KAPITEL VI – Teil 1 HEUTE –
und DAMALS...
Der Bürgermeister von
Kampodia hockte massiv selbstsicher hinter seinem riesigen Schreibtisch, er wirkte
bedrohlich, und der Eindruck täuschte nicht. Dieser Herr war überaus geldgierig
und dementsprechend bestechlich, wie Archibald von Kampe wusste. Archie hatte
sich schnell von Daniel überzeugen lassen, dass diese Hochzeit das Beste für
Morgaine wäre. Archie war nämlich immer noch entsetzt über die Tatsache, dass
die kleine Morgy auf seinem Gut entführt worden war. Und natürlich hatte er
sich an damals erinnert, an Andys schreckliches Verschwinden.
Was brauchte man für
eine Eheschließung? Eine Geburtsurkunde. Gut, das war ein Knackpunkt, aber eine
Kopie würde reichen. Ferner brauchte man ein polizeiliches Führungszeugnis. Das
sollte der Bürgermeister beschaffen, er hatte den Draht dazu. Was noch? Das
Aufgebot, das vier Wochen vor der Hochzeit ausgehängt wurde. Wen juckte das?
Auch das konnte man umgehen...
Was der Herr des
Gutes dem Bürgermeister für seine nicht unbeträchtliche Mithilfe versprach, ist
nicht bekannt, Vielleicht hatte es mit wundergeilen Nutten und einem Stück Land
zu tun, das Archie gehörte und das der Bürgermeister lange schon als Bauland
ins Auge gefasst hatte. Aber das ist reine Spekulation.
Und so kam es, dass Daniel und Rebekka sich schon am nächsten Morgen wiederfanden im Büro des Bürgermeisters von Kampodia, der gleichzeitig auch der einzige Standesbeamte von Kampodia war.
Ihre Trauzeugen waren
Claudia Mansell und Archibald von Kampe. Beide Trauzeugen saßen neben ihnen.
Und hinter ihnen saß das Kind der Braut, ein wunderschönes kleines blondes
Mädchen mit leicht lockigem Haar und hellbraunen Augen.
Rebekka, die Braut
und Mutter des kleinen Mädchens trug eine schwarze Hose, ein schwarzes Shirt
und darüber eine naturfarbene Leinenjacke. Das war das Beste, was sie an Kleidung
nach Kampodia mitgebracht hatte. Aber wer hätte auch ahnen können, dass und
überhaupt... Außerdem hatte sie ihr Haar von Claudia zu einem so genannten
Bauernzopf flechten lassen, und sie sah sehr gut damit aus, wie sie fand.
Daniel, der Bräutigam
trug Jeans, dazu ein weißes T-Shirt und darüber eine schwarze locker sitzende
Jacke, die elegant aussah und ihm ungemein gut stand, wie Rebekka nach einem
unauffälligen Blick auf ihn festgestellt hatte.
Die Zeremonie lief ab
wie geschmiert. „Sie, Rebekka Steiner und Sie, Daniel Burkhardt sind hier auf
diesem Standesamt erschienen, um den Bund der Ehe einzugehen.“
Rebekka nickte
zögernd, Daniel sagte schlicht und einfach: „Ja.“
„Das Gesetz erlaubt
neuerdings kombinierte Nachnamen. Der Mann kann zum Beispiel den Namen der Frau
annehmen, oder die Frau kann zum Beispiel einen Doppelnamen tragen.“
Rebekka hatte sich
noch keine großen Gedanken darüber gemacht, welchen Namen sie ab heute tragen
würde. Eigentlich war es ihr egal, denn der Name ‚Steiner’ hatte ihr bisher nur
Übles gebracht, also hieß sie ab jetzt Burkhardt. Aber irgendwie fühlte sie
sich verloren, jetzt hatte sie gar keine eigene Identität mehr. Jetzt war sie
nur noch Frau Rebekka Burkhardt. Aber in den USA wäre es noch schlimmer, da
würde sie nämlich Missis Daniel Burkhardt heißen...
„Ich muss Sie davon
in Kenntnis setzen, dass das Kind Morgaine“, der Bürgermeister sprach den Namen
Morgaine wie Morga-ine aus, „den neuen Namen der Mutter annehmen kann. Es kann
aber auch den alten Namen der Mutter behalten, oder es kann den Namen des
Vaters annehmen.“
Sie spürte, dass
Daniel sie leicht anschubste und sie kurz ansah. Sie schubste Daniel dezent
zurück, sah ihn dabei aber nicht an, sondern betrachtete wieder den feisten
Bürgermeister. Feister Bürgermeister, das war zum Piepen. Und das mit den Namen
auch. Natürlich musste Morgaine das entscheiden.
„Versprechen Sie,
Rebekka, diesen Mann zu lieben, ihn zu achten und ihn zu ehren, bis dass der
Tod Euch scheidet?“
Wollte sie das?
Rebekka biss sich auf die Lippen. „Ja, ich will!“, sagte sie schließlich leise
und zögernd, denn so gehörte es sich wohl. Obwohl das mit dem leise und zögernd
vielleicht nicht...
„Versprechen Sie,
Daniel, diese Frau zu lieben, sie zu achten und sie zu ehren, bis dass der Tod
Euch scheidet?“
„Ja, das will ich!“,
sagte Daniel ohne zu zögern.
Und was war mit
Treue? War die mittlerweile nicht mehr wichtig? Das missfiel ihr sehr. Aber
vielleicht hatte der Bürgermeister, der sehr triebhaft aussah, die Formel
einfach abgewandelt...
„Dann erkläre ich
Euch hiermit zu Mann und Frau. Geben Sie, Daniel, nun der Braut den Ring, der
Euer Ehegelübde bestätigen soll.“
Oh je, Rebekka
schaute Daniel schnell von der Seite her an. Ohne Ringe würde es nicht gehen,
und er hatte bestimmt nicht an Ringe gedacht. Alles andere war manipulierbar,
die Geburtsurkunde, das Aufgebot, das polizeiliche Führungszeugnis, aber die
Ringe nicht...
Daniel griff in seine
Jackentasche und förderte ein Kästchen zu Tage. Rebekka sah ihm mit großen
Augen fasziniert zu. Er öffnete das Kästchen, und da lagen sie. Sie hatten
nicht die übliche gelbe Goldfarbe, sondern schimmerten etwas rötlich, und sie
waren schön.
Er steckte ihr den
kleineren Ring an den Finger, und er passte wie angegossen. Dann gab er ihr den
größeren, und sie verstand. Den musste sie ihm an den Finger stecken. Sie tat
es, und ihre Hände zitterten dabei etwas.
„Und küssen dürfen
sie die Braut nun auch“, sagte der feiste Bürgermeister mit einem leicht
lüsternen Grinsen.
Daniel küsste sie auf
den Mund, nicht so richtig, wie Rebekka fand. Aber da es sich ja nur um eine
Vernunftehe handelte...
Und das war’s dann
schon.
Claudia hatte einen
Fotoapparat in der Hand und knipste mit Blitzlicht. Rebekka war ein wenig
geblendet und hielt ihre Hand beschützend vor die Augen. Daniel machte das
Licht anscheinend nichts aus.
Als sie
hinausgingen aus dem Gemeindesaal, blickten sie sich nicht an. Rebekka fühlte
sich verlegen und sie hätte gerne gewusst, wie er sich wohl fühlte. Sie
schritten schweigsam nebeneinander her. Es war ein wundervoller Tag mit einem
herrlichen tiefblauen Himmel, an dem nur ein paar winzige Wölkchen zu sehen
waren.
Morgaine
hüpfte um sie herum wie ein kleiner Hütehund, der seine Schäflein bewacht. Sie
freute sich wohl sehr über diese Hochzeit.
Rebekka schaute
zurück auf das alte Fachwerkhaus, in dem sie gerade getraut worden war. Hatte
Trauung was mit Trauen zu tun? Hinter sich sah sie Archie und Claudia, und
beide waren festlicher gekleidet als Daniel und sie. Sie tuschelten
miteinander, und Claudia schaute sie so seltsam an, aber die ganze Situation
war ja auch seltsam.
Verheiratet!
Wie konnte das geschehen? Gibt es einen Ablauf der Dinge, der sich nicht
beeinflussen lässt? Womit hat dieser Ablauf angefangen? Vor fast fünf Jahren,
als Sabine ihr erzählte, dass sie Daniel am Sonntag im Café Klonk getroffen
hatte? Ohne Marissa. Die geizige Kuh war von einer Tante nach Mallorca
eingeladen worden. Und er hatte Sabine nach ihr, Rebekka, ausgefragt...
>>>
Seitdem ist Rebekka, welche seit einer Woche übel von einer Darmgrippe geplagt
wird, besessen von der Vorstellung, am nächsten Sonntag ins Café
Klonk zu gehen. Vielleicht er ja da, vielleicht findet er sie ja anziehend.
Wahrscheinlich wird er gar nicht kommen...
Die Darmgrippe ist am Sonntag vorbei, und sie fährt um zehn
Uhr abends mit dem Fahrrad ins Klonk. Eine halbe Stunde später erscheint Daniel
mit seinem Freund Lukas. Sie geht an die Theke, wo die beiden sitzen. Sie
unterhält sich blendend mit ihnen, und Daniel schaut sie immer wieder so
seltsam an. Sie sprechen über französische Katzen, und ob die Franzosen ihre
Katzen siezen, und überhaupt über blödes Zeug. Das kommt von dem Sambucca, den
Daniel reichlich ausgibt. Will er sie besoffen machen? Okay, kann er haben...
Später schlägt sie den beiden vor, zu ihr zu gehen. Daniel
muss aber seinen Hund versorgen, er ist den ganzen Abend allein zu Hause
gewesen. Also zu Daniel. Sie nehmen den schwer angeschlagenen Lukas in die
Mitte. Er ist so betrunken, dass er kaum noch laufen kann. Daniel ergreift
hinter Lukas’ Rücken ihre Hand – zärtlich, wie sie meint – und sie schleifen
den Lukas gemeinsam zu Daniels Wohnung, die gleichzeitig auch Marissas Wohnung
ist. Aber Marissa ist ja nicht da...
Sie
setzen den Lukas auf das Sofa, und Rebekka muss lachen, denn zu ihrer Belustigung
ist es das gleiche Sofa, auf dem Daniel und Marissa vor fast einem Jahr so
einträchtig zusammensaßen und über selbstgebackenes Brot faselten.
Sie
selber setzt sich auf den Boden zu Daniels Füßen und streichelt den Hund,
obwohl sie viel lieber Daniel gestreichelt hätte. Bis sie spürt, Daniel
streichelt die Hand, mit der sie den Hund streichelt. Der Hund ist groß, aber
sie hat keine Angst vor ihm.
Daniel
lacht. Er legt eine CD auf, die er gerade gekauft hat – es handelt sich um
einen Sampler aus den 80ern mit verschiedenen Gruppen, zum Beispiel den Talking
Heads, oder Jimmy Somerville, Alison Moyet und und und... Rebekka ist
begeistert und gerührt, es handelt sich um die Musik ihrer Jugend.
Daniel
streichelt nun ihr Knie, und sie streichelt sein Knie. Der gute Lukas ist so
besoffen, dass er überhaupt nichts davon mitkriegt – das hofft sie jedenfalls.
Daniel lächelt hilflos. Was denkt er sich wohl? Da sitzt
sein bester Freund, gleichzeitig auch der beste Freund seiner Freundin Das ist
zu köstlich. Aber im Moment ist es Daniel wohl schnurzegal, was Lukas über ihn denkt – der Verstand setzt aus, das ist
es. Wieso kommt sie darauf? Stimmt, sie hatten einmal darüber gesprochen, als
sie sich bei ihm über Michaels Untreue beklagte. Aber wer ist Michael? Eine
Randfigur ihres Lebens und total unwichtig.
Denn sie und Daniel sind sich einig.
„Küss mich, Rebekka!“ kräht Lukas und richtet sich zum Schlafen auf dem Sofa ein.
Sie küsst ihn sanft auf die Stirn und breitet eine Wolldecke über ihn.
Kurz darauf gehen Daniel und sie Hand in Hand ins
Schlafzimmer.
Vor über einem Jahr war sie schon einmal in diesem
Schlafzimmer, damals fand sie es gar nicht lustig. Aber heute ist alles anders.
Sie knöpft langsam sein Hemd auf, während er sie
anstarrt. Und dann fängt er selber an, ihre Bluse zu öffnen, er schiebt seine
Hand in ihren BH, hebt ihre Brüste hoch und küsst sie. Jetzt starrt sie ihn an
und stöhnt leise auf. Sie drängt ihren Mund an seinen Oberkörper und saugt sich
mit ihren Lippen dort fest, während sie gleichzeitig versucht, ihre Hose
auszuziehen. Auch er hat es sehr eilig, seine Hose auszuziehen, aber beide
halten trotzdem Körperkontakt bei ihren Bemühungen, ihre Kleider loszuwerden,
und es geht, es geht, obwohl es eigentlich unmöglich ist.
Eine Liebesnacht beginnt, die voller Zärtlichkeit ist.
Rebekka denkt verschwommen, das ist, weil es nur einmal und nie wieder ist,
aber dann hört sie auf zu denken. Sie spürt seine Hände auf ihrem Körper, auf
ihren Brüsten, auf ihrem Bauch, sie dringen überall ein und sie genießt es
stöhnend. Seine Lippen folgen seinen Händen. Und sie stöhnt es noch mehr. Sie
glaubt es nicht ertragen zu können, aber er will nicht in sie eindringen, nicht
sofort, bis sie anfängt zu wimmern, ihn mit ihren Beinen umfängt und er nicht
mehr anders kann. danach liegen sie eine Weile stöhnend da, er noch auf ihr,
noch in ihr – und sein Mund hat ihren Mund geöffnet.. Sie können nicht nah
genug beieinander sein, es ist, als hätten sie ihr Leben lang darauf gewartet,
es hier in diesen Ehebetten zu treiben.
In den Pausen, die sie im Liebesspiel machen, unterhalten
sie sich. Über nichts Wichtiges, sie unterhalten sich über ihre Körperteile und
Daniel sagt, dass sie eine überaus süße, na ja, er spinnt...
Sie treiben es erst in dem einen Bett und danach in dem
anderen, ab und zu auch am Kleiderschrank, und sie lassen nichts aus, flüstern
sich Schweinereien zu. Und immer noch hören sie den Sampler der 80er Jahre aus
dem Nebenraum, Billy Idol mit seinem Flesh for Fantasy... Manchmal singt Rebekka mit, aber
sie singt es anders als Billy, nämlich: Face to face and fact to fact, you see
and feel my sex-attack… Und Daniel lacht dann und bringt sie zum
Singen, seltsam, vorher hat sie noch nie gesungen beim Akt. Es war immer
krampfhaft gewesen, nie richtig erfüllt – und vor allem immer schnell vorbei.
Aber am schönsten ist das Stück von Jimmy Somerville: It ain't necessarily so. Dieses Klavier, dieser Chor am Ende, dieses
kühle Saxophon, so wahnsinnig gut geblasen. So sanft geblasen... Und wie es
sich dann in die Höhe schwingt. Oh Gott! Oh Daniel! Später singt Rebekka: Is necessarily so… Is
necessarily so…
Als es draußen heller wird, werden sie ruhiger. Trotzdem
küssen sie sich immer noch, ihre Zungen versuchen, sich zu vereinen, und sie
halten sich fest. Rebekka hat ihren Kopf an Daniel Brust gelegt, und er
streichelt ihr gedankenverloren übers Haar. Dann wendet sie sich tiefer, und
Daniel fängt an, lauter zu atmen, trotzdem streichelt er immer noch ihr Haar,
obwohl es nun tiefer ist...
Als es nicht nur draußen, sondern auch im Zimmer heller
wird, kommt Rebekka allmählich zur Besinnung. Was ist los mit ihm? Tut er das
mit jeder? Und was ist los mit ihr? Sie hat nie so empfunden, körperlich
befriedigt, trotzdem noch hungrig – und gleichzeitig seelisch nicht angekotzt.
Aber es ist vorbei. Hat sie etwa ein schlechtes Gewissen? Ja, doch, ein wenig.
Marissa war eine Freundin irgendwie, hat zwar nicht lange gehalten, aber
trotzdem. Solidarität unter Frauen? Kommt drauf an, wie sie sind. Aber Marissa
hat Daniel nicht verdient, die geizige Kuh, und sie hat ihn ja auch allein
gelassen. Trotzdem ist es unrecht. Und von Daniel erst recht unrecht! SIE ist
schließlich nicht gebunden, aber er wohnt mit Marissa zusammen, und trotzdem
betrügt er sie. Die Männer sind alle Schweine, sie hat’s doch gewusst!
Andererseits, wie kann man so einen Mann so oft alleine lassen, so einen
Supertypen? Nur um sich den Hintern und die Titten an irgendeinem Strand
umsonst bräunen zu lassen. Was will diese Frau eigentlich? Ach was, es soll ihr
egal sein. aber wieso fühlt sie sich wie eine Ehebrecherin?
„Du bist so süß“, sagt Daniel, während er sich anzieht.
Er muss zur Arbeit. Er hat das Eye-Q zwar noch, aber er arbeitet nebenbei noch
woanders. Wahrscheinlich auf Marissa Wunsch...
„Bin ich das?“ Rebekka schaut ihn ungläubig an.
Wieder kommt er zu ihr hin, umarmt sie und küsst sie. Sie
wehrt ihn nicht ab, sie schlingt ihre Arme um ihn und küsst ihn ein letztes
Mal. Ihre Zungen dringen tief in den Mund des anderen ein, und sie bleiben
dort, still und innig... Bis Rebekka sich losreißt. „Ich wird’ jetzt mein
Fahrrad abholen.“
„Ich fahre dich hin!“
„Wozu?“, sie schüttelt den Kopf, doch er wischt ihre
Einwände mit einer kurzen Handbewegung beiseite.
Lukas liegt immer noch schlafend auf dem Sofa, und der große
Hund schlummert neben ihm. Draußen regnet es sanft. Rebekka liebt den sanften
Regen. Er wird sie immer an diese Nacht erinnern. Daniel drängt sie zu seinem
Auto, es ist so eine Art Pick-Up mit einer Ladefläche hinten drauf, er hält ihr
die Tür auf, und sie steigt ein.
Rebekka sieht nach rechts aus dem Fenster, um ihn nicht
anschauen zu müssen.
„Soll ich sie rausschmeißen?“
„Was, wie? Was meinst du?“
„Na, Marissa natürlich.“
„Du Idiot! Was soll das? Bist du total übergeschnappt?“ Männer
sind wirklich irre. Kaum schlafen sie mit einer anderen Frau, denken sie, sie
müssten die alte wegwerfen. Das ist nicht nett, nicht nett...
Er sagt nichts mehr, sondern schaut nur irgendwie
traurig. Und er tut ihr tatsächlich leid.
Mittlerweile sind sie beim Café Klonk angelangt, sie
steigt schnell aus, schließt das Fahrradschloss auf, will sich schon auf ihr
Rad schwingen, aber er nimmt es einfach und legt es auf die Ladefläche des
Autos.
„Das ist wirklich nicht nötig“, sagt sie gereizt. Warum
zögert er den Abschied hinaus, warum lässt er sie nicht allein? Dann könnte sie
von ihm träumen. Nicht sehr lange natürlich. Sie ist eine realistische Person
und weiß, dass es nichts bringt, ihm hinterher zu träumen. Und außerdem mag sie
den Regen, diesen sanften weichen Regen.
„Ich möchte es aber“, sagt er. Nun gut, wenn er unbedingt
darauf besteht. Sie steigt wieder ein, denn ihr Fahrrad ist ja schon okkupiert.
Das Schweigen zwischen ihnen wird langsam richtig
unangenehm, und sie ist froh, als sie endlich vor ihrem Haus ankommen. Er lädt
ihr Fahrrad ab und setzt sich wieder ans Steuer.
„Mach’s gut Daniel“, sie spürt das fast unwiderstehliche
Verlangen, ihn zu küssen, aber er schaut sie nicht an, sondern starrt vor sich
hin. Also greift sie sich das Fahrrad und trägt es ohne zurückzublicken in den
Keller des Hauses.
Kaum ist sie oben in ihrer Wohnung, da fühlt sie sich
seltsam einsam, aber sie will nicht leiden. Es regnet gerade so sanft, sie ist
so müde, so befriedigt, so erschöpft... Und die Männer sind Schweine. Obwohl,
ein bisschen netter hätte sie zu ihm sein können. Aber wozu? Er ist quasi
verheiratet, seine quasi Frau kommt bald zurück. Aber es tut weh, und das will
sie nicht. Außerdem ist diese Nacht sowieso aus dem Ruder gelaufen, sie hat
sich tatsächlich fallen lassen, ganz tief fallen lassen. Bisher hat sie immer
alles unter Kontrolle gehabt, die Lust, die meistens schal und nicht der Rede
wert war und die Liebe sowieso, die war nie vorhanden. Aber jetzt ist es
anders, was als Rache an Marissa und Daniel gedacht war, die Verhöhnung der
beiden als Liebespaar, das hat sich gegen sie gekehrt und lässt sie nun selber
leiden.
Ein paar Tage später lernt sie durch Zufall jemanden kennen. Er hat
fast die gleichen Haare wie Daniel und ähnliche Augen, er bleibt über Nacht da,
und er ist fürchterlich scharf auf sie. Fast so wie... Aber der ist untreu und
wankelmütig, und jetzt hat sie jemanden, der treu und beständig ist. Wenn er
nur nicht so viel quatschen würde!
Zwei
Monate später muss sie morgens öfter kotzen. Wieso? Kommt es vom Saufen? Oder
weil er neben ihr im Bett liegt? Nein, es ist etwas anderes, etwas
Biologisches. Aber er als Vater? NIEMALS!
Sie
wirft ihn aus ihrem Leben hinaus. Sie zieht in eine andere Wohnung mit einer
anderen geheimen Telefonnummer. Und sie hat noch nicht einmal ein schlechtes
Gewissen deswegen <<<
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KAPITEL VI – Teil 2 BLICK in die ZUKUNFT
Ihre Träume sind ihr
mittlerweile vertraut, und sie weiß auch, dass sie anders ist als andere Kinder,
aber nicht viel anders. Sie kann abschalten, wenn es ihr zu unheimlich wird,
und dann ist sie ein ganz normales Kind.
Ihre Träume befassen sich eigentlich nur mit denen, die ihr am nächsten stehen,
sich selber sieht sie zwar auch, aber selten. Instinktiv fühlt Morgaine, dass
es nicht gut ist, sich selber oft zu sehen, das hat die tote Morgan auch
gesagt. Die konnte auch Sachen träumen und kann es immer noch. Sie kennt die
tote Morgan schon länger, sie hat ihr immer geholfen, sie ist nett.
Mammi hat oft an
Daniel gedacht, das war schön, denn sonst hätte sie ihn nie gefunden, und als
sie ihn erst mal gefunden hat, da konnte sie seine Gedanken sehen, obwohl sie
gar nicht wusste, wo er war. Sie wusste nur, dass er Mammi mochte und sich nach
ihr sehnte. Und sie wünschte sich ihn als Vater. Was ist ein Vater? Jemanden,
dem man vertrauen kann? Daniel, er war es, das wusste sie, und manchmal ließ
sie ihn teilhaben an ihren Träumen, vor allem an ihrem liebsten Traum. An dem
Traum mit dem Bild auf dem Kamin, Mammi und er sind verheiratet, ihr Bruder
David ist auch da, und sie selber spielt Klavier, wird sie eine Künstlerin
werden? Wenn ja, dann hat sie das von Papa geerbt, der spielt so gut Gitarre,
aber es ist nicht die Gitarre, die sie spielen möchte, sondern ein Klavier.
Aber gerade dieser
Traum ist in den letzten Tagen undeutlich geworden, er zittert, er zerfließt,
Morgaine fürchtet sich, fürchtet, dass etwas schief geht.
Außerdem geht ihr
Alfonso nicht aus dem Kopf. Seitdem sie ihn tot auf der Straße gesehen hat,
versucht sie zu träumen. Sie muss einen anderen Weg finden, denn Fonso darf
nicht sterben. Zirza hat damit zu tun, diese undurchschaubare seltsame Frau mit
dem Schwarz im Kopf. Aber wie kann sie es verhindern? Sie versucht, den
richtigen Weg zu finden, aber das ist schwer, denn die Bilder sind total
durcheinander, manche sind von früher, sie wusste damals nicht, was sie damit
anfangen sollte, manche sind klar wie eine Sendung im Fernsehen, manche sind
total undeutlich, man kann kaum was darin erkennen. Wie soll man da den
richtigen Weg finden. Morgan hat ihr zwar gezeigt, wie das geht, aber sie ist
noch so klein und weiß nicht viel. Aber sie muss träumen, also zwingt sie sich
dazu.
Es scheint, als ob
ein bestimmter Traum immer der Anfang ist.
~*~*~*~ Papa beugt sich über ihr Bett und küsst sie zart auf die Stirn.
„Schläft sie?“ Mammi
ist kurz nach ihm ins Zimmer gekommen.
„Warum bist du
hier?“ Papa schaut sie fragend an. „Ist es unten nicht amüsant genug für dich?“
„Nicht wirklich“,
sagt Mammi leise, während Papas Blick sich auf ihr Halsband richtet, vor allem
auf den großen grünen Stein darin.
„Daniel?“
„Was ist denn?“
Seine Stimme klingt unwirsch.
„Wirst du heute mit
mir tanzen?“
„Ich kann nicht
besonders gut tanzen. Du solltest dich an Archie halten. Oder an Dennis. Die
sind bestimmt alle besser in Übung.“ Papa starrt immer noch fasziniert auf den
großen grünen Stein in der Mitte ihres Halsbandes.
Mammi schweigt und
scheint auf etwas zu warten.
„Ein schönes
Halsband ist das“, sagt Papa schließlich verdrossen.
„Ach, es ist nichts
Besonderes...“ Mammi sieht ihn zärtlich an, aber er nimmt sie nicht in die
Arme, und nach einer Weile geht Mammi wieder aus der Wohnung, während Papa
sauer aussieht. ~*~*~*~
Was ist das für ein
Halsband, was ist das für ein Stein? Und wieso ist Papa so sauer deswegen. Und
wieso merkt Mammi nicht, dass er so sauer deswegen ist?
Morgaine träumt
weiter, muss weiterträumen, sie träumt konfuses Zeug, es hat mit einem Bild von
Mammi zu tun, es ist dunkel, sie liegt mitten auf einem zugefrorenen See, sie
hat Schlittschuhe an, sie liegt da, und der Mond scheint über ihr. Sie darf
nicht sterben! Das Bild ist undeutlicher als die anderen, das kann bedeuten,
dass es am Ende ist, Morgan hat gesagt, die künftigen Dinge werden immer unklarer,
je weiter sie weg sind. Und manchmal reicht nur ein ganz kleines bisschen, um
sie zu verändern, aber man muss vorsichtig sein, immer wieder träumen, auf
Veränderungen achten...
Und Morgaine weiß
nun, dass dies das Ende sein kann. Das ist nicht gut, Mammi könnte sterben. Sie
schluchzt auf und fängt noch mal von vorne an, konzentriert sich...
~*~*~*~ Sie sieht ihre Eltern in Papas Zimmer, Mammi liegt auf ihm und
stöhnt, Papa liegt ganz steif da, als ob er sich nicht bewegen kann, trotzdem stöhnt
er auch. Morgaine will das nicht sehen, es ist privat, Papa hat gesagt, dass
sie den Leuten nicht nachspionieren darf, sie will sich daran halten und sich
zurückziehen. Aber dann sagt Papa auf einmal: „Du bist so gut, Liebste! Du bist
so einmalig gut! Mach’s mir noch einmal... ZIRZA!“
Mammi
richtet sich auf, sie schaut ihn zuerst verwirrt und dann entsetzt an. Sie
springt aus dem Bett, reißt sich die Halskette ab und flieht lautlos über den
Balkon aus dem Zimmer. Sie rennt ein Stockwerk höher und lässt die Kette vor
Zirzas Zimmer auf den Boden fallen. Ihr Gesicht sieht schrecklich aus. ~*~*~*~
Was soll das? Was
machen die da, was tun sie sich an? Jetzt fallen ihr noch andere Sachen ein,
die sie geträumt aber nicht verstanden hat. Es ist schwer, alles in die
richtige Reihenfolge zu bringen, aber sie versucht es, sie muss es versuchen.
Immer wieder ordnet sie ihre Träume wie ein Puzzle aus alten und neuen Stücken,
und allmählich blickt sie durch.
~*~*~*~ Es ist ganz früh am Morgen, niemand ist auf dem Hof zu sehen
außer Zirza, die gerade in ihr rotes Cabriolet steigt. Sie hält triumphierend
einen grünen Stein in der Hand, und sie murmelt vor sich hin: „Du Schöner du,
du hast es geschafft! Sie wird ihm nichts mehr glauben, diese Ehe ist bald im
Arsch. Und wir werden das Balg auch noch kriegen! Hast du gut gemacht!“ Sie
küsst den Stein. „Nein mein Stein, habe ICH gut gemacht.“ Sie lacht höhnisch
auf und fährt dann los, sie biegt am Verwalterhäuschen ab, sie sieht Alfonso,
der mitten auf der schmalen Straße sitzt und sich putzt. Ein teuflisches
Lächeln überzieht ihr Gesicht. „Du blödes neugieriges Mistvieh, du hast mich
lange genug genervt!“ Und sie gibt Gas... ~*~*~*~
Morgaine schluchzt
auf, der arme Fonso! Er ist verloren. Sie muss weiterträumen, muss den falschen
Weg erkennen. Er hat mit dem Stein zu tun, wegen ihm ist alles so gekommen.
Egal ob sie von Fonso träumt oder von dem Ball, immer ist dieser grüne Stein
da. Wenn er nun nicht da wäre, wenn er Mammi nicht um den Hals hängen würde...
Aber erst muss sie wissen, was alles passieren kann.
~*~*~*~ Sie fahren nach Hause, Mammi und Papa sprechen kein Wort
miteinander, Andy sitzt hinten neben einem kleinen Mädchen, das ist sie selber,
und Andy sagt auch nichts, sie ist sehr sehr traurig, doch sie weint nicht. ~*~*~*~
Morgaine wundert
sich, dass Andy dabei ist. Wo steckt Max? Keiner im Auto sagt seinen Namen. Hat
er was Schlimmes getan?
~*~*~*~ Sie ziehen ein in Papas Haus, es ist groß, und es liegt am See. Mammi
ist immer noch sauer auf ihn, sie sprechen selten miteinander und wenn, dann
ist es furchtbar, was sie sich sagen.
„Was
zum Geier spinnst du dir da eigentlich zusammen?“ Papa ist wütend, falsch, er
ist verzweifelt.
„Ich
spinne nicht!“ Mammis abweisendes Gesicht sieht steif und böse aus, obwohl sie
doch eigentlich Papa lieb hat.
„Rebekka!
Das ist doch absurd! Du kannst nicht wirklich glauben, ich hätte was mit Zirza
gehabt.“
„Ich
habe euch aber gesehen“, Mammi schaut an ihm vorbei.
„Du
kannst gar nichts gesehen haben, weil überhaupt nichts war.“ Papa gibt nicht
auf.
„Ich
habe es gesehen!“
„Als du
in dieser Nacht zu mir gekommen bist, Rebekka, da habe ich etwas gesagt...“,
Papas Stimme stockt, bevor er weiter spricht. „Das war natürlich alles Blödsinn.
Ich hatte einen schlechten Traum, und ich wollte dir wehtun...“
„Zu dir
gekommen? Was redest du da?“
„Gib es
doch zu! Du warst bei mir. In der Nacht nach dem Ball.“
„In
deinen Träumen!“ spuckt Mammi ihm ins Gesicht, sie rennt ins Badezimmer und
übergibt sich dort. ~*~*~*~
Morgaine ist
fassungslos. Es nimmt kein Ende, es ist so fürchterlich, Mammi geht sogar
heimlich arbeiten, an einer Tankstelle, sie will kein Geld von Papa annehmen.
Was ist nur los mit den beiden? Doch es kommt noch schlimmer:
~*~*~*~ „Hallo Daniel“, Onkel Archie steht auf, um Papa die Hand zu
schütteln.
Nach
dem Händeschütteln sagt Papa zu Mammi: „Kann ich dich mal sprechen? Es dauert
nicht lange.“
Mammi
folgt Papa in sein Zimmer. Sie stehen sich gegenüber. Er mit erhobener Augenbraue
und sie mit trotzig vorgeschobener Unterlippe.
„Ist es
das, was du willst?“, fragt Papa schließlich.
„Was
meinst du?“, fragt Mammi unfreundlich zurück.
„Er!
Ist er das, was du willst?“
„Ich
weiß nicht, was du meinst!“
„Stell’
dich nicht so blöd an.“ Papas Stimme ist ein wenig lauter geworden. „Du kannst
die Scheidung haben. Wann immer du willst und am besten so schnell wie
möglich.“
Mammi
steht da wie vom Donner gerührt.
„Du
lieber Himmel, das hab’ ich doch glatt vergessen! Du brauchst die Scheidung ja
gar nicht einreichen...“
„Wieso
nicht?“ Mammi starrt ihn verblüfft an.
„Die
Ehe ist ungültig, unsere Geburtsurkunden waren nur Kopien. Abgesehen davon,
dass sie auch nie vollzogen wurde...“
„Unsere
Ehe wurde nie vollzogen“, murmelt Mammi tonlos vor sich hin und scheint dabei
an etwas anderes zu denken.
„Ganz
recht! Damit plärrst du mir doch seit drei Monaten die Ohren voll, verdammt
noch mal! Also steh’ endlich dazu!“
Mammi
holt mit der Hand aus und trifft ihn voll auf die linke Wange. Dann steht sie
da und sieht ihn verloren an.
Papa
tritt einen Schritt auf sie zu, aber er schlägt sie nicht, stattdessen berührt
er mit der Hand zart ihren Mund und beugt sich dann vor, um sie zu küssen.
„Jetzt
sind wir quitt“, sagte er schließlich, er dreht sich um und geht, während
Mammis Arme wie tot herunter hängen. ~*~*~*~
Morgaine fängt an zu
weinen, weil alles so schrecklich ist. Oder schrecklich sein wird. Sie will
nicht, dass es so endet, trotzdem muss sie das Ende wissen. Und wirklich...
~*~*~*~ Es ist spät am Abend, der See sieht im Mondlicht hellblau aus,
die Verkaufsstände haben geschlossen, auch die Scheinwerfer sind nicht mehr in
Betrieb. Der volle Mond gibt aber genug Licht.
Der
zugefrorene See ist menschenleer, nein, das stimmt nicht, da ist doch ein
Mensch, es ist Mammi, sie hat ihre Schlittschuhe an und tanzt auf dem Eis. Und
sie will springen, das sieht man, oh nein nicht Mammi, tu das nicht!
Aber
Mammi ist so stur, sie springt, und zuerst sieht es gut aus, doch dann... Ihr
rechter Fuß landet in einer Wasserpfütze, er rutscht zur Seite weg und reißt
ihr Bein mit. Das andere Bein hängt in der Luft, kann den Sturz nicht
auffangen. Mammi fällt unaufhaltsam nach hinten. Etwas macht KLOCK.
Und
dann liegt Mammi mitten auf dem See in einer riesigen Pfütze, sie schläft, aber
trotzdem zittert sie vor Kälte... ~*~*~*~
Auch
Morgaine fängt an zu zittern, wenn Mammi nun stirbt, und wo ist sie selber bei
dieser Sache, warum hat sie es nicht verhindert? Muss es etwa so sein? Muss
Mammi auf das Eis, damit alles wieder gut wird? Aber es ist gefährlich, und
Mammi kann dabei sterben.
Wenn
dieser grüne Stein nun nicht da wäre, wenn er Mammi nicht um den Hals hängen
würde? Würden sie und Papa sich dann besser verstehen? Würde Fonso dann nicht
still auf der Straße liegen?
Sie muss
es versuchen, alles andere ist viel zu gefährlich, wenn nur ein bisschen davon
schief geht, dann ist Mammi tot... Also muss sie nachdenken, was kann sie tun?
Sie wird Morgan fragen, die weiß bestimmt, was zu tun ist. Und Tante Claudi
kann sie auch vertrauen. Sie muss es Daniel irgendwie beibringen, dass der
Stein nicht gut ist, aber wann und wo? Es darf nicht zu früh sein, aber auch
nicht zu spät.
Morgaine
macht sich daran, das Traumpuzzle neu zu legen, mit geänderten Karten. Aber was
ist mit Andy, fällt ihr gerade ein. Nein, um Andy muss sie sich keine Sorgen
machen, sie weiß, dass Andy ihren eigenen Weg finden wird.
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KAPITEL VI – Teil 3 BALL der INTRIGEN
Max war nicht gekommen!
Und dabei sah sie doch so schön aus und vor allem so
erwachsen. Zirza hatte ihr aus einer ihrer Boutiquen ein Kleid mitgebracht, das
enge schwarze Oberteil ging herzförmig über in einen leichten Rock aus zartem
weißen Stoff, der sich wie eine duftige Tulpenblüte an Andys Körper schmiegte.
Der weiße Stoff hatte einen Überwurf aus dunkelvioletter Spitze. Das Kleid war
so vollkommen, als stammte es aus einem Märchen.
Leider war Max nicht da, um sie
darin zu bewundern... Andy fühlte sich zutiefst unglücklich.
Stattdessen war Zirza heute Morgen
eingetroffen und hatte sich rührend um Rebekka gekümmert. Rebekka war jetzt
tatsächlich mit Daniel verheiratet, obwohl man es ihnen gar nicht ansah. Zirza
war schwer betroffen gewesen von der Entführungssache, sie hatte immer wieder
gesagt: „Wie schön, dass dem armen kleinen Mädchen nichts Schlimmes passiert
ist!“
Andy schaute sich um und behielt
dabei die Eingangstür im Auge. Vielleicht kam er ja doch noch.
Der Ballsaal war heute zu seiner
vollen Größe erweitert worden, und man konnte endlich den riesigen
Kristalllüster bewundern, der an der stuckverzierten Decke hing. In einer Ecke
war ein Podest für die Combo aufgebaut, die den Abend musikalisch untermalen
sollte. Was würden die spielen? Bestimmt so ’nen altmodischen Kram, aber sie hatte
sowieso keine Lust aufs Tanzen, weil Max nicht da war.
Schließlich stibitzte sie sich ein
Glas Sekt und trank es in einem Zug aus. Sie entdeckte Benny, einen
Schulkameraden, Sohn des Metzgermeisters Dennis Sie ging zu dem Jungen hin und
hauchte ihm einem zarten Kuss auf die Wange. Es gefiel ihm anscheinend.
Die Combo hörte sich ganz nett an,
die Typen spielten natürlich nichts richtig Fetziges, aber man konnte gut dazu
tanzen, und Andy tanzte hingebungsvoll mit ihrem Schulkameraden Benny. War nur
blöd, dass es niemand mitkriegte, vor allem Max nicht…
Alle anderen amüsierten sich
prächtig, wie es schien. Rebekka sah irre gut aus, ihr eng anliegendes
exotisches Kleid war seitlich fast bis zur Taille geschlitzt. Sie hatte tolle
Beine! Ihr Haar trug sie im Geisha-Stil, mit Nadeln drin, sehr damenhaft, aber
es machte sie absolut nicht älter, obwohl sie sich das hätte leisten können, so
jung wie sie immer wirkte. Und die Männer schienen beides zu lieben, Frisur und
Kleid.
Viel Volk war gekommen, teilweise
aus dem Dorf, teilweise von außerhalb, alles nette Leute. Daniel hatte sich ein
wenig mit dem Besitzer des Sägewerkes, einem gewissen Karl Heuer unterhalten,
der war auch gerade frisch verheiratet und er strahlte förmlich vor Glück. Im
Gegensatz zu ihm selber...
Dennoch konnte er sich kaum von
Rebekkas Anblick losreißen. Die Ferien hatten ihrem Gesicht eine gesunde Fülle
verschafft, und sie war gleichmäßig am ganzen Körper gebräunt, wie man an dem
hochgeschlitzten Kleid sehen konnte. In ihrem dunklen Haar mit der seltsamen
Hochsteckfrisur leuchteten helle Strähnchen, und Daniel überlegte auf recht
unmännliche Art, wie viel so etwas wohl kostete. Wie hatte sie ohne finanzielle
Hilfe die letzten Jahre überstehen können? Er schuldete ihr einiges, dem Himmel
sei Dank war er nicht arm, er hatte von seinem Onkel ein Haus geerbt, ein
bisschen Bargeld und eine kleine Firma, ein Planungsbüro für Bauvorhaben, recht
praktisch für einen Ingenieur. Sein Geld war jetzt auch ihr Geld. Die Zukunft
sah eigentlich ganz gut aus. Wenn er nur wüsste, ob sie etwas für ihn empfand.
Sie verhielt sich zwar nicht mehr so abweisend wie am Anfang, aber er traute
sich einfach nicht. Und dass er jetzt in ihrem Appartement wohnte, das war nur
pro Forma.
Und er vermisste Max. Wo steckte der Kerl?
Andromeda sah auch nicht gerade glücklich aus. Sie machte gerade einen jungen Mann an, den Sohn von dem Metzgermeister, diesem lästigen Verehrer von Rebekka. Wieder ließ Daniel seine Blicke schweifen und entdeckte Rebekka vor dem Podest, auf dem die Combo spielte. Sie nippte an ihrem Sektglas, und der betörende Ausdruck in ihrem Gesicht war ihm neu. Sie sah fast aus wie ein verspieltes Kätzchen, unbeschwert und auch ein wenig grausam. Wem galt denn nun dieser betörende Gesichtsausdruck? Archie oder Dennis? Und da gab noch einen dritten Kandidaten, nämlich Herbert Nickel, den Dorfpapagalli, kurz Onkel Herbie genannt. Auch der scharwenzelte um Rebekka herum.
Daniels Blick fiel zufällig auf Rebekkas
Halskette. Ein schönes Stück, und der grüne Stein darin war bestimmt sehr
wertvoll. Konnte sie sich so etwas leisten? Rebekka stand nun neben Archie und
tuschelte mit ihm.
Er sah Zirza auf sich zukommen. Sie
trug etwas Korallenrotes aus einem hauchdünnen anschmiegsamen Stoff, der mehr
enthüllte als er verbarg.
„Sie amüsiert sich gut“, sagte
sie. Es klang leicht säuerlich, und Daniel wusste sofort, wen sie meinte.
Archie kümmerte sich wirklich aufopfernd um Rebekka.
„Ich weiß nicht, was ich von der
Sache halten soll. Archie hat ihr ein Collier von Kassiopeia geschenkt...“
„Er hat was?“ Daniel schaute sie
fassungslos an. Was Archie sich da leistete, war wirklich unglaublich!
„Siehst du es? Es ist wunderschön
und kostbar. Mir hat er es damals verweigert. Aber es hat bestimmt nichts zu
bedeuten.“
Zirza blies ihm leicht den Rauch
ihrer Zigarette ins Gesicht, und Daniel wandte sich automatisch ab, um dem
Rauch zu entgehen. Hatte es wirklich nichts zu bedeuten? Verdammt, Rebekka war
nicht naiv. Sie würde so ein Geschenk doch nicht annehmen. Archie sollte die
grünen Klunker seiner Frau umhängen und nicht Rebekka. Ihm fiel der Nachmittag
ein, als er vor der Bibliothek gestanden hatte. Die Tür war verschlossen gewesen,
er hatte Musik gehört und Rebekkas leises Lachen. Was hatten die da drin
getrieben? Der Wurm der Eifersucht fraß sich in Daniel hinein, er war
schließlich mit ihr verheiratet, falls jemand mit ihr, dann doch er... Aber sie
ermutigte ihn auch nicht gerade dazu. Es war bestimmt wegen Archie. Sie nahm
von ihm Geschenke an!
Sirza beobachtete
ihn verstohlen, sie erkannte seine Eifersucht und seine Zweifel, er war voll
drauf angesprungen...
In Wirklichkeit waren die Klunker
bei weitem nicht so wertvoll, wie sie aussahen, das Halsband war eine perfekte
Imitation, nur die Lupe eines Juweliers hätte es als Fälschung entlarven
können.
Und Archie war vollkommen
unschuldig daran, Zirza selber hatte Rebekka diese Halskette geschenkt, Daniel
sollte nur ein bisschen zermürbt und verunsichert werden, denn Zirza hatte noch
einiges vor mit ihm.
Sie tobte vor Wut hinter ihrer
kühlen Fassade. Die Entführung von Morgaine war in die Hose gegangen, weil der
Penner von Stallknecht sie nicht rechtzeitig aus der Krypta geholt hatte. Auf
dem Gut wäre zuviel los gewesen in dieser Nacht, damit wollte er sich
herausreden, der Idiot!
Und dann diese Hochzeit! Wie
konnte das passieren? Und jetzt musste SIE alles wieder in Ordnung bringen.
Klar, wer sonst?
„Hast du Lust zu tanzen? Oh, jetzt
haben sie gerade aufgehört zu spielen. Vielleicht später?“ Sie schaute Daniel
aufreizend mit ihren dunklen Augen an und rückte ihm geschmeidig ein Stück
näher.
„Ja, später vielleicht“, sagte
Daniel vage, und sie spürte, wie er vor ihr zurückwich. Er verschmähte sie,
doch das würde er büßen! Und auch Rebekka, die gerade Archie, Dennis und den
Dorfpapagalli Onkel Herbie nacheinander bezauberte, würde es büßen. Warum
machten die beiden ihr auch soviel Ärger?
Zirza trat den Rückzug an. Schade,
dass Daniel den Qualm ihrer Zigarette nicht inhaliert hatte, aber es würde auch
so gehen. Sie lächelte. Es war ein gemeines und tückisches Lächeln.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Claudia lag auf der Couch in
Rebekkas Appartement und grübelte vor sich hin. Sie hatte Rebekka eine Therapie
angeraten. Sie kannte Rebekkas Geschichte mit Daniel, und Rebekka hatte ihr
auch von ihren Eltern erzählt, vor allem von ihrem Vater und von dem, was
damals in den Ehebetten der Eltern passiert war. Und sie hatte sich gar nicht
drüber gewundert, dass Rebekka sie nach so kurzer Zeit ins Vertrauen zog.
Das arme Kind! Denn auch wenn
Rebekka es rigoros abstritt, trug sie bestimmt immer noch diesen entsetzlichen
Mist mit sich herum. Und so war es kein Wunder, dass sie auf Ehebetten
allergisch reagierte und sie automatisch mit Betrug gleichsetzte. Ob es sich
nun um ihren Vater handelte oder um Daniel. Claudia kannte sich ein wenig aus
mit Psychosen und ihren Ursachen. Während ihrer Aufenthalte in psychiatrischen
Kliniken hatte sie einiges kennen gelernt, und dafür gab es Behandlungen,
obwohl die ihrer Meinung nach nicht viel taugten. Entweder kam die Heilung von
innen, oder es gab keine Heilung. Für sie selber hatten die vielen Therapien
letztendlich nichts geändert. Sie wusste, dass sie ihr Kind damals gehört und
gesehen hatte – und dass der Leichnam des Kindes im Mausoleum falsch war. Sie
hatte es immer gewusst! Dieses Wissen war zeitweise verdrängt worden von den
Psychologen, doch in ihrem Innersten hatte sie diesen Leuten nie geglaubt.
Trotzdem würde eine Therapie Rebekka nicht schaden.
Werde mit ihm glücklich, falle
nicht in dein altes Verhaltensmuster zurück, das dachte und hoffte sie mit all
ihrer Kraft. Sie hatte mit Rebekka darüber gesprochen: „Du blockst alles ab,
wodurch du die Kontrolle verlieren könntest. Du hast furchtbare Angst davor,
verletzt zu werden. Aber manchmal muss man es eben riskieren.“
Claudia liebte Rebekka und Morgaine über alles, und
seit Rebekkas Hochzeit hegte sie eine irrsinnige Hoffnung. Das Geburtsdatum
stimmte überein, und der Name Steiner, sie kannte ihn irgendwoher, und
allmählich war ihr eine Ahnung gekommen, konnte es sein? Ihr Herz sagte ja,
aber noch war nichts sicher, denn es musste richtig sein. Doch es passte alles
zusammen, vor allem ihre Gefühle für Morgaine und Rebekka. Nie zuvor hatte sie
ähnliches empfunden, sogar für Andromeda nicht. Trotzdem musste Archibald es
prüfen, er sollte zu ihnen fahren und sie in die Mangel nehmen, er sollte so
tun, als ob er es wüsste. Er sollte ihnen Geld anbieten. Ja genau! Und dann
wollte sie doch mal sehen, wie diese sauberen Leutchen reagieren würden. Sie
hasste sie für das, was sie Rebekka angetan hatten!
Aber auch wenn sie sich alles nur einbildete, sie
würde Rebekka aus den Klauen ihrer so genannten Eltern befreien, Rebekka hatte
etwas besseres verdient und Morgaine natürlich auch.
Claudia dachte nach langer Zeit
auch wieder an ihren Ehemann. Sie war nicht geschieden von ihm, aber er hatte
sie verlassen. Ben war immer seelisch zerrissen gewesen, auch in ihren glücklichen
Zeiten. Er wusste nicht, wohin er gehörte. Sie musste lächeln. Die wenigsten
Menschen wussten, wohin sie gehörten...
Ihrem Mann Ben – dem Sohn eines
englischen Diplomaten, der eine Singhalesin geheiratet und sie nach der
Unabhängigkeit Ceylons in seine Heimat Großbritannien gebracht hatte – blieb
Europa fremd. Und vom Kontinent Asien fühlte er sich zurückgewiesen. Trotzdem
hatten er und Claudia sich sehr geliebt. Beide lebten in ihrer eigenen Welt der
Poesie, die zwischen der Weisheit Asiens und der Realität Europas angesiedelt
war. Finanziell hatten sie keine Sorgen, aber als die Wirklichkeit sie
einholte, da zerbrach ihre Beziehung. Es begann, als Claudia ihr Kind verlor.
Ben unterstützte sie lange Zeit, trauerte furchtbar um das verlorene Kind, aber
als Claudia sich immer öfter therapeutisch behandeln ließ und sie an nichts
anderes mehr denken konnte als an das Kind, das sie gesehen und gehört hatte
und das nicht in der Gruft der von Kampes bestattet war, da verließ er sie.
Sein asiatisches Erbteil war stoisch genug, um einzusehen, dass es vorbei war
mit der Liebe und der Poesie.
Er kehrte Europa den Rücken und
ging zurück nach Sri Lanka, dort wo er geboren wurde. Claudia hielt ihn nicht
zurück. Auch sie wusste: Es war vorbei.
Seufzend erhob sie sich, um nach
Morgaine zu schauen, sie sollte die Kleine wach halten, denn ihr Papa würde
bald kommen, und dann musste sie unbedingt wach sein. Es ging um einen grünen
Stein, der gefährlich war. Claudia verstand das zwar nicht, aber sie ging ins
Schlafzimmer und weckte die Kleine.
Die Combo fing wieder an zu
spielen. Daniel sah erst jetzt, dass sie einen Geiger dabei hatten. Einen
Stéphane Grappelli, der vielleicht Django Reinhardts Musik kannte, jedenfalls
war es ein Geiger, und wenn er, Daniel, besoffen genug wäre, würde er den
Geiger einfach mal fragen, ob er mitspielen könnte.
Er sah erstaunt, wie Andromeda mit
dem jungen Mann die große Treppe empor ging, sie drehte sich kurz um und warf
einen letzten verzweifelten Blick auf die Eingangstür.
Ach Andy, was machst du? Daniel klammerte sich kurz
an seinem Weinglas fest. Dann entschloss er sich, nach Morgaine zu schauen. Sie
hatten zwar das Babyphon, und Claudia Mansell schlief auf dem Sofa im Wohnraum,
aber sicher war sicher.
Er stieg
langsam die Treppe hoch, denn er hatte keine Eile, wieder zurück zum Ball zu
gehen.
Morgaine schlief – und sie war so,
nein süß würde er nicht sagen, das war Frauenquatsch, jedenfalls war sie das
Wichtigste in seinem Leben außer vielleicht… Er beugte sich über das Bett und
küsste sie zart auf die Stirn.
„Schläft sie?“ Rebekka war kurz
nach ihm ins Zimmer gekommen.
„Warum bist du hier?“ Daniel
schaute sie fragend an. „Ist es unten nicht amüsant genug für dich?“
„Nicht wirklich“, sagte Rebekka
leise, während sie versuchte Daniels Blick festzuhalten, aber er entglitt ihr.
„Daniel?“
„Was ist denn?“ Seine Stimme klang
unwirsch.
„Wirst du heute mit mir tanzen?“
„Ich kann nicht besonders gut
tanzen. Du solltest dich an Archie halten. Oder an Dennis.“ Daniel starrte
immer noch fasziniert auf den großen grünen Stein in der Mitte ihres
Halsbandes. Es war mit Sicherheit ein Smaragd.
Rebekka schwieg und schien auf
etwas zu warten.
„Du hast da ein schönes Halsband“,
sagte er schließlich verdrossen.
„Ach, es
ist nichts Besonderes...“ Fast erlag sie der Versuchung, sich eng an Daniel zu
schmiegen. Doch er machte so einen abweisenden Eindruck, dass sie sich nicht
traute. Warum versuchte er nicht, sie zu küssen? Sie sehnte sich danach. Sie
lebten jetzt so nahe zusammen, sie fühlte seine Gegenwart immer stärker, wollte
ihn berühren, wollte berührt werden...
Wieso
war Daniel so kühl zu ihr? Wann hatte es damit angefangen? Seitdem er wusste,
dass Morgaine seine Tochter war?
Sie
musste an Zirza denken. Die hatte ihr erzählt, dass Väter oft versuchten, die
lästigen Unterhaltszahlungen für ihre Sprösslinge zu umgehen. Hatte Daniel sie
etwa deswegen geheiratet? Zirza wusste es natürlich nicht, aber sie machte ihr
einen Vorschlag...
Tatsächlich
hatte Rebekka begonnen, von einer Zukunft mit Daniel zu träumen. Ihr Misstrauen
gegen ihn löste sich auf, es erschien ihr nicht mehr wichtig. Vielleicht war
das eine Folge des Schocks, den sie durch Morgaines Entführung erlitten hatte.
So etwas passierte manchmal Leuten, die sich selber für hart und abgebrüht hielten.
Möglicherweise kamen aber nur ihre Gefühle für ihn zum Vorschein. Gefühle wie
das Verlangen nach Liebe, nach Gemeinsamkeit, nach Vertrauen. Aber sie hatte
Angst, musste wissen, ob Daniel sie liebte.
„Es steht dir gut.“ Daniels leicht höhnisch klingende
Stimme holte sie aus ihren Überlegungen zurück. „Und vielleicht sollte ich
besser hier bei Morgaine bleiben.“
„Morgaine ist sicher, Claudia ist
da, und Tante Bernadette will auch ab und zu nach ihr schauen...“ Sie sah ihn
erwartungsvoll an, doch als er keinerlei Anstalten machte, sie in den Arm zu
nehmen oder sie gar zu küssen, warf sie ihm eine Kusshand zu und ging wieder
aus der Wohnung. Sie würde später erfahren, ob er sie wirklich wollte...
Daniel sah ihr nachdenklich hinterher.
Wenn er sich nur sicher wäre, dass... Aber das Collier, was dachte sie sich
dabei?
Er blickte zerstreut auf Morgaine
herab, ohne zu bemerken, dass ihre Augen geöffnet waren. Doch dann brachte ihn
ihr gehauchtes „Papa?“ in die Wirklichkeit zurück.
„Du bist ja wach. Was ist denn,
Fee?“
„Mammi hat dich lieb.“
Er stutzte und schüttelte dann
verwirrt den Kopf. „Wie kann das sein?“ fragte er schließlich. Er konnte das
nicht glauben, alles sprach dagegen, ihr Verhalten, das verdammte Halsband...
„Ich weiß es.“ Morgaine richtete
sich auf und schlang ihre Arme um ihn. Daniel drückte Morgaine spontan an sich,
doch dann ließ er sie los und versuchte, nicht allzu trostlos auszusehen.
„Es ist Zirza, sie ist böse. Und
der grüne Stein ist auch böse.“
„Was sagst du da?“ Daniel schaute
sie fassungslos an.
„Nimm Mammi den Stein weg, dann
geht es viel leichter“, Morgaine schaute ihn flehend an. „Mach ihn kaputt! Und
Fonso wird auch nicht tot da liegen.“
„Hmmm“, Daniel war verwirrt. Er
hatte absolut keine Ahnung, was die Kleine meinte, aber er glaubte ihr, sie
wusste so viel mehr als er. Der Stein war es also? Interessant! Und eigentlich
hatte er doch gar nichts zu verlieren, er wollte endlich wissen, woran er war.
Rebekka hatte ihn lieb. Hatte sie das? Er wünschte es sich so sehr. Sie
beschäftigte all seine Gedanken, er stellte sich vor, wie er sie küsste und
ihren Körper an seinem spürte, wie sie ihn anschaute und ihn begehrte, aber vor
allem wünschte er sich, dass sie ihm vertraute, dass sie eine Einheit bilden würden,
zusammengefügt aus verschiedenen Einzelteilen, die sich ergänzten trotz oder
gerade wegen dieser Verschiedenheiten.
In Gedanken versunken ging Daniel
langsam hinunter in den Ballsaal, wo er als erstes seinen Freund Max erblickte,
der sich suchend umschaute.
„Bisschen spät, alter Junge“,
meinte Daniel spöttisch zu ihm
„Wieso?“ Max blickte ihn
beunruhigt an.
„Dein Mädchen ist stinksauer und
hat sich mit so ’nem Bubi nach oben verzogen.“
Max’ Gesicht wurde daraufhin
merklich blasser. „Mist!“ zischte er. „Würdest du mich entschuldigen?“ Das war
wohl keine Frage, denn er wartete Daniels Antwort nicht ab, sondern lief
schnurstracks die gewundene Treppe hoch.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Sie lagen bäuchlings nebeneinander
auf dem breiten Bett, und Andromeda zeigte ihm gerade ein altes Photoalbum mit
grässlichen Jugendbildern von ihr. Ihre Hüften berührten sich etwas, obwohl
Andromeda sich nicht wohl dabei fühlte. Aber vielleicht konnte Max mit
Jungfrauen nichts anfangen, Jungfrauen galten bestimmt als sehr kompliziert,
obwohl sie selber, nein, sie war nicht kompliziert. Aber wenn das der Grund für
seine Zickigkeit war, dann okay, andere Männer oder auch Jungen hatten bestimmt
keine Hemmungen, mit ihr zu schlafen, obwohl sie ja eigentlich nur mit Max...
Max stand im Zimmer, ohne vorher
angeklopft zu haben, und seine undurchschaubaren grauen Augen, die
normalerweise ruhig und gelassen wirkten, veränderten sich urplötzlich.
Andromeda hatte diesen Ausdruck
bisher nur ein einziges Mal gesehen und zwar, als er einen Stallburschen
hinauswarf, der ein Pferd misshandelt hatte. Damals hatten seine grauen Augen
so ausgeschaut wie ein aufgewühlter Ozean unter einem sonnenlosen Himmel. Doch
jetzt schien der Ozean noch viel aufgewühlter...
Auch der junge Benny erkannte den
aufgewühlten Ozean in Max’ Blick, er verdrückte sich unauffällig, und keiner
der Anwesenden schenkte ihm dabei irgendeine Beachtung.
„Auch schon da?“, fragte Andromeda
gelassen. Obwohl sie spürte, dass Max ziemlich in Rage war, hatte sie keine
Angst vor ihm. Es war Max, und er würde ihr nie etwas antun.
„Was zum Teufel treibst du da
eigentlich?!“ Max hörte, wie erregt seine Stimme klang, und er hasste sich
dafür. Warum verriet er seine Gefühle? Blöde Frage. Sie brachte ihn
durcheinander. Sie hatte ihn total im Griff. Er konnte nicht anders.
Das schien auch Andromeda zu
spüren, sie erhob sich vom Bett, umarmte ihn und sah ihm dann ins Gesicht, in
diese grauen Augen, die sie so liebte und die jetzt wie ein Meer im Sturm
wirkten.
„Ich war nur sauer auf dich“,
sagte sie.
„Musst du immer gleich, wenn du
sauer auf mich bist, mit einem anderen ins Bett gehen?“
„Nicht ins Bett. Nur aufs Bett.
Und es ist nichts passiert.“ Andy versuchte ihn zu beschwichtigen. Sie hatte
ihn noch nie so erlebt, so aufgebracht und so zornig. Er musste sie lieben!
„Ich könnte es nicht ertragen“,
Max bereute schon im gleichen Augenblick seine Worte. Sie waren das
Eingeständnis seiner Liebe zu ihr. Sie würde sich aufgrund dieser Worte ein
Leben mit ihm vorstellen können, und das war nach seinem Drei-Tage-Trip nach
Berlin unmöglich. Er hatte Sachen erfahren, die alles in Kampodia auf den Kopf
stellen würden, es lag nur an ihm, sie aufzudecken. Und dann würde er selber
mit untergehen.
„Ich könnte es einfach nicht
ertragen, obwohl ich kein Recht auf dich habe“, fügte er bitter hinzu.
„Ach Max, du hast alles Recht der
Welt auf mich“, sagte Andy mit leiser zärtlicher Stimme.
Er schaute sie an. Wie wunderschön sie in diesem Kleid aussah, und die Frisur machte sie zwei Jahre älter. Max fiel ein, dass sie in vier Wochen sechzehn wurde. Zu diesem Zeitpunkt würde er wohl nicht mehr in Kampodia sein.
Er nahm Andromedas Anblick mit
vollstem Herzen auf. Sie war das schönste und beste Mädchen der Welt, und er
liebte sie so, dass es fast wehtat.
Wie anmutig sie dieses Kleid
trug... Ein seltsames Gefühl überkam ihn, das Kleid hatte damit zu tun. Und auf
einmal durchfuhr es ihn: Schneewittchen! Wie hinterhältig! Wie sinnig! Mit
Sicherheit hatte Zirza ihr das Kleid besorgt, dieses widerliche Monstrum von
Zirza!
Das Kleid sollte ihm vor Augen
führen, dass Andromeda ihn nicht mehr lieben würde, wenn sie die Wahrheit
erfuhr. Also sollte er besser die Klappe halten. Das war die Botschaft.
Max fühlte, wie sein Körper
eiskalt wurde. Eigentlich sollte er Andy hier auf der Stelle alles sagen.
Hassen würde sie ihn so oder so. Aber er konnte nicht anders als es hinaus zu
zögern. Er wollte sein Glück bis zum allerletzten Augenblick auskosten, denn
die Erinnerung daran würde für den Rest seines Lebens vorhalten müssen.
Sie küssten sich lange und innig,
bevor sie Hand in Hand die Treppe hinuntergingen und sich in den Park begaben,
um dort eng umschlungen zu tanzen. Max hatte anscheinend keine Angst mehr vor
neugierigen Blicken – und Andy hatte noch nie davor Angst gehabt.
„Weißt du, dass Daniel und Rebekka
jetzt verheiratet sind?“, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie sich an ihn
schmiegte. Er sah so gut aus, durch seinen Zweitagebart wirkte sein markantes
Gesicht härter als gewohnt, und sein Anzug stand ihm so gut. Sie musste
aufpassen, er konnte doch jede Frau haben, wieso hatte sie vorher nie bemerkt,
wie gut er aussah.
„Die kommen mir nicht gerade wie
ein Ehepaar vor“, sagte Max geistesabwesend, er zog Andromeda behutsam an sich
und küsste sie auf die Stirn. Möglicherweise war es das letzte Mal, das kam ihm
verschwommen zu Bewusstsein.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Daniel saß wieder an der Theke,
mit den Augen suchte er Rebekka, doch er fand sie nicht. Er kam sich vor wie
ein Spanner, aber trotzdem konnte er nicht anders. Er stellte sich ihren Körper
vor und ihr Gesicht, er stellte sich ihre Brüste vor und wie er sie küsste. Er
würde alles an ihr küssen, sie würde anfangen zu zittern und zu stöhnen und ihn
anflehen...
Würde, würde, würde... Er riss
sich mühsam zusammen, seine Vorstellungen waren unangemessen und irrational. So
etwas war nur für diejenigen reserviert, die ihr teure Halsbänder schenkten…
Das Halsband, er stutzte. Was
hatte Morgaine gemeint? Sie hatte bestimmt mehr Durchblick als er. Er selber
fühlte sich im Moment so total mutlos und verwirrt. Was war los mit ihm?
„Er hat es ihr gut beigebracht,
nicht wahr?“
„Was meinst du?“, sagte Daniel
unfreundlich.
„Das Tanzen natürlich...“
Ein unausgesprochener Vorwurf schwang in Zirzas Worten mit. „Wie konnte sie es
eigentlich schaffen, ohne Alimente ein Kind großzuziehen? Das ist doch nicht
normal! Obwohl ich es bewundern würde...“
Daniel schwieg, es machte ihn
wütend, dass Zirza anscheinend seine innersten Zweifel kannte. Aber noch
wütender machte es ihn, dass er an Rebekka zweifelte. Er überlegte doch
tatsächlich, ob sie käuflich war. War sie käuflich? Hatte sie Einnahmequellen,
die nicht ganz...
„Warum tut er mir das an?“ Aus
Zirzas Stimme war Eifersucht und Resignation herauszuhören. „Und sie? Kann sie
sich vorstellen, wie weh es tut, betrogen zu werden? Wenn sie zum Beispiel
sehen würde, wie wir beide zusammen...“ Sie seufzte auf.
Daniel schwieg immer noch, ihre
Worte hatten etwas in ihm aufgeweckt. Würde es Rebekka verletzen? Wäre sie
eifersüchtig auf ihn, wenn er mit Zirza... Sie tanzte gerade mit Archie zu
einem Stück von Carlos Santana, ihre Schulter schien wieder in Ordnung zu sein.
Aber warum machte er sich Sorgen um ihre Schulter? Was ging es ihn an? Sie
tanzte mit einem anderen...
Diesmal hatte Daniel sich nicht
abgewendet, als sie ihm den Qualm ihrer Zigarette ins Gesicht blies.
Ausgezeichnet! Denn die chemische Substanz, die er inklusive Nikotin und Teer eingeatmet
hat, wird ihn dazu bringen, alles zu glauben, was er hört und sieht. Er hat das
mit dem Collier geschluckt und glaubt nun, dass seine Frau käuflich ist.
Zumindest für eine kurze Zeit, das GS17 wirkt eingeatmet lange nicht so
intensiv wie gespritzt, es befindet sich noch im Experimentierstadium, trotzdem
ist es ein genialer Stoff. Glaubsalz Version 17, die Leute von der Firma haben
Humor, Zirza grinst vor sich hin, denn der Name Glaubsalz erinnert ein wenig an
Glaubersalz, ein harmloses Abführmittel...
Zirza überlegt ihre nächsten
Schritte: Sie wird Daniel, bevor er diesen elenden Ball verlässt, einen Drink
unterjubeln, versetzt mit GS17 und ein bisschen Kurare. Auf dem Weg in sein
Zimmer wird er ein Paar in einer sehr erotischen Pose sehen. Die Doppelgänger
ähneln den Originalen zwar nicht besonders, aber er wird glauben, dass es
Archie und Rebekka sind, die sich dort begatten. Rebekkas Kleid stammt aus
einem Billigladen in Brunswick, und dieses Kleid gibt es dutzendfach...
Gut, wenn er dann endlich im Bett liegt – total sauer auf
Archie und Rebekka – dann wird diese ihn besuchen, die Kleine ist ja so was von
scharf auf ihn, sie wird sich auf ihn legen und einiges mit ihm anstellen.
Warum sie das tun wird? Natürlich weil die liebe Zirza ihr dazu geraten hat.
Rebekka muss doch wissen, was ihr Ehemann für sie empfindet...
Nun kommt das Kurare zur Wirkung, es wird Daniel lähmen,
seinen Körper und seine Stimmbänder, aber nicht seinen Schwanz, er wird sich
gedemütigt und wie ein Opfer fühlen, ein lustvolles Opfer der Frau, die ihn mit
Archie betrügt und sich von ihm aushalten lässt.
Bis die Lähmung dann allmählich nachlässt, im Gegensatz zu
seiner Erregung. Er wird etwas voll Gemeines zu Rebekka sagen – Zirza selbst
hat ihm den Tipp dafür gegeben – und Rebekka wird es glauben, es liegt an dem
Collier, oder liegt es an ihren Zweifeln an der Männerwelt? Völlig egal, in dem
grünen Anhänger befindet sich der Wirkstoff GS17, er beeinflusst sie, und er
ist das perfekte Mittel, um all ihre Ängste zu manifestieren. Sie wird
anfangen, Daniel zu verabscheuen, eine lange Zeit lang, und diese Ehe wird
scheitern.
Halleluja! GS17, das Zeug ist einfach Klasse! Natürlich kann
seine Wirkung auch aufgehoben werden, es hat mit Kälte zu tun und ist recht
gefährlich, aber darauf wird niemand kommen.
Zirza kichert vor sich hin. Sie ist fast am Ziel.
Diesmal wandte Daniel sich nicht ab, um dem Qualm
ihrer Zigarette zu entgehen, sondern er hielt einfach die Luft an, bis Zirza
weg war.
Er starrte ihr finster hinterher,
er fand sie einfach widerlich, diese Schlange! Sie weckte nur Übles in ihm. Der
Name Zirza, endlich war ihm eingefallen, womit er diesen Namen von Anfang an
verbunden hatte, es war diese Zauberin, sie verwandelte Männer in Schweine, und
sie hieß Circe.
„Halte dich fern von ihr.“ Max
hatte ihn vor ihr gewarnt, und er musste seine Gründe haben. „Es ist Zirza, sie
ist böse. Und der grüne Stein ist auch böse.“ Das hatte Morgaine gesagt, und
sie wusste sicherlich, was los war. Er sollte über seinen Schatten
springen, sollte Rebekka einfach sagen, was er fühlte. Und er sollte ihr vor
allem diesen verdammten Stein des Anstoßes wegnehmen!
Aber noch war er nicht bereit
dazu, stattdessen ging er zu dem Podest, auf dem die Combo gerade Pause machte.
Er wollte für Rebekka spielen, und
wenn er Glück hatte, dann würde sie es verstehen.
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Allmählich horchten fast alle
Gäste auf. Spröde Gitarrenklänge lockten sie an, Instrumente, die in dieser Zusammenstellung
seltsam waren, kein Schlagzeug, nur Gitarren, trotzdem trieben diese den
Rhythmus voran, unglaublich voran.
Rebekka kamen diese versetzten, in
sich zerrissenen Stücke bekannt vor. Dann fiel es ihr ein, Daniel hatte sie bis
zum Erbrechen geübt, und heute Nacht hörte sie diese Stücke zum erstenmal im
Zusammenhang. Und es erschien ihr wie eine Offenbarung. It
Ain't Necessarily So… Eigentlich
kannte sie es ja von Jimmy Somerville, sie hatte das Stück immer schon geliebt,
nicht zuletzt wegen der Liebesnacht mit Daniel, aber jetzt war es neu, es war
ganz anders, es war ungewöhnlich und dennoch wunderschön.
Sie bahnte sich den Weg zu dem
Podest, auf dem Daniel mit den anderen spielte und lauschte nur noch dieser
Musik, die teilweise süß war, die aber auch hart und bitter klang, denn Daniels
Gitarre bildete den perfekten Gegenpol zu der süßlichen Geige.
Es hörte sich an wie... Sie konnte
es nicht in Worte fassen. Es war traurig und optimistisch zugleich, es war
sentimental und manchmal disharmonisch, aber vor allem war es wunderschön.
Sie erkannte instinktiv, dass
Daniel in dieser Musik sein wirkliches Wesen offenbarte. Und sie sah zum
erstenmal, was er war.
Sie sah ihn als Künstler, er war
perfekt!
Sie sah ihn als Liebhaber, der
einfach göttlich und mit nichts zu vergleichen war auf dieser Welt.
Sie sah ihn als Vater, er war ein
großartiger Vater, und Morgy liebte ihn über alles.
Und sie sah ihn als Liebenden, er
liebte sie, und sie würde seine Liebe annehmen, obwohl sie Angst davor hatte.
Sie hatte ihm nicht vertrauen
können. Warum? Weil es in seinem Leben zwei feste Freundinnen gegeben hatte und
es mit beiden schiefgegangen war? Absurd! Daniel konnte wahrhaft lieben,
während sie selber... Sie war abartig, sie hatte für keinen ihrer Freunde und Liebhaber
viel Gefühl gezeigt. Sie war in Wirklichkeit das Monstrum!
Django spielt seine klaren
Töne nässen mein Gesicht
Django spielt mit drei Fingern
die Illusion des Lebens
klobige Diamantenklänge
tropfen an mir herab und
beißen ins Gras.
Diese Verse brauen sich in
Rebekkas Kopf zusammen. Seltsam, bisher hat sie noch nie etwas Lyrisches
zustande gebracht. Ist es denn lyrisch? Sie weiß es nicht, und es ist ihr egal.
Sie vergisst die Verse und starrt Daniel an. Sein
Haar ist vorne ein bisschen länger als hinten, und es lockt sich tatsächlich
ein wenig. Rebekka wünscht sich, mit den Fingern durch diese weichen Locken zu
fahren und dann seinen Kopf in ihre Hände zu nehmen und ihn auf seine Lippen zu
küssen. Lange zu küssen, in diesem Kuss zu versinken. Sie will seinen Körper
ganz nahe spüren, sich an ihn pressen, an diesen sehnigen schlanken Körper, der
so perfekt zu dem ihren passt... Sie will ihn so lange küssen, seinen
wundervollen Mund, bis sie es vor Erregung nicht mehr aushalten kann – und dann
wird sie ihm sein Hemd ausziehen und seine Brust küssen. Und auch er wird sie
ausziehen, während er sie mit seinen braungelben Augen verlangend anschaut, bis
ihre Beine schwach werden und sie sich an ihm festhalten muss. Er wird lachen
und sie zum Bett tragen.
In diesem Augenblick gibt sie ihren ursprünglichen
Plan auf, der ist sowieso total schwachsinnig, wie kommt Zirza nur auf so eine
blöde Idee? Ihn in seinem Bett zu überfallen, um rauszukriegen, ob er sie liebt
und ob er sie will. Und das mit Hilfe eines Steines! Wirklich totaler
Schwachsinn! Es wird auch anders gehen, sie sollte sich nur von ihrem Gefühl
leiten lassen, nichts bestimmen wollen, nichts zwanghaft erkennen wollen, vor
allem nicht durch so einen blöden Stein. Fast kann sie hören, wie jemand sagt:
Der Stein ist böse. Aber auch darauf will sie sich nicht mehr verlassen, sie
wird ihren eigenen Weg finden. Und es ist der Weg zu ihm.
Daniel sieht nur sie, während er
spielt, ihre Augen sind weit geöffnet und auf ihn gerichtet, sie steht so
völlig ruhig da, nur auf ihn konzentriert. Kann es wirklich sein?
Sie schaut ihm entgegen, als er
von dem Podest heruntersteigt, ihr Gesicht verändert sich und nimmt einen noch
innigeren Ausdruck an, oder bildet er sich das nur ein. Nein...
Er streckt ihr seine Hand
entgegen. „Komm’...“
Wie paralysiert legt sie ihre Hand
in seine und lässt sich von ihm in den Garten des Herrenhauses führen. Es ist
schon dunkel, in den riesigen Bäumen des Parks sind Lampions angebracht, sie
strahlen in einem zarten Blau, aber der Mond, der über ihnen scheint, ist noch
blauer. Ungewöhnlich blau.
„Wenn der Mond bläut, sollen
außergewöhnliche Dinge geschehen“, sagt sie wie in Trance. Sie hat das mal
irgendwo gehört, oder vielleicht geträumt?
„Du solltest dich daran gewöhnen“,
Daniel legt seine Arme um ihre Taille und zieht sie an sich. Die Combo spielt
gerade Moon River, dazu kann sogar er tanzen, und es ist gar nicht schwer.
Seltsam, immer erträumt, einmal
genossen, lange vermisst. Rebekka fühlt seinen Körper nahe an ihrem, alles in
ihr drängt zu ihm, und sie schmiegt sich an ihn.
Es ist etwas kühler geworden, aber
sie friert nicht, denn er wärmt sie. Sie bewegen sich langsam, schweigend und
spüren die Wärme des anderen. Es ist eine aufreizende Wärme.
„Woran soll ich mich gewöhnen? An
den blauen Mond?“ Rebekka bleibt stehen und blickt zu Daniel empor. Der blaue
Mond wirft blaue Schatten auf seine Wangenknochen, und sie muss ihn einfach
berühren, muss sein Gesicht mit ihren Fingern nachzeichnen.
„An mich natürlich. Und auch an
den blauen Mond.“
„Hmmm...“, murmelt Rebekka,
während sie immer noch sein Gesicht streichelt. „Aber ich bin eine schlimme
Frau, ich werde dich bestimmt unglücklich machen...“ Seltsam, dass sie ihn
warnen will, und seltsam, dass diese Warnung nicht ernst gemeint ist, denn sie
wird ihn nie verletzen können. Nicht ihn.
Er unterbricht ihre Gedanken „Das
Halsband, woher hast du es?“
Sie schaut ihn erstaunt an und
überlegt eine Weile, bevor sie zugibt: „Ich weiß, ich bin verrückt! Aber ich
hab’ geglaubt, es wäre magisch, Zirza hat’s mir geschenkt, sie hat gesagt, der
grüne Stein würde mir die Wahrheit zeigen.“ Rebekka schlägt verlegen die Augen
nieder, bevor sie leise sagt: „Die Wahrheit darüber, ob du mich wirklich
liebst...“
Daniel starrt sie an und schüttelt
dann den Kopf. „Du vertraust einem Stein?“
„Ich weiß, ich bin nicht ganz
normal, und jetzt kommt mir sowieso alles total lächerlich vor“, flüstert sie.
„Du willst wissen, ob ich dich
liebe? Ich liebe dich, und ich möchte mit dir zusammen sein bis an den Rest unserer
Tage. Und mit unseren Kindern auch...“
„Ich habe Angst“, Rebekka blickt
ihn hilflos an.
„Wir werden das schon schaffen.
Komm’ her“, sagt er mit rauer aber zärtlicher Stimme. „Und gib mir das
Halsband!“
Sie nestelt daran herum, schafft
es aber nicht, den Verschluss zu lösen, bis Daniel schließlich selber
eingreift. Sie erschauert und bewegt sich nicht, bis er das Halsband in seiner
Hand hält.
Der Stein sieht im Mondlicht nicht
grün aus, sondern künstlich und fahl. Daniel reißt ihn von der Kette ab, lässt
ihn zu Boden fallen und tritt mit dem Fuß darauf. Es gibt ein hässliches
Geräusch, als der Stein zerbricht.
Daniel bückt sich, um die
Steintrümmer aufzusammeln und schleudert sie dann in hohem Bogen in den
Mittleren Teich, fast sieht es aus, als würden sie eine Leuchtspur hinter sich
her ziehen, fast hört es sich an, als würden die Steinfragmente im Wasser
zischen.
„Hey!“, Rebekka schaut ihn
fassungslos an. „Das kannst du doch nicht machen...“
„Ausnahmsweise doch! Vertrau’ mir
einfach.“ Daniel beugt sich zu ihr, um sie zu küssen, und sie sagt nichts mehr,
sondern legt die Arme um seinen Hals, denn sie will ihm so nahe wie möglich
sein.
Wenig
später gehen sie Hand in Hand die große gewundene Treppe empor, sie sind so
ineinander versunken, dass sie gar nicht bemerken, wie ein anderes Pärchen – es
ähnelt von weitem Archie und Rebekka – sich leidenschaftlich auf dem
Treppenabsatz küsst. Die Frau ächzt wollüstig auf, als der Mann sie hochhebt
und an die Wand nagelt, sie klammert ihre Beine um ihn und stöhnt laut vor sich
hin. Sie trägt das gleiche Kleid wie Rebekka.
Aber die
hat nur Augen für Daniel, und er hat nur Augen für sie.
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