KAPITEL
IV – Teil 1 GEWITTER
Es geschah nicht oft, dass Dad Archibald seine Tochter schockte, aber diesmal schaffte er es. Und das kam so:
Archibald war sauer auf Andy, die mal wieder jemanden wegen der Gerechtigkeit verprügelt hatte. Leider hatten ihm die Eltern des Verprügelten eine Schadensersatzklage angedroht. Gut, durch Zahlung einer großzügigen Summe konnte er die verhindern, aber Andy wurde allmählich zu teuer. Musste sie jedem Idioten gleich die Nase einschlagen?
Archie
war kein Heuchler wie gewisse andere Väter, die ihre fast erwachsenen Söhne in
einen Puff schicken, damit sie dort die ‚Liebe’ kennen lernen, während sie
andererseits ihren fast erwachsenen Töchtern einen Keuschheitsgürtel anlegen
wollen. Nein, so einer war er nicht. Er meinte allen Ernstes, wenn Andy mal so
richtig guten Sex hätte, dann wären ihre Gelüste auf eingeschlagene Nasen
vielleicht nicht mehr ganz so groß. Und diese Meinung teilte er seiner Tochter
auch ganz unverblümt mit.
„Das hat doch gar nichts
miteinander zu tun“, sagte Andromeda empört. „Also wirklich Dad, du mit deinem
zwanghaften Denken an Sex, das ist nicht ganz normal!“
„Zwanghaft? So ein Quatsch!“, konterte
Archie. „Ich halte Sex nur für etwas vollkommen Normales, im Gegensatz zu dir
anscheinend...“
„Das muss ich mir nicht anhören!
Ich geh’ jetzt zu Max, der würde mir nie so einen Scheiß erzählen!“
„Geh’ ruhig zu Max.“ Archibald war
in diesem Moment tatsächlich etwas eifersüchtig auf Max und verspürte deshalb
das Bedürfnis, seine Tochter ein bisschen zu ärgern. „Meinst du, dein Max
bleibt ewig hier? Neeiiin, bestimmt nicht! Irgendwann wird er heiraten, Kinder
kriegen – und woanders seinen eigenen Betrieb aufmachen.“
Andromeda war geschockt. Max
gehörte so zu ihrem Leben, dass alleine die Vorstellung, er könne eines Tages
nicht mehr da sein, vollkommen absurd war. Vollkommen unvorstellbar war.
„Quatsch!“, giftete sie. „Max und heiraten!
Er ist doch überhaupt nicht der Typ dazu!“
„Andromeda, ich bitte dich!“
Archie machte eine sehr effektvolle Pause, bevor er weitersprach: „Ist er
schwul? Oder ist er etwa impotent?“
Andromeda erinnerte sich sofort an
einen gewissen Abend vor ein paar Jahren und musste sich selber zähneknirschend
beide Fragen verneinen. Automatisch schob sich das Bild vor ihre Augen, als er
mit dieser fremden Frau in seinem Schlafzimmer DAS getan hatte. Aus ihr völlig
unbekannten Gründen hatte sich dieses Bild in ihr Gehirn eingeätzt.
Sie schüttelte den Kopf, teils, um
die Frage ihres Vaters nach Max’, oh Gott, Potenz zu verneinen und teils, um
das Bild zu verscheuchen. „Aber was soll er denn woanders?“, fragte sie
schließlich, kleinlaut und nachdenklich geworden.
„Du bist wirklich naiv, mein Kind.
Meinst du, Kampodia ist der Nabel der Welt?“ Die Stimme ihres Vaters klang ein
wenig sarkastisch.
„Max wird nie von hier weggehen“,
sagte Andromeda verzweifelt. Ihr Vater hatte etwas in ihr aufgeweckt, das sie
gar nicht wissen wollte. Natürlich war das Verwalterhäuschen viel zu klein für
eine Familie. Familie? Nein! Das war unvorstellbar. Max mit einer Frau, die
immer um ihn herum wäre und eventuell mit Kindern? Er hätte dann bestimmt keine
Zeit und kein Interesse mehr für sie.
Andy ist verunsichert. Alles war
für sie so selbstverständlich: Max wird nie heiraten, und eigene Kinder will er
auch nicht. Er hat zwar mit vielen Frauen rumgemacht, so kommt es ihr
jedenfalls vor, aber er ist vorsichtig. Wieder erscheint das Bild von damals
vor ihren Augen, wie er sich das Kondom... Sie stöhnt auf, und wieder schüttelt
sie den Kopf, um das Bild zu vertreiben.
Die Frauen waren alle nicht lange
da. Aber vielleicht trifft er ja mal eine, die ihn sich schnappt... Irgendeine
Schlampe! Trotzdem wird er auf jeden Fall für immer in Kampodia bleiben, alles
andere ist absolut erschreckend. Das fühlt sie auf einmal so deutlich, dass sie
nach Luft ringt. Sie muss mit ihm sprechen, ihn fragen, was er vorhat.
Und sie schämt sich, weil sie noch
nie daran gedacht hat, dass er vielleicht irgendwann heiraten wird und Kinder
haben will. Und außer der Scham ist da noch ein anderes Gefühl, sie kann es
nicht benennen. Der Gedanke an eine zukünftige Frau Lakosta verstört sie und
tut gleichzeitig auf seltsame unbekannte Art weh.
Sie verabschiedet sich nicht von
ihrem Vater, der ihr verwundert nachschaut, stürmt die Treppe hinunter und
läuft über den Hof zu Max' Haus.
Die Lakostas, Nachfahren
ungarischer, tschechischer und polnischer Einwanderer, lebten traditionell in
den ärmlichen kleinen Häusern des Unteren Dorfes.
Max war der uneheliche Sohn eines
Frühsaisonarbeiters, es handelte sich um einen italienischstämmigen, gut
aussehenden Schurken, er hatte sich am Ende der Saison im wahrsten Sinne des
Wortes vom Acker gemacht und nie erfahren, dass ein Sohn von ihm in Kampodia
lebte.
Der kleine Max wuchs also vaterlos
auf, erzogen wurde er von seinen älteren Vettern, er war wegen seiner
körperlichen Stärke auch für die größeren Jungs ein gefährlicher Gegner. Er
trieb sich herum, bis er mit fünfzehn Jahren den Dreh kriegte und alles
änderte, er besuchte wieder regelmäßig die Schule und fing an, seine Mutter
finanziell zu unterstützen. Sie hatte nämlich große Opfer gebracht, damit er
aufs Gymnasium gehen konnte.
Archibald von Kampe fand Gefallen
an Max und ließ ihn auf dem Gut arbeiten, er ermutigte ihn auch, Agronomie zu
studieren und bot ihm Unterstützung an, die Max jedoch ablehnte.
Er musste nebenbei jobben, um sein Studium zu finanzieren. Am Anfang fuhr er Pizza aus, und irgendwann verschaffte ihm seine ruhige gelassene Art dann den Job im Jedermann.
Im Winter spielte er Eishockey
(wer das Schlittschuhfahren auf dem rauen Eis der Kampodia-Teiche erlernt, der ist
darin unschlagbar), man war sehr interessiert an ihm, aber er wollte kein
Berufssportler werden. Er machte einen ausgezeichneten Abschluss an der Uni und
erhielt mehrere Arbeitsangebote von ländlichen Betrieben, die er im Laufe
seines Praktikums kennen gelernt hatte. Er entschied sich für Archie zu
arbeiten, und der überließ ihm die volle Verantwortung für das Gut. Max
verwandelte das Gut in einen Reiterhof, züchtete robuste Pferde, die bei
Reitern sehr beliebt waren, verwandelte totes Land in lebendigen Boden, ließ
die Gäste arbeiten – sie arbeiteten mit dem gleichen Eifer, mit dem Tom Sawyers
Freunde einen Zaun anstrichen, den Tom eigentlich selbst hatte anstreichen
sollen – und durch gutes Marketing verkaufte Max die ökologisch angebauten
pflanzlichen Produkte mit enormen Gewinn, denn die so genannte Bio-Kost
erfreute sich immer größerer Beliebtheit.
Natürlich war auch Andromeda ein
Grund für Max, im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Kampodia zurückzukehren,
denn er fühlte sich für dieses Kind verantwortlich.
Seine erste sexuelle Erfahrung
machte der damals vierzehnjährige Max übrigens auf dem Heuboden in den Ställen
des Kampeschen Gutshofes, bevor ein Reiterstübchen daraus wurde, und zwar mit
einem sechzehnjährigen Küchenmädchen. Das war ein Jahr, bevor seine sechs Jahre
ältere Kusine Zirza auf ihn aufmerksam wurde. Damals war sie frisch mit Archie
verheiratet.
Max ist nicht im Häuschen. Aber er
kommt gerade aus dem Stall und führt sein Pferd, den riesigen Mustang Zagato am
Halfter. Zagato ist nicht gesattelt, und er trägt auch keine Kandare. Max
bevorzugt die Kandare, er vertritt die Meinung, die Trense wäre nicht gut für
die Pferde, weil unerfahrene Reiter zu hart damit umgehen würden.
Sie geht zögernd zu ihm hin. Er
kommt ihr anders vor als sonst, er sieht so groß aus, und dann auf einmal
dämmert es ihr: Er ist ein Mann, ein überaus erwachsener Mann, und sie hat ihn
bisher wie einen Spielkameraden behandelt. Außerdem sieht er gut aus, die blaue
Latzhose unterstreicht seine Männlichkeit und das graue T-Shirt auch. Sogar die
derben Arbeitsstiefel wirken anziehend bei ihm, machen ihn noch attraktiver.
Von sich selber sagt er immer, er wäre nur ein simpler Bauer.. Ha, von wegen
simpler Bauer, er ist ein intelligenter, ein cleverer, und vor allem ein blendend
aussehender Bauer... Wieso hat sie nie bemerkt, wie gut er aussieht?
„Ich schicke ihn in den Urlaub. Er
hat ihn sich verdient, der alte Knabe“, sagt Max, als sie bei ihm angekommen
ist. Max meint die Pferdeweide mitten im Wald, wo sie im Sommer nach und nach
die Pferde hinbringen, damit sie sich dort austoben können. Es gibt dort eine
Art offenen Stall, damit die Tiere bei Unwettern Unterschlupf finden können, ab
und zu bringt jemand vom Gutshof den Tieren Heu und Stroh. Für Wasser ist
gesorgt. Ein kleiner Bachlauf befindet sich am Rand der Weide, es ist derselbe
Bachlauf, der die Strulle im Dorf speist, also hat er hervorragendes Wasser.
Zagato trägt keinen Sattel, weil
Max den Sattel sonst den ganzen Weg zurückschleppen müsste.
„Ich muss mit dir sprechen“, sagt
Andromeda und spürt einige Schweißperlen auf ihrer Stirn. Ist es heute wirklich
so heiß oder schwitzt sie nur, weil sie sich so seltsam vorkommt? Alles an ihr
fühlt sich feucht an, ihr entblößter Bauch zwischen dem Top und den Bermudas,
ihr Nacken, obwohl sie ihr üppiges Haar zu einem Pferdschwanz hochgebunden hat,
und sogar ihre Knie scheinen feucht zu sein.
„Dann komm’ mit. Wir laufen hin.“
Max lässt den Mustang los, und der trottet wie ein Hund hinter ihnen her.
Schweigend schlagen sie den Weg an
der Kirche ein, der in den Wald führt und sonst nirgendwohin, denn hinter dem
Wald bauen sich die Berge auf. Man erkennt die Gipfel der fünf Berge, die oben
kahles Gestein zeigen und von denen der eine auf seiner rechten Seite so
aussieht wie das Profil des Expräsidenten Richard Nixon.
„Wieso heißt der nicht Nixon, wenn
er schon so aussieht?“ sagt Max endlich, um das Schweigen zu brechen. „Nein,
stattdessen heißt er Eberstein, ein wirklich nichtssagender Name für einen
Berg...“
„Jaaa... Obwohl Eberstein auch
recht hübsch ist...“, Andy ist nicht ganz bei der Sache, sie fühlt sich seltsam
befangen. Sie weiß nicht, wie sie anfangen soll und denkt dann, ach was soll’s,
ich frag ihn jetzt einfach.
„Max, sag’ mal, willst du
eigentlich Kinder haben?“
„Also wirklich, Andy“, Max muss
lachen. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
„Ehrlich nicht? Aber du willst
doch bestimmt irgendwann einmal heiraten?“ Andromeda spürt, wie ihr wieder der
Schweiß ausbricht, es ist fürchterlich heiß heute, es geht kein Windhauch. Sie
gehen über einen schmalen ausgewaschenen Waldweg, und die hohen Fichten reichen
bis an ihn heran. Der dichte Nadelteppich im Wald dämpft alle Geräusche, und
man hört auch keinen einzigen Vogel singen. Klar, denkt Andy, im Fichtenwald
gibt es keine Vögel. Und hoffentlich auch keine wilden Eber...
„Was ist los mit dir, Andy?“ Max
lacht wieder. „Übers Heiraten hab’ ich mir auch noch keine Gedanken gemacht. Du
weißt doch, wem mein Herz gehört...“
Das ist ein uralter Scherz
zwischen ihnen. Andy hat als Kind einmal gesagt, sie wolle ihn heiraten, wenn
sie groß wäre, und Max hat daraufhin gesagt, dass er zu dieser Zeit ganz
bestimmt schon ein alter Sack wäre, aber dass er sie trotzdem lieb hätte.
Hat er sie immer noch lieb, oder
hat er das mit dem Liebhaben nur gesagt, um die damals achtjährige Andy ruhig
zu stellen? Andromeda fühlt sich unbehaglich, sie fängt an, auf dem holprigen
Waldweg zu stolpern und meint, ein fernes Knurren zu hören. Sie hofft, es ist
ihr Magen, der da knurrt.
„Was ist denn?“, fragt Max besorgt
und greift nach ihr, um sie am Stolpern zu hindern.
Andromeda hält sich zögernd an
seiner Hand fest, Mist, was ist los, sie hat ihn doch schon tausendmal berührt,
aber heute kommt ihr alles anders vor. Es muss an der dicken Luft liegen, sie
ist verunsichert, sie meint, eine Veränderung im Wetter festzustellen, oh nein,
nicht das! Bitte kein Gewitter!
In ihren Augen steht Panik. Ein
Gewitter ist das Allerletzte, was sie jetzt erleben will. Beim letzten Gewitter
ist sie dermaßen außer Kontrolle geraten, dass sie wie ein hilfloses Bündel
Mensch in ihrem Bett lag, mit über den Kopf gezogener Bettdecke. Und trotzdem
war es schlimm, sie fühlte sich so hilflos, so verlassen...
„Wir
sind bald an der Weide, da können wir uns unterstellen“, sagt Max gelassen,
denn er will Andromeda nicht noch mehr beunruhigen. Mittlerweile ist es ihm
klar, dass da ein Unwetter im Anzug ist, und zwar keins von schlechten Eltern.
Sie haben das Wetterleuchten nicht gesehen, es kam von hinten, jetzt sitzt es
vor den hohen Bergen fest, und mittlerweile zuckt und blitzt es am Himmel, dass
es wie ein gefährliches Feuerwerk aussieht.
Sie hören Zagato wiehern, der
Mustang bäumt sich auf, macht eine Kehrtwendung und galoppiert davon in
Richtung Gutshof. Max lässt ihn laufen, Zagato wird den Weg nach Hause von
alleine finden.
Ein erster kräftiger Donnerschlag
ertönt, endlos rollend und laut. Und er ist nur die Vorhut von weiteren...
<<< Und sie hört das Laute, das fürchterlich knallt und
vor dem sie fürchterliche Angst hat. Und sie sieht die grellen Lichter, die
nach dem Lauten kommen. Immer abwechselnd geschieht das, ein grelles Licht, so
dass sie vor Angst die Augen zukneift und kurz darauf ein gewaltiges Krachen,
gegen das sie nichts machen kann, denn sie ist ja noch ein Baby, das zwar ein
bisschen laufen oder vielmehr stolpern kann, aber dass man sich die Ohren
zuhalten kann – was sind Ohren – davon weiß sie nichts. >>>
Andromeda
stürmt nach links in den dichten Fichtenwald, sie will sich irgendwo verkriechen,
will dem dröhnenden Donner entfliehen und die grellen Blitze nicht mehr sehen.
„Verdammt noch mal, Andy. Wo
willst du denn hin?“ Max läuft ihr hinterher und hält sie fest, aber sie reißt
sich los.
Es fängt urplötzlich an zu regnen,
als ob der Himmel alle Schleusen geöffnet hätte. Es ist ein fürchterliches
Chaos von Blitzen und von Donnerschlägen - begleitet von einem sintflutartigen
Niederschlag, der erbarmungslos vom Himmel herunter prasselt.
<<<
Dann kommt das Nasse von oben und saugt
sich in ihren Sachen fest, und dann kommt das Kalte, das sie zum Zittern
bringt. >>>
Andromeda
wirft sich auf den weichen Waldboden und versucht, sich in den dichten
Nadelteppich einzugraben.
<<< Sie findet schließlich in einem Haufen Laub Zuflucht,
das Laub erinnert sie wohl an die Decke, die sie zu Hause in ihrem Kinderbett
hat, und sie gräbt sich instinktiv darin ein. Das Kalte und das Nasse
verdrängen ein wenig die Schmerzen in ihren Wunden, die von dem Tier und von
dem starren borstigen Unterholz stammen, in das sie gekrochen ist, um
instinktiv Schutz zu suchen.
Es dauert Ewigkeiten, das Kalte, das Nasse, die Schmerzen, bis sie schließlich nur noch leise vor sich hinwimmert und auf irgend jemanden wartet, der sie von diesen Sachen erlösen wird. Aber es kommt niemand.
Dann auf einmal gibt
es eine Änderung.
Jemand berührt sie,
und wieder hat sie Angst, es wäre das große Tier, das ihr schon einmal
Schmerzen zugefügt hat.
Aber es ist nicht
das große Tier. >>>
Es ist Max, er ist warm und sicher,
und sie schlingt ihre Arme um ihn, weil er so warm und sicher ist.
Schlagartig hört sie den Donner
nur noch gedämpft, und auch die Blitze haben ihren gleißenden Schrecken
verloren.
Sie legt ihren Kopf an Max’ Brust,
und Max hält sie in seinen Armen. Sie ist getröstet. Der prasselnde Regen
verwandelt sich wie durch ein Wunder in eine erfrischende Dusche nach einem
heißen Tag.
Und alles ist gut.
Das Gefühl der Beruhigung hält
allerdings nicht lange vor und macht auf einmal einem anderen völlig unerwarteten
Gefühl Platz. Einem erregenden Gefühl, einem aufwühlenden Gefühl.
Sie schlingt ihre Arme um Max’
Hals, drückt ungestüm ihre Lippen auf seinen Mund – und fängt an, ihn wild zu
küssen.
Max ist zuerst verwirrt, dann
jedoch kann er ihr nicht widerstehen, er liebt sie schließlich, und das Gefühl,
sie so eng in seinen Armen zu halten, überwältigt ihn, obwohl er weiß, dass
daraus nicht Gutes entstehen kann.
Sie küssen sich hungrig wie
Besessene, und das sind sie wohl auch, sie erforschen sich mit ihren Zungen,
mit ihren Händen, liebkosen sich wie von Sinnen.
Sie
liegen eine Ewigkeit auf dem Nadelteppich unter den Tannen, küssen sich und
spüren einander. Sie versuchen, so nahe wie möglich beieinander zu sein. Sie
schauen sich an, als hätten sie sich noch nie gesehen, berühren sich
fassungslos, küssen sich immer wieder... Es ist wie ein endloser Reigen von
ungeschickten innigen Zärtlichkeiten.
Das Gewitter hat mittlerweile
seinen Schrecken verloren, und der Regen ist wirklich nur noch eine
erfrischende Dusche nach einem heißen Tag.
Max ist nach diesen ewigen Minuten
derjenige, der sich als erster zurückzieht.
„Max?“ Andromeda verspürt einen
schmerzlichen Verlust. Warum zieht er sich zurück? Warum? Sie kann es kaum
ertragen, ihn nicht mehr zu spüren. Gerade ist sie dabei gewesen, sich ihm
hinzugeben, ohne nach irgendetwas zu fragen und dann... Was zum Teufel ist los
mit ihm? Warum steht er auf und lässt sie allein?
„Ich hätte das nicht tun dürfen“,
Max sieht verlegen auf sie herab.
„Warum nicht?“ Auch Andromeda
erhebt sich langsam.
„Es ist nicht gut für dich. Du
bist noch zu jung.“ Max’ Antwort auf ihre Frage klingt schal und beschissen wie
die Antwort von Erwachsenen auf die Fragen von Kindern.
„Warum
nicht?“ Andromeda lässt nicht locker. Sie hat etwas in ihm gespürt, das er mit
seinen dämlichen Erwachsenenphrasen nicht verleugnen kann. Also, warum zum
Teufel will er das verleugnen, was gerade passiert ist?
„Andy, du weißt doch, du bist mein
Mädchen. Aber du bist noch viel zu jung dafür. Also lass uns das vergessen.“
„Dein Mädchen bin ich also? Warum
erzählst du dann so einen Mist?“ Sie ergreift seine Hand und streichelte sie.
„Wir sollten jetzt nach Hause
gehen“, sagt er streng, lässt aber zu, dass sie weiter seine Hand streichelt
und dann wie früher, als sie noch ein kleines Mädchen war, ihre Handfläche
unter seine schiebt. Als Zeichen des Vertrauens, instinktiv weiß sie, dass ihm
das gefällt.
Er spürt ihre Handfläche unter
seiner Hand, und ihre Berührung fühlt sich so ... so ergeben an, dass ihm die
Augen feucht werden.
Oh Gott, er liebt sie. Es darf
nicht sein, aber was soll er dagegen machen. Dieser endlose Kuss hat Wünsche in
ihm aufgeweckt, die er bisher verleugnet hat, und wenn sie auch nur ahnen
würde, was sie ihm bedeutet... Nein, sie darf es nicht ahnen.
Die Blitze und der Donner hatten
sich entfernt, und es regnete nicht mehr, als beide den Waldweg in Richtung Gut
zurückgingen. Sie hatten sich bei den Händen gefasst, sie sahen beide aus, als
hätten sie sich zuerst im Dreck und dann im Schlamm gewälzt, sie sahen beide
aus, als hätten sie eine hitzige Liebesnacht miteinander verbracht, aber sie
hatten sich doch nur geküsst, und für Andromeda hatte sich auch nur ihr Leben
verändert.
Max, er war es! Nur Max konnte
ihre Ängste besänftigen, nur Max war es, der ihre Erregung anfeuern konnte, nur
Max war es. Nur er...
Als sie nach einer Viertelstunde
die Kirche und kurz darauf den Gutshof erreichten, hielten sie sich immer noch
an den Händen.
„Ich komm’ nachher bei dir
vorbei“, sagte Andromeda zu Max, sie löste ihre Hand aus seiner, gab ihm einen
kurzen Kuss und ging beschwingt in Richtung Herrenhaus.
Max sah ihr sehnsüchtig nach.
Jetzt war es passiert, der Anfang vom Ende, aber es war schön, es war so
verdammt schön. Sie war so schön, so gut... Was zum Teufel sollte er nur tun?
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KAPITEL
IV – Teil 2 DISCO – QUEEN der HÖLLE
Zirza, Rebekka und die blonde
hagere Biggi machen sich spätabends zurecht. Das bedeutet, dass Rebekka ihr
Haar lässig hoch rafft, einen fast unsichtbaren Lippenstift auflegt und ein
nicht ganz so sportliches T-Shirt überstreift. Die beiden anderen brauchen
natürlich erheblich mehr Zeit für das Aufbretzeln...
Dieses geschieht an einem Samstag,
weil am Samstag der Laden proppevoll sein soll, oder zumindest viel voller als
an den anderen Tagen, sie wollen nämlich die berühmte Disco in Brunswick
besuchen. Warum die berühmt ist? Weil es Brunswicks einzige ist.
Die Disco ist nicht besonders
groß, aber schon recht voll. Es gibt ein paar Tische, eine quadratisch gebaute
Theke mit Barhockern an allen vier Seiten und eine kleine Tanzfläche. Zirza
ordnet an: „Wir setzen uns auf keinen Fall an einen Tisch, sondern an die
Theke!“
Rebekka versteht sich gut mit
Zirza, und sie sitzt gerne an der Theke. Sie hat verdammt gute Laune, fühlt
sich erwartungsvoll, muss an den Likörchen liegen, die sie an der Bar im
Herrenhaus schon genommen haben – ironischerweise von Biggis Mann serviert, dem
es anscheinend egal ist, dass seine Frau ohne ihn ausgeht. Wie auch immer, die
Welt ist heute Abend schön weich schattiert und sehr freundlich, Rebekka fühlt
sich an alte Zeiten erinnert. Tatsächlich hat sie auch gute Zeiten gehabt. Ab
und zu...
„Hallo Dennis!“ Neben sich hört
sie, wie Zirza jemanden begrüßt.
„Hallo Zirza, wie geht’s denn so?“
Der Angesprochene sieht gar nicht übel
aus, wie Rebekka nach einem kurzen Seitenblick feststellt. „Aber wer zum Teufel
ist die bezaubernde Frau da neben dir?“
„Danke Dennis, mir geht es gut!“
Zirza lacht und stellt ihm Rebekka als liebe Freundin vor.
Rebekka findet es schmeichelhaft,
dass der Typ so auf sie abfährt. Wie bewundernd er sie anschmachtet! Es
passiert selten, sie ist nicht gut im Anmachen von Männern, sie wirkt
abweisend, wahrscheinlich weil sie abweisend ist, aber wenn einer sich dann
doch an sie herantraut, dann hat sie ihn ganz lange an der Hacke. Schlecht im
Erwerben, aber gut im Behalten, bei vielen Frauen ist es anders rum: Gut im
Erwerben, aber schlecht im Behalten... Sie überlegt, ob Zirza das für sie
arrangiert hat. Würde sie ihr zutrauen, Zirza weiß, was Mädchen mögen...
Rebekka kichert leise in sich
hinein, doch dann auf einmal erblickt sie einen ihr bekannten Mann an der Theke
gegenüber. Er schaut nachdenklich in sein Glas und hat keine Augen für seine
Umwelt.
Sie schlendert lässig zu ihm
hinüber, sie stellt sich neben ihn, stupst ihn an und sagt so ganz nebenbei,
und es ist ein Schuss ins Blaue: „Du denkst an sie, nicht wahr?“
„Sieht man das so offenkundig?“
Max ist überrascht.
„Ich sehe es!“, behauptet Rebekka.
„Das ändert nichts daran, dass sie
unerreichbar für mich ist.“
„Aber warum denn? Gut, du bist
viel älter als Andy aber ihr seid so ein schönes Paar!“
„Es ist etwas aus meiner Vergangenheit...“
Der Schmerz in Max’ grauen Augen ist unübersehbar.
„Lass mich mal überlegen.“ Rebekka
hat da so einen Verdacht und legt den Kopf in den Nacken. „Du hattest was mit
Zirza!“, sagt sie schließlich triumphierend.
Max gibt darauf keine Antwort.
„Du schaust sie immer so
hasserfüllt an. Das ist offenkundig!“
„Sieht man das?“ Max scheint
erschrocken zu sein.
„Ich schon!“
Max blickt irgendwie durch sie
hindurch, und dann sagt er etwas seltsames: „Rebekka, bitte nimm dich vor ihr
in Acht. Sie kann unangenehm werden. Nein, das ist falsch, sie IST unangenehm.“
„Ich finde sie nett!“
„Nett?“ Max schweigt eine Weile,
bevor er fortfährt: „Wenn nett sein bedeutet, dass sie dich manipuliert und
dich zu Taten treibt, die du...“ Er spricht nicht weiter, sondern starrt in
sein Glas.
„Och? Und hast du auch Beweise
dafür?“ Rebekka ist ein bisschen betrunken, also nimmt sie Max nicht richtig
ernst, und sie will sich auch nicht den schönen Abend versauen lassen.
„Leider nicht, das ist das
Problem. Aber pass’ trotzdem auf deine Drinks auf...“, Max lächelt sie an, er
sieht wirklich attraktiv aus. Komisch, dass sie so gar nichts dabei
empfindet... „Willst du vielleicht tanzen?“, fragt er.
Rebekka überlegt und schüttelt
dann den Kopf. „Nein besser nicht, du würdest ja doch nur an sie denken...“
„Da hast du Recht“, sagt Max. „Und
du würdest auch nur an ihn denken. Und deswegen gehe ich jetzt besser nach
Hause.“
„Wen meinst du?“ Rebekka stellt
sich ganz blöd.
Max erhebt sich von seinem
Barhocker und wirft einen Geldschein auf die Theke. „Na wen wohl!“
„Ach, du spinnst ja!“
„Na gut, ist ja auch egal. Aber
trau’ ihr nicht“, sagt er noch einmal eindringlich.
Rebekka blickt ihm nach, als er
die Disco verlässt. Wie kommt er nur darauf, sie durchschauen zu können?
Außerdem glaubt sie nicht wirklich, dass Zirza gefährlich ist, das kann nicht
sein. Max irrt sich, klar doch!
Rebekka verspürt das dringende
Bedürfnis, sich jetzt zu amüsieren. Sie will sich mit einem netten gutaussehenden
Mann amüsieren, der sie zu schätzen weiß. Ein durchgeknallter Ziegenbock ist ja
ganz putzig, aber nicht das gleiche wie ein richtiger Mann. Und Daniel ist zwar
ein richtiger Mann, an den strategischen Stellen auf jeden Fall, sie muss kichern,
aber der ist so labil, der verliebt sich in jede Frau, mit der er pennt. Und
das ist nicht sehr vertrauenswürdig. Außerdem hat er sie in den letzten Tagen
ziemlich kühl behandelt. Das stört sie aus unbekannten Gründen irgendwie.
Also stürzt Rebekka sich in das
Vergnügen. Sie trinkt einen grünen Likör, der bestimmt ziemlich hochprozentig
ist und dieses durch seine Süße verbirgt.
Die Frauen kommen kaum dazu, dem
guten Dennis auch mal einen auszugeben. Denn auf dem Land bezahlt immer noch
der Mann, böse Zungen behaupten, dass schon diverse Männer pleite gegangen
sind, weil sie dummerweise zwei oder noch mehr ihnen bekannte Frauen in einer
Kneipe getroffen haben... Wie auch immer: Jedenfalls himmelt der Metzgermeister
Dennis Rebekka bewundernd an und weicht nicht von ihrer Seite.
Bis sie auf die Tanzfläche geht.
Ab da sind seine Blicke nicht mehr bewundernd, sondern anbetend und verlangend.
Rebekka tanzt für sich allein, gar
nicht wahr, in Wirklichkeit tanzt sie für jemanden, der aber nicht hier ist.
Und für jemanden, der es sicher nicht wert ist.
Also tanzt sie für Dennis, er ist
hier, und er ist nett. Oder? Doch, er ist nett, und er bewundert sie.
Rebekka gerät immer mehr in einen
wunderbaren euphorischen Zustand. Wenn sie aufs Klo geht, hört sie rhythmische
Klänge und tanzt dazu, bis sie herausfindet, dass es sich um Geräusche handelt,
die von der Lüftung produziert werden. Ist aber trotzdem ein irrer Sound, und
er wiederholt sich immer wieder... Immer wieder... Sie muss kichern!
Und Dennis sieht wirklich nicht
schlecht aus, tatsächlich sieht er im Laufe der Nacht immer besser aus, und
seine Aufmerksamkeit gehört nur ihr allein, stellt Rebekka fest.
Sie gibt wahnsinnig witzige Sachen
von sich, das glaubt sie jedenfalls, und Dennis ist fasziniert von ihr. Sie
kann machen, was sie will, auch davon ist er fasziniert. Wenn sie sich von der
Theke wegdreht, dann dreht er sich auch von der Theke weg. Wenn sie ein paar
Schritte von der Theke weggeht, dann geht er auch ein paar Schritte von der
Theke weg. Er hängt an ihr wie eine Marionette. Es ist irre, jemanden so
dirigieren zu können, und es gibt ihr ein Gefühl von Macht, das den Frust
verdrängen muss, den sie mit Daniel erlebt. Ha, Daniel ist doch sonst so ein
Weichei, was ist los mit ihm? Aber Dennis ist nett, natürlich hat er nicht den
Hauch einer Chance, aber er ist ein schöner Zeitvertreib, das denkt Rebekka
vage, denn sie kann die Gedanken nicht mehr so richtig in Worte kleiden.
Zirza beobachtet Rebekka und
Dennis. Für die blonde Biggi, die im Laufe der Nacht – und zwar als der Laden
offiziell schon zu ist – eine schnelle Nummer mit dem gut aussehenden jungen
Barkeeper auf einer Bank macht, interessiert Zirza sich nicht. Sie interessiert
sich nur für Rebekka und für Dennis. Denn Rebekka ist trotz ihrer rauen Schale
ein liebes Mädchen und auch ein liebebedürftiges Mädchen. Und Zirza möchte
diesem lieben einsamen Mädchen ein wenig Spaß und ein bisschen Abwechslung
verschaffen…
Der Witz ist, niemand ahnt, dass
sie genau über Rebekka Bescheid weiß, sie weiß wo sie geboren ist, sie weiß wie
alt sie ist, sie weiß, wer ihre Eltern sind. Und sie weiß, dass Morgaine kein
gewöhnliches kleines Mädchen ist. Es ist fast so, als wären die beiden
Verwandte von ihr. Aber wirklich nur fast... Bei diesem Gedanken muss Zirza ein
Lachen unterdrücken.
Und sie glaubt nun, dass es an der
Zeit ist, Rebekka die Tropfen in ihren grünen Likör zu geben.
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Daniel klopfte um die Mittagszeit
an.
Keiner öffnete die Tür, und so
ging er einfach in die Wohnung hinein. Er fand Rebekka ziemlich desolat und
voll angezogen in ihrem zerwühlten Bett vor.
„Oh!“, sagte er mitleidig, denn
Daniel wusste, wie man sich nach einem zünftigen Besäufnis fühlte.
„Geh’ weg!“
„Da ist ein Typ, der behauptet, du
wolltest mit ihm frühstücken.“ Daniels Stimme klang spöttisch und irgendwie
ungläubig.
„Was! Wie? Keine Ahnung“, murmelte
Rebekka. „Wimmel’ ihn ab. Ich kenn’ keinen, mit dem ich... Oh! Frühstück? Mir
wird schlecht!“ Sie griff sich an die Stirn.
„Hast du ’ne Amnesie oder was?
Daniel war ein bisschen sauer auf diesen unverschämten Kerl, der Rebekka zum
Frühstück in sein Haus eingeladen hatte.
„Nein, ich weiß nur nicht, was
passiert ist“, sagte Rebekka stöhnend und hielt ihren Kopf vorsichtig fest.
Daraufhin musste Daniel lachen,
obwohl er das gar nicht wollte. „War wohl ein bisschen viel gestern Nacht...“
„Ach
w… Oh Gott!“ Rebekka
spürte, wie ihr irgendwas hochkam, das sie unbedingt loswerden musste. Sie
sprang eilig aus dem Bett – Gott sei Dank trug sie noch alles, was sie gestern
Nacht angehabt hatte – und lief ins Badezimmer, um sich über der Kloschüssel zu
übergeben. Als von alleine nichts herauskam, steckte sie sich einen Finger in
den Hals, das war widerlich, aber sie würgte daraufhin ein ekelhaftes Zeug aus
mit ein paar dicken Brocken drin. Das war wohl das Abendessen von gestern. Und
die Vorstellung, dass sie mit ihrem Gesicht über einer Kloschüssel hing, war
ekelerregend genug, dass sie wieder einen Schwall von Flüssigkeit in die
Kloschüssel erbrach, ohne dass sie sich vorher einen Finger in den Hals stecken
musste.
Als nichts mehr herauskam, setzte
sie sich auf den Rand der Wanne und stierte vor sich hin. Es war entsetzlich!
Sie hielt ihren Kopf über die Badewanne und brauste sich mit eiskaltem Wasser das
Gesicht ab, wobei die Haare auch etwas Wasser mitbekamen. Das tat zwar
kurzfristig ein wenig gut, hielt aber nicht sehr lange vor. Dann machte sie den
Versuch, sich die Zähne zu putzen, aber dabei tat ihr der Kopf zu weh, also
hörte sie schnell damit auf.
Was hatte Daniel da geschwätzt?
Ein Frühstück mit einem Typen? Sie hatte keine Ahnung, was er meinte. Und warum
fehlten ihr mehrere Stunden der gestrigen Nacht? Zu peinlich das.
Rebekka frottierte sich mit einem
Handtuch vorsichtig die Haare, um ihrem höllisch wehtuenden Kopf nicht noch
mehr weh zu tun, sie verließ das Badezimmer, öffnete den Kühlschrank und griff
sich eine Flasche Mineralwasser. Setzte sie sich an den Mund und nahm einen
endlosen Schluck daraus. Dann schleppte sie sich wieder ins Bett.
„Was soll ich dem Mann denn jetzt
sagen?“ Daniels Stimme dröhnte in ihrem Kopf. „Was ist denn jetzt mit dem
Frühstück?“
„Bitte nicht schreien! Ich kenne
keinen. Ich kenne kein Frühstück. Lass’ mich doch in Ruhe!“
„Also wirklich Rebekka, du kannst
den Typen doch nicht erst einheizen und dich dann verpissen, also, ich muss
schon sagen...“
„Bitte bitte nicht so laut!“
Rebekka machte ein gequältes Gesicht, drehte sich zur anderen Seite und
kringelte sich eng zusammen.
Daniel musste wieder lachen. Er
war zwar ein bisschen sauer auf sie, aber es schien nichts passiert zu sein,
weswegen er sich Sorgen machen musste. Oder weswegen sie sich Sorgen machen
musste.
Er betrachtete sie eine Weile, dann legte er sich
vorsichtig neben sie und umarmte sie zart. Sein Kopf war ganz nahe an ihrem,
und er roch ihr Haar und ihre Haut. Er versuchte, ihr mit seinem Körper nicht
näher zu kommen, obwohl ihre Anziehungskraft gewaltig war. Er wollte einfach
nur neben ihr liegen und sie im Arm halten. Sie machte eine Bewegung und drückte
sich mit dem Hintern näher an ihn. Das war nun wirklich fatal, denn die
Ergebnisse waren danach. Trotzdem widerstand er der Versuchung, sie enger an
sich zu ziehen und sich mit einem bestimmten Körperteil, das wahrscheinlich
steif war wie, leider fiel ihm kein Vergleich ein, an ihrem weichen Körper zu
reiben. Nein, es war gut so, er wollte sie nur im Arm halten für eine Weile,
sonst wollte er nichts, obwohl... Nein, besser nicht.
Rebekka spürte es, es war nicht
unangenehm. Aber das konnte sie ihm natürlich nicht zeigen. Also stöhnte sie
auf und tat so, als ob sie schliefe. Instinktiv schob sie ihm ihr Hinterteil
entgegen, aber leider reagierte er nicht, und sie war ein wenig enttäuscht.
Aber in diesem Moment an Sex zu denken, aua, allein der Gedanke daran tat schon
weh, und sie stöhnte wieder auf. Aber so war es auch gut. Eigentlich war es
sehr angenehm. Sie entspannte sich und schlief ein.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Zirza hatte eigentlich geplant,
Rebekka mit Metzgermeister Dennis – frisch geschieden und scharf wie eine
Rasierklinge – ins Bett gehen zu lassen. Aber die Pfeife Rebekka konnte
überhaupt keinen Alkohol vertragen und hatte schon voll besoffen den
entscheidenden Drink umgekippt, in dem sich die Tropfen befanden, die sie
hilflos und geil machen sollten. Und Dennis wollte auch nicht so mitspielen,
wie es Zirza vorschwebte, dieser Idiot hatte sich tatsächlich in Rebekka
verliebt und sie zum Frühstück in sein Haus eingeladen. Und jetzt war er total fertig,
weil die süße Rebekka nicht erschienen war.
Es hatte zwar nicht geklappt wie
vorgesehen, aber so ging es auch, Dennis schlich nun wie ein liebeskranker
Kater um das Gut herum, und das würde Daniel bestimmt nicht gefallen.
Das kostbare Kind war nämlich
leichter zu kriegen, wenn man es von einem Elternteil isolierte. Das bedeutete
Verlust an Schutz und so ’nem Scheiß!
Denn Daniel war wirklich der
Vater, man hatte es durch unauffällige Gentests festgestellt, kein Problem für
die Firma, welche auch mit Halluzigenen und Drogen herum experimentierte. Die
Firma war fantastisch, Zirza verdiente dort wesentlich mehr als durch ihre
Boutiquen, zudem gab man ihr alles, was sie verlangte. Früher musste sie
deswegen immer ihren Exverlobten anbetteln, der als Chemiker arbeitete. Gut,
seine beschränkten Mittel waren auch sehr effektiv...
Sie fragte sich immer noch, wieso
Daniel und Rebekka in Kampodia aufeinander getroffen waren. Der
Unwahrscheinlichkeitsfaktor war einfach zu hoch. Aber das Kind konnte
anscheinend auch in die Zukunft sehen. Unglaublich! Zum Glück hatte der GWU
sich gut bewährt, das Gerät hinderte neugierige kleine Telepathen daran, in
anderer Leute Köpfen herumzuschnüffeln, es zerhackte Gehirnwellen. Auch eine
geniale Erfindung der Firma, welche sich sehr für das Kind interessierte, man
wollte feststellen, welche Enzyme, Hormone oder sonstigen Stoffe seine
Fähigkeiten bewirkten. Man würde es wie ein Versuchstier benutzen, um diese
Fähigkeiten nachahmen zu können.
Doch dazu musste man das Kind erst
einmal haben! Gut, dann eben anders... Zirza hatte da schon einen Plan, sie
musste lauthals auflachen, das war in ihrer Familie fast schon Tradition, ihre
Mutter hatte es vorpraktiziert, die versoffene Nuss! Zirza verachtete ihre
mittlerweile tote Mutter, und der Hass auf die von Kampes war das einzige, was
sie gemein hatten, aber das damals war ein Geniestreich gewesen...
Tja, die Lakostas waren arm
geblieben und die von Kampes reich, sie unterstützten ihre Bastarde nicht, und
es war erwiesen, dass die Lakostas illegitime Nachkömmlinge der von Kampes
waren. Und Sirza war besessen davon, sich ihr ‚Erbe’ zu verschaffen, dafür
schreckte sie vor nichts zurück. Die ganze Familie musste weg! Auch die
anderen Erben, von denen die hochherrschaftliche Familie gar nichts wusste und
auch nie erfahren würde, auch die mussten weg! Tja, es gab viel zu tun...
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KAPITEL
IV – Teil 3 MAX – GEMÜSE – LIEBE...
„ ...nicht mit rechten Dingen zu,
aber falls Zirza wirklich ...“
Mehr
hörte Max nicht, als er an der Küche vorbeiging, wo sich Tante Bernadette und
Tante Mansell gerade leise unterhielten und sofort verstummten, als sie ihn
bemerkten.
Eigentlich
wollte Max nur ein wenig im Pool schwimmen und sich dadurch abkühlen, denn das
Zusammensein mit Andy war so erregend, dass sein Körper permanent in Flammen
stand. Sie durfte nicht spüren, wie sehr es ihn nach ihr verlangte. Er musste
immer der ältere, der vernünftigere von ihnen sein, und seine Beherrschtheit
brachte sie ziemlich in Rage. Doch es ging nicht anders, es war das Beste für
sie...
Vor
der Tür zum Poolraum blieb Max stehen und dachte über die Worte der Tanten
nach, möglicherweise waren sie ja nur aus dem Zusammenhang gerissen. Aber
vielleicht steckte mehr dahinter...
Max ging in den Poolraum, zog sich
aus und stellte sich unter die Dusche, während er weitergrübelte und versuchte,
die Vergangenheit aufleben zu lassen:
Archies Frau Kassiopeia starb bei
der Geburt ihrer Tochter Andy. Er suchte daraufhin nach einer Amme für die Kleine
– und fand sie in der Tochter seiner älteren Schwester Bernadette. Aber kurz
darauf geschah die Tragödie: Bernadettes Tochter und ihr Kind starben unter
ungeklärten Umständen, während die kleine Andy überlebte.
Tante Bernadette hatte also zwei
geliebte Menschen verloren, ihre eigene Tochter und deren Kind, und man hatte
sie sogar verdächtigt, den Tod von Tochter und Enkelkind durch Fahrlässigkeit
verschuldet zu haben. Bernadette war natürlich im Laufe der Jahre ein bisschen
kurzsichtig geworden, aber trotzdem konnte sie immer noch einen
Wiesenchampignon von einem Knollenblätterpilz unterscheiden. Dennoch waren wohl
mehrere hochgiftige Pilze in das Pilzgericht gelangt, das sie selber ihrer
Tochter gebracht hatte, als diese ihr eigenes Kind und die kleine Andy stillte.
Tante Bernadette erlitt einen Nervenzusammenbruch, der sie drei Monate ans Bett
fesselte. Die Anklage wegen fahrlässiger Tötung wurde schließlich
fallengelassen, es gab keine Beweise gegen sie. Aber allein der Verdacht, der
auf ihr gelegen hatte, veränderte die Tante, ihr Wesen wurde düster, und ihr
Leben war trostlos seit dem Tod ihrer Tochter und ihrer Enkelin, zumal sie sich
selber die Schuld daran gab, ohne zu wissen, was überhaupt passiert war.
Während er schwamm, dachte Max
weiter nach. Die Abneigung der Tanten gegen Zirza war kaum zu übersehen.
Vielleicht nahm Tante Mansell es ihr übel, dass sie so schnell die Nachfolgerin
von Kassiopeia geworden war. Das konnte man verstehen. Aber was konnte Tante
Bernadette Zirza übel nehmen? Max fiel dazu absolut nichts ein, außerdem wurden
seine Gedanken immer wieder durch Andromeda abgelenkt, beziehungsweise
umgelenkt, und er konnte sich zeitweilig nicht mehr auf die... ach ja, die
Tanten konzentrieren. Sie war so süß, ihre Küsse, ihre Berührungen, sie war
eben Andy, sein Mädchen. Und sie musste geschützt werden. Das hatte Vorrang vor
allen anderen Dingen.
Und wenn dieses verdammte Weib
irgend etwas damit zu tun hatte, dann würde er sie zur Strecke bringen, auch
wenn er selber dabei draufging. Das war er Andy schuldig. Wieder schweiften
seine Gedanken zu ihr hin. Beim Schwimmen konnte man das Träumen auch gar nicht
verhindern...
Also, die Tanten – Max’ Gedanken
rissen sich von Andromedas süßer Gestalt los und auch davon, dass ihre Brüste
so perfekt in seine Hände passten – welche sollte er sich zuerst vorknöpfen?
Nein, Max, nicht die Brüste, verdammt noch mal, sondern die Tanten! Wie konnte
dieses Kind ihn nur so durcheinander bringen? Das hatte bisher noch keine Frau
geschafft. Bis vor kurzem war er der beherrschte und der beherrschende Typ
gewesen, der immer alles unter Kontrolle hatte, vor allem seine Gefühle. Es war
natürlich nicht schwer, Gefühle unter Kontrolle zu haben, die gar nicht oder
nur schwach vorhanden waren. Im Gegensatz zu jetzt. Ach, Andy...
Also die Tanten... Andererseits,
wenn er sie sich alleine vorknöpfte, könnte dann die erste die andere
vorwarnen. Vielleicht wäre es besser, sie beide zusammen auszuquetschen.
Eine halbe Stunde energischen
Schwimmens hatte nicht gereicht, um sein Verlangen nach Andy wirklich
abzukühlen. Wahrscheinlich würde auch eine Eisdusche das nicht schaffen.
Ein paar Minuten später öffnete
Max die Tür zur Küche. Sie waren noch da, und das war gut! Max hatte sich
entschlossen, auf volles Risiko zu gehen und so zu tun, als wüsste er so
einiges, um die Tanten damit sofort in die Defensive zu treiben.
„Dann erzählt mir jetzt doch mal, was damals wirklich passiert ist“, er blickte von einer Tante zur anderen, sie standen vor ihm wie hypnotisierte Kaninchen. Sogar die sonst immer so beherrschte Claudia schien leicht zu zittern.
Was sie ihm dann allerdings
erzählten, ließ sein widerspenstiges schwarzes Haar noch mehr in die Höhe
stehen, als es das normalerweise schon tat.
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Die letzte Augustwoche hatte
begonnen, und es wurde allmählich eng. Rebekka hatte soviel Zeit mit Lesen,
Schwimmen, Sonnen, Ausflügen, Reiten lernen und anderen Dingen verbracht, dass
sie immer noch nicht richtig kochen konnte. Die drei Nachmittage in der Küche
hatten ihr nur ein paar Grundkenntnissen vermittelt, die man nach Tante
Bernadettes Meinung unbedingt brauchte.
Und heute wollte Tante Bernadette ihr den Gemüsegarten des Gutes zeigen und erklären. Tante Bernadette sah verhärmt und traurig aus, sie hatte verweinte Augen und dachte anscheinend an ganz was anderes als an Gemüse und Gärten.
Auch Rebekka war nicht richtig bei der Sache. Sie wollte eigentlich gar nicht weg von Kampodia. Warum nicht hier bleiben? Ja wirklich, Rebekka träumte vom Landleben. Kampodia war wie ein Traum aus einer vergangenen Zeit. Gut, es war ein raues Leben – auf den ersten Blick idyllisch, auf den zweiten Blick vielleicht grausam, zum Beispiel wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Aber das Schwein hatte ein relativ gutes Leben gehabt im Vergleich zu den anderen armen Viechern in den Massenställen. Na ja, am besten verdrängen und kein Fleisch mehr essen...
Und vielleicht würde Andromeda irgendwann selber Kinder haben, und die könnten dann mit Morgaine spielen. Denn wie es aussah, hatten sie und Max endlich zueinander gefunden, obwohl Max, wie Rebekka meinte, nicht so richtig aus’m Quark kam. Gut, Andy war noch so jung, sie würde erst in ein paar Wochen sechzehn werden...
Blöde unrealistische Träume, denn
seltsamerweise kam immer ein bestimmter Mann darin vor, also wirklich absolut
unrealistisch und blöde!
Rebekka besann sich und
konzentrierte sich auf die nahe Zukunft. Erst einmal kam als Abschluss der
Ferien der große Sommerball. Er war schon in drei Tagen, und da Rebekkas Tanzkenntnisse
sich aufs Bluestanzen beschränkten, hatte sie heimlich bei Archie Unterricht
genommen. Ob Daniel mit ihr tanzen würde?
Ach was, Daniel, immer wieder
Daniel! Daniel war wohl ein bisschen sauer auf ihren Verehrer Dennis, der sich
von seiner Unfreundlichkeit nicht abschrecken ließ und oft abends vorbeikam, um
Rebekka in irgendwelche Lokalitäten einzuladen. Sie konnte sich zwar immer mit
Ausreden aus der Affäre ziehen, aber es war ein bisschen schwierig, den guten
Dennis auf Distanz zu halten... Hmmm, warum lud Daniel sie eigentlich nie in
ein romantisches Restaurant ein? Auweia, romantisches Restaurant? Sie legte
doch gar keinen Wert auf so einen Quatsch...
„Also, hier sind die Zwiebeln,
Rebekka.“ Tante Bernadettes Stimme riss Rebekka aus ihren Gedanken.
„Wo denn? Ich sehe keine....“
„Nun, sie sind unter der Erde“,
Tante Bernadette seufzte auf und wischte sich kurz über die Augen, dann bückte
sie sich mühsam und bewegte vorsichtig die langen wie Porree aussehenden
Stängel hin und her, dadurch lockerte sie die Erde und zog schließlich eine
wunderbar rund geformte Zwiebel aus dem Beet heraus.
„Tatsächlich, eine Zwiebel!“,
staunte Rebekka ehrfürchtig.
„Und bei den Karotten ist es
genauso“, fuhr Tante Bernadette mit leicht zitternder Stimme fort und deutete
dabei auf ein zartgrünes Blattgespinst. Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten,
versuchte Rebekka die Karotte aus dem Boden zu ziehen, es war zu verlockend.
Aber das zarte Grün riss sofort ab, und die Karotte steckte immer noch im
Boden. „Oh oh!“ Es war Rebekka etwas peinlich, aber die Tante achtete gar nicht
darauf, sie schien an etwas anderes zu denken.
Danach ging es weiter zu den
Salatbeeten. Der Kopfsalat, das war der einzige Salat, den Rebekka kannte,
wuchs freundlicherweise über der Erde und musste nur noch abgeschnitten werden.
„Endiviensalat und
Eichblattsalat“, murmelte Tante Bernadette vor sich hin. „Und hier wachsen die
Gewürze.“ Sie deutete auf ein hoch gelegenes Beet, von dem man ernten konnte,
ohne sich bücken zu müssen und in dem Petersilie, Schnittlauch und noch viele
andere Sachen wuchsen, die Rebekka aber auch nicht kannte. Was kannte sie
eigentlich?
„Alles sollte gut gewaschen
werden... Ich muss dir unbedingt noch zeigen, wie man Salatsoßen macht.“ Wieder
wischte sich Tante Bernadette über die Augen. „Aber heute nicht, Rebekka.
Würdest du mich entschuldigen, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.“
„Natürlich“, sagte Rebekka
mitfühlend. „Geht es dir nicht gut?“
„Es ist nichts.“ Tante Bernadette
schüttelte den Kopf. „Es ist gar nichts.“ Sie drehte sich um und ging mit
langsamen müden Schritten zurück zum Herrenhaus.
Rebekka sah ihr verwundert nach,
wurde aber dann abgelenkt von den Johannisbeersträuchern mit ihren prallen
roten Fruchtbüscheln. Rebekka probierte ein
paar Beeren, aber sie waren so sauer, dass sie ihr fast den Mund verätzten. Man
musste sie erst in Zucker einlegen, das hatte sie von Tante Bernadette gelernt.
Ihr Blick wanderte zu den Erdbeeren. Deren Erntezeit war zwar lange schon
vorbei, aber es gab immer paar dicke rote Nachzügler, und die schmeckten
fantastisch, kein Vergleich mit denen, die man im Laden kaufen konnte! Sie
suchte die Reihen der Pflanzen peinlich genau nach Nachzüglern ab und wurde
einige Male fündig.
„Hey Rebekka. Hast du Max
vielleicht gesehen?“ Sie blickte erstaunt zur Seite und sah, dass Andromeda
neben ihr stand.
„Hmmmm...“, Rebekka hatte sich
gerade eine riesige rote Erdbeere in den Mund gesteckt und sprach mit vollem
Mund. „Isch glaube, er ischt mit Daniel in die Kneipe gegangen.“
„Was?! Warum zum Geier gehen die
in die blöde Kneipe? Warum können die ihr Bier nicht hier trinken?“ Andromeda
schien ein wenig sauer zu sein.
„Habt ihr Stress oder was?“,
fragte Rebekka neugierig.
„Nein...“ Das klang irgendwie zweifelnd,
als ob Andromeda selber nicht wusste, ob sie nun Stress mit Max hatte oder
nicht.
„Was ist denn los?“
„Ach ich weiß nicht“, Andy köpfte
mit einem Holzstock, den sie mitgebracht hatte, zornig eine der knackigen
Dahlien, welche die Reihen der Gemüsebeete auflockerten.
„Lass doch die armen unschuldigen
Blumen in Ruhe, die können doch nichts dafür...“
„Ich glaube, er liebt mich nicht“,
sagte Andy mit leiser leidender Stimme. „Zumindest nicht so, wie ich ihn
liebe.“
„So ein Quatsch“, meinte Rebekka entrüstet. „Natürlich liebt er dich! Dieser Blick, wenn er dich anschaut! Ich hab’ von Anfang an gedacht, der empfindet was für die Kleine...“
„Die Kleine!“ Andromedas Stimme
klang jetzt bitter. „Genau das bin ich für ihn. Ein Kind!“
„Er guckt dich nicht an wie ein
Kind, Andy.“
„Aber er behandelt mich wie ein
Kind. Warum schläft er nicht mit mir? Ich weiß es, ich bin nicht sexy genug!
Immer macht er einen Rückzieher, wenn...“ Andromeda köpfte wütend eine weitere
Dahlie.
„Du und nicht sexy genug, ich
lach’ mich schlapp! Aber ist es nicht ein bisschen früh dafür? Max weiß doch
bestimmt, dass du erst nächsten Monat sechzehn....“
„Nein! Ich finde, es ist genau der
richtige Zeitpunkt dafür, aber er will mich ja nicht. Er will wahrscheinlich
jede andere beknackte Schlampe mehr als mich!“
„Quatsch, er liebt dich, das sieht
doch jeder!“
„Ach ja? Tut er das? Er hat es mir
nämlich noch nie gesagt. Also, woran bin ich mit ihm?“
„Es gibt Menschen, die sagen eben
nicht gerne diese Worte“, meinte Rebekka nachdenklich. „Ich selber habe...
diese Worte auch noch nie gesagt.“
„Ist nicht wahr!“ Andromeda war
für einen Moment abgelenkt. „Und warum nicht?“
„Also“, Rebekka räusperte sich,
bevor sie weiter sprach. „Ich habe es einfach nie so empfunden, als ob ich...“
„Echt nicht?“
„Ich konnte es nicht sagen!“
Rebekkas Stimme klang spröde und unsicher. „Weil es nämlich nicht wahr gewesen
wäre.“
„Ach du lieber Himmel.“ Andromeda
schaute sie hilflos an.
„Ja, ist schon seltsam“, murmelte
Rebekka.
„Aber ich weiß es, und ich kann es
sagen! Ich liebe ihn, egal was kommt und auch wenn er was Schlimmes getan
hätte, es wäre mir egal, aber Max würde nie was Schlimmes tun...“ sprudelte es
nun unaufhaltsam aus Andromeda heraus.
„Weißt du, dass ich dich beneide?“
„Quatsch, es ist nie zu spät für
die Liebe“, sagte Andromeda für ihr Alter sehr weise. „Also, was ist? Sollen
wir mal in die Kneipe gehen und die Jungs besuchen?“
„Die Jungs?“ Rebekka fing an zu
lachen. „Na gut, warum nicht. Aber Morgaine muss mitkommen, sie steckt bestimmt
bei Claudia.“
Als sie sich kurz darauf mit
Morgaine auf den Weg machten, lief ihnen Alfonso hinterher. Das Katerchen
wollte wohl auch mit in die Kneipe kommen.
Sie erreichten die Strulle,
Rebekka fand es immer wieder schön, dieses klare Wasser in seinem gemauerten
Becken zu sehen, bevor es die Teiche speiste und sich dann darin verlor. Zwei
alte schwarzgekleidete Frauen tauchten gerade Körbe hinein, die mit frisch
geernteten Kartoffeln gefüllt waren. Man konnte in der Strulle alles mögliche
waschen, Kartoffeln oder auch die Füße an einem heißen Tag, Rebekka hatte es
unglaublich erfrischend gefunden. Und wieder musste sie daran denken, dass der
Urlaub bald vorbei sein würde. Mist aber auch!
„Wirst du wohl nach Hause gehen!“ Andromeda
scheuchte gerade Alfonso zurück, denn die Hauptstraße war viel zu gefährlich
für einen kleinen Kater, auch für so einen klugen Kater wie Alfonso.
Der schaute aber nur beleidigt
drein, ließ sich von ihren Worten absolut nicht beeindrucken, sondern trabte
trotzig mit.
„Warum soll Fonso nach Hause?“
Morgaine, die an der Hand von Andy ging, blickte nachdenklich auf ihren
bepelzten Freund, er hatte sie mittlerweile schon überholt und lief nun vor
ihnen her wie ein Leitwolf oder ein Leitkater.
„Fonso darf nicht mit, weil es zu
gefährlich auf der Straße ist. Er könnte überfahren werden.“
Morgaine schüttelte ihren Kopf,
als wolle sie etwas daraus vertreiben, sie fing an, mit ihren kleinen Armen zu
gestikulieren und sagte mit eindringlicher Stimme: „Geh’ weg, Fonso! Geh’
schnell nach Hause!“
Fonso stutzte und schaute über
seine Schulter zurück, es sah fast so aus, als würde er Morgaines Worte
verstehen. Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um, rieb sich zärtlich
an Morgaines Beinen – und tippelte dann langsam zurück zum Gut.
„Seltsam“, Andromeda musste
lachen. „Er hört auf dich, Morgy!“
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KAPITEL
IV – Teil 4 ENDE der SAISON
Die
Dorfkneipe war fast leer, denn fast alle im Dorf bereiteten sich auf das
Abendessen vor. Später würde Mann vielleicht zum Kartenspielen hier erscheinen
oder auch nicht, je nachdem wie Frau so drauf war...
Majestätisch
und kein bisschen mit Komplexen belastet stand die Wirtin Marianne hinter der
Theke.
Maid
Marian, das war ihr Spitzname – fast jeder im Dorf hatte einen Spitznamen – war
genau das Gegenteil von dem, was man sich unter der zarten Geliebten von Robin
Hood so vorstellte. Sie war recht üppig, was soviel hieß, sie hatte eine Figur
wie ein Fass. Sie trug eine schlecht gemachte furchtbar krause Dauerwelle und
hatte obendrein noch eine ausgesucht hässliche Brille auf der Nase, die ihr
Spitzmausgesicht noch spitzmausiger machte und ihre Augen stark vergrößerte.
Was nicht sehr vorteilhaft war, denn ihre Augen sahen aus wie die eines Raubvogels.
Aber mal abgesehen von ihrem Äußeren war sie eine sehr nette Person.
„Pass
auf dich auf“, hatte Max seinen Freund Daniel gewarnt, bevor sie hineingegangen
waren. „Die gute Marian ist nämlich scharf auf alles, was Hosen anhat und nach
Mann aussieht. Ansonsten ist sie aber okay.“
„Ich
werde schon aufpassen“, hatte Daniel gegrinst. „Aber was willst du überhaupt
hier? Ich denke mal, Marian den Hof machen ist es wohl nicht...“
„Ich
brauche eine Auskunft von ihr.“ Mehr wollte Max ihm nicht verraten.
Sie
setzten sich an die Theke, und Maid Marian war schwer angetan von den beiden
blendend aussehenden Jungs, vor allem von dem dunkelblonden, der bis jetzt noch
nie in ihrer Kneipe gewesen war. Der sah wirklich sagenhaft gut aus, fast so
wie Jack Wagner, für den sie schwärmte. Nicht dass Max nicht auch gut aussah,
aber der war ein harter Brocken, sie hatte es schon mehrmals bei ihm versucht,
leider ohne Erfolg...
„Du bist
neu hier“, meinte die Maid begeistert, sie schwenkte demonstrativ ihren üppigen
Oberkörper über den Tresen und rückte Daniel somit ein gutes Stück näher.
Plötzlich
wurde es Daniel ein wenig seltsam zumute. Nein, nicht weil die Maid ihm näher
gerückt war, obwohl ihm das auch ein wenig Angst einflößte, nein, er sah sich
auf einmal selber an der Theke sitzen, und zwar von halb hinten, und er sah
sich zusätzlich noch im Spiegel hinter dem Schanktisch. Es machte ihn etwas
schwindelig, denn es war wie eine Mehrfachbelichtung auf einem Foto. Dann
begriff er es. Morgaine musste in der Nähe sein, aber wo konnte sie stecken?
Und wenn Morgaine hier war, dann konnte auch Rebekka nicht weit sein.
Unauffällig
blickte er sich in der Kneipe um. Außer ihm und Max waren nur zwei Männer da,
die an einem Tisch saßen. Aber die Maid war gerade durch die Tür hinter dem
Tresen hinausgegangen und hatte irgendwelchen Leuten Limonade gebracht. Es gab
also noch einen anderen Raum, den man betreten konnte, ohne durch die
Wirtsstube zu gehen. Dann fiel Daniel die Falttür auf, die sich links neben
ihnen befand. Sie führte wohl in diesen Raum, war aber jetzt geschlossen bis
auf einen kleinen Spalt.
„Ich
glaube, wir werden beobachtet“, sagte er leise zu Max.
„Was?
Wie?“ Max blickte erstaunt auf. Er schien über irgendetwas nachzugrübeln, er war
ja normalerweise schon schweigsam, aber in den letzten zwei Tagen hatte er kaum
ein Wort herausgebracht.
„Ich
glaube, die Mädels sind im Nebenraum“, Daniel deutete unauffällig auf die
Falttür zu seiner Linken. Er vermutete, dass Rebekka ihn beobachtete während
Morgaine im Kopf ihrer Mutter herumspionierte und ihm die Bilder sandte, die
sie dort fand. Das war aber auch eine verzwackte Sache. Daniel schloss die
Augen, um sich voll auf die Bilder zu konzentrieren.
Tatsächlich
wurde es etwas einfacher, er sah jetzt nur noch Rebekka, die sich an die
Falttür drückte, um durch die Ritze zu spähen. Und er sah Andromeda, die sich
eng an Rebekka drängte...
„Ich
glaube, die veräppeln wir mal ein bisschen“, Daniel grinste Max an und dachte
sich in aller Ruhe etwas Nettes aus.
Max
stimmte ihm zu, ohne groß was zu verstehen, denn er war immer noch in Gedanken
versunken.
Im
Gesellschaftsraum nebenan spähte Rebekka durch die Ritze der Falttür, die
diesen Raum von der Wirtsstube abtrennte. Sie konnte Daniel und Max ausgezeichnet
sehen. Nicht direkt natürlich, nur halb von hinten, aber zusätzlich spiegelten
sie sich großartig im Barspiegel hinter der Theke. Und Rebekka konnte
tatsächlich einiges von ihrem Gespräch mitkriegen, denn sie saßen gerade mal
zwei Meter von der Falttür entfernt auf ihren Barhockern. Außerdem sah sie zwei
gewaltig große Brüste auf der Theke liegen, die sahen beängstigend aus und
gehörten wohl der Maid Marian. Die schreckte auch vor nichts zurück...
„Was
reden sie?“, fragte Andromeda neugierig. Für sie selber war kein Platz mehr an
der Falttür, deswegen hielt Andromeda sich dicht neben Rebekka auf. Und sie
fand es ziemlich gemein, dass sie auf Rebekkas Augen und Ohren angewiesen war.
„Über
einen Austin Healey. Wer ist das? Kennst du den?“
„Das ist
kein Typ, sondern irgendein Rennwagen.“ Andromeda hatte natürlich durch Max
sehr viel Ahnung von älteren englischen Renn- und Sportwagen.
„Das
soll ein geiles Gerät sein.“
„Hmmm.
Das ist er...“
„Jetzt
sagt Daniel irgendwas über einen Morgan Jap“, übermittelte Rebekka leise. „Ist
das auch ein Rennwagen?“
„So
ähnlich! Aber ein kleiner mit nur drei Rädern. Threewheeler, sehr sehr alt...“
„Jetzt
erwähnt er einen Lotus Eleven“, flüsterte Rebekka. „Lass mal raten: Auto?“
„Genau!“,
sagte Andromeda lakonisch.
„Seven of Nine? Auch Auto?““
„Das
Auto kenne ich nicht“, meinte Andromeda nach einer Weile nachdenklich, und sie
zerbrach sich sichtlich ihr Köpfchen darüber, um was es sich wohl handeln
könnte. Vielleicht waren nur neun Stück von diesem Auto hergestellt worden und
das war eben das siebte Exemplar. Seven
of Nine... Ja, das könnte es sein.
„Max
sagt, dass diese stählernen Formen ja so was von geil wären, und Daniel macht
so eine Geste, als ob dieses Auto eine Frau wäre...“
Andromeda stutzte. „Verdammt! Jetzt weiß ich’s! Die reden doch
tatsächlich über Seven of Nine, diese Borg vom Raumschiff Voyager, die
Schweine! Was sagen sie noch über die?“ Sie machte eine zornige Handbewegung
und versuchte sich doch noch neben Rebekka zu quetschen, aber das klappte
nicht, weil die das gemeinerweise verhinderte.
„Daniel
sagt, dass Seven of Nine so wunderbar abweisend und unnahbar aussieht und dass
ihr sogar diese strenge Frisur steht und diese üppigen Lippen, die er
normalerweise nicht so mag, stehen ihr wirklich gut zu Gesichte“, flüsterte
Rebekka, die allmählich auch etwas sauer wurde.
„Und
Max? Was sagt Max?“
„Er
sagt, Seven hätte eine Figur wie eine Barbiepuppe aus Stahl und dass ihn das
ziemlich anmacht, dass sie so streng ist.“
„Das
glaube ich nicht!“, sagte Andromeda empört.
„Und
jetzt sagt er, dass Seven of Nine niemals jemanden heimlich belauschen würde
wie gewisse böse Mädchen hier...“ Rebekka verstummte entgeistert, als sie es
kapierte. „Ach du lieber Himmel, sie wissen es. Die Schweine!“
Zwei
Anstandsminuten später öffnete Max die Schiebetür und lächelte die drei Mädels
an, die ganz sittsam an einem Tisch saßen und aussahen, als könnten sie kein
Wässerchen trüben. Er holte sein Bier von der Theke und setzte sich neben
Andromeda.
Morgaine
sprang auf und lief munter in die Wirtsstube, sie nahm Daniel bei der Hand und
führte ihn auch in den Gesellschaftsraum. Daniel ließ sich neben Rebekka
nieder, und Morgaine hüpfte auf seine Knie. Sie grinste ihn an. Und Daniel
grinste sie an – und zum ersten Mal kam es Rebekka so vor, als ob die beiden
sich ähnlich sähen. Reine Einbildung natürlich.
„Woher
hast du das eigentlich gewusst, das mit den Mädels?“ Max schaute Daniel
neugierig an.
„Ach weißt
du, Morgaine hat so einiges drauf, damit könnten wir im Fernsehen auftreten“,
sagte Daniel leichthin, er konnte es Max natürlich nicht genau erklären, sonst
wäre der Gute wahrscheinlich in Panik verfallen. Jemand der in seinem Kopf
lesen konnte...
„Ich
muss noch mal mit Marian reden.“ Max hakte Gott sei Dank nicht nach. Er stand
auf, ging wieder zur Theke und redete so leise mit der Maid, dass sogar die
neugierige Andromeda mit ihren guten Ohren nicht hören konnte, was er sagte.
Die Wirtin verließ kurz darauf die Wirtsstube, kam aber nach ein paar Minuten
wieder zurück und gab Max einen Zettel, den er in seine Hosentasche steckte.
Daraufhin schien er sich freundlich bei der Maid zu bedanken, wobei diese
aussah, als wolle sie ihn auf der Stelle vernaschen. Andromeda schaute
finsteren Blickes zu.
Schließlich
kam Max wieder in den Gesellschaftsraum zurück, er schloss die Schiebetür,
setzte sich neben Andromeda und legte einen Arm um ihre Schultern.
Sofort verflüchtigte sich
der Ärger in Andromedas Gesicht, und sie schaute ihn an, sie schaute ihn so
liebevoll an, dass Rebekka sofort neidisch wurde. Wann hatte jemand sie so
liebevoll angeschaut? War schon länger her, und so richtig glücklich war sie
dabei eigentlich nicht gewesen. War sie jemals richtig glücklich gewesen?
Natürlich wusste sie, dass Glück kein permanenter Zustand war, sondern ganz
selten auftrat. Und bei ihr selber war dieser seltene Zustand noch nie
aufgetreten, zumindest nicht im Zusammenhang mit einem Mann. Außer vielleicht
in einer bestimmten Nacht, aber das zählte nicht.
Oh Gott, sie beneidete
dieses Paar, das ihr gegenüber saß. Wann hatte sie jemals so empfunden, bei ihr
war ja nie etwas normal gewesen. Das mit Benny, dem Vater von Morgaine... Sie
stöhnte auf. Und auch das mit Daniel, falsch und unrecht war es gewesen, nicht
nur von ihm, sondern auch von ihr! Oh Gott! Auch als sie an Heirat dachte, war
nichts normal gewesen. Es gab keine Verliebtheit, keine Ekstase, es gab nur
lauwarme Gefühle.
Die
bedingungslose Liebe in Andys und Max’ Augen traf Rebekka wie ein Schlag, und
sie konnte nicht anders, als die beiden anzustarren. Andy ergriff Max’ Hand,
die auf ihrer Schulter lag und legte sie an ihre Wange. Max lächelte hilflos
zärtlich und versuchte seine Hand zurückzuziehen, aber Andy ließ es nicht zu.
Dann fing sie an, seine Fingerspitzen zu küssen, und Max wurde doch tatsächlich
ein wenig rot. Ein Mann von über dreißig wurde ein wenig rot. Unglaublich!
Rebekka
hätte wirklich heulen können. Sie spürte Daniels Körper neben sich und hatte auf
einmal das Bedürfnis, seine Hand zu küssen. Das war unzweifelhaft auch nicht
ganz normal.
„Also,
am Wochenende ist der Ball“, sagte sie schließlich, um ihre Verlegenheit zu
verbergen
„Ach ja,
der Ball“, erinnerte sich Daniel.
„Zirza
will unbedingt zum Ball wieder da sein“, plauderte Rebekka weiter. Zirza war
immer unglaublich nett zu ihr und beriet sie in Mode- und Frisursachen, etwas
wozu Rebekka bis jetzt weder Zeit, noch Sinn, geschweige denn das Geld gehabt
hatte. Claudia war anscheinend nicht so begeistert über ihre Freundschaft mit
Zirza, aber sie sagte nichts dazu. Egal, diese Freundschaft würde eh nicht von
Dauer sein, es lagen ja Welten zwischen Zirza und ihr...
„Na
toll“, meinte Daniel ein wenig spöttisch.
„Ich
freue mich jedenfalls auf den Ball“, meinte Rebekka trotzig. Sie hatte sich
nämlich ein Kleid für den Ball gekauft. In einem Billigladen in Brunswick. Es
handelte sich um ein irgendwie chinesisches Kleid aus weißer glänzender
Baumwolle mit zarten schwarzen Ornamenten, vorne ganz keusch, aber hinten mit
einem supertiefen Ausschnitt – und an der rechten Seite war es so hoch
geschlitzt, dass man ihr Bein bis fast zur Taille sehen konnte. Rebekka hatte
vage im Sinn, dass sie Daniel mit diesem Kleid beeindrucken wollte. Er war
recht kühl gewesen in letzter Zeit, und sie fühlte sich ein wenig übersehen.
Andererseits war sie eben nicht schön genug, und es gab ja genug Frauen, die
hinter ihm her waren. Seltsamerweise tat es weh, dass er offenkundig nicht mehr
an ihr interessiert war. Es tat ganz besonders weh, wenn sie sich das Paar
gegenüber anschaute, dieses Paar, das kaum die Hände voneinander lassen konnte,
dieses Paar, dass trotz des Altersunterschiedes so großartig zusammenpasste.
Vielleicht weil es sich lieb hatte? Gab es einen Unterschied zwischen lieben
und lieb haben? Hatte sie jemals jemanden richtig lieb gehabt? Außer Morgaine
natürlich... „Sag’ mal Max, wie läuft der Ball denn so ab?“, hörte sie Daniel
fragen. Klar doch, als Eingeborener von Kamponesien wusste Max am besten über
diesen Ball Bescheid.
„Der Ball? Er ist ganz nett. Nichts
weltbewegendes natürlich“, sagte Max geistesabwesend. „Er verkörpert das Ende
der Saison, die Gäste reisen ab. Der Sommer ist vorbei... “
„Und was
trägt man so at the end of the season?”
„Ein
dunkles Jackett reicht, es gibt keinen Kostümzwang“, Max lächelte, während
Andromeda immer noch seine Hand liebkoste. Sie wusste, dass Max sich in
Abendgarderobe nicht besonders wohl fühlte, obwohl er darin eine lässige
Eleganz besaß, die ihm vielleicht sein italienisch-stämmiger Vater vererbt
hatte.
„Warum
kann ich nicht einfach hier bleiben?“, brach es aus Rebekka hervor. Sie wollte
so gerne hier bleiben, aber es ging nicht, sie musste in die Stadt zurück, sie
musste arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie musste, sie
musste... Es war schrecklich, immer nur zu müssen. Sie merkte, dass Daniel sie
verwundert anschaute und riss sich zusammen.
„Weiß
jemand, was es zu essen gibt?“ Sie fragte sich insgeheim, was da über sie
gekommen war.
„Tante
Bernadette hat irgendwas von Grillen erzählt“, sagte Max zerstreut.
Grillen?
Das gefiel Rebekka. Es würde viele Salate geben, leckeres Brot, leckere Soßen,
Kräuterbutter, eingelegte Champignons und Tomaten, Pfefferschoten gefüllt mit
Frischkäse, würzigen Quark mit Kräutern aus dem Gutsgarten und noch viele
Sachen mehr. Fleisch? Ja, Fleisch würde es auch geben, gegrillt auf dem
Riesenflammenrost in einer Ecke des Parks, aber nach dem Genuss der anderen
guten Sachen hatte Rebekka erfahrungsgemäß überhaupt keinen Hunger mehr auf
Fleisch.
„Du
hängst ja mehr mit den Tanten rum als mit mir...“ Andys Stimme klang
vorwurfsvoll, während sie wieder Max’ Hand an ihre Lippen führte.
„Meinst
du?“ Max beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie zärtlich auf die Wange,
woraufhin Andy ihn nur noch wortlos anhimmelte.
Und wieder überkam
Rebekka ein furchtbares Gefühl des Mangels. Des Mangels an Liebe, an Liebhaben,
an Zärtlichkeit, an Vertrauen, an Nähe. Sie hätte heulen können, egal worüber.
Als sie eine
Stunde später die Kneipe verließen, hielt Max Andys Hand, er schien das Licht
der Öffentlichkeit nicht mehr zu scheuen. Zumindest nicht in Bezug auf seine
Beziehung zu Andy, auch wenn sie im Dorf darüber tuscheln würden.
Daniel
und Rebekka schlenderten hinter dem Paar her, sie hatten Morgaine in die Mitte
genommen, und die vergnügte sich damit, hoch in die Luft zu springen, Daniel
und Rebekka unterstützten ihre Sprünge und ließen sie immer ein paar Meter in
der Luft schweben, bis Morgaine vor Vergnügen kreischte. Es war ein guter
Moment, wie Rebekka fand.
Doch
dann auf einmal änderte sich urplötzlich die Stimmung des Paares vor ihnen,
Andy riss sich nämlich abrupt von Max los und starrte ihn an. „Du willst
wegfahren!“
„Es geht
nicht anders, Andy“, Max versuchte, sie zu beschwichtigen und wollte sie in den
Arm nehmen „Ich bin auch ganz bestimmt zum Ball wieder zurück.“
„Wenn du
nicht pünktlich zum Ball wieder da bist, dann kannst du mich vergessen!“ Andy
trat zornig einen Schritt zurück. „Und warum musst du ausgerechnet jetzt
wegfahren?“
„Es geht
wirklich nicht anders.“ Max’ Stimme klang ausweichend und zögernd, und Andy,
zutiefst verunsichert – denn warum wollte er jetzt weg und vor allem, wohin
wollte er jetzt weg – riss sich heftig und endgültig von ihm los und rannte
alleine zum Herrenhaus zurück.
Max sah
ihr mit einem verzweifelten Blick hinterher und murmelte einen Fluch in sich
hinein, der sich natürlich nicht auf Andromeda bezog, sondern auf das, was er
vorhatte zu tun.
Er lief
ihr nicht hinterher, obwohl alles in ihm danach verlangte.
Andy
ließ das Abendessen ausfallen. Der Appetit war ihr vergangen, und sie wollte
Max an diesem Abend nicht mehr sehen.
Als sie
am nächsten Morgen reuevoll und von Sehnsucht getrieben im Verwalterhaus
Einlass begehrte, musste sie feststellen, dass er schon weg war.