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Die Frauen von Kampodia

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Die Frauen von Kampodia - Teil 4

Rad

ES IST SCHICKSAL - 1

Morgan, Baronin von Kampe hatte sich gerade mit einer Stickerei niedergesetzt, um sich ein wenig von ihren Sorgen abzulenken, und da waren viele Sorgen: Der Verwalter, den sie neu eingestellt hatte, lag krank danieder im Verwalterhäuschen. Sie hatte ihn einstellen müssen, weil sie es einfach nicht schaffte, diese ganzen bäuerlichen Prozeduren zur richtigen Zeit in Gang zu bringen – wann musste das Wintergetreide gesät werden, wann war der rechte Zeitpunkt für das Sommergetreide? Wann mussten die Kartoffeln gesetzt werden? Und wann geerntet? Wann musste das Korn gemäht werden, die Erbsen auf den Felder gepflückt, wann das Heu gemäht, um das Vieh im Winter damit zu füttern können, wann musste man alles unter Dach und Fach bringen, ohne dass es währenddessen auf den Feldern verfaulte?
Frederic hätte dies alles gewusst, der brauchte keinen Verwalter, er hatte es im Blut. Er war ein Bauer. Aber sie konnte das nicht, obwohl sie in mancherlei Hinsicht auch erfolgreich war, zum Beispiel in der Molkerei. Sie betreute die Rindviecher, ließ die Milch verkaufen, ließ Butter anfertigen und Buttermilch als Nebenprodukt, beschäftigte sich mit der Käseherstellung, wie auch immer, die Rindviecher waren ihr ans Herz gewachsen, und immer wenn eine Kuh in das Alter kam, in dem sie kaum noch Milch gab, dann bekam Morgan ein schlechtes Gewissen, wenn sie die arme Kuh schlachten ließ. Kaum jemand in Kampodia hatte jemals Kuhfleisch gegessen, und wenn es dann zwangsweise wegen Überalterung der Kühe auf den Tisch kam, dann war es so langfaserig und zäh, dass es kaum genießbar war... Dennoch wurde es gegessen und es wurde der Kuh gedacht. Eine schöne Sitte, jemandem zu gedenken, der gestorben war, um einen selber am Leben zu erhalten...
Morgans Blick fiel auf das neue Mädchen. Es handelte sich um eine blutjunge Frau, sie staubte gerade die Bilder auf dem Kamin ab, und dieses geschah sehr langsam. Zwischendurch nahm sie ein Bild nach dem anderen in die Hand und betrachtete es prüfend, während sich ein seltsamer Ausdruck auf ihr Gesicht legte. Etwas in ihren Gesichtszügen kam Morgan bekannt vor, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, wem dieses hübsche Ding wohl ähnelte. Das Mädchen war schon ein paar Tage im Herrenhaus, vorher hatte es in den Ställen als Magd gearbeitet, und jetzt war es zum Zimmermädchen aufgestiegen. Durch den Verwalter vielleicht?
Sie räusperte sich, und das Mädchen schreckte zusammen. Hastig stellte es das Bild weg, das sie gerade in der Hand hielt und fuhr mit dem Stauber darüber.
„Wie heißt du, mein Kind?“, fragte die Baronin. Morgan war von Natur aus neugierig, immer noch neugierig und das mit weit über vierzig Jahren. Eigentlich war sie schon eine Matrone, aber sie fühlte sich nicht so, sie war eben anders als die meisten hier, und dieses Kind weckte ihr Interesse. So jung, so hoffnungsvoll, so ehrgeizig, so zum Scheitern verurteilt... Kurz durchzog sie ein seltsames Gefühl. Sie sah die junge Frau mit einem Neugeborenen, sie schaute es nicht gerade erfreut an, nein, das war das falsche Wort, sie schaute es hasserfüllt an, doch dann verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck...
„Ich heiße Lena Lakosta, Frau Baronin“, sagte das Mädchen gerade, es machte dabei einen sehr sicheren Eindruck. „Eigentlich kommt der Name von Helena, aber das ist für meinen Stand zu hochgeschraubt.“
Die Baronin lächelte, das Mädchen war nicht dumm, und es besaß einen gewissen Sarkasmus, den unbedarfte Gemüter wohl als unterwürfige Demut empfanden mochten. Aber ob ihm die Klugheit viel nützen würde? Die Dinge lagen eben so, wie sie lagen, und als Dienstmädchen hatte man kaum Aufstiegsmöglichkeiten, außer vielleicht den Kutscher zu heiraten, aber das war dann schon das Ende der Dinge. Es gab selten eine Vermischung der Stände: Der Adel – dazu zählte sich Morgan natürlich auch – ließ kaum eine Vermischung mit anderen Gesellschaftsformen zu, es sei denn mit reichen Industriellen, die in letzter Zeit stark zugenommen hatten. Der Lauf der Dinge eben, es handelte sich um Emporkömmlinge, welche die gesellschaftlichen Umgangsformen noch nicht beherrschten, aber sie stellten wohl die Zukunft dar.
„Bist du schon lange hier im Herrenhaus“, fragte sie die Lena.
Das Mädchen antwortete nach einer kurzen zögerlichen Pause: „Nicht sehr lange, Frau Baronin, vorher war ich in den Ställen, meine Mutter, die lange Zeit hier Dienstmädchen war, hatte für mich gesprochen.“
Morgan überlegte, und dann fiel es ihr ein. Genau, die Lakosta, sie war ebenso alt wie sie selber, und vor vielen Jahren hatte sie ihren Dienst quittiert, seitdem munkelte man im Dorf – Morgan hatte dies durch Zufall gehört – dass sie nur noch in ihrem armseligen Häusle lebte und dem Alkohol verfallen war. Seltsam, DIE hatte für ihre Tochter gesprochen, um sie hier als Stallmagd einzustellen? Nun gut, vermutlich hatte Frederic das arrangiert, er hatte sich immer so für seine Dienstboten verantwortlich gefühlt. Aber wieso war dieses hübsche Mädchen jetzt auf einmal ein Zimmermädchen im Herrenhaus? Sie sollte den Verwalter fragen. Doch der war seit längerer Zeit schon krank und konnte kaum noch seinen Aufgaben gerecht werden.
Morgan grübelte vor sich hin und vergaß das Mädchen. Das Gut lief schlecht, einen Kutscher konnte man sich nicht mehr leisten. Wofür auch, das altmodische Reisegespann verrostete in der Markise, denn sie gönnte sich kaum noch größere Ausflug. Ihre Söhne allerdings leisteten sich den Luxus eines Gigs, ein sehr sportliches Gefährt war das, leider brauchte man dazu auch sportliche Pferde, und mit diesen Pferden konnte man keinen Acker pflügen. Also mussten sie durchgefüttert werden, die Hannoveraner. Sie waren schon edel und die besten, die es gab, dennoch konnte man sie sich kaum leisten. Trotz der immer noch steuerlichen Privilegien des Adels waren die Ausgaben in den letzten Jahrzehnten höher als die Erträge gewesen. Und die Besatzung durch Napoleon hatte die Lage nicht besser gemacht. Andererseits waren sehr viele Reformen vom französischen Kaiser eingeführt worden, die Zünfte wurden aufgelöst, die Bürger bekamen mehr Mitspracherecht im Parlament, doch all diese Reformen waren nur halbherzig, es fehlte an Geld, um sie durchzusetzen, denn der Kaiser brauchte das Geld für seine Kriege. Und nach seiner Niederlage wurden die Gesetze sofort wieder geändert.
Sie dachte an ihren ältesten Sohn Thomas, den Erben vom Rittergut Kampodia. Er war nicht gerade ein begnadeter Geschäftsmann, und auch als Landwirt taugte er nicht viel. Er schrieb lieber Gedichte, war überaus sozial und liebte es, von Revolution und Demokratie zu faseln, er trieb sich im Dorf herum, um seine freiheitlichen Äußerungen jedermann kundzutun und um die Armen zu unterstützen... Ein Kindskopf war er, aber ein liebenswerter. Morgan musste lächeln, er war ihr so ähnlich, sie tat ja auch, was möglich war. Sie wollte, dass die Kinder im Dorf alle am Schulunterricht teilnehmen konnten, das war jetzt ihr Recht, doch dummerweise mussten ihre Eltern ein Schulgeld entrichten, und das war für die ärmeren Leute einfach unerschwinglich.
Das Schulgeld, das war überhaupt so eine Sache, der Eintreiber des Schulgelds war der Lehrer selber, denn er musste sich schließlich davon ernähren. Was also tun?
Morgan hatte die Sache vereinfacht: Der Lehrer, eigentlich war er nur ein simpler Schulmeister, durfte bei ihr im Herrenhaus wohnen, und zwar in einer Kammer im Dachgeschoss, das ersparte ihm die Miete für ein Zimmer. Und er konnte an ihrer Tafel mitessen, das war gar kein Problem, es gab so viele Mägde und Knechte dort... Natürlich musste er dafür im Gegenzug ALLE Kinder unterrichten, deren Eltern ein Interesse daran hatten.
Morgan seufzte auf, leider hatten nur die wenigsten Eltern Interesse daran. Ihre Sprösslinge mussten früh bei der Ernte helfen und auch im Haushalt, oder zumindest bei der Geschwisterbetreuung. Da blieb nicht viel Zeit übrig für die Schule, und dementsprechend geriet auch die Bildung dieser amen Kinder. Sie würden nie eine Chance haben, ihr Dasein verändern zu können...
Ach Thomas, mein geliebter Träumer... Wie wirst du deiner Rolle als Gutsbesitzer gerecht werden? Automatisch musste sie an ihren jüngeren Sohn denken. Archie... Ein gutaussehender Kerl, luxusverwöhnt wie er war, spielte er den Dandy, mit geschnürter Taille, engen Hosen und übertrieben hohen Hüten. Er interessierte sich kaum für Frauen, außer für solche, die er der Mode der Zeit folgend als schöne Tiere bezeichnete, oder als edle unverdorbene Wilde wie dieser Philosoph Rousseau. In Archibalds Fall handelte es sich bei diesen unverdorbenen Wilden um kräftige Dorfmaiden, die er bewunderte. Er trieb sich gerne auf den lokalen Schützenfesten herum und befand sich im Sog des übelsten Raufboldes von Kampodia, dem Tischlermeister Karl Heuer – bei dem Gedanken an den Karl erfasste eine plötzliche Hitze den Körper der Baronin, sie bezwang mühsam diese Hitze, es war vorbei, es musste vorbei sein, diese vollkommen unmögliche Affäre, dieser Nachmittag im Wald, als sie... Nein, sie bezwang den Gedanken daran, und sie versuchte ganz sachlich an den Karl zu denken.
Er war bestimmt kein schlechter Kerl, geschickt als Tischler und als Büttner, in beiden Zünften Meister, er war stark und vor allem gutaussehend. Sie seufzte auf – so gutaussehend, so wild, so männlich – bevor sie weiter nachdachte. Doch im Moment schien er ein wenig out of control zu sein, hoffentlich nicht wegen ihr. Hatte er sich gar in sie verliebt? Bitte nicht das! Aber eine andere Möglichkeit kam nicht in Betracht. Armer Karl, er tat ihr so leid. Er war trotz seiner über dreißig Jahre noch so jung, so unvorbereitet auf die Liebe, und sie trug Schuld daran, dass er sich in die Falsche verliebt hatte.
Dieser Zustand musste beendet werden, sie konnte es nicht zulassen, dass er sein Leben wegen ihr verschluderte. Wenn sie ihn doch ungeschehen machen könnte, diesen Nachmittag im Wald. Obwohl, sie hatte ihn genossen, sie fühlte sich so lebendig wie seit langem nicht mehr, ihre Einsamkeit vergessend, ihr Alter ignorierend.
Trotzdem war es falsch gewesen, sie musste sich mit ihm unterhalten, musste ihm klarmachen, dass alles ein Nichts gewesen war, dass sie ihn nicht liebte und dass er irgendwann... Ja was?
Ein Bild erschien in ihrem Kopf. Sie sah die Hanna, dieses stattliche schöne junge Mädchen mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten und dem ausgeprägten Stolz. Diese junge Frau stopfte und nähte wie keine andere. Schade, dass sie dies nicht zum Beruf machen konnte, die Zünfte waren in derlei Sachen unerbittlich. Und dabei wäre es doch ein paar Meilensteine weiter möglich, das Herzogtum Braunschweig bewies sich als sehr viel toleranter als das verknöcherte Königreich Hannover. Sollte sie der Hanna die Möglichkeit geben, hinüberzuwandern? Vielleicht sogar ins Königreich Preußen? Doch wollte die Hanna überhaupt weg von hier? Wahrscheinlich nicht, sie war hier geboren, sie war verwachsen mit diesem Ort, sie hatte immer gut zu tun und war durch ihre Arbeitskraft und Zuverlässigkeit sehr beliebt bei den reichen Bauern und auch bei deren Frauen... War die Hanna etwa Karls Zukunft? Es sah so aus, und sie musste dies unterstützen, auch wenn es ihr weh tun würde...
Die Baronin seufzte auf, der älteste Sohn ein unrealistischer Dichter, der Lord Byron bewunderte und die Gleichheit aller Menschen predigte – der andere ein Rousseau-Anhänger, welcher die Kraft und den Edelmut des Wilden bewunderte. War da was dran? Der Mensch sollte im Grunde gut sein. War er das? Sie hatte keine Ahnung, aber es handelte sich hierbei wohl um die höchste philosophische Frage, und sie war nur eine Frau. Wenn auch eine etwas ungewöhnliche Frau...
Morgan lächelte und dachte weiter über ihre Söhne nach. Archibald... Was würde er tun, wenn er sich wirklich einmal in eine Dorfmaid verliebte? Antwort: Gar nichts würde er tun, er würde vielleicht ein bisschen leiden, aber seine Pfründe beeinträchtigen zu lassen, indem er unstandesgemäß und vor allem ein Mädchen ohne Mitgift heiratete, nein, niemals... Wieder musste Morgan lächeln. Wenn Archie der Erbe des Besitzes wäre, dann würde vielleicht noch etwas aus ihm werden können, vorausgesetzt, er heiratete eine reiche Frau, die sich so etwas wie ihn leisten konnte.
Wäre, könnte, würde, hätte... So viele Konjunktive! Und bei alledem handelte es sich nur um Gedankengespinste, Thomas würde bald der Herr des Rittergutes sein, das Erbrecht im Königreich Hannover überließ nur dem ältesten Sohn die Herrschaftsansprüche. Adelige Frauen durften in den seltensten Fällen erben, das unterschied das Königreich Hannover von ihrer Heimat England. Dort war einst eine Elisabeth Königin gewesen, und sie hatte das Goldene Zeitalter Englands eingeleitet. Aber hier im Herzen des Königreichs Hannover war die Zeit stehen wohl geblieben, mal mehr, mal weniger. Eher mehr, wie die letzen politische Ereignisse bewiesen hatten...
Morgan musste auflachen. Mal zog man die Schraube für die Untertanen richtig an, so geschehen um 1819. Nachdem ganz Europa Napoleon zum Teufel gejagt hatte, gab man dem Adel wieder die Rechte zurück, die er immer schon besessen hatte. Dann lockerte man die Schraube wieder ein bisschen, ein paar Bürgerrechte mehr, so geschehen mit der Verfassung von 1833. Der Adel musste ein wenig zurückstehen, mit Betonung auf ein wenig – dennoch war es eine Schraube, und in der Schraube befand sich festgeklemmt das gemeine Volk. Natürlich würde es nicht immer so weitergehen. Morgan wusste, dass in einer nicht fernen Zukunft überhaupt kein Adel mehr existieren würde. Sie wusste so einiges, sie war nämlich keine gewöhnliche Frau.
Verdammte Gabe, verdammter Fluch! Warum war sie nur damit geschlagen?
Sie gelangte in die Wirklichkeit zurück. In ein paar Wochen würde Thomas den Titel des Barons erben und das Rittergut übernehmen. Wie würde er damit umgehen? Würde er den Besitz der von Kampes langsam in den Ruin treiben, weil er ein schlechter Geschäftsmann war – oder würde er ihn sofort an die Armen verschenken? Nein, so schlimm würde es nicht kommen, er war ein von Kampe... Trotzdem fühlte Morgan sich unbehaglich. Sie wusste nicht warum. Sie liebte ihre Söhne und vertraute ihnen ganz und gar. Aber dennoch hatte ein seltsames Gefühl Besitz von ihr ergriffen, es grenzte fast schon an Entsetzen.

 

~*~*~~*~*~~*~*~

 

ROMANE

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