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Die Frauen von Kampodia

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7
Teil 8
Teil 9
Teil 10

Teil 11
Teil 12

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Teil 22
Teil 23

 

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Die Frauen von Kampodia - Teil 10

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DER LAUF DER DINGE - Teil 2

„Ihr seid ja so gescheit...“ die Baronin blickte den blauäugigen Rath bewundernd an, während sie im Innersten über seine Ansichten entsetzt war.
Der Geheimrath nickte geschmeichelt und tätschelte väterlich ihren Arm. „Das mag dahingestellt sein. Aber die Frau Baronin kennt sich dafür besser aus in der Gesellschaft von London“, billigte ihr dieser eingebildete Kerl doch tatsächlich zu.

Die Gedanken der Baronin schweiften ab. Die Gesellschaft von London... Die kannte sie eigentlich nur von sporadischen Besuchen. Und das war schon sehr lange her. Damals herrschte Georg III über Großbritannien, Irland und das Kurfürstentum Hannover. Leider erschien der König nicht mehr oft in der Öffentlichkeit, denn er litt an einer heimtückischen Geisteskrankheit, die in Schüben auftrat und sich im Laufe der Zeit immer mehr verschlimmerte. Weil er in diesem Zustand nicht mehr regierungsfähig war, vertrat ihn des Öfteren sein ältester Sohn, der sich fortan Regent nennen durfte.
Es musste um 1813 gewesen sein, als sie ihm bei Hofe vorgestellt wurde. Der Regent und spätere König Georg IV war – schlicht gesagt – fett wie ein Fass, und sie fand ihn nicht sehr sympathisch. Man munkelte, dass er Bigamie betrieb, er hatte 1795 seine Cousine Caroline von Braunschweig aus Gründen der Apanage geheiratet, obwohl er zehn Jahre vorher eine andere geehelicht hatte. Ein Bigamist aus Geldgier, unglaublich! Das englische Volk stellte sich spontan auf die Seite der Caroline von Braunschweig, und das wurmte ihn gar fürchterlich.
Jedenfalls fand Morgan ihn grässlich mit seinen dreiundfünfzig Jahren. Er wirkte wie ein alter Lebemann mit seinem fetten Körper und seinem verwüsteten Gesicht, auch seine überaus prunkvolle Kleidung konnte nicht davon ablenken.
Sie war damals dreiundzwanzig Jahre alt – ein sehr altes Mädchen – und hatte sich gerade mit Frederic von Kampe verlobt, einem viel älteren Witwer aus der Gegend um Hannover. Die Verständigung zwischen ihnen klappte hervorragend - Morgan sprach vorzüglich deutsch – das hatte sie von ihren deutschen Vater gelernt – und sie fühlte sich sofort zu ihm hingezogen. Frederic besaß ein angenehmes Wesen, auch sein Äußeres wirkte anziehend auf eine soldatisch harte Art, männlich war er, der Körper muskulös, das Gesicht kantig, das Haupt kurz geschoren, und zu alledem war er auch noch charmant und hatte Humor.
Sie verliebte sich auf Anhieb in ihn, und es war ihr egal, was jenseits des Kanals auf sie wartete. Mit jungen Männern hatte sie bisher nicht viel anfangen können – und die wohl auch nicht mit ihr. Sie war eben anders als andere Mädchen, und trotz ihres einigermaßen passablen Aussehens schreckte das vermeintliche Freier ab. Niemand hatte ihr einen Antrag gemacht, vielleicht auch wegen der niedrigen Mitgift, und sie hatte sich schon damit abgefunden, bei einem ihrer zahlreichen Brüder das Kindermädchen spielen zu müssen, doch dann kam Frederic, dessen Gegenwart sie einfach genoss. Und sie ließ sich fallen. In love...

Frederic hatte so gar keine Ähnlichkeit mit dem entsetzlichen Regenten, er war attraktiv und anziehend. Was fand er nur an ihr?
Sie nahm seinen Antrag an und zog ein paar Monate später ins Königreich Hannover, vorher war es ein Kurfürstentum gewesen, aber nach Napoleons Niederlage teilten die Sieger beim Wiener Kongress Europa neu unter sich auf, wobei der Unruhestifter Frankreich kaum Einbußen an Größe erlitt.
Frederic war kinderlos trotz seiner langjährigen Ehe, und sie würde nicht das Kindermädchen seiner Sprösslinge spielen müssen. Ein Vorteil! Doch er wünschte sich gewiss viele Erben von ihr. Unter seinem beherrschten soldatischen Aussehen schwelte eine gewisse Glut, das ahnte sie, weil sie davon geträumt hatte, der Traum erschreckte sie ein wenig, sie wusste ja so gar nichts über ihren Körper und über den Körper der Männer.
Doch seit diesem Traum lebte ihr Körper ein Eigenleben, das sie nicht steuern konnte.
Sie bereute ihren Entschluss nicht. Frederic entpuppte sich als sehr verständnisvoller Ehemann, er respektierte sie, er unterhielt sich mit ihr über Politik, fragte sie sogar nach ihrer Meinung. Und er war im Bett fantastisch, sie konnte es am Anfang kaum glauben, aber er war zurückhaltend und wild zugleich, und er hatte anscheinend viel Erfahrung. Woher kam die? Seine verstorbene Frau war lange Zeit krank und bettlägerig gewesen, da konnte es also nicht herrühren.
Schließlich fragte sie ihn einfach, es passierte in ihrem Ehebett, als er gerade eine Meerschaumpfeife rauchte nach ihrem Liebesspiel.
Ob er vielleicht öfter das Recht der ersten Nacht in Anspruch genommen hätte, fragte sie ihn unverblümt. Tatsächlich sollte dieses Relikt noch existieren: Wenn eine der Jungfrauen im Dorf heiratete, dann hatte der Lehnsherr das Recht auf die erste Nacht mit der Braut...
Frederic stutzte zuerst, fing aber daraufhin an zu lachen. „Ich habe noch nie eine Frau zwingen müssen, mit mir ins Bett zu gehen.“
Morgan schaute ihn fragend an. „Aber jetzt tust du es doch nicht mehr, oder? Ich meine das mit anderen Frauen ins Bett zu gehen...“
Er schüttelte den Kopf und legte die Pfeife weg, er nahm ihre Hand und küsste sie, während seine andere Hand wohl ein Eigenleben entwickelte und ihre Brust streichelte. Sie überlegte kurz, ob sie ihm von ihrer Gabe erzählen sollte. Eigentlich war es gar keine Gabe, sondern ein Fluch, also erzählte sie ihm nichts davon, denn sie wollte ihn nicht durch so einen Unsinn belasten. Außerdem ließen seine Hände und seine Lippen sie immer alles andere vergessen...

„Yes“, sagte sie verführerisch zum Geheimrath Strüwele. „Ich wusste zwar nicht, wer unser neuer König sein würde”, sie machte eine spannungsvolle Pause, bevor sie fortfuhr: „Aber ich weiß, dass die Personalunion mit England nun vorbei ist. “
Der Geheimrat starrte sie fassungslos an. „Nein Madame, das kann nicht sein!“
„Oh doch“, seufzte die Baronin betrübt. „Habt Ihr die neue Flagge nicht bemerkt? Jetzt sind wir nur noch das Königreich Hannover, mit England ist es over...“
„Ja, aber warum denn, Frau Baronin?“ Der Geheimrat war stehen geblieben und bewegte nervös seine Hände.
„Einhundertdreiundzwanzig Jahre... Aber es ist vorbei, alle tauglichen Söhne von Georg dem Dritten waren schon König, als da sind Georg der Vierte und Wilhelm der Vierte, Gott schütze ihn“, die Baronin bekreuzigte sich – eine Angewohnheit aus ihrer Jugend, als sie noch den anglikanischen Gottesdienst besuchte, „Doch keiner von denen hatte Nachfahren. Außer dem vierten Sohn von dem alten Georg, der ist zwar tot, aber er hat eine Tochter hinterlassen, namens Victoria. Und die ist nun Königin von England. Warum? Weil das Erbgesetz in England auch den Frauen erlaubt, den Titel zu erben. Hier in Hannover ist das anders. Und deswegen ist die Personalunion mit England vorbei, und wir kriegen den Ernst August, der ein noch jüngerer Sohn von dem alten Georg ist...“
Der Geheimrath musste ein Weilchen nachdenken, bis er all diese Zusammenhänge verstanden hatte.
„Madame ist eine sehr kluge Frau“, er tätschelte Morgans Hand und sah natürlich nicht, dass sie angewidert ihr Gesicht verzog.
„Nein, ich bin überhaupt nicht klug, ich bin nur eine dumme Frau, und im Augenblick gibt es soviel Probleme... Ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steht.“
„Vertrau’ sie sich mir an, ich bin ganz Ohr“, säuselte der Geheimrat.
„Ach“, zierte sich Morgan, „es ist einfach der Lauf der Zeit, die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse werden immer geringer, die Steuern werden immer höher, und ich habe soviel hungrige Mäuler zu stopfen.“ Sie machte eine effektvolle Pause, während der sie den Geheimrath hilflos anblickte.
„Ja, aber wie kann ich helfen?“
„Vielleicht kennt er ja die eine oder andere junge Person aus guter Familie mit einer ebenso guten Mitgift, die gewillt wäre, einen von Kampe zu heiraten...“
Der Geheimrat blieb abrupt stehen und schien über ihre Worte nachzudenken. Dann schüttelte er zögerlich den Kopf. „Just im Moment“, er räusperte sich, „ist mir nichts bekannt, die Situation ist sehr schlecht“, wieder räusperte er sich. „Da sind so viele Landadelgüter in schlechter monetärer Verfassung. Andererseits gibt es so wenig mitgiftbegünstigte Töchter. Und wenn sie begünstigt sein sollten, dann handelt es sich um eine sehr sehr kleine Mitgift. Ein Tropfen auf dem heißen Steine, mit Verlaub, liebe Frau Baronin...“
Diese wandte sich unmerklich ab. Die Worte des Geheimraths hatten alles bestätigt, was sie schon vermutet und auch von anderen erfahren hatte: Für ihre Gesellschaftsschicht, also den sogenannten Landadel gab es kein Money, er war an sich selber ausgeblutet. Shit! Sie musste also nach anderen Wegen suchen. Im Ort lebten einige vermögende Leute, sie gehörten zwar nicht dem Adel an, aber mit dem war es sowieso vorbei, die Zukunft gehörte den reichen Industriellen, dem Bürger- und dem Beamtentum und vor allem der Bürokratie.
Ein erschreckender Gedanke. Morgan erfasste wieder ein bekanntes Schwindelgefühl, und sie hielt sich automatisch am Arm des Geheimrats fest, sie sah auf einmal eine endlose Schlange von Menschen, sie besaßen zwar alle Bürgerrechte, von denen die Armen zu Morgans Zeit nur träumen konnten, doch hatten sie keine Arbeit mehr und wurden durch den Staat versorgt. Beraubt jeder Eigeninitiative, gelähmt durch die immer geringer werdenden ‚Gaben’ des Staates. Entsetzt schüttelte sie den Kopf. War das der Weg, zu dem alles hinführte. Aber wieso? Wie konnte das passieren?
Mühsam wandte sie sich wieder der Gegenwart zu. Also keine mitgiftträchtigen Töchter aus adeligen Familien. Gut, man drehe den Spieß um, vielleicht hatte ja der eine oder andere reiche Emporkömmling Interesse daran, sein gut mit Geld ausgestattetes Töchterlein mit einem Adelsspross zu vermählen. Das musste doch möglich sein. Morgan verspürte keinerlei Scheu vor bürgerlichem Blut in ihrer Familie. Blut war Blut und unterschied sich nicht durch den Stand. Was sie aber wollte war, dass ihre Söhne zumindest ein bisschen Glück erlebten, wenn sie denn schon verschachert wurden.
Sie ließ ihre Gedanken schweifen, und als erstes kam ihr natürlich der riesige Gasthof des Ortes in den Sinn, er wurde ‚Wagenrad’ genannt, hatte enormen Zulauf, lebte in nicht ganz so guten Zeiten von den Hochzeiten und Feiern, die dort pompös und routiniert ausgerichtet wurden – und jetzt fiel der Baronin ein: Man besaß jetzt sogar eine eigene Brauerei, mitsamt der Brauerlaubnis!
Ein bewundernder Laut entwich Morgans Lippen. Wie klug! Man braute eigenes Bier, konnte es in der eigenen Kaschemme verkaufen und zusätzlich auch noch woanders hin. Sie musste unbedingt dieses Bier einmal probieren, es war bestimmt gut zur Stärkung des Körpers und des Geistes. Natürlich konnte sie nicht selber die Schankstube besuchen, aber sie würde jemanden dorthin schicken, und es würde bestimmt Aufsehen erregen, zumindest bei der Herrin des ‚Wagenrads’.
Denn very interesting war, dass eine Frau den Laden führte, nämlich die Maladessin, so genannt nach ihrem verstorbenen Gatten, dem Herrn Maladess. Sie war nicht viel älter als Morgan, aber sehr viel üppiger von der Gestalt her. Und sie hatte eine Tochter, ein hübsches Ding, bisschen hochmütig vielleicht – aber kaltblütig genug, um nicht den erstbesten hübschen Kerl zu nehmen. Man munkelte, dass sie ein Auge auf den Heuers Karl geworfen hatte.
Morgan spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Wieder musste sie an den Tag denken, als dem Karl im Wald begegnete. Sie hatte sich so einsam gefühlt. Und dann war es urplötzlich passiert, als ihre Hände sich streiften, war etwas in ihr aufgelodert. Aus, vorbei, Morgan! Denk nicht mehr dran! Es gibt keine Zukunft für euch, vorbei, vorbei, vorbei... Er wird sein eigenes Leben leben, und es wird gut sein.
„Ich denke aber, die Zeiten werden nun wieder angenehmer für den Adel werden, also sei Sie froh darüber.“ Dieser Idiot von Geheimrath unterbrach gerade ihre intimsten Gedanken.
Ja sicher, dachte Morgan ironisch bei sich, das Königreich Hannover würde wieder total absolutistisch werden, denn der neue Herrscher war erzkonservativ – und außerdem ein verkommenes Schwein. Er hatte Notzucht mit seiner Schwester getrieben, und seine Ehefrau sollte ihre beiden früheren Gatten umgebracht haben. Ein sauberes Pärchen! Aber das konnte sie dem Geheimrat natürlich nicht erzählen. Auch nicht, dass es irgendwann ganz vorbei wäre mit dem Adel, auch wenn er jetzt wieder gestützt und privilegiert wurde...
In diesem Augenblick bemerkte sie, dass Thomas in den Ballsaal gekommen war. Erleichtert atmete sie auf. Sie hätte es keine Sekunde mehr mit dem Geheimrath ertragen können.
Aber Thomas sah schlecht aus, als ob er Fieber hätte. Sie ging schnell auf ihn zu. „Was ist denn los mit dir, mein Junge?“, fragte sie ihn und berührte mit der Hand seine Stirn.
Sie hatte Hitze erwartet, doch seine Stirn fühlte sich kühl an, fast schon kalt. Also hatte er kein Fieber. Wieder kam ihr die Vision in den Sinn, Thomas mit einem eingefallenen grauen Gesicht. Hoffentlich war es nicht... Nein, das konnte nicht sein, das durfte nicht sein, sie hatte sich gewiss geirrt.
„Ich bitte euch, mich zu entschuldigen“, sagte sie laut in die Runde, „Thomas geht es nicht gut.“
Sie blickte nicht hinter sich, als sie mit Thomas die Gesellschaft verließ. Sie stützte ihn, und zusammen stolperten sie dahin, bis sie endlich das Gig fand, ihren Sohn mühsam hinaufhievte auf die Bank und sich selber dann der Zügel annahm.
 

~*~*~~*~*~~*~*~

 

ROMANE

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