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Diese armselige Geschichte möchte ich Daphne du Maurier widmen, deren Romane und vor allem Kurzgeschichten ich sehr liebe und bewundere.

 

Der GARTEN

Dieser lichte Schatten, wie wundervoll kühl und warm zugleich er war! Evelyn räkelte sich genüsslich auf ihrem Liegestuhl und blickte hinauf in das Grün des Baumes über ihr, wo gerade ein Zaunkönig eine Schimpfkanonade losließ.
In den ersten Tagen des Frühlings hatte sie auf der Sonnenterrasse gesessen, dort war man geschützt vor den kalten Stürmen, die hoch über ihr dahinbrausten, dort wurde jeder noch so flache Sonnenstrahl aufgefangen, dort herrschte eine Wärme, die ihre winterkalten Glieder auftaute.
Jetzt im Hochsommer war es natürlich viel zu heiß auf der Sonnenterrasse, aber der Garten war flexibel, er bot viele schattige Plätze, um die Sommerglut erträglich zu machen.
Sie liebte den Garten. Ihren Garten! Denn schließlich hatte sie allein ihn zu diesem verzaubernden Ort gemacht.

Als ihr Mann und sie das Haus kauften, war der Garten hässlich gewesen, mit vertrocknetem Rasen, mit verschnörkelten kitschigen Laternen und einer aus Abfällen zusammengeschusterten Laube mit riesigen Neonröhren und mit Plastikfenstern, auf denen Embleme von Fußballvereinen klebten, um die Vögel davon abzuhalten, dagegen zu fliegen und dann zu verenden. Was für ein einziger die Sinne beleidigender Mist, der nichts anderes verdiente, als entfernt zu werden!
Das Telefon klingelte, unwillig hob sie den Hörer ab. Meistens riefen nur Leute an, die ihr viel Zeit stahlen mit unwichtigem Geschwätz. Diesmal jedoch war es eine Freundin, zu der sie den Kontakt erst kürzlich wieder hergestellt hatte. Manchmal verlangte es sie danach, alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen, denn all ihre Bekannten schienen von hier fortzuziehen oder gar zu sterben.
„Du wolltest mich doch besuchen.“ Die Stimme ihrer Freundin klang ein wenig vorwurfsvoll. Evelyn konnte das verstehen, denn Susan war schon zweimal zu Besuch hier gewesen, während sie selber...
„Natürlich komme ich dich besuchen. Aber du weißt ja, wie viel Arbeit ich habe...“
„Ach, stell’ dich nicht so an!“
„Okay, ich komme.“ Es kostete Evelyn viel Kraft, das zu sagen, denn instinktiv wusste sie, dieser Besuch würde ein Fiasko werden.

Sie hatten alles abgerissen, und die neue Sonnenterrasse befand sich nun auf dem einzigen Fleck im Garten, der den ganzen Tag von der Sonne beschienen wurde.
Evelyn als frische Haus- und Gartenbesitzerin hatte im Grunde keine Ahnung, wie ein Garten behandelt und gepflegt werden musste. Sie versuchte es einfach mit der Versuch- und Irrtummethode.
Sie kaufte jede Menge Blumen, sie grub Löcher in den Boden – das war mühsam, denn der Boden wurde beherrscht von den riesigen Lebensbäumen, die ihr Wurzelwerk quer durch den Garten schickten – und pflanzte die neuen Blumen ein.
Fast nichts von den wunderschönen Gewächsen überlebte. Entweder gingen sie an einem Mangel des Bodens zugrunde, oder sie wurden von gierigen Schädlingen aufgefressen, hauptsächlich von Kellerasseln. Evelyn hasste die schwarzen vielbeinigen Asseln, sie schienen sich gerne an feuchten Orten aufzuhalten. Und das Haus war feucht, zumindest im Kellerbereich, aber dagegen konnte man nicht viel machen. Sie hatten so viel Geld in den Hauskauf investiert, dass sie davor zurückscheuten, noch mehr Geld in eine teure Sanierung zu stecken.
Evelyn, eine im Grunde sture Person, versuchte es mit anderen Blumen. Auch das misslang, es war zum Verzweifeln, nichts wuchs, alles wurde aufgefressen von Schädlingen, oder es litt an schimmeligen Krankheiten.
Evelyn resignierte fast im zweiten Jahr.
Dann versuchte sie es mit einer anderen Methode. Der Efeu, der sporadisch unter den alles bestimmenden Eiben wuchs, war anscheinend resistent genug, um im Garten zu überleben. Sie schnitt ein paar Triebe ab, legte sie in Wasser und wartete, bis sich Wurzeln bildeten. Und auf dem Weg zum Baumarkt, den sie und ihr Mann mittlerweile bis zum Erbrechen kannten, grub sie Babyfarne und lange vielversprechende Gräser aus, um sie später in den Garten zu pflanzen.
Es gelang. Der selbstgezüchtete Efeu ging an und trieb mächtige Ausläufer. Auch die in der Umgebung gesammelten Farne und Gräser entwickelten sich zu stattlichen Exemplaren, die sich verführerisch im Wind bewegten. Der Garten hatte wohl Bedenken gegen bunte Blumen, die in seiner Erde wachsen sollten, aber gegen Farne und Gräser hatte er nichts einzuwenden.
Evelyn besorgte sich neue wunderschöne Blumen, aber diesmal pflanzte sie diese in große dekorative Tontöpfe. Auch das gelang. Duftiger Phlox, weißes Schleierkraut, hellgrüne Petunien, Eisenkraut, Glockenblumen und Dahlien, all das gedieh prächtig. Und in den langen Sonnenstrahlen am Ende des Tages sahen sie so strahlend bunt aus, dass sie fast weinte ob dieser Pracht.
Nach drei Jahren angestrengter Arbeit war der Garten ein Traum, der von vollendeter Schönheit und Freiheit träumte. Niemand von den Besuchern ahnte, wie viel Mühe Evelyn aufwenden musste, um die Illusion der gezähmten Wildnis aufrecht zu erhalten.
Alle Gäste bewunderten den üppigen Efeu, der die hässliche Garage mittlerweile ganz bedeckte, sie starrten ehrfürchtig auf den wilden Wein, der sich zwischen den Efeu drängte und im Herbst in losen leuchtend roten Kaskaden herunterhing. Ja, es war ein Traum...
Seltsamerweise überlegte Evelyn – während sie auf ihrem Liegestuhl lag – warum sie keine Kinder hatte. Als sie ihren Mann kennen lernte, war sie schon Mitte dreißig gewesen. Und sie hatte auch vorher nie übers Kinderkriegen nachgedacht. Warum eigentlich nicht? Es musste, so stellte sie bitter fest, an ihrer Kindheit liegen, an ihrer Mutter, die sie damals als Kind so... Nein, sie wollte nicht darüber nachdenken. Es war vorbei, und sie konnte nicht alle Misserfolge ihres Lebens auf das Verhältnis zu ihrer Mutter schieben. Es gab immerhin so etwas wie den freien Willen. Oder nicht? Evelyn war sich da nicht sicher. Wenn man sich hinstellte und rief: Ich will glücklich werden, dann funktionierte das wohl kaum. Aber wenn man sich hinstellte und rief: Ich will unglücklich werden, dann hatte man bestimmt eine gute Chance...
Außerdem hätte ein Kind den Garten ruiniert. Falsch, dachte Evelyn, wenn wir ein Kind gehabt hätten, wäre der Garten in dieser Form nie entstanden. Sondern... ja was wohl? Eine karge platt getretene Wiese mit einem Sandkasten und einer hässlichen Schaukel?
In diesem Augenblick überkam sie eine andere Vision: Ein Kind umarmte sie, es lachte und rannte dann in den Garten.
Ja, so hätte es sein können, aber so war es nicht geschehen, und jetzt hatte sie den Garten, diesen wunderschönen Garten, den sie alleine erschaffen hatte und der irgendwie ihr Kind war.

Natürlich war der Besuch bei ihrer Freundin ein Fiasko. Die Wohnung von Susan lag im vierten Stock einer Mietskaserne, besaß nicht einmal einen Balkon, und Evelyn fühlte sich nach kurzer Zeit eingesperrt und verloren. Was tat sie hier? Es war alles so hässlich!
Nach zwei grauenhaft langen Stunden verabschiedete sie sich erleichtert von Susan, versprach ihr sogar, sie bald wieder anzurufen.
Doch als sie endlich auf der Straße stand, war dieses Versprechen schon vergessen. Noch einmal in diese hässliche Wohnung? Nein!

Es war gut, wieder daheim zu sein. Sie machte eine kurze Runde, versorgte die bunten Blumen in ihren Tontöpfen mit Wasser und setzte sich schließlich befriedigt auf die Stufe, die von der Hausterrasse in den Garten hinab führte.
Warum eigentlich sollte sie woanders hingehen? Der Garten, dieser verzauberte Ort war besser als alles, was sie jemals gesehen hatte. Sie wusste nicht mehr, warum sie den Kontakt zu ihrer Exfreundin wieder aufgenommen hatte. Susan war ihr so entsetzlich fremd geworden. Es gab zwischen ihnen keine Gemeinsamkeiten mehr – seltsam, früher hatten sie sich einen Liebhaber geteilt – Susan war noch genauso romantisch wie früher, glaubte immer noch an die große Liebe und träumte tatsächlich von einem weißen Brautkleid. Na gut, wenn sie wollte...
Evelyn ließ sich von der sanften Abendbrise umschmeicheln, die gerade durch den Garten wehte. Sie hörte leises Glockengeläut, als würde der Garten alle lästigen lauten Geräusche ausfiltern und nur einen wunderbaren Hauch davon zulassen. Sie saß still auf den Stufen und genoss diesen perfekten Augenblick.
Wieder ging das Telefon.
Verdammte Störenfriede! Sie wollte eigentlich nicht ans Telefon gehen, nahm aber schließlich doch den Hörer ab, genervt von dem penetranten Klingelton.
Diesmal war es ihr Vater, und seine Stimme hörte sich besorgt an: „Evelyn, oh Gott, es ist etwas Schreckliches passiert...“
„Was denn, Daddy?“ Evelyn liebte ihren Vater, obwohl er sie nie vor ihrer Mutter beschützt hatte.
„Deine Mutter liegt im Krankenhaus“, die Stimme ihres Vaters hörte sich gequält an. „Sie hatte einen Herzinfarkt.“
„Oh“, Evelyn wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich vollkommen leer, obwohl sie doch eigentlich entsetzt und bestürzt sein müsste. Stattdessen musste sie an die Schläge denken und an die Demütigungen...
„Du solltest herkommen...“, sagte ihr Vater.
Sie sah ihn deutlich vor sich, er war nie sehr groß gewesen, und kleine Männer haben es an sich, im Laufe des Alterns immer kleiner zu werden, ganz im Gegensatz zu ihren größeren Ehefrauen. Wie ungerecht!
„Ich werde sehen“, sagte sie unbestimmt und fühlte im gleichen Moment, wie eine große Last sie überkam. Was verlangte man da von ihr? Ihre Mutter liebte sie nicht, hatte sie nie geliebt und würde sie auch nicht brauchen. Denn man braucht nur diejenigen, die man liebt. Also was sollte sie dort bei ihrer Mutter? Krampfhaft überlegte sie, sich vielleicht ein ärztliches Attest zu besorgen, vielleicht wegen einer Krankheit, die es ihr unmöglich machte, zu verreisen. Was für eine absurde Idee...
„Ich werde sehen“, sagte sie noch einmal vage.

Sie fühlte sich schlecht, als sie wieder in den Garten ging, doch dieser besänftigte ihre Gefühle. Wie wunderschön er doch war! Niemand konnte sie zwingen, irgendwo anders hinzugehen.
Eigentlich, dieser Gedanke kam ihr völlig überraschend, hielt der Garten sie davon ab, ein normales Leben zu führen, Fahrradtouren zu unternehmen, Freunde zu besuchen oder gar zu verreisen.
Die Schatten unter den Bäumen vertieften sich unmerklich, der Klang des leichten Windes nahm einen pfeifenden Ton an, die Wärme des Windes verwandelte sich unmerklich in einen kalten Hauch, und Evelyn fröstelte ein wenig.
Diese Dinge brauchte sie nicht, der Garten gab ihr doch alles, was schön und gut war.
Die Schatten unter den Bäumen erhellten sich unmerklich, der kalte Hauch des leichten Windes verwandelte sich eine schmeichelhafte erfrischende Brise, und Evelyn fühlte sich jung, beschützt und zufrieden.
Doch etwas stimmte da nicht. Durch das Grün des wilden Weins hindurch schimmerte etwas Graues, das sich als Betonbrocken entpuppte. Verdammt, wieso konnte man diesen Betonbrocken sehen? Er machte die Schönheit des Gartens kaputt!
Sie musste weg von hier, verspürte den Drang, in der Gegend herumzulaufen. Hatte das Gefühl, hier zu ersticken.
Sie nahm ihre Tasche und die Hausschlüssel an sich und lief eilig hinaus, vielleicht würde sie ja ein paar wildlebende Pflanzen finden, die stark genug waren, um im Garten zu überleben.
Sie seufzte auf. In den ersten Jahren hatte ihr System blendend funktioniert, sie konnte sogar das Haus ausmisten und den Schutt im Garten vergraben, im Keller wurde eine Wand nicht mehr gebraucht, warum nicht in den Garten. Da wuchs ja sowieso nichts richtig. Efeu drüber und fertig!
Doch in diesem Jahr hatte sich alles umgedreht, der wuchernde Efeu schwächelte, verlor sich endlos in monströsen Stängeln und behaarten Wurzeln – und verdeckte kaum noch etwas. Sie hatte ihn teilweise entfernen müssen, doch auch der Rest war dabei, zu verkümmern. Was sollte sie tun, wenn der Efeu ganz ausfiel? Der wilde Wein allein würde es nicht schaffen. Antwort: Ummanteln, verschönern, verdecken wie sonst auch...

Tatsächlich wurde sie fündig: Ein hochgewachsenes Kraut mit gelben Blüten, sie hatte es förmlich herausreißen müssen wegen seiner dicken Wurzeln. Wenn das anging, war es ein Erfolg!
Sie holte eine Schaufel und versuchte, die von ihr selber eingegrabenen Steine zu lockern, es klappte, und sie staunte darüber, wie groß sie waren. Der ganze Garten bestand eigentlich nur aus verborgenem Müll, kein Wunder, dass nichts wirklich Schönes darin wuchs.
Dort diesen Klumpen Beton hatte sie mit Wut vergraben, die anderen Scherben waren hinzu gekommen, alles vergraben, die Wut, die Enttäuschungen, der Frust, der Neid, die Komplexe... Wirklich kein Wunder, dass nichts darin wuchs, nur Unkraut, welches sie aber mit Wildkraut betitelt hatte.
Ein schöner Name, eine miese Illusion...
Seufzend machte sie sich daran, alles auszugraben. Und sie fühlte glücklich, als sie es tat. Jeder Stein, den sie ausgrub, machte ihre Seele leichter, befreite sie von uralten Qualen...

Stunden später griff sie zögernd zum Telefon.
„Daddy? Wie geht es ihr?“
„Es geht so.“
„Meinst du, sie freut sich, wenn ich komme?“
„Evelyn, bitte, sie spricht nur noch von dir...“
„Dann werde ich wohl kommen müssen.“ Evelyn lächelte und blickte in den Garten hinaus. Er sah jetzt aus wie eine Mondlandschaft, aber sie würde das Beste draus machen.
Tja, es würde nicht einfach werden, und damit meinte sie seltsamerweise nicht den Garten...

~*~*~*~ ENDE ~*~*~*~

 

<zum Vergleich die alte Fassung>

BOOKRIX

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