TOPP,
die Wette – Wie es begann...2
ZUHAUSE BEI IRMA
Irma
sieht an sich herunter, die helltürkisfarbene Bluse steht ihr ausgezeichnet,
der leichte Stoff schmiegt sich perfekt an gewisse Rundungen, dazu trägt sie
eine schwarze weitgeschnittene Leinenhose, die sie zart und zerbrechlich
erscheinen lässt. Und möglicherweise auch solide. Irgendwie hat sie das Gefühl,
Chris mag solide und vor allem nicht aufgedonnerte Frauen. Ist sie solide? Na
ja, in letzter Zeit hat sie sich schwer zurückgehalten. Irma kichert in sich
hinein, denn die vielen Gläser Rotwein haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Okay,
sie sieht nicht übel aus. Ihr braunes Haar fällt locker und glatt auf ihre
Schulter, ihre Augen sind grünbraun und mandelförmig, ihre Nase ist unbedeutend
und ein bisschen zu breit, aber ihren Mund findet sie sehr schön. Was noch? Ach
ja, ihr Körper, darüber hat noch keiner gemeckert. Fazit: Sie ist zwar nicht
die Schönste, aber bestimmt auch nicht abstoßend.
Sie
sitzt mit Ralf im Wohnzimmer auf dem Fußboden und legt gerade Schallplatten
auf, als die restliche Meute Sturm klingelt. Sie hat sich nämlich einen dieser
nostalgischen Schallplattenspieler zugelegt, mit denen man nebenbei auch die
alten Scheiben digitalisieren kann, sehr praktisch!
Irma
drückt die Tür auf und setzt sich sofort wieder im Wohnzimmer auf den Boden.
Ralf hockt neben ihr, und sie lachen über ein uraltes Plattencover.
Sie schaut kurz hoch. Chris steht an der Tür und hinter ihm der Typ, den sie flüchtig aus dem E-body kennt, er unterhält sich mit Chris, und Chris nennt ihn Siggy. Siggy hat eine hübsche rothaarige Frau mitgebracht. Und dann erscheint – Schreck lass nach – diese Kuh Olivia, die Schlampe mit der unschuldigen Anmache. Dem Himmel sei Dank ist ihr Ab-und-zu-Stecher auch dabei, aber sie ist so makellos schön, intelligent, interessant... Und sie hat schon bei der Party damit angefangen, Chris an die Wäsche zu gehen. Aber wen juckt’s, wenn er DIE will, dann kann er sie mal!
Alle
verschwinden in die Küche, und nach einer angemessenen Weile steht Irma auf und
geht mal gucken...
Siggy,
seine Rothaarige, Olivia und ihr Ab-und-zu-Stecher haben den Küchentisch
besetzt und tun so, als wären sie hier zu Hause. Na gut, die Gäste sollen sich
wohl fühlen, aber ein bisschen unverschämt findet Irma das schon. Vor allem,
als die Kuh Olivia nach Kaffee fragt. „Kaffee gibt’s hier nicht, nur Bier, Wein
oder Cola.“ Die sollen froh sein, wenn sie hier überhaupt was kriegen!
Wo ist
Chris? Irma lässt unauffällig ihre Blicke schweifen und entdeckt ihn
schließlich, er steht ein Stück weiter neben ihr, lässig an den Türrahmen
gelehnt.
Aus den
Augenwinkeln sieht sie, dass Chris sich einen abgrinst, er hat’s wohl
mitgekriegt, das mit dem Kaffee, den es nicht gibt.
„Kommst
du klar?“, fragt sie ihn, denn er steht ausgerechnet dort, wo sie vorbei muss.
Absicht von ihm?
„Natürlich“,
wieder dieses anzügliche Grinsen. „Ich glaube, ich weiß, wo der Kühlschrank
ist...“
So ein
Blödmann! Will wohl drauf anspielen, dass er schon mal hier war. Da ist er aber
nicht so richtig zum Zuge gekommen... Sie lächelt hinterhältig, drückt sich
geschmeidig an ihm vorbei und verzieht sich wieder ins Wohnzimmer.
Sie legt
ein paar alte Scheiben auf, die sie von ihren Eltern geerbt hat, ihre Eltern haben
mittlerweile nur noch einen CD-Player, wollten aber die alten Schallplatten
nicht wegschmeißen.
„Wow,
eine Vinylparty!“ Zwei nette Typen setzen sich zu ihr und wühlen in den
Schallplatten herum.
Sie
reden und reden, und es ist lustig, die Typen sind wirklich nett, aber
irgendwas fehlt ihnen, vielleicht diese Abgebrühtheit, die Chris auszeichnet?
Schwachsinn! Eine absolut üppige Frau stößt zu ihnen, sie ist unheimlich nett,
und sie heißt Dani. Was tut sie hier? Es stellt sich heraus, dass sie mit einem
der Typen zusammen ist. Und schwanger ist sie auch, aber das merkt man ihr gar
nicht an.
Zwischendurch
spricht Irma dem Rotwein zu, und nach einer Weile geht sie wieder in die Küche,
um zu sehen was los ist. Ist ja schließlich ihre Wohnung, und die anderen
pendeln ja auch hin und her...
Als Irma
in die Küche kommt, verstummen die vier am Küchentisch und glotzen sie
irgendwie blöd an. Irma wundert sich zwar, stellt sich aber locker zu ihnen und
versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen. Sie ist schließlich die Gastgeberin,
und sie will einfach nur nett sein.
Doch
seltsamerweise sind die überhaupt nicht scharf auf Gespräche mit ihr, zumindest
die Frauen nicht. Die Rothaarige von Siggy bläst sie förmlich hinweg mit einem
blöden Kommentar. Irma ist zwar von dem vielen Rotwein schon ein wenig betäubt,
aber sie merkt, dass es sich um eine Beleidigung handelt. Irgendwas hat die
gegen ihre Tapeten. Sind zwar ein bisschen gewöhnungsbedürftig, weil
schwarz-weiß gestreift, und Irma hat sie diagonal an eine der vier Wände
geklebt – aber was soll das? Sie hat der blöden Nuss doch nix getan!
Oder
wissen die irgendwas über Chris und sie? Blödsinn, da ist nichts zu wissen.
Aber
vielleicht spüren sie die Spannung, die unzweifelhaft zwischen ihr und Chris
herrscht. Blödsinn, da ist keine Spannung.
Oder sie
haben mitbekommen, wie er das mit dem Kühlschrank sagte und wissen jetzt, dass
man sich kennt? Na und wenn schon! Alles Einbildung von ihr, denn in
Wirklichkeit kennt sie Chris doch gar nicht, und er interessiert sie einen
Dreck – gerade jetzt ist er auf dem Balkon, er raucht eine Zigarette und
unterhält sich mit dieser unheimlich üppigen Frau, die Dani heißt und schwanger
ist. Aber wenigstens ist die auch unheimlich nett, im Gegensatz zu diesen
anderen beiden Gurken...
Seltsam,
obwohl sie ihn kaum angeschaut hat, weiß sie genau, wie er aussieht. Sie weiß,
dass sein Körper fantastisch ist und dass sein Gesicht mit dem arroganten
Ausdruck auf viele Frauen und wahrscheinlich auch Männer sehr anziehend wirkt.
Sie weiß, was er anhat. Er ist ganz schlicht gekleidet, Jeans, ein T-Shirt und
darüber eine gerade geschnittene dunkle Jacke. Sieht elegant aus, aber es liegt
wohl daran, wie er diese schlichten Sachen trägt. Er trägt sie unnachahmlich,
muss wohl an seiner Arroganz liegen.
Steht er
immer noch auf dem Balkon? Aaah jaaa... Sie sollte nicht so offenkundig nach
ihm Ausschau halten, das ist ja schon krankhaft, und hoffentlich fällt es den
anderen nicht auf. Am besten wieder ins Wohnzimmer gehen...
Als sie
das nächste Mal in ihre Küche kommt, sieht sie ihn sofort. Er steht lässig
angelehnt an ihren alten dunkelrot gestrichenen Holzschrank. Und Scheiße!
Olivia steht neben ihm und redet auf ihn ein. Sie macht wieder ihr blödes
hilfloses Anmachgesicht, und sie sieht so wunderschön aus.
Na
super! Dann ist es jetzt wohl gelaufen, also Tschüss Chris und viel Spaß mit
der Schlampe, auf die alle Männer stehen! Tröstlich zu wissen, dass du auch
nicht anders bist als die anderen!
Nein, es
ist überhaupt nicht tröstlich, sondern eigentlich furchtbar. Irma fühlt sich
aus unbekannten Gründen leer und enttäuscht und tritt den Rückzug ins
Wohnzimmer an. Sie widmet sich wieder den alten Schallplatten, bemerkt aber
irritiert, dass ihre Mundwinkel etwas hysterisch zucken. Muss am Rotwein
liegen.
Und sie
hat keine Lust mehr, fremde Leute in ihrer Wohnung zu ertragen, die sollen alle
abhauen mit ihren diversen Flittchen, sie hat keinen Bock mehr! Ihre Wohnung
ist schließlich kein Institut für Partnervermittlung!
Irma
setzt diesen Entschluss postwendend in die Tat um, sie marschiert
kurzentschlossen in die Küche, um alle zu verabschieden.
Aber wie
durch ein Wunder sitzt die Viererbande wie gewohnt wieder am Küchentisch, und
die schöne und interessante Olivia sieht ein wenig sauer aus. Und die Rothaarige
auch.
„Wo ist
Chris?“ Die Worte verlassen Irmas Mund, ohne dass sie es verhindern kann. Okay,
der viele Rotwein...
„Steck
ihn dir doch an den Arsch!“
Irma
glotzt Olivia verständnislos an. Was will die Kuh von ihr? Sie hat ihr doch gar
nichts getan. Und Chris ist doch der Übeltäter, der bringt alle Weiber in
Aufruhr, nimmt sich dann zurück und lacht sich drüber kaputt. Aber über mich
wird er sich nicht kaputtlachen, denkt Irma rebellisch. Sie stürmt aus der
Küche und überlegt sich, wie sie allen beibringen kann, dass jetzt Schluss ist.
Schluss mit lustig, Schluss mit Chris!
„Du
siehst besser aus als damals“, sagt Chris zu ihr. Wo ist der denn auf einmal
hergekommen? Und hach, wieso geruht er auf einmal, das Wort an sie zu richten.
Welche Ehre!
„Oh, ja
wirklich?“ Sah sie vor zwei Monaten tatsächlich so schlecht aus? Und schon ist
er wieder weg! Himmeldonnerwetter, sie wollte ihn doch gerade rausschmeißen,
wieso lässt sie sich dann auf ein Gespräch mit ihm ein. Quatsch, es war gar
kein Gespräch, nur so ein kleiner hingeworfener Brocken. Und sie hat sich den
Brocken auch noch einverleibt. Was ist los mit dem Kerl? Irgendwas muss er doch
vorhaben. Warum geht er ihr aus dem Weg? Und wieso sieht er aus wie ein Kater,
der sich in Kürze ein Schüsselchen Sahne einverleiben wird? Und wieso kann er
sich nicht normal mit ihr unterhalten, sonst quatscht er doch mit jedem, er
unterhält sich sogar mit Ralf, der sich tatsächlich von seinem Charme
einwickeln lässt. Der ist also auch nicht schlauer als sie am Anfang...
Sie
sieht, wie Chris sich an den Küchentisch begibt, er erzählt ein bisschen was,
und beide Frauen – egal ob zickig rothaarig oder wunderschön und interessant –
himmeln ihn an und hängen an seinen Lippen. Das ist echt zum Piepen, findet
Irma, denn Chris ignoriert die beiden so total, dass es fast schon beleidigend
wirkt.
Irma schlendert langsam wieder ins Wohnzimmer, um Schallplatten aufzulegen und um mit Ralf und den anderen zu quatschen. Und um Rotwein zu trinken natürlich... Irgendwie hat sie so ein hilfloses Gefühl, sie hat keinerlei Einfluss auf das, was er tun wird, er lässt sich von niemanden beeinflussen. Er blockt die Anmache der schönsten Frauen einfach ab, und sie selber hat keinerlei Chancen bei ihm, sie spielt nicht in seiner Liga.
Hmmm,
immerhin wollte er mit ihr ins Bett gehen, auf diese saublöde unverschämte Art.
Und es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig, als ihn hinaus zuwerfen. Also
wirklich, es gibt Grenzen, auch wenn die Kerle noch so verführerisch sind…
Es ist
spät geworden, und die Reihen lichten sich allmählich. Ralf geht nach Hause,
nicht ohne ihr vorher einen besorgten Blick zugeworfen zu haben. Hat er etwa
Angst um sie? Auch das ist zum Piepen. Um sie braucht er keine Angst zu haben,
sie kommt gut zurecht, mit was auch immer...
Dann
bricht die Vierergruppe vom Küchentisch auseinander. Alle bis auf Siggy sind
auf einmal weg, einfach verschwunden ohne ein Wort, auch die blöden Zicken.
Irma atmet unbewusst erleichtert auf.
Sie weiß
nicht, wer als nächster geht, sie kriegt das alles nicht mehr so richtig mit.
Und auf
einmal findet sie sich mit Siggy und Chris alleine, und zwar im Wohnzimmer.
Chris lümmelt sich auf einem Sessel herum, und Irma setzt sich ziemlich weit
weg von ihm hin.
Siggy
scheint etwas sauer zu sein.
„Warum
bist du nicht mitgegangen, mit der äääh... Rothaarigen?“ Irma kann sich diese
Frage nicht verkneifen.
„Sie
wollte alleine weg.“ Siggys Stimme klingt verkniffen, und nach einer kleinen
Pause sagt er irgendwie noch verkniffener: „Ist eben freie Liebe.“
Das
hätte er nicht sagen sollen, denn Chris fängt sofort schallend an zu lachen.
Und Irma weiß auch genau, warum er lacht. Der Idiot Siggy ist gerade von seiner
Freundin zurückgelassen worden wie Müll und bezeichnet diese Niederlage als
‚Freie Liebe‘. So etwas würde Chris natürlich nie passieren!
Irma
muss mitlachen. Eigentlich hasst sie sich dafür, vor allem weil Chris darüber
lacht, aber sie kann nicht anders, denn der Ausdruck ‚Freie Liebe’ ist wirklich
bescheuert, genauso bescheuert wie der Ausdruck ‚Selbstverwirklichung’. Logo,
die Rothaarige hatte die Nase voll von Siggy, wollte es aber nicht so hart
ausdrücken. Aber Männern kann man wohl alles erzählen. Okay, fast allen
Männern...
Mittlerweile
weiß Irma, dass Chris als letzter hier sitzen wird. Warum sie das weiß? Sie
weiß es eben, alles deutet daraufhin und dann... Ja was dann? Irgendwie hat sie
Schiss davor.
Bald
darauf geht auch Siggy, vorher wirft er Chris und ihr noch einen misstrauischen
Blick zu. Was denkt er sich wohl? Sie sind sich den ganzen Abend über
beflissentlich aus dem Weg gegangen, sie haben sich total ignoriert, und Siggy
kann sich bestimmt nicht vorstellen, ob und was zwischen ihnen abgeht. So wird
es wohl sein, denkt Irma. Blöderweise weiß sie aber auch nicht, ob und was
zwischen ihr und Chris abgehen wird...
Chris
gähnt und fragt dann nebenbei: „Hättest du was dagegen, wenn ich hier schlafe?
Ich könnte meinen Schlafsack aus dem Auto holen. Ist ja nicht weit...“
„Du
kannst in meinem Bett schlafen.“ Irma deutet großzügig in Richtung Schlafzimmertür
und wundert sich im gleichen Augenblick über das, was sie da gesagt hat. Sie
möchte es eigentlich wieder zurücknehmen, denn das Sofa als Schlafplatz hätte
doch voll genügt. Aber jetzt ist es gesagt, und sie kann keinen Rückzieher
machen, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
Ein
befriedigter Ausdruck überzieht sein Gesicht.
Irma
lächelt ihn hinterhältig lieb an, denn sie weiß, was er denkt. So was ähnliches
wie: Ich wusste es, die blöde Kuh war von Anfang an scharf auf mich...
Doch was
SIE denkt, das kann er nicht wissen. Allerdings weiß Irma das auch nicht so
genau. Sie hat absolut keine Ahnung, was bei der Sache herauskommen könnte.
Aber sie ist gewarnt, er könnte ihr gefährlich werden. Andererseits kennt sie
den Schweinehund ja mittlerweile. Und vielleicht will er einfach nur hier
übernachten, könnte ja sein. Ja sicher, Irma...
„Ich
muss noch aufräumen.“ sagt sie lässig. „Kannst ja schon mal vorgehen...“
Er nickt
und schlendert langsam in Richtung Schlafzimmer. Irma blickt ihm verstohlen
hinterher.
Sie räumt
ziemlich lange auf, spült Geschirr, trocknet es ab und verstaut es penibel in
den Küchenschränken, sie poliert die Spüle, fegt den Küchenboden und so weiter
und so fort, all das dauert mindestens eine dreiviertel Stunde, denn sie hegt
die Hoffnung, dass er bis dahin schon eingeschlafen ist. Sie weiß nicht recht,
wie sie sich verhalten soll, was sie tun soll, falls er denn doch nicht...
Vielleicht
könnte sie noch den Kühlschrank abtauen oder die ganze Bude putzen, Wäsche
waschen, den Keller aufräumen...
Geh’
jetzt endlich ins Schlafzimmer, Irma! Was kann er dir schon groß antun?
Entweder pennt er schon – oder er ist bestimmt ein lausiger Liebhaber. Wie
alle...
Also
seufzt sie auf und geht entschlossen und vor allem leise durch das dunkle Schlafzimmer
ins Badezimmer. Die Aufteilung dieser Wohnung ist genial praktisch, das Bad ist
nur vom Schlafzimmer aus erreichbar, und von der Diele aus kommt man in das
Gäste-WC. Man kann also variieren, vor allem, wenn man auf eins der beiden Klos
gehen will...
Irma hat
reichlich Rotwein getrunken, und ihr Körper fühlt sich ziemlich taub und
gefühllos an. Sie will eigentlich nur schlafen. Wenn da nur nicht dieser Typ in
ihrem Bett liegen würde. Der Feind in meinem Bett, das kommt ihr automatisch in
den Sinn. Aber so schlimm wird es nicht sein. Ja hoffentlich!
Er
schläft mit Sicherheit schon. Irma lässt sich ein bisschen kaltes Wasser übers
Gesicht laufen, und sie zieht das dünne indische Shirt an, das aussieht wie ein
Minikleid, denn sie friert immer schnell an den Schultern, und außerdem hat sie
keine Lust, sich nackt neben ihn ins Bett zu legen. Das wäre ja wie eine
Einladung, falls er doch noch wach wäre...
Gut, sie
geht barfuß zurück ins Schlafzimmer – leise, ganz leise – und schlüpft unter
die Bettdecke.
Er liegt
dem Himmel sei Dank hinten an der Wand, und sie versucht, sich leise und
unauffällig neben ihn zu legen. Leise, ganz leise...
DIE SAHNE...
Der und schlafen!
Kaum
liegt sie, da ist schon über ihr, und er macht sich noch nicht einmal die Mühe,
ihr das indische Shirt auszuziehen. Er streift es ihr einfach hoch, entfernt
ihren Slip irgendwie, wie konnte das geschehen, hat sie ihm etwa dabei
geholfen? Hat sie ihren Hintern freiwillig willig hochgehoben? Nein, nein,
nein, das kann nicht sein...
Er
zwängt sich zwischen ihre Beine - und er ist so leicht in ihr, dass sie es
nicht glauben kann.
Ich bin
die Sahne, denkt sie erstaunt. Aber hat sie das nicht schon vorher gewusst?
Doch, ja, irgendwie.
„Hey,
Moment mal“, stammelt sie, aber das wird natürlich ignoriert, denn schließlich
hat sie ja nicht ‚nein’ gesagt. Ja nicht nein gesagt, das ist echt witzig. Ja
nicht nein... Ja nicht nein...
Er hat
sie gut zurecht gelegt, und irgendwie bewundert Irma seine Geschicklichkeit. Er
muss wirklich viel Erfahrung mit Frauen haben. Die meisten Deppen wissen ja
noch nicht einmal, wo eine Frau ihre strategischen Stellen hat. Aber er schon,
und das ärgert sie auch ein bisschen. Wie viele Frauen muss man studiert haben,
um zu so einer Meisterschaft zu gelangen? Andererseits ist sie bis jetzt
ziemlich unberührt und cool geblieben. Hahaha!
Was hat
sie ihm damals eigentlich erzählt, Sie hat es ein wenig verdrängt, aber es ist
noch da, sie muss er nur aus ihrer Erinnerung abrufen. Während Irma krampfhaft
überlegt, versucht sie ihren Körper ganz ruhig zu halten und ja nicht in seinen
Rhythmus einzusteigen. Sie ist ja so was von passiv, obwohl ein Instinkt sie
fast dazu treibt, sich ihm entgegen zubiegen und... nein, nein, nein, das
könnte ihm so passen! Außerdem ist sie besoffen, und ihr Körper ist in diesem
Zustand total empfindungslos, das weiß sie aus Erfahrung.
Also was
hat sie ihm vor zwei Monaten noch erzählt? Außer das mit dem ‚Jeder Mann, der
mit mir schläft, verliebt sich in mich.’
Und dann
fällt es ihr urplötzlich wieder ein: ‚Und außerdem bin ich sowieso frigide’.
Himmelherrgottnochmal, wie kann man so einen Mist erzählen? Natürlich hat er
sie dazu provoziert. Aber dieses blöde Gewäsch kann er doch nicht ernst
genommen haben.
Irma
versucht immer noch, sich nicht zu bewegen. Warum schreit sie nicht um Hilfe?
Warum versucht sie nicht, ihm ins Gesicht zu boxen oder ihm mit den Knien in
irgendwas zu treten. Das könnte sie, wenn sie es wollte. Und trotzdem liegt sie
hier, sie lässt sich von ihm begatten und sie hat seltsame Gedanken dabei. Da war doch dieser Limerick, ein total blöder
Limerick...
There was a young man named Skinner
who took a nice lady to dinner
but before dinner Skinner was in her…
Da stimmt was nicht! Es gab doch gar kein Dinner. Auch das Versmaß ist
falsch, ein Limerick hat fünf Zeilen und keine weniger, das glaubt sie
jedenfalls, und das hier ist höchstens ein Dreizeiler. Da fehlt ja fast die
Hälfte. Irma würde gerne kichern, aber sie tut es vorsichtshalber nicht...
Es spielt sich ohne Anfassen ab, wie kann das gehen. Der Blödmann
berührt noch nicht einmal ihre Brüste! Irma fühlt sich verachtet und
vernachlässigt. So’n Quatsch! Sie will das alles doch gar nicht, es ist
pervers, abartig, nicht ganz normal. Und trotzdem genießt sie es, zumal ihr
Körper auf einmal anfängt, leichte Anzeichen von Erregung zu zeigen. Oh Gott!
Irma
stöhnt aus unbekannten Gründen auf und muss sich zwingen, ihre Hüften ruhig zu
halten, denn irgend etwas passiert da, es ist wohl unaufhaltsam, aber es kann
nicht sein, sie ist besoffen und hat noch nie was gefühlt in diesem Zustand...
Chris
hält einen Augenblick inne mit seinen Bewegungen und schaut sie aufmerksam an.
Wie dumm, es ist im Zimmer nicht ganz dunkel, die Straßenlaternen von draußen
geben etwas Licht, und er kann bestimmt ihr Gesicht sehen. Sie versucht, ihr
Gesicht unter Kontrolle zu halten und den Rest sowieso. Und außerdem soll er
sich wieder bewegen, denn dass er regungslos in ihr steckt, das macht sie
schier wahnsinnig...
„Geh’ weg!“
Ist das ihre Stimme? Wahrscheinlich. Aber sie klingt so zaghaft und zitternd.
„Ach sei
ruhig.“ Er würgt ihre Worte einfach ab.
Na gut,
auf diese nette Aussage hin entspannt Irma sich total, denn das ist für sie
eigentlich der sicherste Weg, nicht zum Orgasmus zu kommen, doch wer beschreibt
ihr Entsetzen, als es plötzlich doch geschieht, unaufhaltsam, Mist, die
Passivität hat versagt, warum, versagt, nein Stop, das geht doch nicht, das ist
nicht normal! Hilfe, nicht das!
Er soll
es nicht merken. Irma hält sich die Hand vor den Mund, um ihr Stöhnen zu
verbergen, aber automatisch wölbt sie ihren Rücken hoch, um ihm näher zu sein,
und sie schlingt ihre Beine um seinen Rücken, wie demütigend... Aber es ist ihr
egal, sie kann nicht anders, und als Krönung streichelt sie auch noch ihre
Brüste, weil er es ja nicht tut.
Wie
durch einen Schleier kriegt sie mit, dass er sie fasziniert beobachtet. Er
berührt sie überhaupt nicht, beobachtet sie nur, während er sich auf seinen
Armen abstützt, will wohl nur sehen, was sie tut, was sie empfindet, wie sie
reagiert. Der Arsch!
Und was
sie empfindet ist ja wohl offenkundig. Das würde jeder Depp spüren.
Andererseits wäre nicht jeder Depp dazu fähig, sie so weit zu bringen.
Irma
sieht verschwommen, wie sein Gesicht näher kommt. Will er sie etwa küssen? Nein
küssen ist das nicht, er öffnet ihren Mund mit seiner Zunge und drängt sich
hinein, genauso unverschämt, wie er sich schon vorher in sie hineingedrängt
hat. Aber das ist egal, es ist egal, egal, egal... Irma hört auf zu denken und
überlässt sich ihrem Körper. Sie fängt an zu zittern, sich unter Chris zu
winden, während sie seine Zunge immer noch tief im Mund hat und er sie
rhythmisch zu seinen anderen Bewegungen in ihr bewegt. Es fühlt sich so an, als
würde er alles von ihr besitzen – und es ist geil.
Irma
stöhnt in seinen Mund, und sie hasst sich dafür. Sie versucht dagegen
anzukämpfen, aber es geht nicht. Sie fühlt ihn in sich, er ist überall, und ihr
Körper vergeht unaufhaltsam in einer Mischung aus süßem Schmerz und wollüstiger
Ekstase. Sie stöhnt laut in seinen Mund, bäumt sich auf und wehrt sich nicht
mehr dagegen.
Er hat
sie zum Orgasmus gebracht – und zu was für einem! Und das, obwohl sie besoffen
ist. Das ist ungewöhnlich, sehr sehr ungewöhnlich, aber auch irgendwie, na ja
Wahnsinn.
Kurz
darauf fängt auch Chris an zu stöhnen, er hat immer noch seine Zunge in ihrem
Mund, aber jetzt kann sie bestimmen, was passiert. Sie saugt sie ein, genauso
wie ihr Körper ihn unwillkürlich einsaugt, sich um ihn verkrampft - und ihn
schließlich widerwillig freigibt.
Er lässt
sich keuchend neben sie fallen.
Irma
dreht sich als erste auf die Seite. Es gibt keine Berührungen, keine
Vertraulichkeiten und vor allem keine Eingeständnisse. Wenn er es so will, dann
kann er es so haben. Kein Problem!
Irma
kriegt gerade noch mit, dass er sich zur anderen Seite dreht, ihre Körper
berühren sich in keinster Weise, und sie schläft von einer Sekunde auf die
andere ein.
~~~~~~~~~~~
APOLLO
Ungefähr
um zehn Uhr, nämlich keine sechs Stunden später wacht Irma auf.
Ihr Kopf
ist in keiner guten Verfassung, und sie hat einen ziemlich widerlichen
Geschmack im Mund.
Hat sie
geträumt oder ist das wirklich passiert? Das kann nicht wahr sein. Sie schaut
vorsichtig nach rechts, aber da liegt niemand. Das ist ziemlich normal, weil da
nie jemand liegt... Aber das kann sie doch nicht alles geträumt haben. Aua, der
Kopf tut ziemlich weh, obwohl sie doch nur ein bisschen damit denkt.
Er ist
nicht im Bett. Wahrscheinlich ist er schon weg. Mittlerweile erstaunt es sie
kein bisschen mehr, dass die Männer einfach abhauen danach. So wie Bernie, der
sie jetzt ja angeblich liebt. Lachhaft!
Nein, er
ist noch da. Irma hört Geräusche aus der Küche. Es ist die Kühlschranktür.
Und
schon kommt er ins Schlafzimmer, er hat irgendwas in der Hand und steckt es
sich gerade in den Mund. Oh nein, nicht die Mettwurst, die ihr Vater ihr
geschickt hat, die ist zu schade für ihn...
Zu
schade? Ihr stockt der Atem. Was hat sie getan? Sie hat sich mit einem Gott
eingelassen. Sie, eine ganz normale Sterbliche.
Denn es
ist Apollo, der Sonnengott persönlich, der gerade nackt ins Schlafzimmer kommt.
Allein seine Haltung ist göttlich. Die meisten Männer sehen nackt irgendwie lächerlich
aus, sie schämen sich wahrscheinlich aus irgendwelchen Gründen. Sie laufen
ungeschickt und tölpisch daher, und irgendwie hat man keine Achtung vor ihnen,
ganz im Gegenteil...
Aber ER
hat eine göttliche Figur, eine vollkommen ungezwungene Haltung, er ist so von
sich überzeugt, und er hat verdammt noch mal Recht, er ist göttlich! Irma lässt
automatisch ihren Blick tiefer schweifen, sie kann es nicht verhindern. Auch
das ist göttlich, sogar im Ruhezustand. Da kann man ihm schon mal verzeihen,
dass er die kostbare luftgetrocknete Mettwurst gegessen hat. Irma muss
unwillkürlich lächeln.
Er sieht
ihr Lächeln, hält es natürlich für Bewunderung - okay, er liegt richtig damit -
und er sieht natürlich auch, dass ihr Blick tiefer geschweift ist. Er verzieht seinen
Mund zu einem spöttischen Grinsen und kommt auf sie zu.
Apollo
selbst kommt zu ihr ins Bett. Aber sie ist doch nur eine ganz normale
Sterbliche, und heute Morgen ist sie ganz besonders sterblich. Fast schon tot
eigentlich. Geblendet wendet sie ihre Augen von ihm ab. Dieser Anblick ist
zuviel für jemanden mit starken Kopfschmerzen, und ihr Magen kann es auch nicht
ertragen. Oh, das reimt sich ja!
Irma
schwingt sich aus dem Bett – nicht ohne zu stöhnen – sie geht auf das Klo in
der Diele und danach ins Badezimmer, wobei sie durchs Schlafzimmer gehen muss.
Sie tut es, ohne ihn anzuschauen. Sie putzt sich die Zähne und lässt sich fünf
Minuten lang eiskaltes Wasser über ihr Gesicht laufen. Es hilft ein wenig, aber
wirklich nur ein wenig.
Dann
muss sie ins Schlafzimmer zurückkehren.
Er liegt im Bett – das Kinn in seine Hand gestützt – und misst sie mit seinen Blicken. Er betrachtet neugierig und aufmerksam ihren Körper, der gemeinerweise hinterrücks von der Sonne beleuchtet wird. Und durch ihr dünnes indische Hemd ist wahrscheinlich alles deutlich zu erkennen. Auch von vorne...
Sein Blick sieht unverschämt begehrlich aus. Es scheint ihm zu behagen,
was ihr Shirt enthüllt. Klar doch, ihr Körper ist nicht übel.
Irma
lässt sich ins Bett fallen und dreht ihm den Rücken zu. Er soll ja nicht wieder
auf blöde Gedanken kommen. Sie will das nicht. Nicht heute morgen. Und das
heute nacht, das zählt nicht, da war sie ja schließlich nicht ganz bei sich.
Trotz
ihrer abweisenden Haltung spürt sie ihn auf einmal hinter sich, sie spürt
seinen harten Körper, der ja so was von geil ist. Sie spürt ein gewisses
Körperteil von ihm ganz deutlich. Und sie hat das Verlangen, dieses Körperteil
zu berühren und zu streicheln, und sie tut es auch... Und es gefällt ihr. Oh
Gott, was ist nur los mit ihr?
Sie
signalisiert ihm sogar schamlos ihre Paarungsbereitschaft, indem sie ihr
rechtes Bein nach hinten über seine Hüfte legt und sich ihm damit klar
anbietet. Wie eine läufige Hündin, denkt sie, aber ihr Denken wird kurz darauf
etwas undeutlich, denn er nimmt das Angebot natürlich an...
Und
diesmal berührt er sogar ihre Brüste.
Als sie wieder zu sich kommt, lässt er sich gerade gehen und explodiert förmlich in ihr. Und auch das macht sie noch erschauern, obwohl sie eigentlich total fertig sein müsste. Aber er ist so gut, so wahnsinnig gut... Er ächzt, während er zum Höhepunkt kommt und macht so wimmernde Laute. Es ist wunderbar, seine Laute zu hören, denn er wirkt so hilflos dadurch, und das ist ungewohnt bei ihm. Sie würde gerne sein Gesicht sehen, aber er liegt ja hinter ihr. Und wie zart seine Hände mit ihr umgegangen sind, Das machen die meisten Männer falsch. Die denken, eine Frau wäre genauso robust und widerstandsfähig wie ein Mann an seinem Ding, aber das stimmt nicht, zumindest nicht bei ihr. Und trotzdem ist er so zupackend, so unbeirrbar. Meine Güte, auch von hinten war es gut, unerwartet gut. Ist ja auch kein Wunder, wenn man einen männlichen Finger zwischen den Oberschenkeln gefangen nimmt, um sich zum... Au Mann! Irma, Irma!
~~~~~~~~~~~
SPIELCHEN
„Du hast
einen schönen Busen.“ sagt er ein wenig später, und seine rechte Hand hält
immer noch ihre rechte Brust umfasst.
„Ja
wirklich?“ Irma versucht, mit ruhiger Stimme zu sprechen, denn sie ist noch ein
wenig außer Atem, aber das will sie ihm nicht zeigen. Und sie bewegt sich
nicht. Er ist noch in ihr, und sie will ihn nicht verlieren, sondern noch eine
Zeitlang in sich behalten, weil es so ein gutes Gefühl ist. Chris scheint es zu
genießen, aber Irma glaubt, der genießt alles, was neu für ihn ist (ist es
neu?), er ist eben ein total sinnlicher Typ.
Fünf
Minuten später steht Irma dann auf und macht sich einen Kaffee. Sie hofft, der
Kaffee wird ihr helfen, das schmerzhafte Pochen im Kopf zu überwinden.
Sie
kehrt mit einer großen Kaffeetasse ins Schlafzimmer zurück. „Willst du auch
Kaffee?“ fragt sie ihn.
Chris
schüttelt den Kopf. Er liegt so wunderbar entspannt in ihrem Bett, schade, dass
sie seinen Körper nicht sehen kann. Seltsam, mit Bernie ging überhaupt nichts, es
war unbefriedigend mit ihm zu schlafen, und er ist nicht über Nacht geblieben.
Dabei hatte sie es sich so sehr gewünscht, zur Abwechslung mal nicht alleine
aufzuwachen. Warum eigentlich? Tatsache war, sie fühlte sich ziemlich einsam
nach dem Ende ihrer Beziehung mit Oliver, und ihr Selbstwertgefühl war wohl
etwas angeknackst.
Aber
jetzt hat sie sich gar nichts gewünscht und sich auch gar nichts vorgestellt,
und trotzdem gab es ungewöhnlich guten Sex, und der Mann, dem sie dies
verdankte, ist sogar über Nacht geblieben. Und dabei kann sie Chris doch
überhaupt nicht ausstehen.
Bekommt
man nur etwas, wenn man sich gar nichts gewünscht hat? Vielleicht sollte sie
sich gar nichts mehr wünschen und sich gar nichts mehr vorstellen. Vielleicht
ist das das Geheimnis. Oh je, das hört sich ja an wie Carrie Bradshaw in ‚Sex
and the City’. Als ob sie eine Kolumne schreiben würde. Irma muss sich ein
Lachen verbeißen.
Sie
liegen wieder nebeneinander, ohne sich zu berühren, und Irma wundert sich kein
bisschen darüber.
„Du und Olivia, ihr wart die interessantesten Frauen heute Nacht“, sagt er nach einer Weile und schaut sie dabei irgendwie hinterlistig an, wie ihr scheint.
Er
findet sie interessant? Hmmm... Irma muss jetzt gut überlegen, was sie sagt.
Eigentlich fasst sie es ja als Kompliment auf, denn normalerweise sieht Olivia
zehnmal besser aus als sie. Aber vielleicht geht es ja gar nicht ums Aussehen,
sondern um Machtspielchen.
„Vielleicht
hättest du Olivia anmachen sollen. Die ist bestimmt besser drauf als ich“, schlägt
sie locker vor. Er soll nicht denken, dass sie in irgendeiner Art und Weise
Eifersucht auf Olivia hegt. Und das stimmt ja auch…
„Hmmm“,
sagt er nach einer kleinen Überlegungspause. „Ich dachte, die wäre mit diesem
Typen zusammen.“
„Nicht,
dass ich wüsste. Schade, da hast du aber Pech gehabt! Warum hast du mich nicht
gefragt?“ Oh das war gut, das war saugut! Er wollte sie eifersüchtig machen,
wollte sie ihre Nichtigkeit fühlen lassen, aber sie hat es ihm zurückgegeben.
Er
schaut sie etwas zweifelnd an, lässt dann dieses Thema fallen, und sie
unterhalten sich über die Gäste, die sonst noch da waren. Die überaus üppige
Frau wird nur am Rande erwähnt, er lächelt wirklich verlegen, und Irma mag ihn
auf einmal dafür. Nicht wirklich natürlich.
„Siggy
ist ein Idiot“, sagt er verächtlich.
„Tja,
das stimmt irgendwie“, gibt Irma nachdenklich zu. Aber Siggy tut ihr eigentlich
ein wenig leid, denn dem würden die Frauen nie so hinterherlaufen wie Chris.
Die rothaarige Zicke von Siggy wird nicht erwähnt, das ist gut, denn
Irma würde zwar liebend gerne über sie herziehen, aber das könnte als
Eifersucht ausgelegt werden. Also lieber die Klappe halten. Auch über Ralf
lässt er sich nicht aus, und das ist auch besser so. Wenn er über den was Übles
gesagt hätte, dann hätte sie’s ihm aber gegeben! Sie mag Ralf, und sie mag die
Art, die er ihr gegenüber hat. Dieses Beschützende. So was würde einer wie
Chris nie haben. Sie grübelt vor sich hin. Eigentlich braucht sie gar keinen
männlichen Beschützer, die Zeiten sind doch lange schon vorbei. Aber trotzdem
hat man es als Frau noch in den Genen: Der Mann, der starke Beschützer. Einer,
an den man sich anlehnen konnte, wenn man schlecht geträumt hat, der einen die
Abgründe der Seele vergessen ließ, bei dem man sich Schwäche erlauben konnte,
ohne dass er das ausnutzte. Träume nur weiter, Irma, so was gibt’s doch gar
nicht!
Irgendwie
ist sie immer noch schwer angeschlagen, obwohl es ihr ein bisschen besser geht.
Sie hat immer noch leichte Kopfschmerzen, und ihr Magen rebelliert ein wenig.
Warum geht er nicht? Was will er noch hier? Wahrscheinlich will er sie quälen,
aber das könnte ihm so passen, und deswegen wird sie sich ab jetzt zusammen
reißen
Er erzählt von einem nicht gesehenen Fußballspiel bei Kollegen, weil der Fernseher just in diesem Moment kaputtging.
Irma
erzählt ihm von ihrem alten Fernseher, der zwar ein sagenhaft
stromlinienförmiges silbernes Design besitzt, aber leider auch die
Angewohnheit, einfach auszugehen, wenn jemand im Raum mit irgendwas klappert
oder klingelt. Er hat nämlich noch eine vorsintflutliche Ultraschallbedienung.
Und manchmal bleibt er dann tagelang aus, der Schlingel.
Er lacht
darüber, dann deutet er auf seine Taille und behauptet tatsächlich, er wäre
fett geworden.
„Zeig’
mal!“ Irma hebt spontan die Bettdecke hoch, begutachtet seine Taille – und
bereut es sofort. Er denkt bestimmt, sie wäre auf seinen prächtigen Körper
scharf. Dafür geht es ihr eigentlich zu schlecht, aber trotzdem ist sie
beeindruckt, er hat kein Gramm Fett am Leib, und sein Bauch ist traumhaft
durchtrainiert. Aber was für ein eitler Fatzke!
„Ich
sehe nichts“, sagt sie gelassen. „Außerdem mag ich stattliche Männer.“ Und muss
dabei automatisch an Bernie denken, einen wirklich stattlichen Mann, dessen
Stattlichkeit schon fast in Massigkeit übergeht.
„Stattliche
Männer!“ Chris fängt an zu lachen. „Und wie nennt man das noch mal bei Frauen?“
„Vollschlank“,
sagt Irma nach kurzem Überlegen.
„Ja
genau. Stattliche Männer und vollschlanke Frauen.“
Kriegt
sie jetzt ein Fleißkärtchen von dem Herrn Lehrer? Aber eigentlich ist er recht
nett zu ihr, ist ja auch kein Wunder, er hat seinen Spaß gehabt, ist vielleicht
besänftigt und denkt, er hätte sie fest im Sack.
Ja
Pustekuchen! Gar nix hat er!
~~~~~~~~~~~
ZUSAMMEN DURCH DIE GEGEND
Eine halbe
Stunde später schlägt er vor, aufzustehen und zu frühstücken. Will er denn
überhaupt nicht gehen? Anscheinend nicht.
Na gut, wenn’s denn sein muss. Irma erhebt sich – obwohl sie viel lieber im Bett liegen geblieben wäre - und macht wieder Kaffee. Kurz darauf kommt er in die Küche. Och schade, voll angezogen und nicht nackt...
Diesmal trinkt er den Kaffee. Und er nimmt sich nur Milch, genauso wie sie. Tatsächlich eine Übereinstimmung, fast muss sie lachen. Eine Übereinstimmung mit dem!
„Wenn du was essen willst, musst du dir selber was machen“, sagt sie schließlich muffig. Wäre ja noch schöner, wenn sie ihm ein Frühstück servieren würde. Aber er nickt, geht an den Kühlschrank und nimmt sich ein paar mit Frischkäse gefüllte Pfefferschoten und Tsaziki heraus, greift sich ein Stück Fladenbrot und fängt genüsslich an zu essen.
Er mag
das gleiche wie sie, wieder eine Übereinstimmung. Das ist witzig, sehr sehr
witzig! Sie schaut ihm unauffällig beim Essen zu, hmmm, sie selber könnte jetzt
nichts runterkriegen.
„Kann
man hier irgendwo spazieren gehen?“ fragt er.
Er will
spazieren gehen? Das gehört bestimmt zu einem seiner Rituale. Und dieses Ritual
heißt bestimmt ‚Spazieren gehen nach der Nacht mit einer willigen und vor
allem bescheuerten Frau’.
Aber es
wäre eine gute Möglichkeit, ihn loszuwerden...
Irma
überlegt. Doch, ein paar Minuten von hier gibt es ein kleines Wäldchen, wo man
vorzüglich spazieren gehen kann. Es ist natürlich kein finsterer romantischer
Fichtenwald mit Himbeerbüschen und Stechfliegen, sondern ein städtisches
Laubwäldchen in einem Tal, das Mühlbachtal genannt wird, aber vielleicht ist
dieses Wäldchen natürlicher als der künstlich angelegte Fichtenwald ihrer
Heimat. „Oh ja, das kann man!“ verkündet sie triumphierend. „Du musst nur an
der großen Kreuzung nach rechts gehen und dann...“
„Raff’
dich auf und zieh’ dir was an!“
„Was?
Ich soll mitkommen?“ fragt Irma entsetzt. Sie hat es also mit einem Sadisten zu
tun, der sie in ihrem Katerzustand durch die Gegend schleifen will.
„Na
klar!“
Eigentlich
will Irma gar nicht mitgehen, aber seine Stimme hat eine hypnotische Wirkung
auf sie, und so ein bisschen frische Lust, äääh... Luft könnte nicht schaden.
Irma schaut an sich herunter, tatsächlich trägt sie immer noch ihr dünnes
indisches Minikleid. Aber er verschwendet keinen Blick an ihre körperlichen
Reize – das ist bestimmt wieder so eine Gemeinheit von ihm – und deswegen kann
es ihr egal sein, was sie anhat. Sie könnte auch nackt hier sitzen.
Sie
steht auf und geht ins Schlafzimmer, um sich anzukleiden. Eigentlich sollte sie
ja vorher duschen, aber sie hat keine Lust dazu. Sie zieht ihre teuerste und
schönste Hose an, ein braunrosafarbenes Stück, das wie für sie gemacht ist. Man
sieht ihre schmale Taille, ihre Hüften werden sanft von dem Stoff eingehüllt,
und ihre Beine zeigen sich von ihrer besten Seite. Dazu ein weißes enges
T-Shirt und eine kurze Jacke aus naturfarbenem Leinen. Und knöchelhohe schwarze
Stoffturnschuhe.
Ihre
braunen Haare sind zwar etwas verwuschelt, aber es geht noch gerade, und ihr
Gesicht sieht nicht so müde aus, wie sie sich fühlt, es sieht eigentlich gut
durchblutet aus. Aus was für Gründen auch immer... Und schließlich ist sie mit
ihren fünfundzwanzig Jahren ja noch jung und kann sich solche Nächte leisten.
Obwohl die auf Dauer bestimmt stressig wären.
Sie
marschieren also los.
Natürlich
halten sie einen respektablen Abstand voneinander. Das ist Pflicht, und es ist
irgendwie lustig. Irma fühlt sich tatsächlich wie der weibliche Teil eines
verlobten sizilianischen Paares.
Unwillkürlich
dreht sie sich um und schaut nach, ob irgendwelche schwarz gekleideten Vetteln
hinter ihnen hergehen und jede ihrer Bewegungen verfolgen – um dann sofort
einzuschreiten, wenn der Sicherheitsabstand zwischen ihnen zu gering ist. Wie
in diesem Film ‚der Pate’, Teil eins oder Teil zwei, vollkommen wurscht,
jedenfalls war es Michael Corleone mit seiner sizilianischen Braut. Irma kann
sogar die schwermütige Musik im Geiste hören, daa daa da da da...
Aber von
wegen Berührungen, da besteht bei ihr und Chris natürlich keinerlei Gefahr.
Irma schaut kurz zur Seite, um ihr Lächeln vor ihm zu verbergen.
„Magst
du den Paten?“ Das rutscht so aus ihr heraus.
Chris
schaut sie verblüfft an, überlegt dann ein bisschen und sagt schließlich mit
seltsam rauer Stimme: „Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich
bitten mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.“
„Wow, du
bist ja echt gut!“ Jetzt schaut Irma ihn verblüfft an.
Zwei hübsche Mädchen kommen ihnen entgegen, und Irma sieht, dass sie ihn anstarren. Chris scheint ihre Blicke weder zu bemerken geschweige denn zu erwidern, aber sie ist sich sicher, der registriert jeden bewundernden Blick, der auf ihn fällt.
Gott,
ist er groß!
Das Wäldchen
ist wirklich schön. Und das Wetter wird von Minute zu Minute besser,
tatsächlich kommt die Sonne immer öfter zum Vorschein. Klar doch, ihr
zweiwöchiger Urlaub ist zu Ende und morgen muss sie wieder arbeiten. Warum ist
sie eigentlich nicht weggefahren? Muss wohl Schicksal gewesen sein, denn sonst
hätte sie diese Nacht wahrscheinlich nicht erlebt. Ja genau, Schicksal, was
sonst? Und wieder muss sie grinsen, denn sie glaubt nicht an das Schicksal, sie
glaubt nur an seltsame Aneinanderreihungen von Zufällen, die zuerst
vielversprechend aussehen – und dann einfach im Nichts enden. Wow, sie ist ja
heute richtig philosophisch drauf...
Einmal,
als sie eine holprige Steigung nehmen, weil sie einen Weg abkürzen wollen,
strauchelt Irma fast und greift instinktiv nach seinem Arm. Er hält sie kurz
fest - lässt sie dann los wie eine heiße Kartoffel und lächelt irgendwie
gemein.
Verdammt,
sie wollte doch gar nichts von ihm! Was soll das, warum benimmt er sich so?
Aber mit diesen Mätzchen kriegt er sie nicht ran, das interessiert sie
überhaupt nicht.
Schließlich
setzen sie sich auf eine Bank. Irma ist zwar ziemlich fertig, aber mittlerweile
geht es ihr ein wenig besser. Kommt bestimmt von der frischen Luft.
Chris
erzählt über eine Fernsehserie namens ‚Little Britain’.
Und sie
stellen fest, dass sie den gleichen Geschmack haben. Sie lieben beide „Little
Britain“, diese hammermäßig tief schlagende Comedy-Serie, die wohl den neuen
furchtbar schwarzen englischen Humor repräsentiert. Und Irma fängt sofort an,
ihre Lieblingsfigur darzustellen, und das mit leichten Kopfschmerzen: „Nein
aber ja aber nein aber ja aber nein, ich war’s nicht, denn da war ich gerade
mit dorothy malone beschäftigt, oder mit ihrer Mutter und die war sauer über
einen anderen Typ, der sie blöd angelabert hat und hat ihm voll in seinen Opel
Astra geschissen...“
Irma
ahmt die Proll-Schlampe Vicky so perfekt nach, dass Chris anfängt zu lachen.
Und dabei schaut er sie an, als hätte er ihr so etwas nicht zugetraut.
Du weißt
nicht, was ich bin oder sein kann, denkt Irma hochmütig. Und jetzt ist sie eben
Vicky Pollack, diese analphabetische fette britische Schlampe.
Nachdem
Chris sich eingekriegt hat, gibt er noch einen drauf: „Ich bin der einzige
Schwule im Dorf.“
„Was
denn“, kichert Irma, „du bist schwul? Aber du bist nicht der einzige Schwule im
Dorf, ich zum Beispiel bin lesbisch.“
„Lesben
zählen nicht!“
Er kennt
sich wirklich gut aus... „Ja, ich weiß…“ Sie macht nun Andy nach, den
Simulanten im Rollstuhl, der seinen Betreuer total verarscht. Und sie fangen
beide an zu lachen.
Sie
stellen fest, dass sie ‚Coupling’ lieben, es ist auch eine englische
Fernsehserie.
„Am
liebsten mag ich die Folge, wo Jeff es mit den Brüsten hat. BRÜSTE, BRÜSTE.
BRÜSTE, BRÜSTE! Das ist absolut genial! Und da soll mal einer sagen, im TV
gäb’s nur noch Müll.“ Chris lacht spöttisch auf.
„Na ja,
immerhin ist bei hunderttausend Sendungen eine dabei, die echt gut ist“, sagt
Irma. „Und ich hab’ sie auf DVD...“ Sie sieht es in seinen Augen aufleuchten.
Will er sich die etwa ausleihen? Nö, die kriegt er nicht!
~~~~~~~~~~~
TROCKENE AUGEN
Er dreht
sich eine Zigarette, und urplötzlich verspürt auch Irma Heißhunger auf eine,
und das, obwohl sie seit Monaten nicht mehr raucht.
„Kannst
du mir auch eine drehen?“ Mist! Natürlich hat sie keine Zigaretten dabei, und
jetzt muss sie ihn anbetteln. Das ist nicht gut...
Er
schaut sie herablassend an und dreht ihr tatsächlich eine. Wie es scheint, tut
er es sehr widerwillig, und er überreicht ihr das fertige Produkt wie einen
Fünfhundert-Euroschein.
Irma hat
natürlich auch kein Feuerzeug dabei. Wieder Mist! Und als er keinerlei
Anstalten macht, ihr Feuer zu geben, nimmt sie ihm einfach das Feuerzeug aus
der Hand und zündet es selber an.
Was für
ein blöder Sack! Sie selber hätte keine Probleme damit, einem Mann Feuer zu
geben, also was soll der Mist? Natürlich macht er das mit Absicht.
Aber sie
kann sich darauf einstellen, Sie wird nie wieder zulassen, dass sie ihn um
irgendetwas bitten muss, denn er ist der Typ, der ihr alles verweigern wird.
Man muss es nur wissen. Abgesehen davon wird es bestimmt keine weiteren Treffen
geben. Er hat sie ja ins Bett gekriegt, mehr wollte er wohl nicht von ihr, und
mehr wird er auch nicht von ihr kriegen!
Irma
glaubt allmählich, dass sie die Nase voll hat. Darüber kann auch ihr
gemeinsamer Geschmack in Bezug auf gewisse britische Fernsehserien nicht hinweg
täuschen. Und außerdem schmeckt die Zigarette ihr überhaupt nicht, sie ist
nämlich ohne Filter, und Irma spürt schon jede Menge Tabakkrümel im Mund.
Ekelhaft!
„Ich
will nach Hause“, sagt sie und steht auf. Sie lässt die Zigarette fallen und
tritt sie aus. Diese überaus kostbare Zigarette...
Immerhin
bleibt er nicht einfach sitzen, sondern steht auch auf. Irma achtet nicht groß
auf ihn, und sie hat auch keine Lust mehr, mit ihm zu reden. Sie laufen
schweigend nebeneinander her. Es handelt sich aber nicht um ein peinliches
Schweigen, sondern nur um ein... ja Schweigen.
Wieder
kommt sie sich in seiner Gegenwart so unglaublich klein vor. Fast wie ein
Schulkind, und durch seine gerade, unbeugsame und irgendwie autoritäre Haltung
wird dieser Eindruck noch verstärkt. Er ist so dominierend, so von sich
eingenommen und so fürchterlich arrogant! Welche Frau könnte das auf Dauer ertragen?
Klar doch, irgendein ein süßes unterwürfiges Kuschelhäschen...
Sie
nimmt eigentlich an, dass er jetzt geht, verschwindet, abhaut – wie auch immer
- und sie endlich alleine lässt, aber nein, er kommt wieder mit in ihre
Wohnung.
Irma
schleppt sich entnervt ins Wohnzimmer, sie legt eine CD mit gesammelten MP3s
auf und lässt sich dann auf ihr Dreiersofa fallen, nicht ohne vorher dekorativ
die Beine an den Körper gezogen zu haben. Sie weiß, dass sie so einen
unwiderstehlichen Anblick bietet, denn die Linie ihrer Beine ist perfekt...
Er guckt
noch nicht einmal hin. Na gut, dann eben nicht! Er scheint der Musik zu
lauschen.
Er fragt
nach dem Namen der Gruppe.
„Das ist
‚the The’, aus den achtziger Jahren“, gibt Irma Auskunft. Hach, da hat sie noch
ganz andere Sachen, die er bestimmt auch gut finden würde. Aber er wird sie
wohl nie hören, und das ist eigentlich schade. Nur wegen der Musik natürlich.
„Nicht
schlecht“, sagt er.
Sie
sieht, dass er ihr total veraltetes Astronomiebuch aus dem Regal genommen hat und
darin herumblättert. Was passiert jetzt? Will er sie etwa ausfragen? Wäre ja
kein Wunder, er wird bald Lehrer sein, das weiß sie noch, er hat es ihr am
ersten Abend erzählt, an diesem Abend, der irgendwann im Chaos versank. Und sie
sollte diesen Abend besser nie vergessen, denn er wird sie immer daran
erinnern, was für ein Blödmann er eigentlich ist.
„Wie
schwer ist denn nun ein Kubikzentimeter dieser Materie von einem weißen
Zwergstern?“
Er will
sie wirklich examinieren. Sie hat’s doch geahnt! Okay, wie schwer ist so ein
Kubikzentimeter? Das Buch ist zwar total überholt, aber sie weiß ungefähr, was
drinsteht.
„Er
wiegt mindestens ein paar Tonnen“, sagt sie schnell. „Vielleicht ist er so
schwer wie ein Güterwagen. Aber das Buch ist überholt…“
„Das
stimmt“, sagt er erstaunt und klappt das Buch zu.
Was
denn, dass das Buch überholt ist? Irma muss sich ein Kichern verbeißen, während
sie denkt: Das hättest du nicht gedacht, was? Du denkst wohl, ich hätte meine
Bücher nur aus Show hier liegen und würde mich nur für Horoskope interessieren.
Eindeutig ein Punkt für mich! Irma dreht sich leicht zur Seite, damit er ihren
befriedigten Gesichtsausdruck nicht sehen kann.
Aber
dann fällt ihr siedendheiß ein, dass da noch irgendwo ein Liebesroman herum
liegen muss, denn manchmal hat man als Frau ja so seltsame Anwandlungen.
Hoffentlich entdeckt er den nicht, denn dann wäre sie sofort als sentimentale
weibliche Person abgestempelt.
Unauffällig
beobachtet sie, was er tut. Dem Himmel sei Dank kehrt er dem Bücherregal den
Rücken zu und setzt sich ihr gegenüber auf das andere Sofa.
„Kannst
du vielleicht massieren?“ Er legt die Hand an seinen Nacken, anscheinend hat er
Probleme mit seiner Muskulatur.
Irma
überlegt. Was soll sie tun?
„Nein,
ich kann nicht massieren.“ sagt sie nach einer kleinen Pause und zaubert ein
winziges hämisches Lächeln auf ihr Gesicht. Natürlich könnte sie ihn massieren,
es ist bestimmt nicht schwer, seine herrlichen Muskeln weich zu kneten, aber
warum sollte sie das tun? Soll er doch an Verspannungen leiden!
Er
überlegt jetzt auch, das sieht man ganz deutlich. Hat wohl nicht erwartet, dass
sie es ablehnt, seinen perfekten Body zu kneten, Ha, sie hat es ihm gegeben.
Sollte ihr das Spaß machen? Nein, es macht ihr nicht unbedingt Spaß, sie will
ja nicht so sein wie er, so gemein und hinterhältig. Nur ein bisschen
vielleicht...
„So“,
sagt er plötzlich. „Morgen fliege ich nach Ibiza. Er scheint deswegen
tatsächlich etwas verlegen zu sein. War bestimmt ein Sonderangebot.
Wahrscheinlich wollte er sich nichts Teureres leisten, der Geizkragen.
„Wieso?
Ibiza ist doch sehr schön.“ Warum sagt sie das, warum ist sie so nett zu ihm?
Irma weiß es nicht. Sie weiß nur, dass er sie manipulieren könnte durch sein
verlegenes Aussehen. Und Irma möchte sich nicht von ihm manipulieren lassen.
Aber trotzdem ist sie nett zu ihm. Warum ist sie nett zu ihm? Sie hat keine
Ahnung, denn die Vorstellung, ihn auf Ibiza zu sehen, macht sie irgendwie
ärgerlich. Eingeborene von Ibiza, bringt eure Frauen und Töchter in Sicherheit,
Chris ist im Anmarsch. Aber das sollte sie eigentlich nicht jucken.
„Schickst
du mir ’ne Ansichtskarte?“ entschlüpft es ihrem Mund. OH BIN ICH BLÖD, denkt
sie im gleichen Augenblick, er wird das sicherlich als Bitte verstehen. Und du
solltest besser aufpassen, Irma, sonst lacht er sich über dich kaputt.
Sie hat
Recht. Er lächelt wieder boshaft und sagt nichts darauf. Der Typ würdigt sie
einfach keiner Antwort! Er ist wirklich absolut unmöglich und gemein und hinterhältig,
und sie könnte sich darüber schwarz ärgern. Vor allem über ihre eigene
Blödheit.
Und dann
erhebt er sich langsam. Er will gehen, er will wirklich gehen. Endlich!
Irma begleitet ihn erleichtert zur Haustür, wo er ihr wieder diesen Kuss auf die Stirn gibt. Genau den gleichen wie gestern Abend, ist wohl so Sitte bei ihm.
„Ich ruf’ dich an“, sagt er.
Und weg
ist er. Endlich!
Und auch
dieses Mal werden ihre Augen trocken bleiben, genauso wie beim ersten Mal. Und
der und sie anrufen? Das ist ja echt witzig, der hat ja nicht einmal ihre
Telefonnummer.
Apropos anrufen, Irma sucht ihr Telefon und ruft Freund Ralf an. „Hast du Lust nachher essen zu gehen? Ich lade dich ein.“
„Was ist
denn los? Und wieso hast du so eine gute Laune?“ Ralf scheint ein wenig
misstrauisch zu sein, vielleicht denkt er noch an die letzte Nacht, er hat doch
bestimmt gemerkt, dass da was abging zwischen ihr und Chris. Aber das geht ihn
nichts an, und natürlich wird sie nicht mit ihm darüber sprechen. Auch mit
ihrer besten Freundin wird sie nicht darüber sprechen, denn es ist so furchtbar
intim alles. Und so furchtbar bescheuert...
„Ich
feiere das Ende meines Urlaubs.“ Irma muss lachen. „Aber ist doch egal, ich
dachte an dieses chinesische Restaurant, da haben sie ein Gericht mit acht
verschiedenen Zitaten...“
Ralf
stutzt, das kann man deutlich merken, aber er kapiert schnell und sagt: „Was
denn, auf chinesisch?“
„Keine
Ahnung, ich hab’s nur auf der Speisenkarte gesehen. Lassen wir uns also
überraschen.“
Tja,
lassen wir uns also überraschen. Und lassen wir uns nicht blenden von gewissen
sexuellen Gefühlen, die wir gehabt haben. Du kannst diesem Mann nicht
vertrauen. Du solltest nicht darauf warten, dass er dich anruft. Du solltest
dein Leben einfach weiterleben. Es ist besser so. Und vor allem solltest du,
Irmalein, jetzt endlich in die Badewanne gehen, um seinen Geruch und seine
Säfte loszuwerden.
Nach
dieser ernsten Rede an sich selber geht Irma ins Badezimmer und lässt
Badewasser ein. Sie ist nämlich die einzige, auf die sie hört. Manchmal
jedenfalls...
© Ingrid Grote 2008 Fortsetzung HIER
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