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DIE F-AKTEN Teil 5
Das Ende naht auf dem unmöglichen Planeten Merde. Dabei sind gerade mal ein paar Mondume vergangen...
„Nein, nicht das Laptop!“ INGA INDIOTA ist ziemlich gefrustet. MOTZFOTZ, der 1. Abteilungsleiter hat nämlich wieder sein unsägliches Laptop mitgebracht, welches er sich letztens zulegte, ohne auch nur den blassesten Schimmer von Computern zu haben. Und INGA muss alles wieder ausbessern und wiederherstellen, was er in seiner Unwissenheit zerstört hat. Stressig ist das, vor allem wenn man nebenbei auch noch einiges zu tun hat.
Und nicht nur das, auch DENUNZI lebt noch, und er lebt gar nicht mal schlecht. Ab und zu hört man zwar ein Aufjaulen aus dem Nebenraum, wo Abteilungsleiter 1 und Abteilungsleiter 2 sitzen. Sie raufen sich die Haare und jaulen über die Faulheit und Unfähigkeit von DENUNZI, aber DENUNZI setzt dann einfach sein blödestes Lächeln auf.
INGA INDIOTA grübelt manchmal darüber nach, ob er vielleicht noch ein anderes Lächeln auf Lager hat, und sie würde sich gerne mit CALLY BLONDIE darüber unterhalten, aber CALLY ist nicht mehr da, sie ist jetzt eine Etage tiefer, und INGA wundert sich immer noch, wie das geschehen konnte. Anscheinend haben LABERZWERCH und sein Liebling JANA ROBERTS das bewerkstelligt. INGA fühlt sich verlassen, jetzt hilft ihr keiner mehr. Aber die arme Cally hat’s bestimmt noch schlimmer getroffen, denn die Abteilung, in der sie jetzt ist, nee, nee, da sind wirklich nur dumme und gemeine Leute. Nicht dass es hier viel anders wäre, aber immerhin hat INGA sich ihre Position hier mühsam erkämpft, aber ob CALLY das in dieser speziellen Abteilung schafft? INGA bezweifelt es.
Doch zurück zu DENUNZI: Jedenfalls scheitern seine Vorgesetzten an ihm, er macht einfach zu viele Fehler, und ihre Stimmbänder würde es nicht aushalten, wenn sie ihm all diese Fehler vorwerfen würden.
DENUNZI ist also fein raus. Und er hat sogar noch eine Verbündete gewonnen. Man glaubt es nicht: Es ist JANA ROBERTS!
JANA ROBERTS hat sich von DENUNZI einfangen lassen, die blöde Nuss ROBERTS ist so glücklich darüber, dass ihr jemand offenkundig Komplimente macht, dass sie alle ihre Prinzipien in Bezug auf DENUNZI aufgegeben hat. Als da waren: Der Typ sieht grässlich aus, er ist geschmacklos, er ist frech, er ist unverschämt – und vor allem würdigt er meine Schönheit nicht und auch nicht meine einzigartige Persönlichkeit... Anscheinend würdigt er diese ihre Schönheit und Persönlichkeit jetzt doch, und INGA geht das Getur-tel zwischen den beiden fürchterlich auf die Nerven. INGA hat im Augenblick soviel zu tun, dass ihr ein-fach alles auf die Nerven geht. Eine gewaltige Preiserhöhung steht ins Haus, die Rohstoffpreise in Stasien sind gewaltig gestiegen, denn der große bisher ziemlich abgeschottete Staat SCHINDA hat sich nunmehr entschlossen, auch am mirdischen Geschehen teilzuhaben und ein paar Ressourcen zu verbrauchen, genau wie der andere große entgegengesetzte Staat SAU (Stato Amico Unitone), der Hauptverbraucher aller Energien auf der Merde. Schlaue Köpfe haben zwar ausgerechnet, dass die mirdischen Rohstoffe nicht mehr lange ausreichen würden, wenn der Staat SCHINDA genauso verschwenderisch damit umginge wie der Staat SAU. Aber wen juckt’s, haben sie nicht alle ein Recht aufs Energieverschleudern?
Sie könnte also teuer werden, die Kochtopfherstellung. Und das heißt: Preiserhöhung! INGA muss mit einem sehr unbeweglichen Programm arbeiten, welches eher für einen Tante–Erna–Laden geeignet wäre und das die SCHRECKLICHE MEDUSA der Firma aufgezwungen hat. Jedenfalls erfordert es alle geistige Kraft von INGA, sich was einfallen lassen, um circa 50.000 Preise zu einem bestimmtem Zeitpunkt und mit allen Sonderkonditionen für diverse Kunden und Kundenkreise richtig zu hinterlegen. Sie träumt sogar nachts davon.
Als sie gerade voll in diese Arbeit vertieft ist, hört sie eine Stimme. Es ist die des Juniorchefs, der vor ihr steht, und zwar mit einem beängstigend dicken Aktenbündel in der Hand.
„Wir haben gerade neue Produkte ins Programm aufgenommen, nämlich Kunststoffartikel“, erzählt er locker, während INGA ihn misstrauisch ansieht.
„Und Sie sollen das Ganze einrichten!“ Bei diesen Worten grinst er wohlwollend.
Hmm, kann ja nicht so schlimm sein, INGA fühlt sich ein bisschen geschmeichelt. Im Einrichten ist sie wirklich gut. Ein paar Artikelnummern anlegen, ein paar Preise hinterlegen, kein Problem. Dafür hat sie noch ein kleines Zeitfenster frei...
Doch als der Juniorchef weg ist, ruft BIG BOSS sie an, und sie erkennt, dass sie demnächst die ganzen eingehenden Aufträge für dieses dubiose Material schreiben muss – und auch noch die Rechnungen. Verdammter Mist! Von wegen nur Einrichten, jetzt hat sie das Zeug für ewig an der Hacke. Sie versucht, sich rauszureden, macht den Chef drauf aufmerksam, dass sie nur sechs Stunden arbeitet und dass andere viel mehr Zeit dafür... Doch Chef würgt sie ab: „Ich kann nur IHNEN vertrauen...“
Es läuft darauf hinaus, dass INGA ab jetzt immer in ‚freudiger’ Erwartung dieser Aufträge und dieser Rechnungen ist. Leider kommen diese meistens kurz vor ihrem Feierabend. Tja, die müssen heute noch raus, sagt der Typ, der die vorbereitet.
Jedenfalls ist INGA stocksauer, sie fühlt sich mittlerweile der ganzen Sache nicht mehr gewachsen. Und es macht auch keinen Spaß mehr. Früher, ja da hat sie alles geschafft, aber jetzt nicht mehr. Vor allem wenn sie ansehen muss, wie JANA ROBERTS absolut NICHTS tut. Und wenn sie mal was tut, dann geht es voll in die Hose, und Verehrer LABERZWERCH tut alles, um das zu vertuschen. Während er ihr, INGA, alles in die Schuhe schieben will, was er selber verbockt hat. Zum Kotzen das!
Das Telefon klingelt wieder penetrant, Inga schaut wütend auf DENUNZI – der natürlich Privatgespräche führt – und nimmt dann den Hörer auf. „Mein Name ist FRESSEN“, sagt sie am Ende des Gesprächs. Oh nein, was erzählt sie denn da? FRESSEN ist doch der Name der Stadt. Verdammt, die machen sie alle fertig!
Wieder klingelt es penetrant, DENUNZI telefoniert immer noch und grinst sie hinterhältig an. Am Telefon fragt eine Männerstimme nach JANA ROBERTS. Es ist ihr Mann. Herr des Himmels, die telefoniert doch mindestens zwanzigmal am Tag mit ihrem Göttergatten! Das fängt doch schon frühmorgens an und setzt sich den ganzen Tag fort... „Die ist nicht gerade da...“ Aua, INGA muss lachen, das war ja echt passend!
So, und jetzt wird sie keinen Anruf mehr entgegennehmen, BIG BOSS hat ihr gerade genug zusätzliche Arbeit aufgebrummt... Und dann muss sie sich noch um den Azubi kümmern.
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„So machen wir das also mit den Preisen“, sagt sie lächelnd zu dem jungen Mann neben ihr. Sieht nicht übel aus, der Kleine, denkt sie so nebenbei. Im Moment ist es ruhig, nicht viel Arbeit in der Abteilung, kaum Aufträge von anderen Abteilungen und auch keine Urlaubsvertretungen...
„Was denn, was denn?“, fragt der Azubi.
„Wir machen demnächst jeden Morgen so ’ne Art Brainstorming“, verkündet INGA verheißungsvoll.
„Ist ja Hammer! Echt mit ausdiskutieren?“ Der Azubi schaut sie neugierig an.
„So ähnlich... Ich dachte mir, wir hängen so ’ne Art Dartscheibe mit Preisen hinter uns auf.“ INGA grinst heimtückisch.
„Und was dann?“, fragt der gutaussehende Azubi sie gespannt.
„Und dann... werfen wir einfach blind nach hinten irgendwelche Pfeile auf die Scheibe...“
„Echt!!!“
„Na ja, ich schätze mal, da können wir nicht viel verkehrt machen.“ INGA muss lachen, denn sie ist die einzige, die weiß, was sie eigentlich nicht wis-sen soll: Mit der Preispolitik der Abteilung steht es sehr im Argen, die beiden Abteilungsleiter arbeiten kontrovers, jeder macht seine eigenen Preise, MOTZFOTZ extrem niedrige und LABERZWERCH eher höhere. Irgendwann wird der schlaue Fuchs SHERMAN SHIT das rauskriegen, ist nur eine Frage der Zeit, und dann wird es ein furchtbares Donnerwetter geben. Hoffentlich ist nicht SIE es, die den ganzen Mist ausbaden muss. Denn sie hat die Preise ja hinterlegt...
Sie schaut auf und sieht WISPER vor ihrem Schreibtisch stehen. Er sieht glücklicher aus als sonst, stimmt ja, er hat ab morgen drei Wochen Urlaub.
„Und, Herr Wisper“, sie möchte mal freundlich zu ihm sein, weil es sonst keiner ist und sie gerade einen Augenblick Zeit hat, „haben Sie denn schon ihr Urlaubsgeld beantragt?“
WISPER glotzt sie an wie eine außermirdische Erscheinung.
„Warum gucken Sie denn so, Herr Wisper?“ INGA muss lachen, er sieht so komisch aus mit seinem offenen Mund...
„Wawawawas denn ffür ein Urlaubsggeld?“
INGA schüttelt erstaunt den Kopf: „Na das Urlaubsgeld, das wir alle bekommen, nach drei Jahren ein Viertel vom Gehalt, nach sechs Jahren die Hälfte – und nach neun Jahren drei Viertel vom Gehalt.“
Das Gehalt ist natürlich nicht sehr hoch in der Firma – ausgenommen natürlich für die höheren Chargen – und deswegen ist dieses Urlaubsgeld sehr beliebt bei den kleinen Angestellten.
„Hhhab’ ich nnoch nnie gekriegt!“
„Sie müssen es natürlich in der Buchhaltung beantragen. Hat zwar nie einer verstanden, wieso, aber so ist es nun mal hier.“
„Dddas hhat mmir kkeiner ggesagt!“
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, empört sich INGA. „Ich weiß zwar nicht, ob die Leute im Lager es kriegen, aber HIER in der Verwaltung auf jeden Fall! Wissen Sie was, wir gehen jetzt sofort in die Buchhaltung und machen das klar! Wie lange sind Sie jetzt schon bei der Firma?“
„Vvier Jahre hier und ddrei Jahre im Llager...“
„Vielleicht kriegen Sie es ja noch rückwirkend...“ INGA stöhnt lautlos vor sich hin: Hat noch nie Urlaubgeld gekriegt! Wo sind wir denn hier? Was für ein verdammter Miststall!
Sie steht auf, um mit WISPER in die Buchhaltung zu gehen und um dort mal richtig Theater zu machen, falls sie dieses ewig schlafende faule Huhn da unten wach kriegt.
Als sie mit WISPER im Schlepptau an den uralten Karteikästen vorbeigeht, spürt sie wieder einen leichten Stich im Auge.
Sie weiß natürlich nicht, dass sie gerade der Träger einer absolut tödlichen Krankheit geworden ist, die ungefähr achtzig Prozent aller Menschen auf der Merde dahinraffen wird. Und zwar in kürzester Zeit. Der erste der Acht Merdeuntergänge lässt grüßen...
Denn die Zivilisation, die sich im Staub dieses Karteikastens entwickelt hat, ist mittlerweile fortgeschritten genug, um sich an ihrem mutmaßlichen Erschaffer zu rächen. Sie schießt mit starken Bakterien auf alles am Himmel dort oben – und INGA ist die Erste, die ihr zum Opfer fällt.
INGA muss sich also keine Gedanken mehr über die praktische Umsetzung der kommenden Preiserhöhung machen, aber das weiß sie natürlich nicht. INGA wird auch nicht erfahren, dass WISPER sein Urlaubsgeld erhält, und zwar für drei Jahre rückwirkend. Er wird übrigens der einzige sein, der in dieser Abteilung die Seuche überlebt. Doch das nützt ihm nicht viel, die Firma meldet Konkurs an, weil sie einfach keine Kunden mehr hat...
INGA, die nie im Leben richtig krank war, wird ihre Rente nicht mehr erleben.
Aber auch darüber muss sie sich keine Gedanken mehr machen...
~*~*~*~ E N D E ~*~*~*~
© Ingrid Grote 2007–2012
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