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Die Frauen von Kampodia

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Die Frauen von Kampodia - Teil 9

Wagen

DER LAUF DER DINGE - Teil 1

„Bitte stell’ dich doch nicht so an!“
Morgan war erbost, sie hatte ihren Sohn Thomas doch nur gebeten, sie zu dieser Soiree zu begleiten. Und jetzt saß er furchtbar bockig neben ihr in der sportlichen Zweisitzerkutsche, einem Stanhope Gig – das auch schon ziemlich in die Jahre gekommen war – und schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Goodness, der Junge hatte doch wirklich nicht viel zu arbeiten, außer seine Gedichte zu schreiben oder andere Poeten zu lesen, da konnte er ihr doch diesen kleinen Gefallen tun.
Sie kam sich verloren vor ohne Frederic, manchmal hatte sie das Gefühl, als würden die anderen Frauen sie missbilligend anschauen, wenn sie ohne seriöse männliche Begleitung zu diversen Feiern erschien. Und deswegen hatte sie diesmal viel Wert auf die Gesellschaft ihres Erstgeborenen gelegt, hatte ihn förmlich überfahren mit den Worten: „Du begleitest mich heute Abend!“
Er schien nicht gerade begeistert zu sein, aber das war ihr egal. Allmählich musste er lernen, dass er als der nächste Baron von Kampe so einiges an Verpflichtungen hatte. Machte er sich davon überhaupt eine Vorstellung? Nein, bestimmt nicht, und deswegen fuhr sie auch ein paar Stunden eher mit ihm los, sie wollte ihm den Besitz derer von Kampes zeigen.
Natürlich war nicht alles in dieser kurzen Zeit zu schaffen, aber ein bisschen davon doch. Sie wies auf die mittlerweile abgeernteten Kornfelder hin, die in großer Zahl zu sehen waren, auf die Wiesen, die immerfort Heu spendeten für die Kühe auf dem Gutshof – und auch in getrockneter Form für den Winter, auf die Gemüsefelder, auf die riesigen Bienenstöcke, in denen fleißige Bienen Honig für das Gut produzierten, auf die Knochenmühle, in denen Dünger für die Felder gemahlen wurde, auf die Wälder, in denen die von Kampes das Jagdrecht besaßen, auf die Bäche, in denen sie das Fischrecht hatten...
Vermutlich war diese Schnellvorstellung eine Tortur für Thomas, denn er zeigte sich sehr desinteressiert. Aber allmählich musste er doch ein Bewusstsein für die Größe seines zukünftigen Besitzes entwickeln – und auch für die Verantwortung, die damit verbunden war.
Aber nein, ihr Sohn guckte geistesabwesend aus dem Fenster der Kutsche. Was war nur los mit dem Jungen? Sie schüttelte ratlos den Kopf.

Schließlich erreichten sie Helligenthal, Helligenthal war das nächste Rittergut im Umkreis, und dort hatten schon etliche derer von Kampes Lebensgefährtinnen gefunden, unter anderem auch Frederic seine erste Frau.
Dieser Abend würde bestimmt grässlich werden. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht, hier hinzugehen? Doch sie musste nun einmal eine gewisse Anzahl gesellschaftlicher Konventionen aufrechterhalten, und außerdem brauchte sie ein paar Auskünfte...
Wie immer in vornehmen Kreisen, wurden künstlerische Vorträge präsentiert, vor allem am Klavier. Manchmal wurden die Vorträge auch gesungen, das war dann doch recht unerträglich, und Morgan musste in sich hineinkichern bei der Erinnerung an diverse missglückte Gesangseinlagen des Landadels, egal ob nun männlichen oder weiblichen Geschlechts.
Sie fühlte sich wohl in ihrem Kleid, es war hochgeschlossen, taillenbetont, mit weitem Rock und mit langen Ärmeln – der Stoff des Kleides stammte doch tatsächlich von einer Grotmudder Frederics. Die Hanna hatte wirklich eine exzellente Arbeit geleistet! So ein talentiertes Kind, sie musste sich unbedingt um das Mädchen kümmern.
Wie gut, dass diese grässliche französische Mode vorbei war, man hatte sich ja vollkommen entblößt gefühlt, die Brüste wie auf einem Kissen präsentiert, und die Taille war auch nicht an ihrem richtigen Platze, sondern just unterhalb der so furchtbar betonten Brüste. Das hatte ihnen natürlich dieser unmoralische Kaiser Napoleon beschert... Morgan hasste als geborene Engländerin die Franzosen, das war für sie Tradition.
Dennoch fragte sie sich manchmal, ob Napoleon nicht besser für ihr Land gewesen wäre. Tatsächlich: IHR Land war nun das Königreich Hannover und nicht mehr das Vereinigte Königreich von Britannien. Er hatte viel Gutes gebracht, dieser ominöse Kaiser, abgesehen von dieser furchtbar entblößenden Mode natürlich. Zum Beispiel eine total neue Gesetzgebung, nämlich den Code Civil, ferner hatte er die Zünfte in ihre Schränken verwiesen, den Handel dadurch forciert, er hatte das Mitspracherecht der Bürger und auch der Juden verbessert.
Morgan kam dabei der Jud Jonathan Strauss in den Sinn. Seit Jahren zog der Händler durch Kampodia, versorgte sie mit allen gewünschten Waren, wohlriechende Cremes befanden sich in seinem Sortiment und auch Seifen, die einem nicht sofort die Haut verätzten. Außerdem bot er gute und vor allem haltbare Hosen aus Baumwolldrillich an, welche für die Arbeiter praktisch unverwüstlich waren.
Sie mochte den Jonathan, obwohl sie manchmal in seiner Nähe ein seltsames Gefühl überkam, sie wusste nicht, woher es kam. Oder doch? Jedenfalls scheute sie davor zurück, es zuzulassen. Alles, was aus der Zukunft kam, war erschreckend, mehr oder weniger. Manchmal war es nur seltsam, skurril, absurd und unverständlich. Manchmal aber tauchten furchtbare Dinge auf, die sie instinktiv verdrängte. Sie wollte das nicht wissen, wollte ein bisschen wie ein normales Menschenwesen sein.
Bis jetzt hatte dies auch gut funktioniert, aber die Schranken fielen allmählich, die Grenzen zu den anderen Welten wurden schwächer, und sie verspürte Angst, furchtbare Angst. Sie hatte niemanden, dem sie alles sagen konnte, sie war allein...
Mühsam riss sie sich zusammen. Napoleon, alles in allem war er sehr fortschrittlich gewesen in der Gesetzgebung. Nur das Besetzen fremder Länder war ihm letztendlich nicht gut bekommen, niemand schätzt Fremdherrschaft, so gütig sie auch erscheinen mag, jedes Fürstentum, jedes Königreich will alleine entscheiden, was zu seinem Glück gehört. Und natürlich werden die Untertanen nicht nach dem gefragt, was sie wollen...
Jedenfalls war es eine sehr weibliche Mode, wie Morgan fand. Die Männer kleideten sich allerdings schlicht, wie um ihre Geschäftsmäßigkeit und Seriosität zu unterstreichen. Die Kniebundhose war fast vollständig verschwunden. Die neue Hose war eng und lang. Dazu gehörten der Frack, eine kunstvoll geknotete Krawatte und der Zylinder.
Apropos neue Mode, wo war Thomas? Sie konnte ihn nirgendwo sehen. Hatte er etwa die Gesellschaft verlassen? Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Der Junge, er war im Augenblick unverständlich, sie konnte ihn nicht erreichen, es schien so, als wäre er permanent geistig abwesend.
Trotzdem wollte sie sich den Abend nicht verderben lassen. Sie würde etwas am Klavier zum Besten geben, natürlich war sie nicht sehr begabt, sie kannte ihre Grenzen – und suchte sich folgerichtig immer Musikstücke aus, die einfach zu spielen waren und mit denen sie glänzen konnte. Diese ihre winzige Eitelkeit war ja wohl zu verzeihen. Und tatsächlich, schon als sie die kleine Bühne betrat, erhob sich ein leiser Applaus.
Sie begann mit dem Ave Maria von Schubert, ein wundervolles Stück, es brachte die Zuhörer zum Weinen, es brachte sie selber zum Weinen. Warum nur? Sie hatte doch eigentlich keinen Grund dazu, dennoch spürte sie etwas Schlimmes, das sie zum Weinen bringen würde, doch sie ignorierte es.
Das Ave Maria war nicht schwer zu spielen, viel schwerer wäre das Impromptu Es-Dur, viel zu schnell für ihre Bauernhände... Schubert, welch ein genialer Künstler, sie liebte ihn sehr. Wieso gab es eigentlich noch kein Opernhaus in Hannover? In Berlin gab es schon lange eins... Ach, welch dumme Frage, mit wem sollte sie denn in dieses Opernhaus gehen? Frederic war tot...
Nach einer angemessenen Pause spielte sie weiter. Noch ein Schubertstück, nämlich die Serenade, die leicht wiederzugeben war – und wieder trieb es ihr die Tränen in die Augen. Was zum Geier war nur los mit ihr? Tapfer machte sie weiter. Die Mondscheinsonate von Beethoven, die kam immer splendid an, alle Tränen versiegten, und man lauschte nur noch andächtig.
Zum Schluss präsentierte Morgan Greensleeves, eine alte Volksweise aus ihrer Heimat England, es war so simply, so schlicht, so wunderschön – das dachten die Zuhörer wohl auch, denn alle lächelten sie, und alle wirkten fröhlich. Morgan fand es immer ergreifend zu sehen, wie die Musik das Beste in ihren Mitmenschen hervorbrachte.
Nachdem der kulturelle Teil der Soiree vorbei war, verlief alles ein wenig entspannter, und tatsächlich wurde auch getanzt. Morgan schaute zu, wie die Jüngeren sich im Walzertakt wiegten, während sie selber sich mit Verwandten unterhielt. Es gab viele Verwandte, alle verschwägert, alle sehr solide, alle schon etwas älter...
Gab es denn überhaupt keine jungen Leute mehr, die sie eventuell mit ihren Söhnen verheiraten konnte? Die, welche sich gerade im Walzertakt wiegten, waren alle schon über vierzig...
Thomas war immer noch nicht zu sehen, der Schlingel hatte sich verdrückt. Hoffentlich hatte er ihr die Kutsche dagelassen und war zu Fuß gegangen. Was war los bloß mit ihm?
„Möchte die Frau Baron tanzen?“, eine altväterliche Stimme unterbrach ihre Gedankengänge. Sie blickte erstaunt auf und sah den Geheimrath Strüwele vor sich.
„Nein“, sagte sie charmant, „aber ein bisschen spazieren gehen möchte ich wohl schon mit ihm“.
Er bot ihr seinen Arm, und sie legte vorsichtig ihre Hand darauf. Freundschaftlich gingen sie nebeneinander daher und unterhielten sich. Erst allgemein über ihren Gesundheitszustand – der alte Geheimrath dachte wahrscheinlich, sie wäre auch schon fast im Grabe – dann über die Ernte und schließlich über die Politik.
„Ja, hmmm, wirklich, liebe Frau Baronin“, der Geheimrath räusperte sich und tätschelte ihre Hand. „Jetzt iss hei woll daute, der alte Wilhelm...“ Er meinte Wilhelm den Vierten, der bis vor kurzem König des Vereinten Königreichs von Großbritannien und gleichzeitig auch vom Königreich Hannover gewesen war. Hier auf dem Land kamen die Nachrichten immer etwas später an, und in Wirklichkeit war der alte Wilhelm schon vor einem halben Jahr gestorben...
„Jetzt iss he daute!“, sagte Morgan in perfektem Plattdeutsch, während sie am Arm des Geheimraths Strüwele dahin schlenderte. Der Rath war ja eigentlich ein netter Mann, nur so furchtbar verknöchert, so furchtbar unansehnlich, und das Auge wollte doch ein bisschen mitessen. Morgan verkniff sich ein Lachen.
„Und was wird nun passieren? Ich bin ja so nicht so bewandert in der Politik, bin schließlich nur eine Frau...“ Wieder musste sie sich ein Lachen verkneifen. Natürlich war sie nicht sehr an interessiert an Politik, aber dennoch hatte sie einiges mitgekriegt im Laufe der letzten Jahre. Und was sie alles aus England gehört hatte – viele Freundinnen schrieben ihr Briefe, in denen sie über Neuigkeiten am Hofe Londons informiert wurde und vor allem über die Skandale der Herrschenden – all das würde diesen biederen alten Mann furchtbar entsetzen. Nein, wahrscheinlich würde er es gar nicht glauben.
„Ich denke mal, dass der Ernst August nicht so ein Luftikus ist wie sein Vorgänger“, der Geheimrat räusperte sich. „Er wird, dem Himmel sein Dank, dem Adel wieder mehr Vorrechte verschaffen.“
„Wirklich?“ Die Baronin lächelte charmant zurück. „Ist das splendid oder nicht?“ Sie wusste, dass die englischen Ausdrücke den größten Teil ihres Charmes ausmachten. Im Innersten aber kochte sie.
Wusste der alte Trottel nicht, dass der von ihm so bewunderte Ernst August sofort nach seinem Amtsantritt die seit 1833 geltende relativ liberale Verfassung durch eine knallharte absolutistische ersetzt hatte? Es gab Proteste, vor allem in Göttingen. Sieben Professoren, darunter auch Jakob und Wilhelm Grimm schrieben eine Protestschrift, die innerhalb von wenigen Tagen von vielen Studenten tausendfach vervielfältigt wurde und im ganzen Königreich kursierte.
Und was passierte? Dieser Kommisskopp von König, dieser absolute Tory, verwies fast alle außer Landes. Unglaublich das!
 

~*~*~~*~*~~*~*~

 

 

ROMANE

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