TOPP, die Wette – Wie es weiterging...2

 

TELEFONGESPRÄCHE und DANACH...

 

„Warum bist du einfach so abgehauen? Beim nächsten Mal kannst du dich ruhig von mir verabschieden!“ Oh Gott, was erzählt er da? Vielleicht will sie ja gar nichts von ihm wissen... Mist, hat er jetzt schon Selbstzweifel wie einer dieser verklemmten schüchternen Idioten? Das wäre ja noch schöner!

Es ist früher Freitag Abend, und Chris steht vor Irmas Tür. Sie schaut ein wenig erstaunt drein, aber sie lächelt. Immerhin scheint sie keinen Kerl da zu haben, obwohl das verdammte Türschild mit dem Männernamen immer noch da ist...

 

Irgendein Telefon fängt penetrant an zu klingeln, während sie immer noch an der Tür stehen und sich vorsichtig mustern wie Katzen, die sich nicht kennen.

Irma bricht als erste den Bann. „Komm’ rein!“ sagt sie und läuft los, um ans Telefon zu gehen.

Zuerst will er sich in die Küche setzen, aber dann überlegt er es sich anders, er folgt ihr und geht ins Wohnzimmer, wo sie bereits auf dem Fußboden sitzt und in den Telefonhörer lauscht.

„Es war furchtbar“, hört er sie sagen. Und tatsächlich fragt er sich, was sie damit meint. Doch wohl nicht den Abend bei ihm? Verdammt, was ist los mit ihm? Normalerweise schert er sich doch einen Dreck um das, was die Frauen von ihm halten. Gespannt hört er weiter dem Gespräch zu, tut aber so, als ob er ihre CDs inspiziert. Netterweise schaltet Irma nach einer Weile auf Freisprechen um, und er kann alles mitkriegen. Interessant, sehr interessant...

„...Vergeudete Zeit! Madame ist ja eh stressig, aber diesmal kamen noch ihre komischen Freunde an. Alles ökologisch reine Irre...“

>War an dem Tag nicht das Gewitter?< fragt eine Frauenstimme.

„Ja, aber das war nicht das Schlimme. Das Schlimme kam erst später.“

>Wie denn, was denn?<

„Wir haben zu dritt im Karmann gepennt...“

>Lass mal raten... Madame bestimmt?<

„Logo, und Madames Typ musste draußen schlafen.“

 

Chris fragt sich automatisch, wer wohl die dritte Person gewesen sein könnte. Etwa ein Mann? Das macht ihn irgendwie sauer.

 

>Das ist doch viel zu eng!<

„Doch das geht!“ Irma lacht. „Und dann auf einmal, ich war gerade ein bisschen eingenickt, da hörte ich ein fürchterliches Kreischen...“

>Was denn, ein Überfall?<

„Nein, kein Überfall, nur Madame. Zankte sich draußen mit ihrem Stecher rum, er hat ihre Tasche als Kopfkissen benutzt. Und die hat sie ihm wohl einfach unterm Kopf weggerissen...“

>Ja und? Der lässt sich doch alles gefallen …<

„Diesmal nicht, sie hat sich nämlich den ganzen Abend von so ’nem Typen den Arm abschlecken lassen, und er war stinksauer. Jedenfalls kam sie heulend ins Auto.“

>Ach du Scheiße!<

„In der Tat!“ Irma macht eine kleine Pause, bevor sie weiter spricht: „Und dann sollte ICH rausgehen und die Tasche holen ...“

>Huch! Und hast du?<

„Ich hab’ mich breitschlagen lassen“, Irma verzieht unwillig ihren hübschen Mund, an dem Chris Augen wie gebannt hängen. „Aber er war ziemlich friedlich, der Gute. Er hat mir die Tasche gegeben.“

>Und was dann???<

„Ich geb’ dir ’ne Kurzfassung. Madame war ganz hysterisch und wollte weg. Den Hund konnte sie nicht auf ihn hetzen, ist ja fast sein Herrchen. Also Flucht mit dem Auto durch den Matsch. Dann bin ich im Matsch stecken geblieben, nein nicht ich, sondern das Auto, war ja alles vom Regen aufgeweicht. Suse und Madame mussten raus und schieben, und das Venusschätzchen hat dazu gebellt. Noch mehr Matsch, durchdrehende Reifen, gelbe tiefe Pampe durchpflügt, aus Matsch rausgekommen, aber Auto innen wie außen total versaut...“

 

Chris atmet irgendwie erleichtert auf. Denn bei der dritten Person im Auto handelte es sich um eine Frau, nämlich um eine gewisse Suse ...

 

Irma macht eine effektvolle Pause, bevor sie fortfährt: „Und bei sich zu Hause hat sie dann die Polizei angerufen.“

>POLIZEI???<

„POLIZEI!!! Sie wollte Anzeige gegen ihn erstatten. Die meinten aber, sie sollte erst mal auf’m Revier vorbeikommen. Und rat’ mal, wer fahren musste?“

>Ja bist du denn ganz wahnsinnig???<

„Ja ich weiß, verdammich! Aber ich kann mich gegen die einfach nicht wehren, die macht mich fertig!“

>Ja, mich auch ...<

„Jedenfalls musste ich sie zur Polizeiwache fahren, obwohl ich mit Sicherheit noch jede Menge Promille drin hatte. Stell’ dir das mal vor, mitten in der Polizeiwache bei den Bullen! Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich hab’ mich ganz klein gemacht, unauffällig Kaugummi gekaut und gehofft, dass sie es nicht riechen.“

>Und was haben die gemacht? Ihn verhaftet?<

„Die sind zum Fluss gefahren, aber da war natürlich keiner mehr. Sogar der Müll war weg.“

>Und die zieht das echt durch, das mit der Anzeige?<

„Quatsch! Alles im Sande verlaufen. Hat die Anzeige zurückgezogen, und jetzt will sie ihn so fertig machen.“

>Ja wie denn?<

„Tja, das frage ich mich auch... Aber eigentlich will ich nicht mehr dran denken, so ein Mist!“

>Vergiss es einfach. Die Frau nervt sowieso, ich war ja letztens mit ihr einkaufen...<

„Haha, war bestimmt toll...“

>Witzbold! Jedenfalls hat sie mich überredet, so seltsame Sandalen zu kaufen, die hatten an der Ferse eine Schleife...<

Ahaaa! Damit siehst du bestimmt aus wie Hermes, der geflügelte Götterbote, der hatte auch so Flügelchen hinten an den Hacken.“

>Haha! Und was ist mit dir? Hat Madame dir nicht diese blau-weiß gestreifte Hose aufgeschwatzt, die aussieht, als wäre sie von Obelix?< Die nette Frauenstimme kichert, und Chris fühlt das dringende Bedürfnis mitzukichern, aber er beherrscht sich gerade noch.

„Hey, ich bin nicht so fett wie Obelix! Aber stimmt, war ein absoluter Fehlkauf, zu dem Teil passt wirklich nix. Oh Gott, lass uns das Thema wechseln.“ Irma muss nun auch kichern. „Was ist denn jetzt mit der Oper? Ich bin dafür!“

>Oh! Hatte ich ganz vergessen, aber ich weiß nicht so recht ...<

„Ach komm’, Lucia di Lammermoor ist einfach fantastisch, und ich will da unbedingt hin!“

>Ich würde es auch gerne sehen, kommt aber drauf an, ob ...<

„Kannst ihn ja mitbringen ... Also übernächste Woche Samstag, ich besorge auf jeden Fall die Karten, und wenn DU nicht willst, kommt Ralf bestimmt mit. So, ich muss mich jetzt um meinen Gast kümmern...“

Irma schaltet das Freisprechen ab, und Chris kann leider nicht mehr hören, was die Frau auf der anderen Seite sagt. Aber er hört, was Irma zur Antwort gibt, nämlich: „Nein, kennst du nicht ...“

Wieder sagt die Frau auf der anderen Seite etwas.

„Ja danke!“ Bei diesen Worten lächelt Irma irgendwie fies.

 

Chris hat dem Gespräch gespannt zugehört. Gute Güte, es ging wohl um eine chaotische Party irgendwo draußen am Fluss. Die Party ist ausgeartet in eine dumme einseitige Schlägerei. Manche Kerle sind wirklich Scheiße drauf. Immerhin ist Irma nichts passiert. Sie sollte sich nicht so leichtsinnig verhalten, vor allem nicht wegen dieser Madame, die er instinktiv verabscheut, obwohl er sie gar nicht kennt. Und es ging außerdem um eine Oper, die man sich anschauen will, Lucia di Lammermoor, von Donizetti, absolut , dessen Name ihm aber jetzt nicht einfällt. Und sie sollte sich wirklich mal um ihren Gast kümmern. Das wäre echt nett! Chris nimmt sich zerstreut ein Taschenbuch aus dem Regal und blättert darin herum, ohne wirklich die Seiten zu sehen, geschweige denn zu lesen.

„Wer ich? Ich doch nicht! Also Jessi, mach’s gut. Dann bis die Tage und Tschüssi!“

 

Sie ist endlich fertig! Sie steht auf und will wohl in die Küche gehen, aber er verstellt ihr den Weg und schaut ihr intensiv in die Augen. Sie starrt zurück, ohne eine Gemütsbewegung zu zeigen.

 

Aber diesmal lässt er sich davon nicht verwirren, er zieht sie an sich und streichelt ihren Hintern. Sie starrt ihn immer noch an, als er anfängt, ihr das Shirt hochzustreifen und zart mit den Händen über ihre Brüste zu fahren.

Aber jetzt schnappt sie heftig nach Luft und macht sich an seinem Gürtel zu schaffen, während sie sich beide immer noch anstarren. Dann schubst Chris sie leicht in Richtung Sofa – und während sie sich langsam darauf fallen lässt, zieht sie sich ihre Hose aus. Sie hat es wohl eilig. Aber er hat es genauso eilig, so eilig, dass er sich nicht einmal die Hose auszieht, sondern sie nur aufknöpft. Das muss reichen, denn wenn es nicht sofort geschieht, dann platzt er vorher.

 

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„Unverhofft kommt nicht oft!“ Irma lächelt, ihr braunes Haar sieht ziemlich verwuschelt aus, und ihr Gesicht wirkt sehr jung und sehr friedlich. Hoffentlich ist sie auch so friedlich, wie sie aussieht. Chris liegt noch auf ihr, und er genießt es, in ihr zu sein. Aber er kann sie nicht einschätzen. Und vor allem darf er es ihr nicht zeigen, dass er sie nicht einschätzen kann. Das ist ungewohnt und reizvoll, aber auf eine quälende Art

„Da hast du Recht“, sagt er, während er sich von ihr löst. Er steht auf und zieht seine Hose ganz aus. Sein T-Shirt ist ihm irgendwie abhanden gekommen, wahrscheinlich hat Irma es ihm ausgezogen. „Und ich glaube, wir sollten jetzt besser ins Bett gehen.“

„Gute Idee“, sagt Irma gehorsam und erhebt sich auch. Er blickt sie misstrauisch an, weil sie so lieb wirkt, das ist unnormal bei ihr. Aber anscheinend meint sie es wirklich so. Diese Frau ist unberechenbar, mal absolut zickig, meistens absolut ungerührt und heute absolut lieb und folgsam ...

Just in diesem Augenblick geht wieder das Telefon. Verdammte Störung, ausgerechnet jetzt! Irma grabscht sich das Telefon und nimmt es mit ins Schlafzimmer. Er geht hinter ihr her und bewundert ihre Anmut, außerdem sieht sie nackt absolut aufreizend aus, und am liebsten möchte er ihren Hintern streicheln und küssen und dann ...

„Ach du bist es“, sagt Irma, ihre Stimme klingt ärgerlich, sie macht eine Kehrtwende und will wohl wieder aus dem Schlafzimmer gehen, aber Chris verhindert das. Er dirigiert sie unaufhaltsam in Richtung Bett. Sie schaut ihn zwar empört an, ist aber so abgelenkt von dem Gespräch, dass sie sich nicht dagegen wehrt.

Sie setzt sich vorsichtig auf die Bettkante, und sie sieht aus, als wäre ihr das Gespräch ziemlich peinlich.

„Im Moment ist es sowieso schlecht“, sagt sie – und fährt dann unwirsch fort: „Eigentlich ist es immer schlecht!“

Ihr Gesprächspartner kapiert anscheinend schnell, und das Gespräch ist schon am Ende. Aber Irma ist ein bisschen rot geworden, und sie macht einen total verlegenen Eindruck. Was hat sie wohl getan? Und wer war dieser Typ?

„War das der massive Typ von der Party?“ Chris weiß auch nicht, wieso gerade der ihm einfällt.

Irma stutzt und sieht ihn erstaunt an. „Genau der war es“, sagt sie nach einer kurzen Pause.

Aha, sie wird von einem Extypen angerufen, und es ist ihr peinlich. Das ist ja eigentlich ein gutes Zeichen ...

„Glaubst du eigentlich an Freundschaft zwischen Männern und Frauen?“ Irma sitzt immer noch auf der Bettkante. Sie hat aber auch Fragen drauf ... Und sollte sie nicht allmählich zu ihm steigen?

Chris lacht auf. „Nein, eigentlich nicht. Die Kerle haben fast immer Hintergedanken, fast alle stellen sich Sex mit der Freundin vor, auch wenn sie noch so unschuldig tun.“

„Nett zu wissen.“ Jetzt muss Irma auch lachen. „Und du, hast du auch Hintergedanken?“

„Ich habe nur Hintergedanken.“ Das stimmt sogar, denkt Chris, aber es sind nicht die Hintergedanken, die ich normalerweise habe.

„Du bist wenigstens ehrlich.“ Irma lässt sich neben ihm ins Bett gleiten, sie dreht sich zu ihm und berührt sanft mit den Händen seine Brust. Ihre Zärtlichkeit kommt überraschend, und er schaut sie wie gebannt an, während ihre Hände sich langsam tiefer bewegen.

 

Und er fängt heftig an zu atmen, als ihr Gesicht ihren Händen folgt.

 

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BETTGESPRÄCHE...

 

Irma liegt auf dem Rücken und schaut ihn ein wenig von der Seite her an. Er sieht unsicher aus, aber es gefällt ihr, den großen Chris so zu sehen. Hoffentlich hat er keinen Verdacht geschöpft. Aber er kann doch gar nichts davon wissen, und außerdem geht es ihn nix an. Trotzdem ist sie froh, dass er von alleine auf die Idee kam, der massive Typ Bernie hätte sie angerufen.

Puh, warum zum Teufel ruft dieser Felipe ausgerechnet jetzt an, um sie seiner Freundschaft zu versichern? Was will der Kerl von ihr? War die ganze Sache nicht schon peinlich genug?

 

„Was ist denn mit dieser Madame?“, fragt Chris nach einer Weile.

Aha, das ist es also und nicht der Anruf. Aber warum interessiert er sich dafür? Irma überlegt. Er will mehr über sie wissen, natürlich, das ist es. Vermutlich will er allgemein alles über Frauen wissen. Und sofort fällt ihr sein Spruch vom ersten Abend ein: Letztens bin ich mit der Freundin eines Kollegen ins Bett gegangen, und hinterher habe ich den Arm um sie gelegt, und sie hat mir von ihren Problemen erzählt ...

Und Irma fühlt urplötzlich den Groll von damals. Er geht mit der Frau eines Kollegen ins Bett, die erzählt ihm über ihre Probleme – und dann legt er den Arm um sie. Was für ein Arsch! Und welche Frau, die einigermaßen alle Tassen im Schrank hat, würde erst mit ihm ins Bett gehen und dann über ihre Probleme erzählen? Was soll der Scheiß? Allein die Vorstellung kotzt sie an. Also, überlegt Irma grimmig, wird sie ihm nur das erzählen, was sie für nötig hält, und das hinterherige Armumlegen kann er sich gefälligst für andere aufsparen...

 

„Ich glaube, die ist nicht dein Fall.“ Sie lacht auf. Sie weiß schon, warum Madame nicht sein Fall ist. Aber das will sie ihm nicht so direkt sagen, er muss schon von alleine drauf kommen.

„Und warum meinst du das?“ Er sieht ziemlich neugierig aus.

Irma fängt locker an zu reden: „Hmmm, Madame, das ist ein weites Feld. Ich kenne sie schon unheimlich lange. Am Anfang war es richtig lustig mit ihr, aber dann haben wir uns aus den Augen verloren. Ich war nicht sehr sauer deswegen, denn sie nervt.“ Irma verdreht die Augen. „Ich schätze mal, sie hat in den letzten Jahren viel Scheiße erlebt, bestimmt mehr als ich, aber das gibt ihr nicht das Recht, so fürchterlich besitzergreifend und so dämlich ätzend zu sein.“ Sie macht eine Pause, und Chris blickt sie aufmerksam an.

 

Oh, hat sie schon zuviel erzählt? Sie hat zugegeben, auch Scheiße erlebt zu haben, und das kann in diesem Zusammenhang nur durch Männer geschehen sein. Hat sie etwa an Oliver und seine Untreue gedacht? Wahrscheinlich. Also schnell weiterreden ...

„In den letzten Jahren haben wir uns Gott sei Dank nicht oft gesehen, alle paar Jahre vielleicht mal, in der Zwischenzeit hat sie ein Kind gekriegt, der Typ wollte es nicht haben und so weiter. Große Kacke halt. Psychiatrie, die Nasenbleiche*, sie hat Schiss, alleine irgendwohin zu gehen, sie hat sogar Angst, alleine um die Ecke zum Einkaufen zu gehen. Und da komme ich ins Spiel, sie ruft mich alle naselang an und beansprucht mich dann für Stunden. Und irgendwie tut sie mir leid, und irgendwie nervt sie mich total.“

 

Chris liegt mit hinter seinem Kopf verschränkten Armen da, er hört ihr aufmerksam zu und sagt nichts.

 

Irma dreht sich langsam auf den Bauch und stützt sich mit beiden Ellenbogen auf das Kopfkissen. „Sie hat da ein paar interessante Thesen über Männer aufgestellt. Willst du sie hören?“

„Na klar“, grinst er.

„Sie hat da so einen Freund, sie sagt, als Geschäftsfrau braucht sie einen Freund, sonst wird sie in der Geschäftswelt nicht für voll genommen. Geschäftswelt, dass ich nicht lache!“ Irma prustet verächtlich. „Sie hat eine Mitfahrzentrale. So ’ne kleine Klitsche, wo sie zwei arme Weiber für einen Stundenlohn von zwei Euro arbeiten lässt, während sie auf große Chefin macht. Das ist doch lächerlich. Und sozial ist es auch nicht...“

„Lenk’ nicht ab“, unterbricht Chris brutal ihr Gequatsche. „Was ist denn nun mit den Thesen über Männer?“ Er scheint wirklich neugierig darauf zu sein. Haha, Männer sind genauso neugierig wie Frauen.

 

„Also ... Der gute Georg muss für sie kochen und sie bedienen und sie bewundern, sie schnauzt ihn bei jeder Gelegenheit an. Und er soll absolut Scheiße im Bett sein, sie treiben es angeblich nur einmal im Monat, weil sie sich vor ihm ekelt, aber was soll’s ...“

 

„Die These, Irma, die These!“

 

„Meine Güte, sei doch nicht so ungeduldig!“ Irma muss lachen und wirft ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie fortfährt: „Sie sagt, man sollte diesen Typen nicht das geringste Zugeständnis machen, sonst werden sie übermütig. Die Männer lieben das, eine schwache Frau im Bett und eine starke Frau außerhalb vom Bett. Wie findest du das?“

 

„Ich weiß nicht, ich glaube, ich kann sie nicht ausstehen.“ Chris schnaubt sichtlich angewidert.

 

„Nein, ich hab’ dich nicht gefragt, wie du das findest, das war mir schon klar, wie du das findest. Nein, ich hab’ nur ‘wie findest du das’ drangehängt, weil es der original Wortlaut von ihr ist. Sie sagt nach jedem Satz: Wie findest du das? Wie findest du das?“

 

„Ich finde das Scheiße!“

 

Nun müssen sie beide lachen. Und Irma glaubt, falls Chris jemals auf Madame treffen sollte, dann wird er sie mit einem nassen Handtuch erschlagen.

„Jedenfalls ist es jetzt Essig mit dem Georg“, erzählt sie weiter. „Denn letzten Samstag auf ihrer Party am Fluss, da hat sie sich ein bisschen zuviel den Arm abschlecken lassen von einem anderen Typen. Und das ist dem Georg dann wohl zu Kopf gestiegen.“

„Hmmm“, sagt Chris nachdenklich.

„Es gab ein Riesentheater inklusive Schlägerei und mit blutigen Ohrläppchen und kaputter Brille. Und ich bin dann noch besoffen Auto gefahren, erst zu ihr nach Hause, und dann musste sie unbedingt noch zu einer Polizeiwache.“

„Halte dich am besten von der Frau fern. Die ist nicht gut für dich“, sagt Chris nach einer Weile.

„Ach, ist schon okay“, natürlich schlägt Irma seine Meinung in den Wind. Was weiß der schon von Frauen und ihren Problemen? Oder weiß er doch was? Er weiß bestimmt zuviel darüber.

 

„Die zweite These lautet übrigens: Treib’ es am besten mit drahtigen Männern, die sind wirklich gut im Bett. Die muskulösen, die taugen nichts...“

Chris nickt beifällig.

Natürlich bezieht er das auf sich selber, er ist zwar muskulös, aber eher drahtig muskulös und ergo ein guter Liebhaber. „Aber wie sagt man so schön: Außer Thesen nichts gewesen“, fährt Irma locker fort.

Chris lacht auf, und er schaut sie seltsam an – mit einem skeptischen Blick, den sie nicht definieren kann. Deshalb guckt sie auch schnell wieder von ihm weg und in ihr Kopfkissen hinein.

„Du bist wirklich total bescheuert“, sagt er, richtet sich langsam auf, kniet sich hinter sie – sie liegt immer noch auf dem Bauch – fasst sie um die Taille und zieht sie etwas hoch, dann streichelt er ihre Brüste, das ist ein wahnsinnig geiles Gefühl, und sie fühlt an ihrem Hintern etwas Steifes ... Oh ja, das ist absolut geil!

 

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„Gehen wir ins E-body. Da ist es nett.“ Diesmal ist es Irma, die vorschlägt, in eine Kneipe zu gehen. Sie weiß nämlich, was Männer mögen. Und Chris springt natürlich darauf an.

 

Und es ist wirklich nett im E-body. Sie sitzen dicht nebeneinander auf der  Polsterbank an der Theke, natürlich ohne Zärtlichkeiten auszutauschen. Sie trinken Bier auf getrennten Deckeln, unterhalten sich über die Leute, die sonst noch da sind und darüber, ob Dr. House wirklich so sehenswert ist, wie die Fans finden. Irma ist noch schwankend, Chris dagegen lehnt Dr. House ab, von Monk ganz zu schweigen. Sie unterhalten sich darüber, worum es eigentlich in Grey’s Anatomie geht. Irma ist der Meinung, dass es nur um Wandschränke geht, in denen junge gut aussehende Ärzte und Ärztinnen miteinander vögeln. Wahrscheinlich hat die Wandschrank-Lobby die Serie gesponsert. Chris findet das überaus einleuchtend und muss lachen.

Irma ordert bei ihrer Freundin, der netten blonden Wirtin Maja zwei Knobelbecher mit je drei Würfeln – und dreizehn Bierdeckel.

„Also, beim Schocken ist der beste Wurf drei Einsen… Du hast drei Würfe und kannst bei jedem was rauslegen oder auch nicht, aber was schon draußen liegt, das liegt. Und beim dritten Wurf bleibt der Knobelbecher drauf, also ein verdeckter Wurf.“

Chris hört aufmerksam zu. „Hört sich gut an“, sagt er. „Dann fang’ doch einfach mal an!“

Alle Feinheiten des Schockens* zu beherrschen, das dauert nun mal, und manche schnallen es nie. Aber Chris ist sehr lernfähig, wie es scheint.

Und es ist nett mit ihm, obwohl wie immer eine gewisse Spannung zwischen ihnen herrscht und sie fast nichts Persönliches bereden. Es könnte ja verfänglich werden.

Es ist auch nett, als sie seine Hand zwischen ihren Schenkeln spürt, wie günstig, dass sie einen Minirock trägt. Und er schirmt sie so gut gegen neugierige Blicke ab, dass keiner es sehen kann. Und auf ihrer Seite ist die Bank sowieso durch eine Holzwand abgeschlossen. Es ist wahnsinnig geil.

Später gehen sie wieder zurück in Irmas Wohnung und führen ihre gegenseitigen Körpererforschungen fort, natürlich ohne vertrauliche Berührungen, die scheuen sie beide wie der Teufel das Weihwasser ...

 

Am folgenden Samstag morgen spendiert Irma nur Kaffee und natürlich keine Brötchen.

„Ich muss gleich weg!“ Sie tut so, als hätte sie eine dringende Verabredung und verabschiedet ihn gnadenlos. Genauso muss es sein, man soll keine sentimentalen Gefühle aufkommen lassen. Das wäre ja noch schöner. Ein Abend und eine Nacht reichen vollkommen aus für grandiosen Sex.

Sie schiebt ihn quasi zu Tür hinaus, und er scheint ein wenig verblüfft darüber zu sein.

Aber bevor er endgültig zur Tür hinaus ist, sagt er zu ihr: „Am nächsten Freitag bei mir?“

„Oh!“ meint sie erstaunt. „Aber ich weiß nicht, ob ich vielleicht was anderes vor...“

„Nein, hast du nicht!“ Seine Stimme klingt so energisch, und seine Augen schauen so bedrohlich drein, dass Irma es vorzieht, nicht weiter über ungewisse Vorhaben zu plaudern.

„Okay, und wann?“, fragt sie.

„Wann du willst. Aber die Schelle geht manchmal nicht, also schell’ öfter.“

„Hmmm, na gut …“

„Weißt du was, am besten gebe ich dir die Schlüssel!“ Chris fummelt in seiner Jackentasche herum und zieht einen Schlüsselring heraus.

Irma schaut den Schlüsselring etwas verwirrt an und zögert, ihn in die Hand zu nehmen. Was soll das denn jetzt?

„Nur für den Notfall“, sagt Chris und grinst sie an.

„Nur für den Notfall natürlich.“ Irma lächelt unbestimmt und greift zaghaft nach den Schlüsseln. Sie wird diese Schlüssel natürlich nie benutzen, aber es ist nett, sie zu haben.

Sie ist immer noch leicht in Gedanken versunken, als Chris sie auf die Stirn küsst und dann zur Haustür hinausgeht. Oh, der obligatorische Abschiedskuss. auf den könnte sie echt verzichten.

 

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*Nasenbleiche... Volksmund für: Psychiatrische Klinik für Alkoholentwöhnung.

 

*Das Schocken......ist ein Knobelspiel, bei dem man meistens gewinnt, wenn man viel Geld in der Tasche hat – und bei dem man meistens verliert, wenn man eh schon pleite ist.

Wie viele Leute können es spielen? Egal, von zwei bis unendlich, falls genügend Becher und Würfel da sind und die Theke lang genug ist.

Wie viele Leute können es spielen? Nicht alle können es, denn nur wenige sind auserwählt, das Schocken zu beherrschen.

Es ist eine Mischung aus Glücksspiel, Risiko und Taktik. Jeder Mitspieler benötigt dazu einen Knobelbecher und drei Würfel. In ungefährer Mitte der Würfelrunde werden dreizehn Bierdeckel aufgestapelt. Und später verteilt. Jeder der Mitspieler hat in der Theorie, drei Würfe. In der Praxis bestimmt derjenige, der als erster würfelt, wie viele Versuche die anderen haben. Alles klar?

Der höchste Wurf: Drei Einsen, also 1 1 1 - kann durch jeweiliges Rauslegen der Einsen zusammengewürfelt werden. Besser ist natürlich 1 1 1 im ersten Wurf. Achtung, was einmal liegengelassen wurde, liegt und kann beim nächsten Wurf nicht wieder in den Becher gepackt werden.  1 1 1 heißt Schock aus, und er entscheidet nicht das ganze Spiel, sondern nur eine Hälfte davon.

 

Zweitbester Wurf: zwei Einsen und eine sechs, also 1 1 6 - und kann durch jeweiliges Rauslegen zusammengewürfelt werden. Siehe oben. Dafür kriegt der mit dem schlechtesten Wurf 6 Bierdeckel von den dreizehn, die verteilt werden. So geht es nun weiter bis zum sogenannten Schock-Blöd, nämlich 1 1 2 , der wirklich ziemlich blöde ist, aber immer noch besser als jeder General und natürlich auch jede Straße. Dafür kriegt der mit dem schlechtesten Wurf 2 Bierdeckel aufgebrummt. Falls ein General der beste Wurf ist, kriegt der Verlierer 3 Deckel, und bei einer Straße gibt es 2 Deckel, für alles darunter nur noch 1. Wer alle Deckel bekommt, hat die jeweilige Hälfte des Spiels verloren.

Ach ja, um es spannender zu machen, wird der letzte Wurf verdeckt (Knobelbecher drauf). durch den Becher.

Aber was soll ich groß erzählen. Schocken lernt man beim Spielen...

 

 


NATURELEMENTE...

 

„Ich komme heute besser nicht ...“ In Irmas Stimme schwingt ein leicht bedauernder Unterton mit. Zumindest bildet Chris sich das ein, während er sich gleichzeitig darüber wundert, dass Irma ihn überhaupt anruft. Normalerweise ruft sie ihn doch nie an, das hat sie ja nicht nötig.

„Was ist denn los?“, fragt er locker und versucht, seine Stimme nicht allzu besorgt klingen zu lassen.

„Ich fühl’ mich nicht so. Also lassen wir es lieber.“ Und schon legt sie auf, und er steht, beziehungsweise sitzt da wie ein Idiot. Ein mit einer weiblichen Phrase abgespeister Idiot.

Was zum Teufel ist da los?

Dann auf einmal dämmert ihm etwas. Ach das, sie hat ihre Tage. Na und, was soll der Scheiß? Er muss nicht unbedingt mit ihr schlafen. Unterhalten geht auch, TV schauen, Musik hören, über Bücher sprechen. Das ist doch gar kein Problem, Hauptsache sie ist da ...

 

Er will schon nach dem Telefon greifen und sie anrufen, aber dann stutzt er und zieht seine Hand so schnell zurück, als hätte ihn ein giftiges Insekt gestochen.

Okay, jetzt versteht er es. Sie will nicht mit ihm zusammen sein. Sie will zwar mit ihm schlafen, aber sonst will sie nichts von ihm.

Diese Erkenntnis ist erschreckend, und irgendwie scheint der Boden unter ihm leicht zu schwanken – so oder ähnlich muss sich ein Erdbeben anfühlen – und er fragt sich, warum er ihr eigentlich die Schlüssel gegeben hat. Es war so ein Reflex, er konnte nicht anders. Hat sich wohl im Unterbewusstsein vorgestellt, dass sie schon da wäre, wenn er nach Hause käme... Pustekuchen! Dieses sture Weib denkt nicht im Traum dran, einfach mal bei ihm vorbeizukommen. Die doch nicht!

Chris fasst sich an den Kopf. Er weiß nicht, wieso diese Tussi ihm so viel Ärger macht und warum er sich ihretwegen immer so zornig fühlt. Von Anfang an war es so. Er erinnert sich daran, wie er auf Ibiza darüber nachgrübelte, wie er seinen Ärger in den Griff kriegen könnte. Und er zitiert sich selber: Sie sollte sich in ihn verlieben, dann wäre es gut, und er könnte sie verlassen.

Was für ein Idiot er doch war! Von wegen war... Er ist es noch immer, und es wird immer schlimmer. Verflucht, das reimt sich sogar: Er ist es noch immer, und es wird immer schlimmer. Mutiert er etwa zum Dichter? Nein, um Himmelswillen nein! Trotz seines Grolls auf Irma muss er kurz auflachen, aber dann geht die Grübelei weiter:

Jedenfalls hat sich gar nichts geändert in ihrem Verhalten, sie ist reserviert, sie lässt keinerlei Vertraulichkeiten zu, und sie blockt alles ab, was auf ihr Gefühlsleben hindeuten könnte. Falls sie denn überhaupt eins hat. Mittlerweile bezweifelt er es.

Herr des Himmels, er schläft jetzt schon seit vier Wochen mit Irma, aber es geht nicht weiter, es tut sich nichts. Zumindest bei ihr tut sich nichts. Sie ist so cool, sie macht sich nichts aus ihm, bis auf die körperliche Sache natürlich. Und sie hat ihm nie die Zärtlichkeiten gegönnt, nach denen er sich sehnt.

Oh Scheiße! Er sehnt sich nach Zärtlichkeiten? Das ist neu für ihn und auch ziemlich beängstigend. Chris schüttelt ratlos den Kopf und weigert sich, weiter darüber nachzudenken, der Gedanke ist nämlich erschreckend.

Was zum Teufel hat Irma mit ihm angestellt? Vor ihr war das Leben einfach, ab und zu eine Frau aufreißen, sie schnell wieder loswerden, mit den Kumpels aufs Land fahren, dort auch ab und zu eine Frau aufreißen, sie schnell wieder loswerden... Chris denkt angestrengt nach. Was hat er eigentlich für ein Leben geführt? Im nachhinein kommt ihm alles so fürchterlich leer und sinnlos vor, obwohl es doch von Zeit zu Zeit recht befriedigend war. Hauptsächlich deswegen, weil er sich nie die Kontrolle aus der Hand nehmen ließ.

Aber jetzt ist er machtlos.

Danke Irma! Du hast mein altes Leben zerstört, und was habe ich dafür gekriegt? Nichts... Irgendwie hast du mich um meine Selbstachtung gebracht, und ich fühle mich unsicher, wenn du da bist. Gleichzeitig bin ich froh, wenn du da bist. Obwohl du doch nur Sex von mir willst.

 

Das ist der Punkt! Tatsächlich kommt er sich allmählich vor wie ein Deckhengst, einer der immer gut sein muss, einer der nur dazu da ist, um Irma die größten körperlichen Wonnen zu verschaffen. Obwohl er selber ja auch wahnsinnig davon profitiert. Aber trotzdem... Sie mag ihn nicht, sie benutzt ihn nur. Er ist eben ein Idiot für sie. Warum fragt sie ihn nicht mal um Rat oder erzählt ihm irgendwas Persönliches? Nein, Irma tut so etwas nicht...

Sie ruft ihn ja auch nicht an, außer um ihm abzusagen. Ja, wirklich toll! Es ist zum aus der Haut fahren! Er sollte sie abschießen, sie passt nicht in sein Schema von Frauen, sie ist unverschämt, sie ist überhaupt nicht lästig, sie ist amüsant, und er findet sie immer hübscher. Aber vor allem ist sie so flüchtig wie eine Gaswolke, was ja eigentlich seinem Idealbild von einer Frau entsprechen müsste. Aber bei Irma hasst er das!

Chris muss sich widerstrebend eingestehen, dass er sich selber nicht verstehen kann – und dass er auch Irma nicht verstehen kann, aber dass er sie verstehen möchte auf eine verzweifelte Art. Denn so kann es nicht weitergehen. Er geht dabei zu Grunde...

Wieder wundert er sich über seine Gedanken, was soll das? Was ist los mit ihm? Warum geht er zu Grunde?

Peinlich genau denkt er nach. Warum geht er zu Grunde?

Weil sie ihn zornig macht, weil er dagegen nichts tun kann, dass sie ihn zornig macht. Warum machte sie ihn zornig? Weil sie ihn beschäftigt. Weil er immer an sie denkt. Warum denkt er an sie? Weil sie ihn zornig macht. Warum macht sie ihn zornig? Das ist eigentlich die beste Frage von allen, aber er kann sie nicht beantworten.

Und er muss dauernd an sie denken. Er stellt sich vor, wie sie am Freitag Nachmittag zu ihm kommt, wie sie zusammen fernsehen und sich unterhalten, wie sie in die Kneipe gehen und eng nebeneinander sitzen, während er knobelt. Sie hat ein neues Knobelspiel eingeführt, nämlich das Schocken, ein wirklich geiles Spiel. Sie kann selber saumäßig gut knobeln, aber sie spielt nur selten mit, sie sieht ihm lieber zu, und ganz selten sagt sie etwas, gibt ihm leise einen Rat, den er natürlich nicht befolgt, und dann verliert er das Spiel. Hat er es nicht sowieso schon verloren, das Spiel? Er erinnert sich an dieses Stück von Deine Lakaien, nämlich THE GAME…*

Das hat die gleiche seltsam sentimentale Wirkung auf ihn wie Irma. Dieses Stück und Irma gehören zusammen, bei ihr hat er es zum ersten Mal gehört, und er war einfach ... Baff. Bei ihr hat er es zum ersten Mal erfahren, dieses seltsam irrationale Gefühl. Bei ihr und bei ihrer Musik. Ihre Musik schafft ihn, und Irma schafft ihn auch. Wenn er nur wüsste, warum!

Er denkt daran, wie es ist, mit ihr zu schlafen. Unbeschreiblich ist es, und er ist immer kurz davor, sich in ihr zu verlieren.

Er denkt daran, wie sie neben ihm liegt. Sie berühren sich nie, sie entfernt sich immer unauffällig von ihm, obwohl er sie am liebsten festhalten möchte. Aber er tut es nicht, denn er hat Angst, sie könnte ihn abweisen.

Er denkt daran, wie er sie vermisst, wenn sie ihn am Samstag Morgen einfach allein lässt.

Er vermisst Irma. Er vermisst sie, obwohl sie ihn zornig macht. Das ist die Tatsache. Aber warum vermisst er sie? Und was hat diese Frau an sich, dass er solche blöden Gedankengänge wälzt. So was wie: Es geht nicht weiter, es tut sich nichts.

Was erwartet er denn? Es ist doch alles bestens. Überwältigender Sex, keinerlei Verpflichtungen, eine absolut unaufdringliche und vor allem geile Frau...

 

Das Telefon läutet, und er stürzt sich förmlich darauf, vielleicht hat sie es sich ja anders überlegt...

Es ist seine Schwester, und sie kündigt ihm für morgen Besuch an, irgendeine Kusine, die am Wochenende in der Stadt ist.

„Soll ich mich mit einem Kind beschäftigen?“ fragt Chris belustigt, er hat sich schnell wieder in den Griff gekriegt.

„Als Kind würde ich die nicht bezeichnen“, seine Schwester fängt an zu lachen. „Immerhin ist sie schon achtzehn...“

„Noch schlimmer!“

„Ich dachte, du würdest dich freuen...“

„Ach verdammt! Weiber! Im Moment bin ich nur sauer auf sie.“

„Chrissie, NEIN!“ Seine Schwester kreischt das förmlich. „Hat es dich endlich erwischt? Du bist doch nicht etwa verliebt? Nein, das glaube ich nicht!“

Chris schweigt daraufhin grimmig vor sich hin. Aber nach einer Weile sagt er irgendwie trotzig: „Wann kommt denn das Mädel? Ich hoffe doch, sie ist hübsch!“

„Das ist ein schnuckeliges Häschen, allerdings ist sie ein bisschen nervig. Und sie kommt morgen Nachmittag. Tut mir leid, dass ich sie dir aufs Auge drücken muss, aber ich habe leider keine Zeit...“

„Und wo schläft sie?“ fragt er muffig. „Sag’ jetzt nicht, bei mir...“

„Nein um Himmels Willen! Also wirklich, ich würde doch nie so ein unschuldiges Lämmchen, wie sie es ist“, seltsamerweise lacht sein Schwesterherz bei diesen Worten, „bei dir schlafen lassen. Sie schläft natürlich bei Dad...“

„Das ist immer noch verdammt nahe. Und hoffentlich hängt sie mir nicht dauernd auf der Pelle...“

„Ist doch nur für einen Abend, Chrissie. Am Sonntag fährt sie wieder nach Hause.“

„Gott sei Dank!“ ächzt Chris erleichtert.

 

Na toll! Und was soll er morgen mit dieser liebreizenden Kusine anstellen? Er überlegt angestrengt und kommt plötzlich auf eine glorreiche Idee.

Er wird mit ihr in die Oper gehen!

Das ist genial! Ihm ist nämlich gerade eingefallen, dass Irma auch morgen in die Oper geht, in Lucia di Lammermoor – und er verspürt den unbezwingbaren Drang, sie zu sehen, wenn sie schon nicht bei ihm vorbei kommen will.

Er will einfach wissen, was sie so treibt. Und jetzt hat er sogar eine Begleiterin, zwar ein halbes Kind, aber immerhin weiblich, falls Irma ihn zufällig sehen sollte... Eifersüchtig ist sie bestimmt nicht, also kann sie ihn ruhig mit einer anderen Frau sehen. Oder ist sie doch eifersüchtig? Das wäre toll! Das wäre ein Zeichen. Andererseits hat er keine Ahnung, was sie überhaupt so empfindet, aber er muss sie unbedingt sehen!

Hoffentlich gibt es noch Karten. Wo zum Teufel kriegt man Opernkarten her? Computer befragen. Und vielleicht gibt es auch eine Vorverkaufsstelle, wo man die Karten direkt besorgen kann. Man sollte unbedingt auf Nummer sicher gehen...

 

„Bist du noch da, Chrissie? Was brütest du denn aus?“

„Ich überlege, ob ich mit ihr in die Oper gehen soll...“

„Wie denn, was denn? Ich traue meinen Ohren nicht!“ Wieder fängt seine Schwester an zu lachen. „Da ist doch was im Busch! Wieso gehst DU freiwillig in die Oper?“

„Warum nicht. Ist doch mal was anderes...“

„Ein Kulturprogramm? Tja, warum eigentlich nicht... Aber wieso hab’ ich das Gefühl, dass die Oper dich magisch anzieht?“

„Gar nichts zieht mich an! Ich will einfach nur in die Oper!“ Chris’ Stimme klingt aufmüpfig wie die eines Kindes.

„Stampf’ doch mit den Füßen auf! Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß, wobei auch immer.“

 

Endlich legt sie auf, Chris hört sie im Geiste noch kichern, und er verzieht das Gesicht.

Wieso denkt sie, man wäre verliebt, nur weil man mal in die Oper gehen will. Das ist doch völliger Blödsinn!

 

© Ingrid Grote 2009    Fortsetzung HIER

 

*Leider ist THE GAME bei YouTube nicht mehr erreichbar, aber es gibt eine rührende Cover-Version...

 

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