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Der Himmel
über Rom

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Der Himmel über Rom Teil 15

EIN DRAMA IN ROM

Vanadis wachte auf. Verwirrt blickte sie um sich, aber ihre Augen waren verschleiert, und sie konnte nichts Genaues erkennen. Außerdem dröhnte ihr Kopf, als hätte sie Unmengen an Wein getrunken. Hatte sie einen üblen Traum gehabt? Seltsame Bilder schoben sich in ihr Gedächtnis. Ein Traum war es gewesen, ganz klar. Und dennoch erschien er ihr so furchtbar real.
Vorsichtig versuchte sie ihre Augen hin und her zu bewegen. Nach einiger Zeit verschwanden die lästigen Schleier, und ihr Sehvermögen kam zurück. Sie lag auf einem bekannten Lager und schaute auf eine weiße Wand mit einem winzigen Fenster darin. Alles erschien ihr so wundervoll vertraut.
Hoffentlich war wenigstens das real: Sie befand im Raum der Sklaven. Wer hätte gedacht, dass sie das jemals als tröstlich empfinden würde…
Mühsam tastete sie sich an ihre Erinnerungen heran. In ihrem Traum hatte sie ein seltsam nasses Gewand getragen, das war nun fort, Jupiter oder wem auch immer sei Dank dafür! Sie war in ihre normale saubere Tunica gekleidet. Hatte sie wirklich nur einen bösen Traum gehabt? Nein, sie träumte doch fast nie, ihr Schlaf war immer tief und fest gewesen. Also musste es - Entsetzen packte sie - doch Wirklichkeit gewesen sein? Nein, bitte nicht!
In diesem Augenblick kam die Nubierin ins Zimmer und sah sie besorgt an. „Wie geht es dir, Vanadis?“ Sie setzte sich zu ihr auf die Matratze, nahm ihre Hand und streichelte sie mitfühlend.
„Ich, ich weiß nicht“, stammelte Vanadis. „Wieso bin ich auf einmal hier? Und wo war ich vorher? Ich fühle mich, als hätte ich drei Amphoren Wein getrunken. Oder noch mehr…“
Terehasa streichelte immer noch ihre Hand, das war so beruhigend, und dann sagte sie: „Kurz vor Morgengrauen brachten dich drei Leibgardisten ins Haus.“ Die Nubierin verstummte für einen Augenblick, und sie schüttelte den Kopf, bevor sie weiter sprach: „Du warst in einer schrecklichen Verfassung, du hast laut geschrien, dich gewehrt gegen uns. Und du hattest seltsame Augen, riesig schwarz waren sie, wir glaubten, dass man dich unter Drogen gesetzt hatte. Denn du warst nicht ganz bei dir…“
„Was denn… Und wieso?“
„Wieso, das weiß keiner. Die Soldaten sagten nur, dass sie dich im Tempel des Bacchus gefunden hätten. Dort wurde wohl ein Ritual begangen, in dessen Verlauf eine Jungfrau geopfert werden sollte. Das leuchtete uns ein, denn du warst in ein blutdurchtränktes Gewand gekleidet. Es stank ekelhaft, und ich habe es verbrannt…“
Geopfert werden sollte? Blutdurchtränktes Gewand… Sie erinnerte sich auf einmal an das klebrige Gefühl, an den wilden Geruch. Und auch an ihre Erregung.
Plötzlich brach ihr der Schweiß aus, und sie hielt sich an der Hand der Terehasa fest. „Ich glaube, mir wird schlecht“, sagte sie. Eine Weile lag sie nur da und zitterte, der Traum war Wirklichkeit gewesen, aber sie war gerettet worden.
Doch dann fasste sie sich und fragte: „Wie geht es der Colonia? Ist sie in Sicherheit? Oder haben sie die auch…“
„Nein, es geht ihr gut, na ja, als gut kann man das nicht bezeichnen, denn ihre Mutter …“, Terehasa machte eine Pause, bevor sie weitersprach: „Das ist jetzt nicht wichtig. Jedenfalls war wohl die Colonia, welche die Garde verständigte. Die Garde ist dieser Tage sehr empfindlich, sie reagiert auf alles, was passiert…“
„Das ist schön“, murmelte Vanadis vor sich hin und schlief wieder ein.
Als sie aufblickte, saßen alle ihre Freunde an ihrem Bett. Terehasa, Swari, Bobo, der Koch Plejades und die beiden stummen Brüder.
„Was ist denn?“, fragte sie verwirrt. „Und wie lange habe ich geschlafen?“
„Ganz schön lange…“, sagte jemand. Vanadis hatte alles Zeitgefühl verloren und glaubte dies ungesehen.
„Die Herrin ist nicht heimgekehrt…“, Terehasas Stimme klang triumphierend, „man sagt, sie ist gefangen und eingekerkert im Palast des Kaisers.“
„Gefangen und eingekerkert!“, wiederholte Swari, die zierliche Syrierin die Worte Terehasas und lachte dabei. Swari hatte am meisten unter der Herrin gelitten, oft wurde sie dazu gezwungen, nackt bei deren Gastmählern zu servieren, zur Freude und Lust der anwesenden Männer und Frauen, denn sie musste jedem zu Willen sein.
„Die Schlampe liegt im Kerker des Claudius, und da gehört sie auch hin“, der Koch Plejades nickte triumphierend und spuckte aus: „Dieser mieseste Abschaum von Rom…“
„Sie wurde verhaftet, die Herrin, sie soll Hochverrat am Kaiser begangen haben“, sagte der Gallier Bobum, es klang zwar nicht hasserfüllt - die Herrin hatte sich seines eher bescheidenen Körpers nie bedient – aber doch zufrieden.
Die beiden stummen Brüder hielten sich im Arm und wirkten erleichtert.
„Aber es hat nichts mit der Messalina zu tun, oder doch?“ Vanadis war gerade der Marcus in den Sinn gekommen. Seine Frau saß im Kerker, des Hochverrats beschuldigt – und er liebte sie doch so sehr. Es musste furchtbar für ihn sein.
„Oh doch, die hat richtig mitgefeiert, und jetzt ist sie am Rande des…“, der Koch legte die Hand an seinen Hals und deutete das Köpfen an.
„Wir sind sie fast los, es kann nicht mehr lange dauern“, Swari jubelte auf, und Terehasa stimmte in ihren Jubel ein.
Vanadis fühlte sich wie gespalten. Natürlich wäre sie froh, wenn dieses Monster von Frau nie wiederkäme, andererseits dachte sie an die kleine Colonia. Die hätte dann ihre Mutter verloren.
Der Koch meldete sich wieder: „Da ist das letzte Wort nicht drüber gesprochen. Es gibt ja diesen Brauch, Schwerstverbrecher nicht zu töten, sondern bei ihren Verwandten unter Aufsicht zu stellen Beim ersten Mal konnte der Marcus sie nicht umstimmen, das erzählten die Leibgardisten, die dich hierhin brachten. Und ich hoffe, dass es auch diesmal vergebens ist. Falls es ihm aber doch gelingt, dann wird sie in seinem Landhaus leben müssen, unter Aufsicht“, bei dem Wort ‚Aufsicht’ lachte der Koch hämisch auf.
Allmählich fühlte Vanadis, wie sich etwas in ihr anstaute. Allein schon der Name Marcus reizte sie unglaublich. Himmel, dieser Marcus war unbeschreiblich dumm! Er sollte doch froh sein, die Schlampe loszuwerden, aber nein, er ging in den Kerker, um sie heim zu holen Auch wenn es sich bei dem Heim nur um die bescheidene Villa in Capua handelte… Mühsam bezwang sie ihren Zorn. Was ging es sie an? Er hatte nicht anderes verdient!
„Dann erzählt mir doch mal, was passiert ist.“ Sie lehnte sich auf der Matratze zurück und dachte nach. Die Schrecken der letzten Nacht begannen sich aufzulösen, sie hatte wieder das Gefühl, alles nur geträumt zu haben. Ihre seltsamen geilen Gefühle, verbunden mit ihren Skrupeln, diese Mischung aus Trommeln, aufreizenden blutdurchtränkten Gewändern, seltsamen wilden Gerüchen und Eindrücken: nackte Frauen mit brennenden Fackeln sprangen in einen finsteren Teich, und die Fackeln leuchteten danach weiter. Die Hände an ihrem Körper, sie ertastend, die Stimmen, die über sie sprachen. Vanadis musste sich unwillkürlich schütteln. Sie hatte sich nur schützen können, indem sie sich aus ihrem Körper zurückzog und nichts Äußeres mehr an sich heran ließ. Doch kurz nach dem schmerzhaften Wiedereintauchen in das Geschehen meinte sie, ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben. Es konnte nicht sein, nicht er, nicht schon wieder er als Zeuge ihrer Erniedrigung und Hilflosigkeit! Das war nur Einbildung gewesen! Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Mitsklaven und lauschte deren Erzählungen.
„Claudius hat sich vor einem Monat von der Messalina scheiden lassen. Und jetzt wissen wir auch warum: Sie hat ihm erzählt, dass der Barbillus ihr vorhersagte, ihr Ehemann, also der Kaiser würde sterben. Guter Witz, was?“ Terehasa schlug sich auf die üppigen Schenkel.
„Deshalb wollte sie einen anderen Mann heiraten – natürlich nur pro forma…“. - bei den Worten ‚pro forma’ fingen alle im Zimmer an zu lachen, und das Lachen steigerte sich in eine wahre Lachorgie hinein – denn dann würde sich üble Prophezeiung auf ihren NEUEN Gatten richten. Ist das nicht köstlich?“
„Doch, irgendwie schon…“, Vanadis musste lächeln. Sie kannte ja den Plan, hatte nur nicht geglaubt, dass er auch verwirklicht werden könnte.
„Sollen wir nicht besser das Schauspiel beschreiben?“ Bobum meldete sich zu Worte. „Es wird schon am Forum aufgeführt, und kein anderer als Baba spielt die Hauptrolle. Es ist so lustig, so unbeschreiblich lustig…“
„Ja, das ist besser!“, sagte Terehasa. „Baba ist schließlich der beste Spaßmacher von Rom! Also: Es fängt damit an, dass der Kaiser zum Hafen Portus reisen will, um einen Kornspeicher einzuweihen. Der Kaiser wird natürlich von dem fetten Baba gespielt, mit all dem Stottern und den Zuckungen des Kaisers. Die Messalina hat aber Kopfweh bekommen, gaaaanz entsetzliches Kopfweh. Sie fleht ihn an, doch alleine zu reisen, er tut das natürlich und reist ab zum Hafen Portus. Messalina, dargestellt von einem blendend aussehenden Schauspieler erholt sich schnell von ihrer Migräne – und feiert Hochzeit mit dem Silius. Das Fest entwickelt sich zu einer Orgie, die Damen der Gesellschaft laufen als leicht bekleidete Nymphen herum, und Messalina selber trägt ein weißes dünnes Gewand, ihre Brüste sind zu sehen - und alle sind total besoffen…“
Der Koch übernahm ungeduldig: „Messalina, dieser Abschaum von Rom hatte leider die Freigelassenen nicht auf der Rechnung. Narcissus, als Sekretär des Kaisers und auch als ihr Exgeliebter fühlt sich bedroht durch diese Eheschließung. Es folgt ein toller Monolog: Er hat Angst, seinen Posten zu verlieren, oder gar seinen Kopf, wenn Messalina mit ihrem Neuen an die Macht kommt. Doch noch mehr Angst hat er davor, dem Claudius die bittere Wahrheit zu sagen. Er erinnert sich an die ehemaligen Geliebten des Kaisers, nämlich an die Prostituierten Calpurnia und Kleopatra – und schickt sie nach Portus…“
„Uiiii, die sahen richtig geil aus, die beiden“, sagte Bobum. „Sogar die Pockennarben bei der Kleopatra sahen geil aus…
„Also bitte Bobum, alle Rollen werden doch von Männern gespielt, stehst du etwa auf Männer?“
„Weiß nicht“, gab Bobum kleinlaut zu. „Ich habe meine wahre Bestimmung noch nicht gefunden…“ Die anderen lachten.
„Erzählt doch weiter! Ich will alles wissen“, brachte sich Vanadis in Erinnerung. Und der Koch ließ sich nicht lange bitten: „Die beiden hübschen Huren überzeugen den Claudius schließlich. Eine tolle Szene, als sie mit ihm reden, Wunderbar dargestellt!“
Die anderen schienen das auch zu finden, denn sie schwiegen verträumt.
„Und was dann?“, fragte Vanadis ungeduldig in die Runde.
„Claudius hört die beiden an, tatsächlich überzeugen sie ihn, und er macht er sich auf den Rückweg nach Rom. Auf der Fahrt dorthin verpasst der Narcissus dem Kaiser ein paar Drogen, um sein Leid zu mildern. Haha! Und danach hat der schlaue freigelassene Fuchs sich von ihm eine Generalvollmacht für einen Tag geben lassen.“
„So ein Schlingel!“
„Endlich mal Eier gezeigt!“
„Und was dann?“, unterbrach Vanadis den freigelassenen Schwall ihrer Mitsklaven.
„Messalina fährt dem Kaiser auf einem bescheidenen Ochsenkarren entgegen – natürlich hat sich die ganze Hochzeitsgesellschaft in Windeseile zerstreut, wie die Hasen laufen alle davon, auch der saubere Bräutigam… Das muss ja eine tolle Liebe gewesen sein!“ Terehasa lächelte ironisch. „Messalina versucht, mit ihrem kaiserlichen Exgemahl ins Gespräch zu kommen…“
„Aber der Narcissus hat den Kaiser abgeschottet! Die geile Kuh hat ihn nicht mal sehen können. Das fand ich richtig gut!“, Swaris Stimme klang hämisch.
„Sie hatte ihre beiden Bälger dabei, die Octavia und den Britannicus. Ach, wie rührend… Abschaum, miesester Abschaum, sage ich nur…“, das kam vom Koch. „Der Narcissus setzte das Todesurteil für die Messalina auf und ließ es vom Kaiser unterzeichen, der stand immer noch unter Drogen. Der diensthabende Offizier – wieder so eine wundervolle Szene – gab ihr den Dolch, damit sie sich selber richten konnte. Aber die war zu feige dafür, weinte wie wild und rief nach Claudius, der würde ihr bestimmt verzeihen. Claudius, mein geliebter Claudius… Ganz wundervoll gespielt! Also musste der Offizier sie selber…“, der Koch deutete an, wie die Kaiserin erstochen wurde und fuhr fort: „Ha, da sind noch einige andere Köpfe gerollt, auch der Schauspieler Mnester war dabei. Eigentlich schade um den Kerl…“
„Und was ist nun mit der Sidonia?“, fragte Vanadis.
„Ach die… Die sitzt im Kerker, weil sie es nicht ableugnet…“
„Was nicht ableugnet?“ Vanadis musste es wissen.
„Dass sie die Schlampe unterstützt, egal wobei – und dass sie die Schlampe liebt…“
„Nein…“
„Doch, so ist es, unsere überaus ehrenswerte Herrin Sidonia hat eine schwache Stelle…“, grinste der Koch. „Nämlich die Pforte der Kaiserin…“
Vanadis schaute den Koch ungläubig an. So war es also? Die Sidonia liebte die Kaiserin? Das hätte sie nie vermutet, sie hatte immer gedacht, es wäre wegen der Privilegien…
In diesem Augenblick betrat die Colonia den Raum und bewegte sich hinkend auf sie zu. „Wie geht es dir, meine liebe Vanadis?“, sagte sie und streichelte dabei Vanadis’ Wange.
„Gut, gut, ganz gut“, stammelte Vanadis. „Und jetzt sage mir bitte, was passiert ist…“ Eigentlich wollte sie das gar nicht genau wissen, denn ihr stand immer noch dieses Gesicht vor Augen, als sie aus ihrer Trance erwachte. Es war sein Gesicht, das Gesicht von IHM, den sie verabscheute.
„Lasst uns bitte allein“, sagte Colonia zu den anderen, und die verließen den Raum ohne zu murren.
„Ach Vanadis, wir haben so einen Schreck gekriegt, als sie dich vor dem Laden entführten, ich habe geschrien: Hilfe, Hilfe! Keiner hat darauf reagiert, nur die beiden stummen Brüder. Aber die anderen waren zu viele... Was sollte ich tun?“ Die Colonia hielt nun Vanadis’ Hand.
„Nun sag’s schon! Was hast du getan?“
„Mir ist eingefallen, dass Vater in der Garnison war vor den Toren Roms, und ich habe eine Nachricht auf deine Wachstafel geschrieben – die haben die Entführer liegen lassen – und sie dem einen Sklaven gegeben, der sollte sie Vater bringen.“
„Was hast du denn geschrieben, Kleines? Du wusstest doch gar nicht, wer mich entführt hat.“
„Nicht direkt“, lächelte die Colonia, „aber einer deiner Entführer war seltsam gekleidet, ganz in schwarz mit einer Kapuze auf dem Kopf, und durch die Kapuze konnte man seltsame Auswüchse erahnen, ähnlich den Hörnern von Ziegenböcken…“
Vanadis schüttelte sich unwillkürlich, sie erinnerte sich wieder an die Gestalt, diese entsetzliche behaarte Gestalt mit den Hörnern auf dem Kopf. Dann auf einmal fielen ihr die Worte der Colonia ein: „Der sollte sie meinem Vater bringen…“ Oh nein, Vanadis schloss beschämt die Augen, er hatte sie wieder in einem der übelsten Momente ihres Lebens gesehen. Sie schnaufte vor sich hin. Verdammt! Sie wollte das nicht, konnte das nicht ertragen, und sie spürte, wie sich allmählich Zorn in ihr aufbaute…
„Aber Vater war nicht da…“
Vanadis atmete erleichtert auf. Er war es nicht gewesen, alles nur Einbildung, natürlich, sie hatte unter Drogen gestanden.
„Sie sagten mir, er wäre zum Kaiser gerufen worden. Und vor dem Palast habe ich ihn dann gefunden.
Vanadis schaute sie mit offenem Mund an. Also war er es doch gewesen. Dann plötzlich fiel ihr ein, dass ihre dummen Probleme mit dem Vater der Kleinen vollkommen unwichtig waren, denn die Colonia war schlimmer dran als sie. Also fragte sie sachte: „Und was ist mit deiner Mutter, weißt du etwas darüber, meine Kleine?“
Die Colonia biss sich kurz auf die Lippen, doch dann blickte sie Vanadis in die Augen und sagte mit fester Stimme: „Sie ist tot. Vor einer Stunde hat sie sich mit dem Dolch umgebracht.“
Warum sagte die Kleine das so unbewegt? Trauerte sie denn gar nicht um ihre Mutter? Jeder trauert doch um seine Mutter, auch wenn sie noch so schlecht ist. Ach Vanadis, sagte sie zu sich selber, du hattest eine gute Mutter, doch die Colonia kannte so eine nicht.
„Ach meine Kleine“, sie hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht hinauszuweinen, was sie empfand.
„Als Vater weg war, um nach dir zu suchen, bin ich in den Palast gegangen. Ich hatte Angst, und die Zellen waren furchtbar. So viele Menschen, gefangen im Kerker. Sie schrien und weinten, und ich wollte schon umkehren, aber ich tat es nicht.“ Colonias Stimme stockte, doch dann fuhr sie fort: „Endlich kam ich zu ihrer Zelle. Mutter lag dort auf einer Matratze, ich rief sie an. Mutter, sagte ich, bitte lass dir doch helfen von uns! Sie erhob sich und kam ans Gitter. Dort sah sie mich an mit einem schrecklichen Blick und sagte…“, Colonia biss sich auf die Lippen, „nur du bist an allem Schuld! Hätte ich dich doch nie geboren! Du, du alleine hast mein Leben zerstört! Dann legte sie sich wieder auf die Matratze.“
Vanadis konnte es nicht fassen. Das arme Kind! Zögernd tastete sie nach Colonias Hand, aber Colonia achtete nicht darauf, sondern sprach unbeirrt weiter:
„Ich stand lange vor ihrer Zelle, ich konnte mich nicht bewegen, war wie versteinert, wie eine dieser Statuen der Diana, ich wollte es nicht glauben. Irgendwann brachte mich ein Posten nach draußen. Dort wartete ich auf Vater. Ich weiß nicht, wie lang es gedauert hat. Es war kalt. Als Vater endlich kam, versuchte er nicht, mich zu trösten. Ich war ihm dankbar dafür. Er ging noch einmal hinein, vielleicht, um noch einen letzten Versuch zu unternehmen, sie zu retten. Ich weiß es nicht, und es ist mir egal.…“ Colonias Gesicht wirkte erstarrt bei diesen Worten. „Er kam zurück, es war zu spät, sie hatte sich bereits erdolcht.“
Es war schlimm, eine Mutter wie die Sidonia zu haben. Noch schlimmer war es, wenn so eine Mutter einen am Ende noch beschimpfte. Sidonia, ich hasse dich! Auch jetzt noch, wo du tot bist!
„Komm doch her“, sagte sie zur Colonia. Die schaute sie an, und ihre Mundwinkel zuckten. Dann kam sie und flüchtete sich in Vanadis’ Arme.
„Weine, meine Kleine!“, Vanadis wiegte sie und hielt sie fest, sie schloss die Colonia in ihre Arme und spürte, dass diese sich an sie schmiegte, während ihr Schluchzen sich Bahn brach. Das arme Kind.
Sie hatte es besser gehabt als die Kleine, mit einer Mutter, die sie liebte, aber die Colonia war trotz ihrer adeligen Abkunft, trotz ihres Reichtums, trotz ihrer Privilegien… ein unglückliches Kind.

*~*~*

Als die Colonia gegangen war, wollte Vanadis nur noch einschlafen. Zuviel war in den letzten Stunden passiert, und sie fühlte sich immer noch verängstigt. Egal ob es sie selber oder die Colonia betraf. Nur noch vergessen…
Sie fiel in einen unruhigen Schlaf.
Bilder schieben sich vor ihre Augen, Demütigungen… Das blutige Gewand, ihre seltsamen Gefühle, sie atmet heftig in ihrem Schlaf. Diese Gefühle… Nie zuvor hat sie so etwas erlebt, und sie keucht auf. Ihr Körper hat sie verraten, nein, nein, du verdammter Körper! Doch es ist wahr, sie wünschte es sich, sie hat SEIN Gesicht gesehen in ihrer Erregung. Das ist schrecklich! Und Marcus hat sie auch gesehen, er hat sie wieder in einem der übelsten Momente ihres Lebens gesehen! Sie schnauft vor sich hin. Verdammt! Sie will das nicht, kann es nicht ertragen!
Er hat wirklich versucht, diese Frau zu retten. Und das zweimal! Dann ist er selber nicht mehr zu retten. Sie fühlt sich enttäuscht, obwohl sie doch glücklich sein müsste. Sie wurde befreit aus dieser grässlichen Höhle, wo sie sicher einen furchtbaren Tod gefunden hätte. Aber sie ist gerettet worden. Von ihm, dem sie verabscheut.
Wieso immer wieder er? Sie verspürt Scham, tiefe Scham, aber auch Wut. So geht es nicht mehr weiter!
Die Sidonia ist weg, und jedermann im Hause weiß mittlerweile, dass sie tot ist, diese furchtbare Frau. Hat sie ihr das angetan? Möglich. Vielleicht. Bestimmt! Wer sonst? Und ist dieser Mann blind? Sie sieht im Geiste, wie er seine Frau auf Knien anfleht, sich auf seinen Landsitz zu begeben. Das ist widerlich, so widerlich! Komme nach Hause, meine Geliebte, sagt seine Stimme, ich brauche dich, du bist das Licht meines Lebens. Und alles was du getan hast, verzeihe ich dir.
Vanadis schluchzt auf in ihrem Traum, dieser Mann, dieser verdammte Mann, sie kann ihn nicht mehr ertragen. Dieser Mann… Was ist er?
Und was ist sie selber? Diese furchtbaren Stunden werden ihr ewig im Gedächtnis bleiben, die Demütigung, gefangen zu sein, um dann in einem Ritual missbraucht und danach getötet zu werden. Sie stöhnt auf – und mit diesem Aufstöhnen kommen noch mehr Erinnerungen zurück. Sie schüttelt den Kopf, sie will es gar nicht wissen, aber es kommt unaufhaltsam, obwohl sie versucht, es zu verhindern. Denn noch schlimmer sind ihre eigenen Gefühle…
Vor sich erblickt sie eine schemenhafte Gestalt, sie schneidet sie von ihren Fesseln ab, während sie in sich hinein wimmert. Ächzt sie immer noch verlangend nach dem Unbekannten, nach der Lust, die er ihr verschaffen wird? Oh nein, sie will das nicht wissen, will es verdrängen, sie schließt die Augen und schweigt, ihr Körper hätte sie verraten können. Um sie herum ertönen Schreie und Kampfgeräusche, aber sie konzentriert sich nur auf die Hände, die sie befreien. Sie fühlen sich sanft und rücksichtsvoll an. Und sie hat immer noch diese Lust in sich. Sie hört die Trommeln, fühlt das blutige geschlitzte Gewand auf ihrem Körper. Es ist grauenhaft, aber gleichzeitig erregend! Und irgendwie verbindet sie am Ende diese Hände mit ihrer perversen Lust…
Es sind seine Hände, das wird ihr nun vollends bewusst, und sie ächzt wieder auf. Sie hasst diese Hände. Diese Hände haben auch seine Frau berührt.
Wieder stöhnt Vanadis auf in ihrem unruhigen Schlaf, und der Traum erscheint ihr so wahr. Marcus, der Herr des Hauses wurde nicht unter Drogen gesetzt wie sie, er schämte sich nicht, dass seine Frau die zweite Hure Roms war. Ganz im Gegenteil, er betete sie an, diese Hure und wollte sie retten. Zweimal sogar!
Marcus, dieser verfluchte Nagel in ihrem Kopf, sie muss ihn loswerden, denn er macht ihr das Leben zur Hölle. Sie ist nicht sie selber, wenn sie an ihn denkt. Dann spürt sie Dinge, die sie nicht spüren will.
Er hat sie in den schlimmsten Momenten ihres Lebens gesehen: Beim ersten Mal auf dem Sklavenmarkt, beim zweiten Mal in dem Tempel des Bacchus.
Sie kann das nicht mehr ertragen! Es muss ein Ende haben. Er hat sich in ihren Kopf gebohrt wie der Stachel eines unheilbringenden Insekts. Er ist das Einzige, welches sie beunruhigt und verunsichert, sie kann seine Gegenwart nicht mehr dulden, verdammter Römer!
Alles im Haus ist ruhig, die Sklaven sind wohl in einer Taverne, Kein Wunder, die Herrin fehlt. Und das ist gut, so gut…
Vanadis erhebt sich von ihrem Lager, sie ist fast nackt, nur die Tunica bedeckt ihre Blöße, ihre Haare hängen lose bis auf ihre Taille herab, sie fühlt sich frei und ungebunden, und sie lächelt, während sie mit dem Dolch in sein Zimmer schleicht. Er hat es verdient.
Im vollen Licht des Mondes kann sie auf dem Bett seine Silhouette erkennen. Vorsichtig geht sie darauf zu.
Er bewegt sich nicht. Gut. Sehr gut…

*~*~***~*~*

 

ROMANE

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