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PRRASSITA... Während die abendlichen Schatten sich langsam verfinsterten, schlenderte Gordan durch die dunklen stinkenden Gassen, vorsichtig und immer auf der Hut vor Überfällen. Am Rande der Wüste gelegen, litt die kleine Stadt akut unter Wassermangel. Und genau deswegen befand sich der staatliche Wasserinspektor hier, ein Aqua-Via war zerborsten, das lebensspendende Wasser versickerte nutzlos im Wüstensand, während die Strolche in dieser Stadt dürsteten. Nein, sie dürsteten nicht wirklich, es gab Wasser, das mühsam mit Ochsenkarren vom weit entfernten Fluss herbeigeschafft wurde. Aber es war teuer, und sobald eine Ladung eintraf, konnten nur die angeforderten Soldaten die ausgedörrte Bevölkerung davon abhalten, die Wasserwagen zu stürmen und zu plündern.
Obwohl Gordan der Chef war, schuftete er selber hart unter der glühenden Sonne, die ihm fast das Gehirn ausbrannte und ihn mit seltsamen Visionen erfüllte. In seinen Hitzeträumen sah er immer wieder die gleiche Gestalt, sie lief vor ihm weg, und er verfolgte sie, begierig darauf zu wissen, wer oder was es war. Doch nie kam er ihr nahe genug, um sie wirklich erkennen zu können. Verdammte Wüstensonne, sie hatte wahrscheinlich auch seinen lokalen Helfern das Hirn ausgebrannt, denn diese Irren glaubten tatsächlich an unheimliche Wesen, welche in der Wüste lebten und die Stadtbewohner versklaven wollten. Absurd!
Während er durch die düsteren stinkenden Gassen spazierte, brodelte es in ihm. Er hasste diesen Ort. Er war grauenhaft, unzivilisiert und schmutzig. Gefangene Raubtiere wurden hinter Gitterstäben präsentiert, und die Zuschauer durften – gegen eine kleine Gebühr natürlich – die armen Geschöpfe mit spitzen Speeren quälen. Auch Prostituierte wurden in Käfigen präsentiert, nur waren diese Käfige rot beleuchtet. Auch diese Geschöpfe, so dachte Gordan verächtlich, durfte man für ein paar Fäkas quälen, egal ob mit spitzen oder mit stumpfen Speeren...
Ein Sprechgesang lockte ihn aus den dunklen Gassen heraus, und er ging den Weg zum verlassenen Tempel empor. Das hässliche Gebäude leuchtete in der beginnenden Nacht wie ein ausgebleichtes Skelett, und mehr stellte es auch nicht dar. Die Gottheit des Tempels war anscheinend tot, doch Scharen von neuen Propheten belagerten den Weg. Einer nach dem anderen hatte sich dort eingerichtet, um für seinen Gott Werbung zu betreiben, und je höher man kam, desto zahlreicher wurden die Gläubigen – und umso reicher sahen die Diener der Propheten aus.
Welch abergläubische, schmutzige kleine Stadt!
Gordan schüttelte angewidert und gleichzeitig hoffnungsvoll den Kopf. In spätestens zwei Tagen würde die Wasserleitung vollbracht sein, dann konnte er endlich diesen Ort verlassen, sich in seine luxuriöse Wohnung zurückziehen und sich wieder seinen Studien widmen – und vor allem wäre er dann frei von dieser Stadt.
Aus seinen Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr, eine sanfte Bewegung, ungewöhnlich an diesem Ort der hektischen Betriebsamkeit. Und seltsamerweise fühlte er sich erinnert an die Gestalt, die vor ihm weglief, tagsüber, wenn das Sonnenfieber von ihm Besitz ergriffen hatte und ihm Visionen verpasste. Doch wenn es wirklich die Gestalt aus der Wüste war, dann würde er sie diesmal nicht entkommen lassen, er wollte sehen, was da vor ihm weglief. Also eilte er ihr nach, es fiel ihm nicht schwer, sie einzuholen.
Und dann sah er sie endlich. Es war eine Frau, gekleidet in ein fließendes tiefblaues Gewand. Es umschmeichelte ihren Körper, passte sich ihm vollendet an, und es schien die Farbe zu wechseln. Mal schimmerte es silbern im Mondlicht, mal reflektierte es schemenhaft die smaragdfarbenen Sterne auf dem dunklen Samt der Nacht. Eine perfekte Tarnfarbe. Aber nicht das Gewand faszinierte ihn, sondern die Frau, die es trug. Im Mondlicht konnte er ihr Gesicht erkennen, es war vollkommen ausdruckslos, weder Freude noch Trauer lagen darin, doch gerade diese Ausdruckslosigkeit zog ihn magisch an. Die Leere ihres Gesichtes erschien ihm wie ein unbeschriebenes Blatt, welches man mit Leben erfüllen konnte. Vielleicht mit Buchstaben, auf denen geschrieben stand, was sie fühlte...
Er beugte sich vor, um in der Leere ihres Gesichtes zu versinken, doch in diesem Moment zischte etwas haarscharf an seinem Kopf vorbei, und zu seiner Bestürzung sah er, dass die Frau von einem Stein getroffen war. Von ihrer Schläfe rann ein dünner Blutfaden herab, aber es schien sie nicht zu kümmern. Ganz im Gegenteil, sie lächelte.
Doch Gordan kümmerte es, er wollte wissen, wer das getan hatte, und er drehte sich abrupt um. Ein paar zerlumpte Strolche stürmten gerade mit Steinen in den Händen den Hügel empor, unter wüstem Gegröle und mit unbeholfenen Bewegungen versuchten sie die Steine auf die Frau zu werfen, aber natürlich ging alles daneben. Was für ein Pack! Gordan fühlte Wut in sich hochkommen.
Seine selbstsichere Erscheinung baute sich zu voller Größe auf, und tatsächlich hielten sie in ihrem Lauf inne, zögerten, blieben schließlich unschlüssig stehen und tuschelten miteinander. „Haut ab!“, die Härte seiner Stimme machte großen Eindruck auf sie, vielleicht erkannten sie aber auch nur, dass er der staatliche Wasserinspektor war. Wie auch immer, sie traten zögernd und murrend den Rückzug an.
Nur ein gebrechlicher alter Mann kam humpelnd näher. „Prrassita!!!“ Das Wort stolperte aus seiner dunklen Mundhöhle hervor, nur gebremst durch einen schwarzen Zahnstumpf, der ihm aus dem Unterkiefer ragte. Ein widerwärtiger alter Mann, ein hämisches Grinsen lag auf seinem zerstörten Gesicht wie eine ekelhafte Maske, in der Augen wie schwarze Löcher gähnten...
Gordan strafte ihn mit Nichtachtung. Wer war er, dass so ein Pack ihn belästigte? Eine drohende Handbewegung scheuchte den alten Mann schließlich davon.
Er wandte sich der Frau zu. Sie stand neben ihm, teilnahmslos und immer noch lächelnd. „Was wollen die von dir?“
Sie lächelte immer noch, und Gordan blickte sie gierig an, um dieses Lächeln in sich aufzunehmen.
„Hier gibt es nur Irre“. sagte er schließlich und ergriff ihre Hand, die sich angenehm kühl anfühlte. Hand in Hand gingen sie nebeneinander her, ab und zu warf er ihr einen Blick zu. Ihr Mantel entwickelte ein Eigenleben, wie es schien, er wogte hin und her und schmiegte sich um den Körper der Frau wie ein zärtlicher Liebhaber.
„Kannst du nicht sprechen?“ fragte er sie und blieb stehen.
Ihr ausdrucksloser Blick bohrte sich in den seinen, sie bewegte die Lippen, aber heraus kam nur ein Stöhnen.
„Das macht nichts. Wo wohnst du?“ Seine Stimme klang besitzergreifend.
Sie starrte ihn stumm an und schüttelte dann den Kopf. Immerhin verstand sie ihn, sie war nicht geistig behindert, war vielleicht nur stumm, gar nicht schlecht, eine stumme Frau...
„Kommst du mit mir?“
Sie wandte ihren ausdruckslosen Blick von ihm ab und schaute hinaus in die nächtliche Wüste. Ihr Mantel schmiegte sich noch enger um sie, schien sie fast zu erdrosseln, doch dann drehte sie sich wieder Gordan zu. Zögernd nickte sie. „Ha...“ erklang es aus ihrem Mund, es sollte wohl der Versuch eines Ja sein. Sie war nicht wirklich stumm, aber er würde ihr das Sprechen beibringen, er würde ihr alles beibringen, alles was ihm gefiel...
Er hielt ihre kühle Hand immer noch, als sie in seinem Hotel ankamen, den Göttern sei Dank war der Portier gerade nicht anwesend und konnte auch nicht seine schmierigen Blicke auf die Frau legen.
Besitzergreifend betrachtete er sie, sie lag vor ihm auf dem Bett, sie trug immer noch den geschmeidigen Mantel, der sich an ihre verlockenden Glieder schmiegte wie ein Liebhaber.
Gordan war dieser Gedanke zuwider, er alleine sollte sie besitzen, alles von ihr besitzen, sie beschützen, sie erziehen, sie lieben... Lieben? Ein absurder Gedanke, aber er drängte sich ihm auf, und warum auch nicht?
„Warum ziehst du den Mantel nicht aus?“ Er hörte seine Stimme, sie klang erregt und fordernd. Die Frau schaute ihn mit ihren rätselhaften ausdruckslosen Augen an, dann schüttelte sie zögerlich den Kopf und blickte an sich herab, als ob sie Angst vor ihrer Bekleidung hätte.
Was war los mit dem Mantel? Nun gut, er würde ihn ihr einfach vom Leibe reißen.
Und genau das tat er auch, aber der Mantel haftete an ihr, als wolle er sich nicht von ihrem Körper lösen, Gordan wurde ungeduldig. er zerrte heftig an ihm, denn darunter ahnte er verschwommen ihre Haut und er war begierig darauf, sie in all ihrer betörenden Nacktheit zu sehen und zu nehmen.
Ein scharfes Kreischen erklang, der Mantel löste sich mit einem schmatzenden Geräusch von der Frau – und sprang Gordan mitten ins Gesicht. Gordan fühlte scharfe Krallen, die sich in seine Haut bohrten und seine Augen knapp verfehlten. Entsetzt sprang er zurück, aber er wurde den Mantel nicht los, er hatte sich in ihm verbissen, womit verbissen? Gordan reagierte automatisch, zum Nachdenken war keine Zeit, er packte das Wesen, riss es von sich ab, er spürte den Schmerz nicht, als ihm das Ding Fleischfetzen aus der Brust und aus den Armen riss, instinktiv vermied er es, die Innenseite des ‚Mantels’ zu berühren, dort wo sich scharfe Zähne und stählerne Krallen befanden, er packte es hart am äußeren ‚Fell’, das mittlerweile so grell glänzte wie die Deckenlampe im Zimmer.
Es schrie qualvoll auf, als Gordan es gegen die Wand schmetterte, immer und immer wieder, bis es schließlich verstummte und wie ein Haufen Lumpen am Boden lag. Seine vorher so glänzende Farbe hatte sich aufgelöst, es sah einfach nur grau und stumpf aus. Und anscheinend war es tot.
Gordan keuchte immer noch, als er sich wieder der Frau zuwandte. Er sah etwas wie Dankbarkeit in ihren Augen. Es musste Dankbarkeit sein, wenn nicht gar Liebe. Sie stand da, so hilflos und schutzbedürftig, und sie war so wunderschön. Gordan trat auf sie zu und berührte sie an ihren Brüsten. Es erregte ihn dermaßen, dass er die Tätowierung auf ihrer Schulter übersah. Parasita stand dort in verblichener grüner Farbe, ein Buchstabe fehlte. Aber auch wenn er es gesehen hätte, es hätte keinerlei Einfluss auf ihn gehabt. Denn er würde sie mitnehmen, in die Stadt, in sein Leben, denn er brauchte sie, er brauchte sie wie einen Spiegel seiner Gefühle und Wünsche.
Manchmal sind die Geschichten wahr, manchmal leben in der Wüste nichtmenschliche Kreaturen, aber sie sind sehr anpassungsfähig – fast so wie Menschen – und sie versuchen, einen Wirt zu finden, der sie ernährt und beschützt. Wenn allerdings ein besserer Wirt erscheint, dann wechseln sie ohne Skrupel zu ihm.
© Ingrid 2009
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