar Jahren und musste sich selber zähneknirschend
diese beiden Fragen verneinen. Automatisch schob sich dieses Bild vor ihre
Augen, als er mit dieser fremden Frau in seinem Schlafzimmer DAS getan hatte...
Aus ihr völlig unbekannten Gründen hatte sich dieses Bild in ihr Gehirn
eingeätzt.
Sie schüttelte den Kopf, teils, um
die Frage ihres Vaters nach Max’, oh Gott, Potenz zu verneinen und teils, um
das Bild zu verscheuchen.
„Aber was soll er denn woanders?“
fragte sie schließlich, kleinlaut und nachdenklich geworden.
„Du bist wirklich naiv, mein Kind.
Meinst du, Kampodia ist der Nabel der Welt?“ Die Stimme ihres Vaters klang nun
ein wenig sarkastisch.
„Max wird nie von hier weggehen“,
sagte Andromeda verzweifelt. Ihr Vater hatte etwas in ihr aufgeweckt, das sie
gar nicht wissen wollte. Natürlich war das Verwalterhäuschen viel zu klein für
eine Familie. Familie? Nein! Das war unvorstellbar. Max mit einer Frau, die
immer um ihn herum wäre und eventuell mit Kindern? Er hätte dann bestimmt keine
Zeit und kein Interesse mehr, sich um Andromeda zu kümmern.
Er könnte allerdings auch weggehen
von Kampodia. Das wäre noch schlimmer. Und es wäre für sie unvorstellbar.
Andy ist verunsichert. Sie hat
sich noch nie die Frage gestellt, ob Max eines Tages heiraten wird, ob er
Kinder haben wird und ob er hier auf dem Gut bleiben wird.
Alles war für sie
selbstverständlich: Dass Max nicht heiraten wird, ja vielleicht hat er irgendwo
Kinder, er hat mit verdammt vielen Frauen rumgemacht, so kam es ihr jedenfalls
vor, aber andererseits ist er sehr vorsichtig – wieder erscheint das Bild von
damals vor ihren Augen, und wieder schüttelt sie den Kopf, um es zu vertreiben.
Ihr Vater schaut sie an, als wäre
sie nicht ganz gescheit.
Die Frauen, die waren nie sehr
lange da, das war alles nichts ernstes, oder wird er doch irgendwann einmal...
Aber er wird auf jeden Fall für immer hier in Kampodia bleiben. Alles andere
ist für Andromeda nicht vorstellbar.
Alles andere ist absolut
erschreckend. Das fühlt sie auf einmal so deutlich, dass sie nach Luft ringen
muss. Sie muss mit ihm sprechen, ihn fragen, was er vorhat.
Und sie schämt sich, weil sie noch
nie daran gedacht hat, dass er vielleicht irgendwann heiraten und Kinder haben
will. Sie schämt sich, und außer der Scham ist da noch ein anderes Gefühl, sie
kann es nicht benennen. Der Gedanke an eine zukünftige Frau Lakosta verstört
sie und tut gleichzeitig auf seltsame unbekannte Art weh.
„Ich muss noch mal weg“, sie
verabschiedet sich nicht von ihrem Vater, der ihr verwundert nachschaut, stürmt
die Treppe hinunter und läuft über den Hof zu Max' Haus.
Die Lakostas waren die Nachfahren
ungarischer, böhmischer und rumänischer Einwanderer, und sie lebten
traditionell in den ärmlichen kleinen Häusern des Unteren Dorfes.
Max war der uneheliche Sohn eines
Frühsaisonarbeiters, wie Max' Mutter berichtete, es handelte sich um einen
italienischstämmigen gut aussehenden Schurken, der sich am Ende der Saison im
wahrsten Sinne des Wortes vom Acker gemacht und nie erfahren hatte, dass ein
Sohn von ihm in Kampodia lebte.
Der kleine Max wuchs also vaterlos
auf, erzogen wurde er von seinen älteren Vettern.
Der kleine Max war ein richtiger
Rotzlöffel, prügelte sich laufend mit den größeren Jungens aus dem Dorf herum,
ließ sich absolut nichts gefallen und war aufgrund seiner körperlichen Stärke
auch für die größeren Jungens ein gefährlicher Gegner. Er war ein richtiger
Tunichtgut, ging selten zur Schule, trieb sich mit seinen Vettern herum, bis er
dann mit ungefähr fünfzehn Jahren den Dreh kriegte und sich selber aus dem
Sumpf herauszog, in den er geraten war. Er fing an, wieder regelmäßig zur
Schule zu gehen, wo er gewaltig viel aufzuholen hatte, und er fing an, neben
der Schule Jobs zu haben, um mit dem Geld seine Mutter zu unterstützen. Seine
Mutter hatte nämlich ziemlich große Opfer gebracht, damit Max aufs Gymnasium
gehen konnte.
Archibald von Kampe, der sich
immer schon einen Sohn gewünscht hatte, fand Gefallen an dem mittlerweile
größeren Rotzlöffel und ließ ihn auf dem Gut in den Ställen arbeiten, wo er sich
gewissenhaft und verantwortungsvoll zeigte. Archibald ermutigte ihn auch,
Agronomie zu studieren, denn Max liebte das Land, er mochte die Städte nicht –
im Gegensatz zu fast all seinen Altersgenossen in Kampodia, die es magisch in
die großen Städte im weiteren Umkreis zog – und er wollte später irgendetwas
mit Landwirtschaft machen. Max studierte im Ruhrgebiet Agrarwissenschaften mit
dem Nebenfach Ökologie. Max wusste schon sehr früh, Anfang der 90er Jahre, dass
in der deutschen und natürlich auch der europäischen Landwirtschaft nur nach
rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gehandelt wurde. Die meisten Anbauflächen
waren mittlerweile so ausgelaugt, so bar jeder natürlichen Nährstoffe und
Mikroorganismen und deswegen so stark überdüngt und außerdem übersättigt mit
Pesti-, Fungi- und Herbiziden, dass die landwirtschaftlichen Produkte schon
hart an der Grenze zur Gesundheitsschädlichkeit angelangt waren. Toten Boden
wieder zum Leben zu erwecken, alternative Landbestellung, das wurde Max' Traum.
Er musste natürlich nebenbei arbeiteten, um das Studium finanzieren zu können. Am Anfang fuhr er Pizza aus, und irgendwann verschaffte ihm seine ruhige gelassene Art dann den Job im E-body.
In der Wintersaison spielte er
unregelmäßig Eishockey, falls sein Job ihm Zeit dazu ließ (Wer das
Schlittschuhfahren auf dem rauen Eis der
Teiche in Kampodia erlernt hat, der ist darin unschlagbar), und der
Verein, in dem er spielte war sehr interessiert an ihm. Aber er wollte kein
Berufssportler werden, er wollte in Ruhe studieren, sich dann irgendwo
niederlassen und das Leben führen, das ihm vorschwebte. Er ließ sich nicht von
Archibald unterstützen, er bat ihn nur darum, ab und zu an den Wochenenden,
wenn er seine Mutter besuchte – die übrigens mit 38 Jahren einen Witwer aus dem
Oberen Dorf geheiratet hatte und mit ihm sehr glücklich war – auf dem Gut
arbeiten zu dürfen. Was ihm Archie natürlich nicht verwehrte. Als Max einen
ausgezeichneten Abschluss an der Universität machte, bekam er tatsächlich
mehrere Arbeitsangebote von ländlichen Betrieben, die er im Laufe seines
Praktikums kennen gelernt hatte. Aber er entschied sich dafür, für Archie zu
arbeiten, und der überließ ihm die volle Verantwortung für das Gut. Max
verwandelte das Gut in einen Reiterhof, züchtete Pferde, verkaufte sie mit
Gewinn, verwandelte totes Land in lebendigen Boden, ließ die Gäste arbeiten –
sie arbeiteten mit dem gleichen Eifer, mit dem Tom Sawyers Freunde einen Zaun
anstrichen, den Tom eigentlich selbst hatte anstreichen sollen – und durch
gutes Marketing verkaufte Max die ökologisch angebauten pflanzlichen Produkte
mit enormen Gewinn, denn die so genannte Bio-Kost erfreute sich immer größerer
Beliebtheit.
Natürlich war auch Andromeda ein
Grund für Max, im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Kampodia zurückzukehren,
denn er liebte dieses Kind und fühlte sich für sie verantwortlich.
Seine erste sexuelle Erfahrung
machte der damals vierzehnjährige Max übrigens auf dem Heuboden in den Ställen
des Kampeschen Gutshofes, bevor ein Reiterstübchen daraus wurde, und zwar mit
einem sechzehnjährigen Küchenmädchen. Das war ein Jahr, bevor seine schöne
sechs Jahre ältere Kusine Zirza auf ihn aufmerksam wurde. Damals war sie frisch
mit Archie verheiratet.
Max ist nicht im Häuschen. Aber er
kommt gerade aus dem Stall und führt sein Pferd, den riesigen Mustang Zagato am
Halfter. Zagato ist nicht gesattelt, er trägt auch keine Kandare. Max behauptet
immer, die Trense wäre nicht gut für die Pferde, weil gerade unerfahrene Reiter
zu hart damit umgehen, und außerdem wäre das Western-Reiten mit Kandare viel
bequemer.
Sie geht langsam zu ihm hin. Er
trägt eine blaue Latzhose, ein graues T-Shirt und derbe Arbeitsstiefel und
sieht aus wie ein ganz normaler Farmer, allerdings wie ein besonders gut
aussehender muskulöser großer schwarzhaariger Farmer... Wieso hat sie nie
bemerkt, wie gut er aussieht?
„Ich schicke ihn in den Urlaub. Er
hat ihn sich verdient, der alte Knabe“, sagt Max, als sie bei ihm angekommen
ist. Max meint die Pferdeweide mitten im Wald, wo sie im Sommer nach und nach
die Pferde hinbringen, damit sie sich dort austoben können, mitten in der Natur
auf einer riesigen Weide, die so groß ist, dass man die Umzäunung gar nicht
bemerkt. Es gibt dort eine Art offenen Stall, damit die Tiere bei Unwettern
Unterschlupf finden können, und ab und zu bringt jemand vom Gutshof den Tieren
Heu und Stroh. Für Wasser ist gesorgt. Ein kleiner Bachlauf befindet sich am
Rand der Weide, es ist derselbe Bachlauf, der die Strulle im Dorf speist, also
hat er hervorragendes Wasser. Zagato trägt keinen Sattel, weil Max den Sattel
sonst den ganzen Weg zurückschleppen müsste.
„Ich muss mit dir sprechen“, sagt
Andromeda und spürt einige Schweißperlen auf ihrer Stirn. Ist es heute wirklich
so heiß oder schwitzt sie nur, weil sie sich so aufgewühlt fühlt? Alles an ihr
fühlt sich feucht an, ihr nackter Bauch zwischen dem Top und ihren Bermudas,
ihr Nacken, obwohl sie ihr üppiges Haar zu einem Pferdschwanz hochgebunden hat,
und sogar ihre nackten Knie scheinen feucht zu sein.
„Dann komm’ mit. Wir laufen hin.“
Max lässt den Mustang los, und der trottet wie ein Hund hinter ihnen her.
Schweigend schlagen sie den Weg an
der Kirche ein, der in den Wald führt und sonst nirgendwohin, denn hinter dem
Wald bauen sich die Berge auf. Man erkennt die Gipfel der fünf Berge, die oben
kahles Gestein zeigen und von denen der eine auf seiner rechten Seite so
aussieht wie das Profil des Expräsidenten Richard Nixon.
„Wieso heißt der nicht Nixon, wenn
er schon so aussieht?“ sagt Max endlich, um das Schweigen zu brechen. „Nein,
stattdessen heißt er Eberstein, ein wirklich nichtssagender Name für einen
Berg...“
„Jaaa... Obwohl Eberstein auch
recht hübsch ist...“, Andy ist nicht ganz bei der Sache. Sie weiß nicht, wie
sie anfangen soll und denkt dann, ach was soll’s, ich frag ihn einfach.
„Max, sag’ mal, willst du
eigentlich Kinder haben?“
„Also wirklich, Andy“, Max muss
lachen. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
„Ehrlich nicht? Und willst du
vielleicht irgendwann einmal heiraten?“ Andromeda spürt, wie ihr wieder der
Schweiß ausbricht, es ist wirklich fürchterlich heiß heute, es geht kein
Windhauch, aber das liegt wahrscheinlich an dem dichten Fichtenwald, durch den
sie gerade laufen. Sie gehen über einen schmalen ausgewaschenen Waldweg, und
die hohen Nadelbäume reichen bis an ihn heran. Der dichte Nadelteppich im Wald
dämpft alle Geräusche, und man hört auch keinen einzigen Vogel singen. Klar,
denkt Andy, im Fichtenwald gibt es keine Vögel. Und hoffentlich auch keine
wilden Eber...
„Was ist los mit dir, Andy? Also
übers Heiraten habe ich mir auch noch keine Gedanken gemacht.“ Max lacht
wieder. „Und du weißt doch, wem mein Herz gehört.“ Das ist ein uralter Scherz
zwischen ihnen. Andy hat als Kind einmal gesagt, sie wollte ihn heiraten, wenn
sie einmal groß wäre, und Max hat daraufhin gesagt, dass er zu dieser Zeit ganz
bestimmt schon ein alter Sack wäre, aber dass er sie trotzdem lieb hätte.
Hat er sie immer noch lieb, oder
hat er das mit dem Liebhaben nur gesagt, um die damals achtjährige Andy ruhig
zu stellen? Andromeda fühlt sich unbehaglich, sie fängt an, auf dem holprigen
Waldweg zu stolpern und meint, ein fernes Knurren gehört zu haben. Sie hofft,
es wäre ihr Magen gewesen.
„Was ist denn?“ sagt Max besorgt
und greift nach ihr, um sie am Stolpern zu hindern.
Andromeda hält sich an seiner Hand
fest. Sie ist verunsichert, sie meint, eine Veränderung im Wetter
festzustellen. Und sie hat Recht, sie fühlt sich unbehaglich, denn der
Luftdruck ist innerhalb kürzester rapide gefallen, und dieses Ereignis kündet
meistens ein heftiges Gewitter an.
Ein Gewitter ist das Allerletzte,
was sie jetzt erleben will. Beim letzten Gewitter ist sie dermaßen in Panik
geraten, dass sie fast die Kontrolle über sich selbst verloren hat. Und dabei
war sie in ihrem Zimmer und hatte die Bettdecke über sich gezogen...
„Es
ist nicht mehr weit bis zur Weide, wir können uns da gut unterstellen“, sagt
Max ruhig, denn er will Andromeda nicht noch mehr beunruhigen. Mittlerweile ist
es ihm klar, dass da ein Unwetter im Anzug ist, und zwar keins von schlechten
Eltern. Sie haben das Wetterleuchten nicht gesehen, das Gewitter kam von
hinten, jetzt sitzt es vor den hohen Bergen fest, und mittlerweile zuckt und
blitzt es am Himmel, dass es wie ein gefährliches Feuerwerk aussieht.
Sie hören Zagato wiehern, der
Mustang bäumt sich auf, macht eine Kehrtwendung und galoppiert davon in
Richtung Gutshof. Max lässt ihn laufen, zum einem, weil er nichts machen kann,
zum anderen, weil Zagato den Weg nach Hause von alleine finden wird.
Ein erster kräftiger Donner ertönt.
Ein sehr lauter Donner. Und er ist nur die Vorhut von weiteren...
<<< Und sie hört das Laute, das fürchterlich
knallt und vor dem sie fürchterliche Angst hat. Und sie sieht die grellen Lichter,
die nach dem Lauten kommen. Immer abwechselnd geschieht das, ein grelles Licht,
so dass sie vor Angst die Augen zukneift und kurz darauf ein gewaltiges
Krachen, gegen das sie nichts machen kann, denn sie ist ja noch ein Baby, das
zwar ein bisschen laufen oder vielmehr stolpern kann, aber dass man sich die
Ohren zuhalten kann – was sind Ohren – davon weiß sie nichts. >>>
Andromeda
versucht, nach links in den Wald zu laufen, um vor den grellen Blitzen zu
fliehen und um den Donner nicht mehr hören zu müssen.
„Verdammt noch mal, Andy. Wo
willst du hin?“ Max läuft ihr hinterher und hält sie fest, aber sie reißt sich
los.
Es fängt urplötzlich an zu regnen,
als ob der Himmel alle Schleusen geöffnet hätte. Es ist ein fürchterliches
Chaos von Blitzen und von Donnerschlägen - begleitet von einem sintflutartigen
Niederschlag, der erbarmungslos vom Himmel herunter prasselt.
<<<
Dann kommt das Nasse von oben und saugt
sich in ihren Sachen fest, und dann kommt das Kalte, das sie zum Zittern
bringt. >>>
Andromeda
wirft sich auf den weichen nadelbedeckten Waldboden und versucht, sich in den
dichten Nadelteppich einzugraben.
<<< Sie findet schließlich in einem Haufen Laub
Zuflucht, das Laub erinnert sie wohl an die Decke, die sie zu Hause in ihrem
Kinderbett hat, und sie gräbt sich instinktiv darin ein. Das Kalte und das
Nasse verdrängen ein wenig die Schmerzen in ihren Wunden, die von dem Tier und
von dem starren borstigen Unterholz stammen, in das sie gekrochen ist, um
instinktiv Schutz zu suchen.
Es dauert Ewigkeiten, das Kalte, das Nasse, die Schmerzen, bis sie schließlich nur noch leise vor sich hinwimmert und auf irgend jemanden wartet, der sie von diesen Sachen erlösen wird. Aber es kommt niemand.
Dann auf einmal gibt
es eine Änderung.
Jemand berührt sie,
und wieder hat sie Angst, es wäre das große Tier, das ihr schon einmal
Schmerzen zugefügt hat.
Aber es ist nicht
das große Tier. >>>
Es ist Max, er ist warm und
sicher, und sie schlingt ihre Arme um ihn, weil er so warm und sicher ist.
Schlagartig hört sie den Donner
nur noch gedämpft, und auch die Blitze haben ihren gleißenden Schrecken
verloren.
Sie legt ihren Kopf an Max’ Brust,
und Max hält sie in seinen Armen. Sie ist getröstet. Der strömende Regen
verwandelt sich wie durch ein Wunder in eine erfrischende Dusche nach einem
heißen Tag.
Und alles ist gut.
Das Gefühl der Beruhigung hält
allerdings nicht lange vor und macht auf einmal einem anderen völlig
unerwarteten Gefühl Platz. Einem erregenden Gefühl, einem aufwühlenden Gefühl.
Sie schlingt ihre Arme um Max’
Hals, drückt ungestüm ihre Lippen auf seinen Mund - und fängt an, ihn wild zu
küssen.
Max ist zuerst verwirrt, dann
jedoch kann er ihr nicht widerstehen, er liebt sie schließlich, und das Gefühl,
sie so eng in seinen Armen zu halten, überwältigt ihn, obwohl er weiß, dass
daraus nicht Gutes entstehen kann.
Sie küssen sich hungrig wie
Besessene, und das sind sie wohl auch, sie erforschen sich mit ihren Zungen,
mit ihren Händen, liebkosen sich wie von Sinnen.
Sie
liegen eine Ewigkeit auf dem Nadelteppich unter den Tannen, küssen sich und
spüren einander. Sie versuchen, so nahe wie möglich beieinander zu sein. Sie
schauen sich an, als hätten sie sich noch nie gesehen, berühren sich
fassungslos, küssen sich immer wieder... Es ist wie ein endloser Reigen von
wilden innigen Zärtlichkeiten.
Das Gewitter hat mittlerweile
seinen Schrecken verloren, und der Regen ist wirklich nur noch eine
erfrischende Dusche nach einem heißen Tag.
Max ist nach diesen ewigen Minuten
derjenige, der sich als erster zurückzieht.
„Max?“ Andromeda verspürt einen
schmerzlichen Verlust. Warum zieht er sich zurück? Warum? Sie kann es kaum
ertragen, ihn nicht mehr zu spüren. Gerade ist sie dabei gewesen, sich ihm
hinzugeben, ohne nach irgendetwas zu fragen und dann... Was zum Teufel ist los
mit ihm? Warum steht er auf und lässt sie allein?
„Ich hätte das nicht tun dürfen“,
sagt Max verlegen.
„Warum nicht?“ Auch Andromeda
erhebt sich langsam.
„Es ist nicht gut für dich. Du
bist noch zu jung.“ Max’ Antwort auf ihre Frage klingt schal und beschissen wie
die Antwort von Erwachsenen auf die Fragen von Kindern.
„Warum
nicht?“ Andromeda lässt nicht locker. Sie hat etwas in ihm gespürt, das er mit
seinen dämlichen Erwachsenenphrasen nicht verleugnen kann. Also, warum zum
Teufel will er alles verleugnen, was gerade passiert ist?
„Andy, du weißt doch, du bist mein
Mädchen. Aber du bist noch viel zu jung dafür. Also lass uns das vergessen.“
„Dein Mädchen bin ich also? Warum
erzählst du dann so einen Mist?“ Sie ergreift seine Hand und streichelte sie.
„Wir sollten jetzt nach Hause
gehen“, sagt er streng, lässt aber zu, dass sie weiter seine Hand streichelt
und dann wie früher, als sie noch ein kleines Mädchen war, ihre Handfläche
unter seine schiebt. Als Zeichen des Vertrauens, und instinktiv weiß sie, dass
ihm das gefallen wird.
Er spürt ihre Handfläche unter
seiner Hand, und ihre Berührung fühlt sich so ... ja so ergeben an, dass ihm
die Augen feucht werden.
Oh Gott, er liebt sie. Es darf
nicht sein, aber was soll er dagegen machen. Dieser endlose Kuss hat Wünsche in
ihm aufgeweckt, die er bisher verleugnet hat, sie ist das süßeste Geschöpf
dieser Erde, und wenn sie auch nur ahnen würde, was sie ihm bedeutet... Nein,
sie darf es nicht ahnen.
Die Blitze und der Donner hatten
sich entfernt, und es regnete nicht mehr, als beide den Waldweg in Richtung Gut
zurückgingen. Sie hatten sich bei den Händen gefasst, sie sahen beide aus, als
hätten sie sich zuerst im Dreck und dann im Schlamm gewälzt, sie sahen beide
aus, als hätten sie eine hitzige Liebesnacht miteinander verbracht, aber sie
hatten sich doch nur geküsst, und für Andromeda hatte sich auch nur ihr Leben
verändert.
Max, er war es! Nur Max konnte
ihre Ängste besänftigen, nur Max war es, der ihre Erregung anfeuern konnte, nur
Max war es. Nur er...
Als sie nach einer Viertelstunde
die Kirche und kurz darauf den Gutshof erreichten, hielten sie sich immer noch
an den Händen.
„Ich komm’ nachher bei dir
vorbei“, sagte Andromeda zu Max, sie löste ihre Hand aus seiner, gab ihm einen
kurzen Kuss und ging beschwingt in Richtung Herrenhaus.
Max sah ihr sehnsüchtig nach und
dachte: Jetzt ist es passiert, der Anfang vom Ende, aber es ist schön, es ist
so verdammt schön. Sie ist so schön, so gut... Was zum Teufel soll ich nur
machen?
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KAPITEL
V – Teil 2 DISCO QUEEN
Rebekka, Zirza und die blonde
hagere Biggi machten sich spätabends zurecht. Das bedeutete, dass Rebekka ihr
Haar lässig hochraffte, einen fast unsichtbaren Lippenstift auflegte und ein
relativ weit ausgeschnittenes Spitzenshirt anzog Die anderen brauchten
natürlich erheblich mehr Zeit für das Aufbretzeln. Und dieses geschah natürlich
an einem Samstag, weil am Samstag der Laden proppevoll sein sollte – oder
zumindest viel voller als an den anderen Tagen.
Sie hatten nämlich vor, in die berühmteste
Kleindisco von Brunswick zu gehen. Berühmt war die Disco deswegen, weil es die
einzige Disco in Brunswick war. Vor zehn Uhr sollte man allerdings nicht dort
erscheinen, wie Ortskundige berichteten. Vor zehn Uhr war nämlich dort nur tote
Hose angesagt.
Rebekka wunderte sich nicht, dass
die hagere blonde Biggi mitging, denn die hatte im Augenblick wohl ziemlich
viel Stress mit ihrem kleinen Gatten Sammy, der sich mehr mit der Bar und den
Getränken darin als mit seiner Ehefrau beschäftigte.
Die Disco ist nicht besonders
groß. Es gibt eine quadratisch gebaute Theke mit drei Seiten zum Sitzen, und
Zirza ordnet an: „Wir setzen uns auf keinen Fall an einen Tisch, sondern an die
Theke!“
Rebekka ist das recht, denn sie
haben an der Bar im Gutshof schon ein paar Likörchen genommen - die ihnen
ironischerweise Biggis Mann serviert hat, dem es anscheinend egal ist, dass
seine Frau ohne ihn ausgeht – und die Welt ist heute Abend schön weich
schattiert und sehr freundlich.
„Hallo Dennis“, hört sie neben
sich Zirza jemanden begrüßen.
„Hallo Zirza, wie geht’s dir denn
so“, sagt der Angesprochene und redet weiter: „Sag’ mal Zirza, wer zum Teufel
ist diese bezaubernde Frau da neben dir.“
Zirza lacht und stellt ihm Rebekka
als liebe Freundin vor.
Rebekka trinkt locker mit ihren
beiden Kameradinnen mit.
Rebekka lässt ihre Blicke
schweifen und sieht erstaunt einen ihr bekannten Mann an der Theke gegenüber
auf einem Barhocker sitzen. Er schaut nachdenklich in sein Glas und hat
anscheinend keine Augen für seine Umwelt.
Sie geht zu ihm hinüber, sie
stellt sich neben ihn, stupst ihn an und sagt so ganz nebenbei, und es ist ein
Schuss ins Blaue: „Du denkst an sie, was?“
„Sieht man das so offenkundig?“
Max ist überrascht.
„Ich sehe es!“ sagt Rebekka.
„Aber das ändert nichts daran,
dass sie unerreichbar für mich ist.“ Max schaute sie an mit einem Schmerz in
seinen grauen Augen, den Rebekka noch nie bei ihm gesehen hat.
„Aber warum denn? Gut, du bist
viel älter, aber ihr seid so ein schönes Paar“, sagt Rebekka.
„Es ist etwas aus meiner
Vergangenheit...“
„Lass mich mal überlegen“, Rebekka
hat da so einen Verdacht und legt den Kopf in den Nacken. „Du hattest was mit
Zirza!“ sagt sie schließlich triumphierend.
Max gibt darauf keine Antwort.
„Du schaust sie immer so
hasserfüllt an. Das sieht man“, sagt Rebekka mit Überzeugung.
„Sieht man das?“ Max scheint
erschrocken zu sein.
„Ich sehe es.“
„Rebekka, bitte nimm dich vor ihr
in Acht. Sie kann unangenehm werden. Nein das ist falsch, sie IST unangenehm.“
„Aber sie ist doch nett...“
„Nett? Oh Gott!“ Max schweigt eine
Weile, bevor er fortfährt: „Wenn nett sein bedeutet, dass sie dich manipuliert
und dich zu Taten treibt, die du sonst nicht im Traum begehen würdest, gut...
dann kannst du sie nett nennen.“
„Ooooh?“ Rebekka ist ein bisschen
geschockt. Aber da sie auch ein bisschen betrunken ist, nimmt sie Max nicht
richtig ernst.
„Also pass auf deine Drinks auf und...
ach was“, Max lächelt, „du kannst schon selber auf dich aufpassen. Willst du
vielleicht tanzen?“
Rebekka überlegt. „Nein besser
nicht“, sagt sie dann schließlich. „Du würdest ja doch nur an sie denken.“
„Du hast Recht,“ sagt Max. „Und
du? Du würdest auch nur an ihn denken. Und deswegen gehe ich jetzt besser nach
Hause.“
„Wen meinst du?“ Rebekka stellt
sich ganz blöd.
Max erhebt sich von seinem
Barhocker, wirft einen Geldschein auf die Theke und macht Anstalten, die Disko
zu verlassen. „Na wen wohl!“
„Ach, du spinnst ja!“
„Na gut, ist ja auch egal. Aber
trau’ ihr nicht“, sagt er noch einmal eindringlich zu Rebekka.
Rebekka starrt ihm nach, als er
die Disco verlässt. Sie ist ein wenig sauer, weil er meint, sie durchschauen zu
können. Außerdem glaubt sie nicht wirklich, dass Zirza gefährlich ist, nein,
das kann nicht sein. Max muss sich irren.
Zirza hat Max und Rebekka von der
anderen Seite der Theke aus beobachtet. Max könnte lästig werden, aber sie kann
nichts gegen ihn tun. Er ahnt oder weiß vielleicht einiges über sie, der
Dreckskerl.
Rebekka hat jetzt das dringende
Bedürfnis, noch mehr zu trinken. Und sie hat das Bedürfnis, sich zu amüsieren.
Sie will sich mit einem netten gutaussehenden Mann amüsieren, der sie zu
schätzen weiß. Ein durchgeknallter Ziegenbock ist ja ganz putzig, aber nicht
das gleiche wie ein richtiger Mann. Und Daniel ist zwar ein richtiger Mann, an
den strategischen Stellen auf jeden Fall, sie muss kichern, aber der ist so
labil, der verliebt sich in jede Frau, mit der er pennt. Und das ist nicht sehr
vertrauenswürdig. Außerdem ist er in den letzten Tagen ihr gegenüber ziemlich
kühl gewesen. Und das stört sie aus unbekannten Gründen irgendwie.
Also stürzt Rebekka sich in das
Vergnügen. Sie trinkt einen seltsamen grünen Likör, der bestimmt ziemlich
hochprozentig ist und dieses durch seine Süße verbirgt.
Man gibt sich gegenseitig
Likörchen aus. Die Frauen geben natürlich selten einen aus, das ist auf dem
Lande nicht üblich, auf dem Lande bezahlt immer noch der Mann (Böse Zungen behaupten,
dass schon diverse Männer pleite gegangen sind, weil sie aus Versehen zwei bis
drei ihnen bekannte Frauen in einer Kneipe getroffen haben). Und der Bezahler
ist in diesem Fall der Metzgermeister Dennis, welcher von Rebekka fasziniert
ist. Er schaut sie bewundernd an und weicht nicht von ihrer Seite.
Bis sie auf die Tanzfläche geht.
Ab da sind seine Blicke nicht mehr bewundernd, sondern anbetend und verlangend.
Rebekka tanzt für sich allein,
falsch, in Wirklichkeit tanzt sie für jemanden, der aber nicht hier ist. Und
für jemanden, der es sicher nicht wert ist.
Also tanzt sie für Dennis, er ist
hier, und er ist nett. Oder? Doch, er ist nett, und er bewundert sie.
Rebekka gerät immer mehr in einen
wunderbaren euphorischen Zustand. Wenn sie aufs Klo geht, hört sie rhythmische
Klänge und tanzt dazu, bis sie herausfindet, dass es sich um Geräusche handelt,
die von der Lüftung produziert werden. Ist aber trotzdem ein irrer Sound, und
er wiederholt sich immer wieder... Immer wieder... Sie muss kichern!
Dennis sieht wirklich nicht
schlecht aus, tatsächlich sieht er im Laufe der Nacht immer besser aus, und
seine Aufmerksamkeit gehört nur ihr allein, stellt Rebekka fest.
Sie kann sagen, was sie will,
Dennis ist von ihr fasziniert. Und sie kann machen, was sie will, auch davon
ist er fasziniert. Wenn sie sich von der Theke wegdreht, dann dreht er sich
auch von der Theke weg. Wenn sie ein paar Schritte von der Theke weggeht, dann
geht er auch ein paar Schritte von der Theke weg. Er hängt an ihr wie eine
Marionette. Es ist ein wahnsinnig gutes Gefühl, jemanden dirigieren zu können,
und es gibt ihr ein gewisses Gefühl von Macht, das den Frust verdrängen muss,
den sie mit Daniel erlebt. Ha, Daniel ist doch sonst so ein Weichei, was ist
los mit ihm? Und wieso fühlt sie sich immer zu den sogenannten harten Männern
hingezogen? Geht doch sowieso in die Hose... Aber Dennis ist nett, natürlich
hat er nicht den Hauch einer Chance, aber er ist ein schöner Zeitvertreib, das
denkt Rebekka vage, denn sie kann die Gedanken nicht mehr richtig in Worte
kleiden.
Zirza beobachtet Rebekka und
Dennis. Für die blonde Biggi, die im Laufe der Nacht – und zwar als der Laden
offiziell schon zu ist – eine schnelle Nummer mit dem gut aussehenden jungen
Barkeeper auf einer Bank macht, interessiert Zirza sich nicht. Sie interessiert
sich nur für Rebekka und für Dennis. Denn Rebekka ist trotz ihrer rauen Schale
ein liebes Mädchen, ein liebebedürftiges Mädchen. Und Zirza möchte diesem
lieben einsamen Mädchen ein bisschen Abwechslung verschaffen und ein wenig
Spaß…
Der Witz ist, niemand ahnt, dass
sie genau über Rebekka Bescheid weiß, sie weiß wo sie geboren ist, sie weiß wie
alt sie ist, sie weiß, wer ihre Eltern sind. Es ist wirklich so, als wäre sie
eine Verwandte von ihr. Bei diesem Gedanken bricht Zirza fast in Gelächter aus.
Und sie glaubt nun, dass es an der
Zeit ist, Rebekka die Tropfen in ihren grünen Cocktail zu geben...
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Daniel klopfte um die Mittagszeit
an.
Keiner öffnete die Tür, und so ging
er einfach in die Wohnung hinein. Er fand Rebekka ziemlich desolat und voll
angezogen in ihrem zerwühlten Bett vor.
„Oh!“, sagte er mitleidig, denn
Daniel wusste, wie man sich nach einem zünftigen Besäufnis fühlte.
„Geh’ weg!“
„Da ist ein Typ, der behauptet, du
wolltest mit ihm frühstücken.“ Daniels Stimme klang spöttisch und irgendwie
ungläubig.
„Was! Wie? Keine Ahnung“, murmelte
Rebekka. „Wimmel’ ihn ab. Ich kenn’ keinen, mit dem ich... oh! Frühstück? Mir
wird schlecht!“ Sie griff sich an die Stirn.
„Hast du ’ne Amnesie oder was?
Daniels Stimme klang verärgert, denn er war ein bisschen sauer auf diesen
unverschämten Kerl, der Rebekka zum Frühstück eingeladen hatte.
„Nein, ich weiß nur nicht, was passiert ist“,
sagte Rebekka stöhnend und hielt ihren Kopf vorsichtig fest.
Daraufhin musste Daniel lachen,
obwohl er das gar nicht wollte. „War wohl ein bisschen viel gestern Nacht...“
„Ach w… Oh Gott!“ Rebekka spürte,
wie ihr irgendetwas hochkam, das sie unbedingt loswerden musste. Sie sprang
eilig aus dem Bett – Gott sei Dank trug sie noch alles, was sie gestern Nacht
angehabt hatte – und lief ins Badezimmer, um sich über der Kloschüssel zu
übergeben. Als von alleine nichts herauskam, steckte sie sich einen Finger in
den Hals, das war widerlich, aber sie würgte daraufhin ein ekelhaftes Zeug aus
mit ein paar dicken Brocken drin. Das war wohl das Abendessen von gestern. Und
die Vorstellung, dass sie mit ihrem Gesicht über einer Kloschüssel hing, war
ekelerregend genug, dass sie wieder einen Schwall von Flüssigkeit in die
Kloschüssel erbrach, ohne dass sie sich vorher einen Finger in den Hals stecken
musste.
Als nichts mehr herauskam, setzte
sie sich auf den Rand der Wanne und stierte vor sich hin. Es war entsetzlich!
Sie hielt ihren Kopf über die Badewanne und brauste sich mit eiskaltem Wasser
das Gesicht ab, wobei die Haare auch etwas Wasser mitbekamen. Das tat zwar
kurzfristig ein wenig gut, hielt aber nicht sehr lange vor. Dann machte sie den
Versuch, sich die Zähne zu putzen, aber dabei tat ihr der Kopf zu weh, also
hörte sie schnell damit auf.
Was hatte Daniel da geschwätzt?
Ein Frühstück mit einem Typen? Sie hatte keine Ahnung, was er meinte. Und warum
fehlten ihr mehrere Stunden der gestrigen Nacht? Zu peinlich das.
Rebekka frottierte sich mit einem
Handtuch vorsichtig die Haare, um ihrem höllisch wehtuenden Kopf nicht noch
mehr weh zu tun, sie verließ das Badezimmer, öffnete den Kühlschrank und griff
sich eine Flasche Mineralwasser. Setzte sie sich an den Mund und nahm einen
endlosen Schluck daraus. Dann legte sie sich wieder ins Bett.
„Was soll ich dem Mann denn jetzt
sagen?“ Daniels Stimme dröhnte in ihrem Kopf. „Was ist denn jetzt mit dem
Frühstück?“
„Bitte nicht schreien! Ich kenne
keinen. Ich kenne kein Frühstück. Lass’ mich doch in Ruhe!“
„Also wirklich Rebekka, du kannst
den Typen doch nicht erst einheizen und dich dann verpissen, also, ich muss
schon sagen...“
„Bitte bitte nicht so laut!“
Rebekka machte ein gequältes Gesicht, drehte sich zur anderen Seite und
kringelte sich eng zusammen.
Daniel musste wieder lachen. Er
war zwar ein bisschen sauer auf sie, aber es schien nichts passiert zu sein,
weswegen er sich Sorgen machen musste. Oder weswegen sie sich Sorgen machen
musste.
Er betrachtete sie eine Weile, dann legte er sich
vorsichtig neben sie und umarmte sie zart. Sein Kopf war ganz nahe an ihrem,
und er roch ihr Haar und ihre Haut. Er versuchte, ihr mit seinem Körper nicht
näher zu kommen, obwohl ihre Anziehungskraft gewaltig war. Er wollte einfach
nur neben ihr liegen und sie im Arm halten. Sie machte eine Bewegung und
drückte sich mit dem Hintern näher an ihn. Das war nun wirklich fatal, denn die
Ergebnisse waren danach. Trotzdem widerstand er der Versuchung, sie enger an
sich zu ziehen und sich mit einem bestimmten Körperteil, das wahrscheinlich
steif war wie, leider fiel ihm kein Vergleich ein, an ihrem weichen Körper zu
reiben. Nein, es war gut so, er wollte sie nur im Arm halten für eine Weile,
sonst wollte er nichts, obwohl... Nein, besser nicht.
Rebekka spürte es, und es war
nicht unangenehm. Aber das konnte sie ihm natürlich nicht zeigen. Also stöhnte
sie auf und tat so, als ob sie schliefe. Instinktiv schob sie ihm ihr
Hinterteil entgegen, aber leider reagierte er nicht, und sie war ein wenig
enttäuscht. Aber in diesem Moment an Sex zu denken, aua, allein der Gedanke
daran tat schon weh, und sie stöhnte wieder auf. Aber so war es auch gut.
Eigentlich war es richtig schön. Sie entspannte sich und schlief ein.
Rebekka wusste nicht, dass sie
Glück gehabt hatte. Zirza hatte eigentlich geplant, sie mit dem Metzgermeister
Dennis, Inhaber von einer der zwei Metzgereien in Kampodia, frisch geschieden
und scharf wie eine Rasierklinge, ins Bett gehen zu lassen, aber diese Pfeife
Rebekka konnte überhaupt keinen Alkohol vertragen und hatte – schon voll
besoffen – den entscheidenden Drink umgekippt, in dem sich die Tropfen
befanden, die sie vollkommen hilflos und geil machen sollten. Und Dennis, ein
ehemaliger Schulfreund von Zirza, wollte auch nicht so mitspielen, wie es Zirza
vorschwebte, dieser Idiot hatte sich tatsächlich in Rebekka verliebt und sie
zum Frühstück in sein Haus eingeladen. Und jetzt war er total fertig, weil die
süße Rebekka nicht zum Frühstück gekommen war.
Gut, es hatte zwar nicht geklappt
wie vorgesehen, aber so war es auch nicht schlecht. Dennis schlich nun wie ein
liebeskranker Kater um das Gut herum, das würde Daniel bestimmt nicht gefallen.
Das kostbare Kind war nämlich
leichter zu kriegen, wenn man es von einem Elternteil isolierte. Das bedeutete
Verlust an Schutz und so weiter... Und Daniel war tatsächlich der Vater, man
hatte es durch unauffällige Gentests festgestellt, kein Problem für eine Firma,
die auch mit Halluzigenen und Drogen experimentierte.
Für Spionage war Zirza zuständig, sie
verdiente dadurch wesentlich mehr als durch ihre Boutiquen. Sie fragte sich
allerdings immer noch, wieso Daniel und Rebekka sich hier getroffen hatten.
Möglicherweise war Morgaine der auslösende Faktor. Sie war unberechenbar, sie
konnte anscheinend – außer Gedanken lesen – auch in die Zukunft sehen. Die
Firma interessierte sich sehr dafür, man wollte feststellen, welche Enzyme oder
Hormone damit zu tun hatten. Man würde Morgaine wie ein Versuchstier benutzen,
um ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten nachahmen zu können.
Blöderweise machten weder Daniel
noch Rebekka den Eindruck, als würden sie sich in absehbarer Zeit an die Gurgel
gehen.
Dann eben auf die harte Tour!
Zirza hatte einen Plan entwickelt, der schwer nach Kindesentführung roch, sie
wartete nur noch auf den richtigen Zeitpunkt. Und ‚Kindesentführung’, das war
auch so ein Wort, bei dem sie lauthals loslachen musste. Kindesentführung war
in ihrer Familie ja fast schon Tradition...
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KAPITEL
V – Teil 3 MAX – TANTEN, REBEKKA – ANDROMEDA
„...nicht mit rechten Dingen zu,
aber falls wirklich...“
Mehr
hörte Max nicht, als er an der Küche vorbeiging, wo sich Tante Bernadette und
Tante Mansell gerade leise unterhielten und sofort verstummten, als sie
jemanden an der Tür vorbeigehen sahen. Eigentlich wollte Max ein wenig im Pool
schwimmen und sich dadurch abkühlen, denn das Zusammensein mit Andy war so
erregend, dass sein Körper permanent in Flammen stand. Sie durfte nicht spüren,
wie sehr es ihn nach ihr verlangte. Er musste immer der ältere, der
vernünftigere von ihnen sein, und seine Beherrschtheit brachte sie ziemlich in
Rage.
Vor
der Tür zum Poolraum blieb Max stehen und dachte über die vielleicht
unverdächtigen Worte der Tanten nach, möglicherweise waren sie ja nur aus dem
Zusammenhang gerissen. Aber vielleicht steckte mehr dahinter...
Max ging in den Poolraum, zog sich
aus und stellte sich unter die Dusche, während er weitergrübelte und versuchte,
die Vergangenheit aufleben zu lassen:
Archies Frau Kassiopeia starb bei
der Geburt ihrer Tochter Andy. Er suchte daraufhin nach einer Amme für die
Kleine – und fand sie in der Tochter seiner älteren Schwester Bernadette. Aber
kurz darauf geschah die Tragödie: Bernadettes Tochter und ihr Kind starben
unter ungeklärten Umständen, während die kleine Andy überlebte.
Tante Bernadette hatte also zwei
geliebte Menschen verloren, ihre eigene Tochter und deren Kind, und man hatte
sie sogar verdächtigt, den Tod von Tochter und Enkelkind durch Fahrlässigkeit
verschuldet zu haben. Bernadette war natürlich im Laufe der Jahre ein bisschen
kurzsichtig geworden, aber trotzdem konnte sie immer noch einen
Wiesenchampignon von einem Knollenblätterpilz unterscheiden. Dennoch waren wohl
mehrere hochgiftige Pilze in das Pilzgericht gelangt, das sie selber ihrer
Tochter gebracht hatte, als diese ihr eigenes Kind und die kleine Andy stillte.
Tante Bernadette erlitt einen Nervenzusammenbruch, der sie drei Monate ans Bett
fesselte. Die Anklage wegen fahrlässiger Tötung wurde schließlich fallengelassen,
es gab keine Beweise gegen sie. Aber allein der Verdacht, der auf ihr gelegen
hatte, veränderte die Tante, ihr Wesen wurde düster, und ihr Leben war trostlos
seit dem Tod ihrer Tochter und ihrer Enkelin, zumal sie sich selber die Schuld
daran gab, ohne zu wissen, was überhaupt passiert war.
Während er schwamm, dachte Max
weiter nach. Die Abneigung der Tanten gegen Zirza war kaum zu übersehen.
Vielleicht nahm Tante Mansell es ihr übel, dass sie so schnell die Nachfolgerin
von Kassiopeia geworden war. Das konnte man verstehen. Aber was konnte Tante
Bernadette Zirza übel nehmen? Max fiel dazu absolut nichts ein, außerdem wurden
seine Gedanken immer wieder durch Andromeda abgelenkt, beziehungsweise
umgelenkt, und er konnte sich zeitweilig nicht mehr auf die... ach ja, die
Tanten konzentrieren. Sie war so süß, ihre Küsse, ihre Berührungen, sie war
eben Andy, sein Mädchen. Und sie musste geschützt werden. Das hatte Vorrang vor
allen anderen Dingen.
Und wenn dieses verdammte Weib
irgend etwas damit zu tun hatte, dann würde er sie zur Strecke bringen, auch
wenn er selber dabei draufging. Das war er Andy schuldig. Wieder schweiften
seine Gedanken zu ihr hin. Beim Schwimmen konnte man das Träumen auch gar nicht
verhindern...
Also, die Tanten – Max’ Gedanken
rissen sich von Andromedas süßer Gestalt los und auch davon, dass ihre Brüste
so perfekt in seine Hände passten – welche sollte er sich zuerst vorknöpfen?
Nein, Max, nicht die Brüste, verdammt noch mal, sondern die Tanten! Wie konnte
dieses Kind ihn nur so durcheinander bringen? Das hatte bisher noch keine
andere Frau geschafft. Bis vor kurzem war er der beherrschte und der
beherrschende Typ gewesen, der immer alles unter Kontrolle hatte, vor allem
seine Gefühle. Es war natürlich nicht schwer, Gefühle unter Kontrolle zu haben,
die gar nicht oder nur schwach vorhanden waren. Im Gegensatz zu jetzt. Ach,
Andy...
Also die Tanten... Andererseits,
wenn er sie sich alleine vorknöpfte, könnte dann die erste die andere
vorwarnen. Vielleicht wäre es besser, sie beide zusammen auszuquetschen.
Eine halbe Stunde energischen
Schwimmens hatte nicht gereicht, um Max’ Verlangen nach Andy wirklich
abzukühlen. Wahrscheinlich würde auch eine Eisdusche das nicht schaffen.
Ein paar Minuten später öffnete
Max die Tür zur Küche. Sie waren noch da, und das war gut so. Max hatte sich
entschlossen, auf volles Risiko zu gehen und so zu tun, als wüsste er so
einiges, um die Tanten damit sofort in die Defensive zu treiben.
„Dann erzählt mir jetzt doch mal, was damals wirklich passiert ist“, sagte er zu den Tanten, die vor ihm standen wie hypnotisierte Kaninchen. Sogar die sonst immer beherrschte Claudia schien leicht zu zittern.
Was sie ihm dann allerdings
erzählten, ließ sein widerspenstiges schwarzes Haar noch mehr in die Höhe
stehen, als es das normalerweise schon tat.
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Rebekka geriet allmählich unter
Zeitdruck. Es war mittlerweile die letzte Augustwoche, und sie hatte soviel
Zeit mit Lesen und Ausflügen und Schwimmen und Sonnen und Reitenlernen und
anderen Dingen verbracht, dass sie vom Kochen immer noch nicht viel Ahnung
hatte. Die drei Nachmittage, die sie bei Tante Bernadette in der Küche
verbracht hatte, waren ausgefüllt mit dem Erlernen von Grundkenntnissen, von
denen Tante Bernadette behauptete, dass sie Rebekka in der Zukunft nützlich
wären und zwar, um alles mögliche kochen zu können.
Und jetzt wollte Tante Bernadette ihr den Gemüsegarten des Gutes zeigen und erklären. Tante Bernadette sah verhärmt und traurig aus, sie hatte verweinte Augen und dachte anscheinend an ganz etwas anderes als an Gemüse und Gärten.
Auch Rebekka war nicht ganz bei
der Sache. Der Urlaub war fast vorbei. Am Anfang hatte es so ausgesehen, als
hätte sie ewig Zeit gehabt. Aber jetzt, wo nur noch ein paar Tage übrig waren,
da konnte man leicht unter Zugzwang kommen. Rebekka wollte eigentlich gar nicht
weg von Kampodia. Warum nicht hier bleiben? Für Morgaine wäre es fantastisch
und für sie selber auch. Und ob sie jetzt in der Großstadt Miete bezahlte oder
für eine Wohnung hier, das war doch wohl egal. Aber woher Arbeit bekommen?
Archie fragen? Nein, das konnte sie nicht.
Ja wirklich, Rebekka träumte vom Landleben. Kampodia war wie ein Traum aus einer vergangenen Zeit. Gut, es war ein raues Leben – auf den ersten Blick idyllisch, auf den zweiten Blick vielleicht grausam, zum Beispiel wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Aber das Schwein hatte ein relativ gutes Leben gehabt im Vergleich zu den anderen armen Viechern in den Massenställen. Na ja, am besten verdrängen und kein Fleisch mehr essen...
Und vielleicht würde Andromeda irgendwann selber Kinder haben, und die könnten dann mit Morgaine spielen. Denn wie es aussah, hatten sie und Max endlich zueinander gefunden, obwohl Max, wie Rebekka meinte, noch nicht so richtig aus’m Quark kam. Nun denn, Andy war noch so jung...
Aber das waren wohl alles Träume.
Erst einmal kam als Abschluss der Ferien der große Sommerball. Genauer gesagt
war er in vier Tagen am Wochenende. Und da Rebekkas Tanzkenntnisse sich aufs
Bluestanzen beschränkten, hatte sie heimlich bei Archie Unterricht genommen.
Sie übten in der Bibliothek zu den Klängen eines Kassettenrecorders, und
Rebekka fühlte sich nach ein paar Übungsstunden schon so tanzfest, dass sie dem
Ball ohne Schrecken entgegensehen konnte. Ob Daniel mit ihr tanzen würde? Ach
was, Daniel, immer wieder Daniel! Der war anscheinend ein bisschen sauer über
ihren Verehrer Dennis, der sich von Daniels Unfreundlichkeit einfach nicht
abschrecken ließ, sondern weiterhin abends vorbeikam und Rebekka in
irgendwelche Lokalitäten einladen wollte. Sie konnte sich zwar immer mit
Ausreden aus der Affäre ziehen, aber es war ein bisschen schwierig, den guten
Dennis auf Distanz zu halten...
„Also, hier sind die Zwiebeln,
Rebekka.“ Tante Bernadettes Stimme riss Rebekka aus ihren Träumen.
„Wo denn? Ich sehe keine....“
„Nun, sie sind unter der Erde“,
Tante Bernadette seufzte auf und wischte sich kurz über die Augen, dann bückte
sie sich und bewegte vorsichtig die langen wie Porree aussehenden Stängel hin
und her, lockerte dadurch die Erde und zog schließlich eine wunderbar geformte
Zwiebel aus dem Beet heraus.
„Tatsächlich, eine Zwiebel!“ sagte
Rebekka ehrfürchtig. Bei näherem Hinsehen konnte man die Zwiebeln im Boden
sehen, sie waren also nicht tief unter der Erde.
„Und bei den Karotten ist es
genauso“, fuhr Tante Bernadette mit jetzt leicht zitternder Stimme fort und
deutete auf ein wunderbar zartgrünes Blattgespinst, an dem sich wohl unter der
Erde die Karotte befand.
„Darf ich mal eine rausziehen?“
Ohne die Antwort abzuwarten, rappelte Rebekka an dem zarten Grün herum... hatte
es abgerissen, und die Karotte steckte immer noch im Boden. „Oh oh!“
„Hier, nimm diese kleine Schüppe
und lockere den Boden erst einmal auf. Sie gehen nicht so leicht heraus wie die
Zwiebeln.“
Als Rebekka endlich eine Karotte
aus dem Boden geprockelt hatte, ging es weiter zu den Salatbeeten. Der
Kopfsalat, das war der einzige Salat, den Rebekka kannte, wuchs
freundlicherweise über der Erde und musste nur noch abgeschnitten werden.
„Endiviensalat“, murmelte Tante
Bernadette, „und Eichblattsalat. Und hier stehen die Gewürze.“ Sie deutete auf
ein hoch gelegenes Beet, von dem man ohne sich zu bücken ernten konnte und in
dem so Sachen wie Petersilie, Schnittlauch und noch viele andere Gewürze
wuchsen, die Rebekka aber auch nicht kannte.
„Alles muss gut gewaschen
werden... Ich muss dir unbedingt noch zeigen, wie man Salatsoßen macht.“ Wieder
wischte sich Tante Bernadette über die Augen. „Aber heute nicht mehr. Rebekka,
würdest du mich entschuldigen, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.“
„Natürlich“, sagte Rebekka
mitfühlend. „Geht es dir nicht gut?“
„Es ist nichts.“ Tante Bernadette
machte eine abwehrende Handbewegung. „Es ist gar nichts.“ Und sie ging mit
langsamen müden Schritten zurück zum Herrenhaus.
Rebekka sah ihr verwundert nach,
wurde aber dann abgelenkt von den Johannisbeersträuchern mit ihren prallen
roten Fruchtbüscheln. Rebekka probierte ein
paar Beeren, aber sie waren ziemlich sauer. Man musste sie in Zucker einlegen.
Oh ja, Rebekka hatte schon viel gelernt. Ihr Blick wanderte zu den Erdbeeren.
Die Erdbeerzeit war leider schon lange vorbei, aber es wuchsen immer noch ein
paar dicke Nachzügler an den Erdbeerpflanzen. Rebekka probiert auch davon eine,
und die war... einfach fantastisch! Nicht zu vergleichen mit denen, die man im
Laden kaufen konnte. Rebekka suchte die Reihen der Pflanzen peinlich genau nach
weiteren Nachzüglern ab und wurde noch weitere Male fündig.
„Hey Rebekka. Hast du Max
vielleicht gesehen?“ Andy war gerade neben ihr aufgetaucht.
„Hmmm“, Rebekka hatte sich gerade
ein besonders großes Erdbeerexemplar in den Mund gesteckt. „Isch glaube, er
ischt mit Daniel in die Kneipe gegangen.“
„Was?! Warum zum Geier gehen die
in diese blöde Kneipe? Warum können die ihr Bier nicht hier trinken?“ Andromeda
schien ein wenig sauer zu sein.
„Habt ihr Stress oder was?“ fragte
Rebekka neugierig.
„Nein...“ Das Nein klang irgendwie
zweifelnd, als ob Andromeda selber nicht wusste, ob sie nun Stress mit Max
hatte oder nicht.
„Was ist denn los?“
„Ach ich weiß nicht“, Andy köpfte
mit einem Holzstock, den sie mitgebracht hatte, zornig eine der knackigen
Dahlien, die die Reihen der Gemüsebeete auflockerten.
„Lass die unschuldigen Blumen in
Ruhe. Die können doch nichts dafür“, sagte Rebekka.
„Ich glaube, er liebt mich nicht“,
sagte Andy mit leiser leidender Stimme. „Zumindest nicht so, wie ich ihn
liebe.“
„So ein Quatsch“, meinte Rebekka entrüstet. „Natürlich liebt er dich! Dieser Blick, wenn er dich anschaut! Ich hab’ von Anfang an gedacht, der empfindet was für die Kleine...“
„Die Kleine!“ Andromedas Stimme
klang jetzt bitter. „Genau das bin ich für ihn. Ein Kind!“
„Er guckt dich nicht an wie ein
Kind, Andy.“
„Aber er behandelt mich wie ein
Kind. Warum schläft er nicht mit mir? Ich mache ihn nicht geil genug! Immer
macht er einen Rückzieher, wenn...“ Andromeda köpfte wütend eine weitere
Dahlie.
„Ist es nicht ein bisschen früh
dafür?“
„Nein, ich finde, es ist genau der
richtige Zeitpunkt dafür, aber er will mich ja nicht. Er will wahrscheinlich
jede andere beknackte Schlampe mehr als mich!“
„Quatsch, er liebt dich, das sieht
doch jeder!“
„Ach ja? Tut er das? Er hat es mir
nämlich noch nie gesagt. Also, woran bin ich mit ihm?“
„Es gibt Menschen, die sagen eben
nicht gerne diese Worte“, meinte Rebekka nachdenklich. „Ich selber habe...
diese Worte auch noch nicht gesagt.“
„Ist nicht wahr!“ Andromeda war
für einen Moment abgelenkt. „Und warum nicht?“
„Also“, Rebekka räusperte sich,
bevor sie weiter sprach. „Ich habe es einfach nie so empfunden, als ob ich...“
„Echt nicht?“
„Ich konnte es nicht saqen!“
Rebekkas Stimme klang spröde und unsicher. „Weil es nämlich nicht wahr gewesen
wäre.“
„Ach du lieber Himmel.“ Andromeda
schaute sie hilflos an.
„Ja, ist schon seltsam“, murmelte
Rebekka.
„Aber ich weiß es, und ich kann es
sagen. Ich liebe ihn, egal was kommt und auch wenn er was Schlimmes getan
hätte, es wäre mir egal, aber Max würde nie was Schlimmes tun...“ sprudelte es
nun unaufhaltsam aus Andromeda heraus.
„Weißt du, dass ich dich beneide?“
„Quatsch, es ist nie zu spät für
die Liebe“, sagte Andromeda für ihr Alter sehr weise. „Also, was ist? Sollen
wir mal in die Kneipe gehen und die Jungs besuchen?“
„Die Jungs?“ Rebekka musste
lachen. „Na gut, warum nicht. Aber Morgaine muss mitkommen, sie steckt wohl bei
Claudia. Die beiden lieben sich ja heiß und innig...“
Als sie sich kurz darauf mit
Morgaine auf den Weg machten, lief ihnen Alfonso ein Stückchen hinterher. Der
kleine Kater wollte wohl auch mit in die Kneipe kommen.
„Gehst du wohl nach Hause!“ Mit
diesen Worten scheuchte Andromeda ihn zurück, denn die Hauptstraße war viel zu
gefährlich für einen kleinen Kater, auch wenn er so schlau war wie Alfonso.
Alfonso war kein Blödmann. Er
verstand sofort, setzte sich leise maulend auf seine entzückenden Hinterbeinchen
und schaute ihnen beleidigt hinterher.
„Warum darf Fonso nicht mit?“
Morgy, die an der Hand von Andy ging, blickte immer wieder bedauernd zurück auf
ihren kleinen bepelzten Freund.
„Fonso darf nicht mit“, erklärte
Andy ihr, „weil es zu gefährlich auf der Straße ist. Er könnte überfahren
werden.“
Morgaine dachte darüber nach. Dann
schüttelte sie den Kopf, als wolle sie ein Bild vertreiben, sie fing an, mit
ihren kleinen Armen zu gestikulieren und sagte mit eindringlicher Stimme: „Geh’
weg, Fonso! Geh’ schnell nach Hause!“ Fonso schaute sie aufmerksam an, es sah
tatsächlich aus, als würde er diese Worte verstehen. Er zögerte einen Moment,
aber dann drehte er sich um und trabte langsam zurück zum Gut.
„Seltsam!“ Andromeda musste
lachen. „Er hört auf dich, Morgy!“
Rebekka dachte das gleiche, aber
das war natürlich Einbildung. Wahrscheinlich hatte der kleine Kerl nur Angst
vor der Hauptstraße.
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KAPITEL
V – Teil 4 DORFKNEIPE
Die
Dorfkneipe war fast leer, denn alle im Dorf bereiteten sich schon auf das
Abendessen vor. Danach würde Mann eventuell ein wenig zum Kartenspielen hier
erscheinen oder auch nicht, je nachdem wie Frau drauf war...
Majestätisch
und kein bisschen mit Komplexen belastet stand die Wirtin Marianne hinter der
Theke.
Maid
Maryann, das war ihr Spitzname – fast jeder im Dorf hatte einen Spitznamen –
war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter der zarten Geliebten von
Robin Hood so vorstellte. Sie war recht üppig. Was soviel hieß, sie hatte eine
Figur wie ein Fass. Sie trug eine schlecht gemachte Dauerwelle (eine wahrhaftig
krause Krause) und hatte obendrein noch eine ausgesucht hässliche Brille auf
der Nase, die ihr Spitzmausgesicht noch spitzmausiger machte und ihre Augen
stark vergrößerte. Was nicht sehr vorteilhaft war, denn ihre Augen sahen aus
wie die eines Raubvogels... Aber mal abgesehen von ihrem Äußeren war sie eine
sehr nette Person.
„Pass
auf dich auf“, hatte Max seinen Freund Daniel gewarnt, bevor sie hineingegangen
waren. „Die gute Maryann ist nämlich scharf auf alles, was Hosen anhat.
Ansonsten ist sie okay.“
„Ich
werde schon aufpassen“, hatte Daniel gegrinst. „Aber was willst du überhaupt
hier? Ich denke mal, Maryann den Hof machen ist es wohl nicht...“
„Ich
brauche eine Auskunft von ihr.“ Mehr wollte Max nicht verraten.
Sie
setzten sich an die Theke, und Maid Maryann war schwer angetan von den beiden
blendend aussehenden Jungs, vor allem von dem blonden, der bis jetzt noch nie
in ihrer Kneipe gewesen war. Der sah wirklich sagenhaft gut aus. Nicht dass Max
nicht auch gut aussah, aber Max war ein harter Brocken, der sich nicht so ohne
weiteres mit Maryann einlassen würde. Sie hatte es schon mehrmals versucht,
leider ohne Erfolg...
„Du bist
neu hier“, meinte die Maid begeistert und legte demonstrativ ihren üppigen
Oberkörper (ihre Taille und ihre Hüften hatten übrigens den gleichen Umfang wie
ihr Busen) über den Tresen und rückte Daniel somit ein gutes Stück näher.
Plötzlich
wurde es Daniel ein wenig seltsam zumute. Nein, nicht weil die Maid ihm näher
gerückt war, obwohl es ihm ein wenig Angst einflößte, nein, er sah sich auf
einmal selber an der Theke sitzen, und zwar halb von hinten, und er sah sich
zusätzlich noch im Spiegel hinter dem Schanktisch. Es machte ihn ein wenig schwindelig,
denn es war wie eine Doppelbelichtung auf einem Foto. Dann begriff er es.
Morgaine musste in der Nähe sein, aber wo konnte sie stecken? Und wenn Morgaine
hier war, dann konnte auch Rebekka nicht weit sein.
Unauffällig
blickte er sich in der Kneipe um. Außer ihm und Max waren nur noch zwei Männer
da, die an einem Tisch saßen. Aber die Maid war gerade durch die Tür hinter dem
Tresen hinausgegangen und hatte irgendwelchen Leuten Limonade gebracht. Es gab
also noch einen anderen Raum, den man betreten konnte, ohne durch die
Wirtsstube zu gehen. Dann fiel Daniel die Falttür auf, die sich links neben
ihnen befand. Sie führte wohl in diesen Raum, war aber jetzt geschlossen bis
auf einen kleinen Spalt.
„Ich
glaube, wir werden beobachtet“, sagte er leise zu Max.
„Was?
Wie?“ Max blickte erstaunt auf. Er schien über irgendetwas nachzugrübeln. Er
war ja immer recht schweigsam, aber in den letzten beiden Tagen hatte er kaum
ein Wort herausgebracht. Irgendetwas musste ihn schwer beschäftigen.
„Ich
glaube, die Mädels sind im Nebenraum“, sagte Daniel leise. Möglicherweise war
es ja Rebekka, die ihn beobachtete, und die Fee spionierte in Rebekkas Kopf
herum und sandte ihm die Bilder, die sie dort fand. Das war aber auch eine
verzwackte Sache.
Oh,
jetzt wurde es etwas einfacher, er sah nur noch Rebekka, wie sie sich an die
Falttür drückte, um durch die Ritze zu spähen und dort vielleicht ein wenig zu
lauschen. Und dann sah er Andromeda, die sich eng an Rebekka drängte...
„Ich
glaube, die veräppeln wir mal ein bisschen“, sagte Daniel grinsend und dachte
sich in aller Ruhe etwas Nettes aus.
Max
stimmte ihm zu, ohne groß was zu verstehen, denn er war immer noch in Gedanken
versunken.
Im
Gesellschaftsraum nebenan spähte Rebekka immer noch durch die Ritze der
Falttür, die diesen Raum von der Wirtsstube abtrennte. Und sie konnte Daniel
und Max ausgezeichnet sehen. Nicht direkt natürlich, aber sie sah sie halb von
hinten, zusätzlich spiegelten sie sich großartig im Barspiegel hinter der
Theke. Und Rebekka konnte tatsächlich auch einiges von ihrem Gespräch hören,
denn sie saßen gerade mal zwei Meter von der Falttür entfernt auf ihren
Barhockern.
„Was
reden sie?“ fragte Andromeda neugierig. Für sie selber war kein Platz mehr an
der Falttür, und deswegen hielt Andromeda sich dicht neben Rebekka auf. Leider
konnte sie überhaupt nichts von dem sehen und hören, was im Nebenraum vor sich
ging, sondern war auf Rebekkas Augen und Ohren angewiesen.
„Über
einen Lotus Eleven. Wer ist das? Kennst du den?“
„Das ist
kein Typ, sondern irgendein Rennwagen.“ Andromeda hatte natürlich durch Max
sehr viel Ahnung von älteren englischen Renn- und Sportwagen.
„Das
soll ein geiles Gerät sein.“
„Hmmm.
Das ist er...“
„Jetzt
sagt Daniel irgendwas über einen Morgan Jap“, übermittelte Rebekka leise. „Ist
das auch ein Rennwagen?“
„So
ähnlich! Aber ein kleiner mit nur drei Rädern...“
„Jetzt
erwähnt er einen Austin-Healey“, flüsterte Rebekka.
„Auto!“
sagte Andromeda lakonisch.
„Seven
of Nine?“
„Das
Auto kenne ich nicht“, meinte Andromeda nach einer Weile nachdenklich, und sie
zerbrach sich sichtlich ihr Köpfchen darüber, um was es sich wohl handeln
könnte. Vielleicht waren nur neun Stück von diesem Auto hergestellt worden und
das war eben das siebte Exemplar.... Ja, das könnte es sein.
„Max
sagt, dass diese stählernen Formen ja so was von geil wären, und Daniel macht
so eine Geste, als ob dieses Auto eine Frau wäre...“
„Verdammt! Jetzt weiß ich’s! Die reden doch tatsächlich über Seven of
Nine, diese Borg vom Raumschiff Voyager. Die Schweine! Was sagen sie noch über
die?“ Andy machte eine zornige Handbewegung und versuchte sich doch noch neben
Rebekka zu quetschen, aber das klappte nicht, weil Rebekka das gemeinerweise
verhinderte.
„Daniel
sagt, dass Seven of Nine so wunderbar abweisend und unnahbar aussieht und dass
ihr sogar diese strenge Frisur steht und diese üppigen Lippen, die er
normalerweise nicht so mag, stehen ihr wirklich gut zu Gesichte“, flüsterte
Rebekka, die allmählich auch etwas sauer wurde.
„Und
Max? Was sagt Max?“
„Er sagt,
Seven hätte eine Figur wie eine Barbiepuppe aus Stahl und dass ihn das ziemlich
anmacht, dass sie so streng ist.“
„Das
glaube ich nicht!“, sagte Andromeda empört.
„Und
jetzt sagt er, dass Seven of Nine niemals jemanden heimlich belauschen würde
wie gewisse böse Mädchen hier...“ Rebekka verstummte entgeistert, als sie es
kapierte. „Ach du lieber Himmel, sie wissen es. Die Schweine!“
Zwei
Anstandsminuten später öffnete Max die Schiebetür und lächelte die drei Mädels
an, die sittsam an einem Tisch saßen und aussahen, als könnten sie kein
Wässerchen trüben.
Max
holte sein Bier von der Theke und setzte sich zu Andromeda auf die Bank.
Morgaine
lief durch die mittlerweile geöffnete Schiebetür in die Wirtsstube, nahm Daniel
bei der Hand und führte ihn in den Gesellschaftsraum, wo die anderen saßen.
Daniel setzte sich neben Rebekka und nahm Morgaine auf seinen Schoß.
Sie
grinste ihn an. Und Daniel grinste sie an – und zum ersten Mal kam es Rebekka
so vor, als ob die beiden sich ähnlich sähen. Reine Einbildung natürlich...
„Fee, du
bist ’ne alte Petze!“ sagte Daniel zu Morgaine, woraufhin Morgaine noch mehr
grinste, von seinem Schoß wollte und im Gesellschaftsraum alles untersuchte,
vor allem diesen Erdnüsse ausspuckenden Automaten auf der Fensterbank.
„Ich
brauche Geld!“ Morgaine hatte schnell das Prinzip des Kastens durchschaut. Man
ließ sich von Leuten Geld geben, steckte es in den Kasten, und vielleicht kam
dann irgendetwas heraus. Vollkommen egal was, Hauptsache heraus damit.
Daniel
gab ihr aufseufzend ein paar Geldstücke, und die Fee Morgaine rappelte heftig
an dem Ding herum und fluchte doch tatsächlich „Mist, verdammter!“ vor sich
hin, als es nicht auf Anhieb klappte mit dem Rauskommen...
Daniel
grinste wieder, und Rebekka schaute ein wenig missbilligend drein, musste dann
aber auch lachen.
„Wie
hast du es eigentlich gemerkt, das mit den Mädels?“ fragte Max ihn neugierig.
„Ach
weißt du, die Fee hat so einiges drauf, damit könnten wir im Fernsehen
auftreten.“ Daniel wollte es Max nicht genau erklären, denn sonst wäre der Gute
wahrscheinlich in Panik verfallen. Jemand der in seinem Kopf lesen konnte!
Daniel wusste mittlerweile ein wenig mehr über Max, Morgaine hatte ihm nämlich
ein paar Bilder gezeigt, die Max dachte und die seltsamerweise immer ein
widerliches scheußliches Wesen darstellten – aber aus diesen Bildern konnte
sich Daniel nichts zusammenreimen, es blieb alles im Dunkeln, es war absolut
unverständlich. Er hatte nur gefühlt, dass Max über irgendetwas sehr
unglücklich war.
„Ich
muss noch mal mit Maryann reden.“ Max stand
auf, ging wieder zur Theke und redete so leise mit der Maid, dass sogar die
neugierige Andromeda mit ihren guten Ohren absolut nicht hören konnte, was er
sagte. Die Wirtin verließ kurz darauf die Wirtsstube, kam aber nach ein paar Minuten
wieder zurück und gab Max einen Zettel, den er in seine Hosentasche steckte.
Daraufhin schien er sich freundlich bei der Maid zu bedanken, wobei die Maid
aussah, als wollte sie ihn auf der Stelle vernaschen. Andromeda schaute
finsteren Blickes zu.
Schließlich
kam er wieder in den Gesellschaftsraum zurück, schloss die Schiebetür, setzte
sich neben Andromeda und legte einen Arm um ihre Schultern.
Sofort verflüchtigte sich
der Ärger in Andromedas Gesicht, und sie schaute ihn an, sie schaute ihn so
liebevoll an, dass Rebekka sofort neidisch wurde. Wann hatte jemand sie so
liebevoll angeschaut? War schon länger her, und so richtig glücklich war sie
dabei eigentlich nicht gewesen. War sie jemals richtig glücklich gewesen?
Natürlich wusste Rebekka, dass Glück kein permanenter Zustand ist, sondern eher
selten auftritt, aber bei ihr war dieser wirkliche seltene Zustand noch nie
aufgetreten, zumindest nicht mit einem Mann. Hmmm, außer vielleicht in einer
bestimmten Nacht, aber das zählte nicht.
Oh Gott, sie beneidete
dieses Paar, das ihr gegenüber saß. Wann hatte sie jemals so etwas Normales
erlebt, aber bei ihr war ja nie etwas normal gewesen. Nicht das mit Michael,
erst recht nicht das mit Benny, dem Vater von Morgaine – und das mit Daniel,
falsch und unrecht war es gewesen, nicht nur von ihm sondern auch von ihr! Oh
Gott! Tränen stiegen ihr in die Augen. Auch als sie heiraten wollte, war nichts
normal gewesen. Keine Verliebtheit, keine Ekstase, nur lauwarme Gefühle. Sie
musste nur das Paar gegenüber anschauen, und schon konnte sie erkennen, dass
nichts in ihrem Leben normal war oder jemals normal gewesen war. Und diese
bedingungslose Liebe in Andys Augen... Es traf Rebekka wie ein Schlag.
Andy
ergriff mit ihren Händen Max’ Hand, die auf ihrer Schulter lag und legte sie an
ihre Lippen. Max lächelte hilflos zärtlich und versuchte seine Hand
zurückzuziehen, aber Andy ließ es nicht zu. Dann fing sie an, seine
Fingerspitzen zu küssen, und Max wurde doch tatsächlich ein wenig rot. Ein Mann
von über dreißig wurde ein wenig rot. Unglaublich!
Rebekka
sah den beiden fasziniert zu. Sie hätte wirklich heulen können. Sie spürte
Daniels Körper neben sich und hatte auf einmal das Bedürfnis, seine Hand zu
küssen. Das war unzweifelhaft auch nicht ganz normal.
„Also,
am Wochenende ist der Ball“, sagte sie schließlich, um ihre Verlegenheit zu
verbergen, und um vor allem dieses verliebte Paar nicht mehr ansehen zu müssen
und diesen Verlust zu empfinden. Was ist eigentlich mit mir los, dachte sie
aufgelöst.
„Ach ja,
der Ball“, erinnerte sich Daniel.
„Zirza
will unbedingt zum Ball wieder da sein“, plauderte Rebekka weiter. Sie hatte
sich an Zirza gewöhnt, die immer unglaublich nett zu ihr war und sie in Mode-
und Frisursachen beriet, etwas wozu Rebekka bis jetzt weder die Zeit noch das
Geld gehabt hatte – und wohl auch weiterhin nicht haben würde.
„Na
toll“, meinte Daniel ein wenig spöttisch, denn er konnte Zirza nicht ausstehen.
„Ich
freue mich jedenfalls auf den Ball“, meinte Rebekka trotzig. Sie hatte sich
nämlich ein Kleid für den Ball gekauft. In Brunswick in einem Billigladen. Es
war ein irgendwie chinesisches Kleid aus weißer glänzender Baumwolle mit zarten
schwarzen Ornamenten, vorne hochgeschlossen, aber hinten mit einem tiefen
Ausschnitt – und an der rechten Seite war es hoch geschlitzt, so dass man ihr
Bein bis fast zur Taille sehen würde. Da war allerdings noch die Slipfrage, der
Slip durfte eigentlich nur aus ein paar Bändern bestehen. Rebekka hatte vage im
Sinn, dass sie Daniel mit diesem Kleid beeindrucken wollte. Er war recht kühl
gewesen in letzter Zeit, und sie fühlte sich ein wenig übersehen. Andererseits
war sie eben nicht so schön und interessant, um einen Mann auf Dauer
beeindrucken zu können. Vielleicht war er ja mittlerweile anderweitig
interessiert, es gab ja genug Frauen, die hinter ihm her waren. Seltsamerweise
tat es weh, dass er offenkundig nicht mehr an ihr interessiert war. Es tat ganz
besonders weh, wenn sie sich das Paar gegenüber anschaute, dieses Paar, das
kaum die Hände voneinander lassen konnte, dieses Paar, dass trotz des
Altersunterschiedes so großartig zusammenpasste. Vielleicht, weil es sich
liebte? Oder weil es sich lieb hatte? Gab es da einen Unterschied zwischen
lieben und lieb haben? Hatte sie jemals jemanden lieb gehabt? Außer Morgaine
natürlich.
„Was
meinst du, Max, wie läuft dieser Ball denn so ab?“ Daniel fragte Max, weil der
als Eingeborener von Kampodia wohl am besten über diesen Ball Bescheid wissen
musste.
„Der Ball? Er ist ganz nett. Nichts
weltbewegendes natürlich“, sagte Max geistesabwesend. „Er verkörpert das Ende
der Saison, die Gäste reisen ab. Der Sommer ist vorbei...“
„Wir
werden auch bald abreisen“, erinnerte sich Rebekka und wandte sich an Daniel:
„Das Billardqueue für Archie ist angekommen und diese dämliche Kristallschale
für Zirza auch.“ Das waren Geschenke für ihre Gastgeber. Sie hatte sich mit
Daniel zusammengetan, um diese Geschenke zu besorgen und um sie zu bezahlen.
Daniel wollte ja auch mit ihr nach Hause fahren, weil Georg und seine äääh...
Schnorrergurke schon lange weg waren und Daniel kein Auto dabei hatte. Es war
ein wunderschönes Queue für Archie, und Rebekka hätte es gerne selber behalten.
Aber diese Kristallschale, die Daniel für Zirza ausgesucht hatte, die war nicht
so ihr Geschmack, aber Daniel hatte gemeint, dass sie Zirza bestimmt gefallen
würde. Die Tanten bekamen weiche Kaschmirschals für den Winter in Kampodia, der
wie Rebekka gehört hatte, schneereich und frostig war.
„Man
braucht nur ein dunkles Jackett. Es gibt keinen Kostümzwang“, berichtete Max
weiter, und Andromeda lächelte ihn an und liebkoste weiterhin seine Hand. Andy
wusste, dass Max sich in Abendgarderobe nicht besonders wohl fühlte, obwohl er
darin eine lässige Eleganz besaß, die möglicherweise von seinem
italienisch-stämmigen Vater herstammen mochte.
„Warum
kann ich nicht einfach hier bleiben?“ Rebekkas Stimme klang leise und ein wenig
verzweifelt. Es stimmte, sie wollte hier bleiben, sie fühlte sich so wohl hier,
aber es ging nicht, sie musste in die Stadt zurück, sie musste arbeiten, um
ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie musste, sie musste... Es war
schrecklich, immer nur zu müssen.
Daniel
schaute sie verwundert an und sagte nichts darauf.
„Weiß
jemand, was es zu essen gibt?“ Rebekka hatte sich beruhigt und fragte sich
insgeheim, was da über sie gekommen war.
„Tante
Bernadette sagte irgendwas von Grillen“, ließ Max sich hören.
Das
gefiel Rebekka. Es würde viele Salate geben, leckeres Brot, leckere Soßen,
Kräuterbutter und Knoblauch – verschiedene kleine Appetitanreger, unter anderem
eingelegte Knoblauchzehen und Champignons, Pfefferschoten gefüllt mit
Frischkäse, eingelegte Tomaten, würzigen Quark, rohes Gemüse und noch viele
Sachen mehr. Fleisch? Ja, Fleisch würde es auch geben, gegrillt auf dem
Riesenflammenrost in einer Ecke des Parks, aber nach dem Genuss der anderen
guten Sachen hatte Rebekka erfahrungsgemäß überhaupt keinen Hunger mehr auf
Fleisch.
„Du
hängst in den letzten Tagen ziemlich viel mit den Tanten rum“, sagte Andy
vorwurfsvoll zu Max, während sie wieder seine Hand an ihren Mund drückte.
„Meinst
du?“ Max küsste sie zärtlich auf die Wange.
Und wieder überkam
Rebekka der pure Neid und ein unglaubliches Gefühl des Mangels. Des Mangels an
Liebe, an Liebhaben, an Zärtlichkeit, an Vertrauen, an Nähe. Vielleicht auch
des Mangels an Sex. Sie hätte heulen können, egal worüber.
Als sie
eine Stunde später die Kneipe verließen, hielt Max Andys Hand, er schien das
Licht der Öffentlichkeit nicht mehr zu scheuen. Zumindest nicht in Bezug auf
seine Beziehung zu Andy.
Daniel
und Rebekka schlenderten hinter dem Paar her, sie hatten Morgaine in die Mitte
genommen, und die Fee vergnügte sich damit, hoch in die Luft zu springen, und
sie unterstützten ihre Sprünge und ließen sie immer ein paar Meter in der Luft
schweben, bis Morgaine vor Vergnügen kreischte.
Dann auf
einmal bekamen sie zu spüren, wie sich urplötzlich die Stimmung des Paares vor
ihnen änderte.
Andy
riss sich nämlich abrupt von Max los und starrte ihn an. „Du willst
wegfahren!?“ sagte sie mit empörter Stimme.
„Es geht
nicht anders, Andy“, Max versuchte, sie zu beschwichtigen und wollte sie in den
Arm nehmen „Ich bin auch ganz bestimmt zum Ball wieder zurück.“
„Wenn du
nicht pünktlich zum Ball wieder da bist, dann kannst du mich vergessen!“ Andy
war zornig und trat einen Schritt zurück. „Und warum musst du ausgerechnet
jetzt wegfahren?“
„Es geht
wirklich nicht anders.“ Max’ Stimme klang ausweichend und zögernd, und Andy,
zutiefst verunsichert – denn warum wollte er jetzt weg und vor allem, wohin
wollte er jetzt weg – riss sich heftig und endgültig von ihm los und rannte
alleine zum Herrenhaus zurück.
Max sah
ihr mit einem hoffnungslosen verzweifelten Blick hinterher und murmelte einen
Fluch in sich hinein, der sich natürlich nicht auf Andromeda bezog, sondern auf
das, was er vorhatte zu tun.
Er lief
ihr nicht hinterher, obwohl alles in ihm danach verlangte.
Andy
ließ das Abendessen ausfallen. Der Appetit war ihr vergangen, und sie wollte
Max an diesem Abend nicht mehr sehen.
Als sie
am nächsten Morgen reuevoll und von Sehnsucht getrieben im Verwalterhaus
Einlass begehrte, musste sie feststellen, dass er schon weg war und sein
Landrover auch.