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Der Himmel
über Rom

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Der Himmel über Rom Teil 23

DIE WAHRHEIT

„Wie geht es dir, mein Freund? Was gibt es Neues?“, mit diesen Worten begrüßte Caenis den Marcus. Natürlich hatte sie sofort erkannt, dass er unglücklich aussah. Er sah tatsächlich noch unglücklicher als früher – als nämlich seine Frau noch lebte. Seit Jahren befand er sich schon in diesem unglückseligen Zustand, und das lag natürlich an seiner furchtbaren Ehe. Aber nun musste er doch allmählich neuen Mut schöpfen, musste freudig weiterleben, nun, da alles überstanden war…
„Sie will mich nicht“, sagte Marcus. Er sagte es schlicht, aber es klang verzweifelt. „Dabei hat sie nun das volle Bürgerrecht, der Kaiser hat es ihr gewährt mit Briefrolle und Siegel, aber sie will das gar nicht wissen, und eigentlich will ich ihr das auch nicht sagen. Es ist doch egal: Sie verabscheut mich, und daran wird sich auch nichts ändern!“
Die Caenis trat an ihn heran und klopfte ihm liebevoll auf die Schulter. „Nein, lieber Marcus! Wer könnte dich verabscheuen? Vanadis weiß nur nichts über dich - und dein Verhalten. Es war ja nun mal“, sie runzelte ihre Stirn, „ein wenig unverständlich, vor allem für die absonderlichen Gebräuche Roms…“
Marcus biss sich auf die Lippen, er überlegte eine Weile und sagte dann: „Sie hasst mich, das ist das einzige, was ich weiß!“
„Marcus, lieber Marcus, du kennst die Frauen nicht. Immer wenn sie sagen: Ich hasse dich, dann meinen sie das Gegenteil. Ich weiß es, denn ich bin schließlich auch eine Frau. Auch ich habe mich gewehrt gegen meine Liebe zu dem Titus Flavius, aber…“ die Caenis schaute versonnen vor sich hin und schwieg.
„Aber was?“, fragte Marcus schließlich ungeduldig.
„Irgendwann habe ich erkannt, dass alles Wehren nichts nützt und dass er mein Schicksal ist.“ Die Caenis lächelte, und dieses Lächeln kam Marcus etwas beschämt vor, so dass er schnell nachhakte: „Und wann hast du das erkannt?“
„Ich habe vor ein paar Jahren einen Wahrsager befragt. Einen berühmten Wahrsager“, gab die Caenis schließlich zu. „Und der hat mir geweissagt, dass der, den ich liebe, einmal Kaiser sein wird. Und ich werde seine Frau sein…“
„Was denn, Titus Flavius wird einmal Kaiser werden? Das wäre wunderbar für Rom! Ich glaube, er ist der beste Mann für dieses Amt. Ich muss es wissen, er war schließlich mein Vorgesetzter, der Kommandeur der zweiten Legion Augusta.“
„Es ist seltsam, als ich ihn zum ersten Mal sah, da wusste ich sofort, dass ich ihn liebe. Er war damals schon verheiratet und seiner Frau treu, aber das hatte keinen Einfluss auf meine Gefühle.“
Marcus starrte durch die Caenis hindurch und grübelte vor sich hin, dann sagte er: „Es ist also nicht sein mögliches Kaisertum, das dich veranlasst hier zu bleiben?“
„Nein, nein! Nicht seine Stellung ist mir wichtig, nur er allein, ich will ihm helfen. Und als seine Frau kann ich das am besten.“ Die Caenis schwieg eine Weile, bevor sie weiter sprach. „Es wird natürlich auf das Konkubinat hinauslaufen, das gilt nicht so viel wie eine richtige Ehe unter richtigen Bürgern Roms“, sie zog eine Grimasse. „Ungleiche müssen es benutzen… Aber wie auch immer, wir werden einmal Mann und Frau sein.“
„Da ist Vanadis wohl etwas anspruchsvoller“, Marcus grinste bitter und versank wieder in Gedanken. „Nein, das stimmt so nicht, sie würde eher den niedrigsten Sklaven heiraten als mich…“
Er überlegte, ob er Vanadis zwingen sollte, ihn nach Britannien zu begleiten, aber er ließ von dem Gedanken ab. Vanadis war keine Frau, die man zu etwas zwingen konnte. Er musste sich einfach darauf verlassen, dass sie ihm freiwillig folgte.
Beim Jupiter, das würde sie nicht tun, nicht nach ihrer letzten Rede. Und schon übermannte ihn wieder sein Elend. Eigentlich hatte er ihr alles erzählen wollen. Warum er so geworden war, und warum jeder glaubte, dass er die Sidonia heiß und innig geliebt hatte und möglicherweise immer noch liebte. Aber er konnte es nicht. Ihr Blick hatte ihn so verächtlich gemustert, dass ihm das Wort im Halse steckenblieb. Und er würde keine Frau, die ihn verabscheute zwingen mit ihm zusammen zu sein.
„Ach lieber Marcus, das wird schon“, die Caenis streichelte kurz seinen Arm.
„Nein, das wird nicht!“, sagte er hart, er wandte sich von ihr ab und starrte auf die bemalte Wand, ohne zu erkennen, was für ein Motiv darauf abgebildet war. Dann fasste er sich und fragte: „Und wie geht es dem Thumelicus?“ Sein Tonfall hörte sich verächtlich an.
„Er wird mit euch reisen. Ich weiß zwar nicht, ob er seine üble Vergangenheit jemals vergessen, geschweige denn bewältigen kann, aber er muss weg von Rom. Rom ist Gift für ihn!“
„Zum Jupiter! Rom ist für alle Gift! Für Vanadis ist es Gift und für meinen Sohn auch. Und natürlich auch für den guten Thumelicus. Wie schön, dass wenigstens meine Tochter kein Gift für ihn ist!“, Marcus’ Stimme klang nun sarkastisch. „Wieso zum Hades verlieben sich die Frauen immer in ihn? Was stellt er für die dar?“
„Bitte Marcus, ich weiß, du meinst jetzt die Vanadis. Aber was hatte sie schon für eine Wahl? Sie war Sklavin, und ich selber habe sie ausgesucht, weil sie dem Thumelicus eine Gefährtin sein sollte. Dafür verdamme ich mich im nachhinein. Doch sie hat sich anders entschieden“, die Caenis lächelte. „Wahrscheinlich liebt sie einen anderen, doch das ist ihr nicht bewusst. Noch nicht…“
„Dummes Zeug! Alles!“ Marcus schüttelte unwillig seinen Kopf. „Gut, ich werde den Thumelicus an Bord nehmen, auch wenn ich den Kerl nicht mag. Ich hoffe nur, dass meine Tochter sich von ihm fernhält, denn er ist nicht gut für Frauen.“
„Ach Marcus, deine Tochter ist zwar noch ein Kind, aber ein sehr kluges Kind. Sie weiß mehr als wir alle zusammen. Sie ist die Vertraute des Thumelicus, seine Seelenfreundin, und etwas anderes wird sie nie sein. Die beiden schätzen sich auf eine Art, die dem römischen Verständnis entgeht. Denn sie werden sich nie körperlich lieben. Also sei beruhigt, mein Freund.“
„Dein Wort in Jupiters Ohr…“ Bei diesem Worten schaute Marcus die Caenis skeptisch an. „Ich werde nun gehen. Es müssen noch die letzten Vorbereitungen getroffen werden für die Reise. Du wirst dich gut um die Sklaven kümmern, nicht wahr?“ Das hörte sich nicht wie eine Frage an, sondern eher wie eine Feststellung.
„Aber natürlich“, Caenis nickte ihm beruhigend zu. „Ich werde mich auch gut um das Haus kümmern, obwohl du es nie mochtest…“
„Ich bin froh, dass du es gekauft hast, sein Wert wird bestimmt steigen. Wichtiger allein ist mir der Landsitz in Capua, auch den wirst du gut verwalten. Seltsam, seitdem mein Vater tot ist, mag ich nicht mehr dort hinfahren…“
„Das ist doch verständlich, lieber Marcus“, Caenis lächelte ihn mitfühlend an. „Ein Lebensabschnitt ist für dich zu Ende, und ein neuer beginnt. Einer abseits von Rom…“
„Ohne Vanadis und ohne meinen Sohn…“
„Es kann alles noch gut gehen. Wann läuft dein Schiff aus?“
„Morgen zur vierten Stunde.“ Nach kurzem Zögern fügte Marcus hinzu: „Der Hafenmeister weiß, wo es liegt. Aber nun muss ich gehen, es ist noch viel zu tun… Ob wir uns jemals wiedersehen werden?“
„Bestimmt, Marcus! Vielleicht nicht hier in Rom, aber ich besuche euch in Britannien, ganz sicher!“
Sie umarmten sich, und Marcus ging hinaus.
Caenis schaute ihm mitleidig nach. Es war nicht seine Behinderung, die ihr leid tat, damit kam er gut zurecht, sondern eher sein seelischer Zustand. Sie hatte ja selber Zweifel, ob die stolze Vanadis sich je zu ihrer Liebe bekennen würde.
Vielleicht aber konnte sie ein bisschen nachhelfen. Sie überlegte nicht lange, sondern machte sich auf den Weg. Wie gut, dass sie ihn wusste…

~*~*~

Jemand klopfte an den Holzverschlag, der ihr Zimmer gegen die anderen abgrenzen sollte. Natürlich war dieser Verschlag kein Schutz gegen ungebetene Besucher, Vanadis hatte schon ein paar Mal den Hammer, der neben ihrer Matratze lag, ergriffen und dann erst die Tür aufgemacht.
Doch sie war nie ernsthaft in Gefahr gewesen, es waren immer nur wohlwollende Nachbarn, die sie sprechen wollten.
Seltsam: Hier in dieser angeblich so gefährlichen Gegend, die vor Zuhältern, Dieben und sonstigen Strolchen nur so strotzte, war ihr nie etwas Schlimmes passiert, während ihr im ehrenwerten Haus des Marcus jemand übel wollte, und sie wusste natürlich auch wer…
Wieder musste sie an den schrecklichen Abend denken, als man sie plötzlich überfiel, ihr einen Sack über den Kopf stülpte, sie fesselte und dann an diesen entsetzlichen Ort brachte. Dort wurde sie willenlos gemacht durch Drogen, und sie war schon soweit, sich freudig diesem Ritual zu unterziehen, immer mit einer Warnung im Kopf, dass es unrecht und falsch war, doch ihr Körper machte alles zunichte. Hilflos war sie ihren Begierden ausgesetzt, während sie in einem Winkel ihres Seins immer noch auf Rettung hoffte.
Und dann kam jemand, um sie zu retten. Nie hatte sie diesen Augenblick vergessen, nie ihre Erleichterung, nie ihre Freude, wieder frei zu sein und sei es auch nur die Freiheit einer Sklavin. Warum hatte sich ihr Retter nie zu erkennen gegeben? In einem perversen Winkel ihres dummen Kopfes hatte sie gehofft, es wäre Markus gewesen. Ja wirklich: Sie hatte gehofft, dass Markus es gewesen wäre – und nicht der Thumelicus. Obwohl sie diesen doch einmal liebte. Oder es zumindest zu glauben schien…
War es Liebe gewesen? Sie hatte sich schon oft das Gehirn darüber zermartert, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.
Sie stand an der Tür und blickte über ihre Schulter zurück in ihr Zimmer. Auf ihrer Matratze lag ein vollgepacktes Bündel, darin waren alle Sachen, die sie für unentbehrlich hielt. Daneben lag der kleine Marcus, er versuchte gerade die Matratze zu verlassen, krabbelnd natürlich. Das war ihr Leben, der kleine Marcus und dieses Bündel. Hatte sie richtig entschieden? Es war ihr egal, es war ihr ein Bedürfnis, und sie hatte ein gutes Gefühl dabei.
Wieder klopfte jemand an der Tür, diesmal ein wenig fester. Vorsichtig öffnete sie den dünnen hölzernen Verschlag – und erblickte die Caenis.
Vor Schreck tat sie einen Schritt zurück, doch dann fasste sie sich und sagte: „Wie schön, dass meine Herrin mir einen Besuch abstattet!“
Mit einer vornehmen Geste bat sie die Caenis in das Zimmer hinein mit den Worten: „Willkommen in meiner bescheidenen Behausung, ich weiß natürlich, dass sie nicht deinen kostbaren Geschmack trifft und entschuldige mich vorsorglich dafür.“ Insgeheim wunderte sich Vanadis über ihre wohlgesetzten Worte.
„Was erzählst du da für einen Mist!“ Die Caenis trat in das Zimmer ein und blickte sich um. Nicht abschätzend, wie Vanadis befürchtet hatte, nein, sie blickte sich nur um, und ihr Blick blieb auf dem kleinen Marcus hängen.
„Was für ein wunderbares Kind“, rief sie und stürmte auf den Kleinen zu. Sie nahm ihn hoch und bestaunte ihn: „Du bist ja ein süßer Kerl, ich hab nie was Schöneres als dich gesehen, mein Kleiner!“
Der kleine Marcus schien begeistert von ihrer Rede zu sein, denn er fing an zu jauchzen und genoss es offenkundig, von der Caenis bewundert zu werden.
„Das ist wohl das einzige, welches ich dir voraus habe, liebe Caenis.“ Vanadis taten die Worte schon leid, als sie ihren Mund verließen. Wie konnte sie so etwas sagen? Die Caenis würde bestimmt keine Kinder mehr haben, sie war zu alt dafür… „Tut mir leid, tut mir so leid, ich wollte das nicht sagen“, stammelte sie.
„Es ist schon in Ordnung, ich weiß, dass ich nie ein eigenes Kind haben werde. Bitte Vanadis, beruhige dich.“ Caenis legte den kleinen Marcus wieder auf die Matratze, was er krähend kommentierte - und wandte sich nun Vanadis zu.
„Was ist los mit dir, meine Liebe? Warum versteckst du dich hier? Warum willst du nichts mit Marcus zu tun haben? Warum wusste er nichts von seinem Sohn?“
„Was?“ Vanadis starrte sie an.
„Ich will nur wissen, warum du das tust, und ich denke, da gibt es einiges zu klären in dieser Angelegenheit…“
„Weil ich ihn nicht mag, weil ich ihn verachte!“, sprudelte es nun aus Vanadis hervor. „Weil er ein verkommener Römer ist, der seine Schlampenfrau geliebt und geehrt hat! So etwas kann ich nicht achten, geschweige denn lieben!“
„Du täuschst dich, mein Kind“, sagte die Caenis gelassen. „Ich werde dir nun die Wahrheit über den Marcus berichten.“
„Das wird eine schöne Wahrheit sein“, grummelte Vanadis vor sich hin.
Caenis achtete nicht auf ihre Worte, sie ließ sich auf die Matratze nieder, winkte Vanadis zu sich –so saßen sie beide nebeneinander, und zwischen ihnen krabbelte der kleine Marcus herum, der von beiden gestreichelt wurde.
„Du glaubst also, Marcus ist ein Schlappschwanz, einer, der sich seiner Frau und ihren Trieben untergeordnet hat…“
Vanadis zögerte, doch dann sagte sie unsicher: „Ja, das glaube ich.“
„Du weißt vielleicht, dass die äußeren Dinge manchmal täuschen?“
„Natürlich weiß ich das, aber das mit ihm“, Vanadis schaute die Caenis trotzig an, „das war mir einfach zuviel der angeblichen Täuschungen. Das war die Wahrheit!“
„Ach Vanadis…Ich werde dir jetzt seine Geschichte erzählen. Er war nämlich nicht immer so, so verbittert, so undurchschaubar, so unglücklich…“
Vanadis schaute sie gespannt an. Was würde ihr hier offenbart werden? Sie hatte ihre Entscheidung ja schon getroffen, und nichts würde daran etwas ändern können.
„Ich kenne Marcus aus Capua, dort hatte sein Vater einen Landsitz, und der Claudius auch. Sie waren sozusagen Nachbarn. Claudius versteckte sich dort, so gut es ging vor dem Tiberius – und dann vor dem Caligula. Beide Kaiser waren unberechenbar, und das Beste war, ihnen aus dem Wege zu gehen.“
„Und?“, fragte Vanadis, die nicht wusste, worauf die Caenis hinauswollte.
„Claudius war für Marcus wie ein Onkel.“
Es hörte sich für Vanadis nicht sehr tröstlich an, dass Marcus und der jetzige Kaiser so vertraut miteinander gewesen waren. Es entfernte sie noch weiter von ihm. Sie schüttelte unwillig den Kopf, aber die Caenis ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie redete einfach weiter.
„Marcus tat in die Fußstapfen seines Vaters, der zum Ritter erhoben worden war. Der Kaiser Augustus brauchte neues Blut, der Adel Roms gebar kaum noch Kinder und drohte auszusterben, also schuf er den neuen Stand des Rittertums. Jeder Bürger konnte ihn erlangen, entweder durch Reichtum oder durch große kriegerische Ehren. Marcus’ Vater war reich und außerdem als Soldat erfolgreich.“ Die Caenis seufzte, und Vanadis fragte sich, was dieses Seufzen zu bedeuten hatte.
„Nachdem er aus dem Dienst ausgetreten war, geriet er in schlechte Gesellschaft, er spielte… Zuerst gewann er, doch dann verlor er enorme Summen. Doch er hörte nicht auf zu spielen…“
„Nicht gut“, flüsterte Vanadis vor sich hin.
Die Caenis hatte sie aber trotzdem gehört: „Nein, es war nicht gut. Die Gläubiger wollten ihr Geld sehen, Marcus’ Vater hatte dadurch schon sein Landhaus in Capua belastet, dennoch reichte es nicht. Sie wollten mehr und drohten, ihn vor dem Kaiser anzuklagen. Damals war Caligula noch Kaiser. Und Caligula brauchte selber Geld, er hätte sich mit Sicherheit gerne den Besitz des alten Colonius einverleibt, so geschah es nämlich, wenn jemand große Schulden hatte…“
„Oh“, Vanadis atmete tief ein. „Also was passierte dann? Foltere mich bitte nicht!“
„Marcus, der seit kurzem Stabsoffizier war, hatte große Angst um seinen Vater. Er wusste, dass dieser, wenn er seine Schulden nicht begleichen konnte, in die Arena geschickt würde als Gladiator. Oder er würde als Sklave verkauft werden. Abgesehen von dem Besitz der Colonii, der war auf jeden Fall verloren. Es gab also keine Möglichkeit, seinen Vater zu retten. Doch dann auf einmal bekam er eine Mitteilung, es handelte sich um die Botschaft einer der vornehmsten Familien Roms. Und darin stand, dass man geneigt wäre, ihn als Schwiegersohn in diese Familie aufzunehmen, falls er bestimmte Bedingungen erfüllen würde…“
„Was? Was denn?“, fragte Vanadis und neigte sich gespannt vor.
„Nun, es ging um deren Tochter. Sie war das einzige Kind in dieser Familie. Und sie hatte sich entehrt, war schwanger geworden von einem Unbekannten, dessen Namen sie nicht nennen wollte. Und nun suchte man einen Ehegatten für sie – einen der dieses Kind anerkennen würde als sein eigenes – und dessen Schande man im Gegenzug durch eine üppige Mitgift tilgen würde…“
Vanadis stöhnte vor sich hin, so war das also, wie hatte sie sich so irren können, nein nein, sie musste den Rest auch noch hören…
„Marcus sah es als Möglichkeit, seinen Vater zu retten. Dieser würde nicht in den Kerker kommen, als Gladiator kämpfen müssen oder gar als Sklave verkauft werden, nein, er würde auf dem Landsitz in Capua bleiben unter der Aufsicht seines Sohnes. Marcus war hin- und hergerissen. Er wollte nicht der Vormund seines Vaters sein, er wollte aber auch nicht, dass dieser in noch schlimmere Abhängigkeiten geriet. Und so entschied er sich für diese Heirat.“ Die Caenus rümpfte ihre ausdrucksvolle gebogene Nase, während Vanadis sie wie gebannt anschaute und auf ihre weiteren Worte wartete. Diese kamen schnell:
„Es wurde ein Ehevertrag aufgesetzt. Darin verpflichtete sich Marcus, seiner Frau ein treuer Gatte zu sein und seine Liebe zu ihr jedermann kundzutun, egal, was seine Frau tat. Es war ein schöner Knebelvertrag! Sie hatten alles abgesichert, was die Ehre ihrer hochgeborenen Tochter beeinträchtigen konnte. Auch eine Scheidung war faktisch verboten. Falls diese je eintreten sollte, würde die volle Summe fällig werden, welche die Sidonier-Familie ihm als Mitgift überließ und mit der er seinen Vater entschuldete. Und die hatte Marcus nicht und würde sie auch nie haben“, schloss die Caenis, während sie geistesabwesend den kleinen Marcus tätschelte.
Vanadis starrte sie an, schüttelte dann den Kopf. Das war… sie stöhnte auf und biss sich auf die Lippen, sie fühlte sich so erbärmlich. Alles wovon sie überzeugt gewesen war, brach gerade zusammen. Wie dumm sie nur gewesen war! Marcus war überhaupt nicht schlecht, und gewiss hatte er seine Frau nicht geliebt, aber ihr Kind schon, die kleine Colonia hatte er immer gut behandelt. Oh nein, sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und stöhnte auf. Wie konnte sie ihm jemals zeigen, wie leid ihr das alles tat? Wie krank musste man sein, um so etwas zu glauben! Sie war die Kranke! Wie hatte sie sich nur so irren können…
„Vanadis, du hast dich zwar geirrt in Bezug auf dem Marcus, aber die Sidonia war wirklich abgrundtief schlecht. Sie versuchte, das Kind abzutreiben, es gelang zwar nicht – doch dabei wurde es am Fuß geschädigt. Und das arme Kind kam behindert zur Welt.“
„Das kann ich nicht glauben“, stammelte Vanadis. „Was war das nur für eine Frau, oh ich hasse sie, auch jetzt noch, wo sie tot ist!!!“
„Da stimme ich dir zu“, Caenis’ Stimme klang bitter. „Doch die Kleine ist stark, und sie hat, dem Jupiter sei Dank dafür, nichts von ihrer Mutter geerbt.“
„Das hat sie bestimmt nicht. Nie im Leben…“
„Ach ja, was ich dir noch sagen wollte: Du hast dich gewiss immer gefragt, wer dich aus dem Tempel des Bacchus befreit hat“, neben sich hörte sie undeutlich die Stimme der Caenis. Was wollte sie noch, sie sollte endlich gehen, denn sie schämte sich so, niemand sollte sie so sehen, vor allem nicht die Caenis. Caenis war gut, sie selber war schlecht, sie war voreingenommen, ungerecht und gemein…
„Marcus war es, die Colonia hat es ihm vor dem Kaiserpalast gesagt – und obwohl er bestimmt genug andere Sorgen hatte, ist er dir zu Hilfe geeilt. Es kostete ihn viel Zeit, diesen gewissen Ort zu finden, aber er hat es geschafft.“
Vanadis schaute sie sprachlos an.
„Natürlich ist Marcus nicht der Mann, um sich als Retter zu offenbaren!“ Jetzt klang die Stimme der Caenis etwas spöttisch, und Vanadis schloss ihre Augen, denn sie wollte nicht, dass die Caenis die Tränen sah, die ihre Augen weinen wollten. Es war ihr peinlich, nein, nicht ihre Scham, sondern ihre Dummheit, wie konnte man nur so dumm sein?
„Marcus ist ein außergewöhnlicher Mann, einer der für die Tugenden Roms steht. Diese Tugenden gibt es wirklich noch. Selten zwar und vollkommen sinnlos eingesetzt, so erklären sie doch seinen Charakter. Er hat aufgrund eines Versprechens der Sidonia die Treue gehalten, obwohl er diese Frau verabscheute von Anfang an. Wie wird es wohl ablaufen, wenn er dieses Versprechen einer Frau gibt, die er aufrichtig liebt? Wäre sie nicht glücklich zu schätzen?
Vanadis stand mit hängenden Armen da. Sie fühlte sich vollkommen verwirrt, konnte kein Wort herausbringen.
Und auf einmal wurde ihr einiges verständlich. Sie hatte immer seltsame Gefühle für Marcus gehabt, hatte gedacht, es wäre Hass und Abscheu. Doch in Wirklichkeit war es… Wieder stöhnte sie auf. Sie sah, dass die Caenis sich erhoben hatte und den kleinen Marcus kurz an sich drückte. Diesem schien es zu gefallen.
„Was wirst du nun tun?“ Die Caenis stand vor ihr und blickte auf sie herab.
Vanadis gelang ein kleines Lächeln. Auch sie stand auf, so dass sie beide auf gleicher Höhe waren. Auge in Auge standen sie so da, bis Vanadis ihr ein Geständnis machte.
Sie deutete auf ein Bündel, das auf dem Bett lag und sagte: „Ich hatte mich schon entschieden, da ist nicht viel drin, ein paar Kleider für mich und den Kleinen… Viel Spielzeug hat er ja nicht, nur die Rassel und den Stoffbären. Beides schnalle ich mir irgendwie noch um den Leib…“
Die braunen Augen der Caenis veränderten sich. Vorher waren sie schön gewesen, doch jetzt noch mehr, denn sie strahlten innig und mit Freude vermischter Güte.
Die beiden Frauen umarmen sich schweigend.
„Ich lasse euch abholen, morgen zur zweiten Stunde. Ihr werdet an das südliche Stadttor gebracht werden, dort wird eine Kutsche auf euch warten, die euch zum Hafen Portus fährt“, sagte die Caenis und löste sich als erste aus der Umarmung. „Möget ihr glücklich miteinander werden. Ach dummes Zeug, ich weiß, dass ihr miteinander glücklich werdet!“
„Ich weiß es nicht. Ich habe Angst“, Vanadis blickte wirklich nicht sehr glücklich drein, denn sie betrat nun einen vollkommen neuen Weg. Er führte sie ins Unbekannte und vielleicht in eine neue Abhängigkeit, aber sie würde ihn gehen. Für ihren Sohn. Und auch ein bisschen für sich selber, so schlimm konnte es nicht werden. Schlimm war es hier in Rom, und diese Stadt war Gift für ihren Sohn.
Aber Britannien, ihre Mutter hatte ihr davon erzählt, es war so weit weg, sie schüttelte den Kopf und ermahnte sich: Sei nicht zu optimistisch, rechne immer mit dem Schlimmsten. Aber trotz ihrer Skepsis fühlte sie eine wilde Vorfreude auf das, was sie erwartete.
Sie riss sich zusammen und fragte zusammenhanglos: „Und was ist mit dir? Was ist mit deinem Geliebten? Werden wir uns je wiedersehen?“
„Alles wird gut“, nickte die Caenis ihr zu. Sie neigte sich zu dem kleinen Marcus, drückte ihm einen Kuss auf seine Stirn und wandte sich zum Gehen.
„Weißt du, dass ich ihm auch das Leben gerettet habe?“, sagte Vanadis, aber es war so leise, dass die Caenis es nicht hören konnte.

*~*~***~*~*

 

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