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Die Frauen von Kampodia

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Die Frauen von Kampodia - Teil 8

Gerechtigkeit

GERECHTIGKEIT!

Es klang so unbeschreiblich gut, und es war so ein wunderbares Wort: SCHWIEGERSOHN...
Genüsslich ließ sich Natalia Lakosta dieses herrliche Wort auf der Zunge zergehen: SCHWIEGERSOHN... Dieses Wort schmeckte wie eine Tasse süßer betörender Schokolade. Früher einmal hatte sie oft so etwas getrunken, da ging’s ihr noch richtig gut, und sie träumte oft von dieser besten Zeit in ihrem Leben, obwohl sich viel Bitternis in ihre Gedanken mengte.
So etwas wie Schokolade war jetzt natürlich unerschwinglich für sie, aber demnächst würde es ihr wieder besser gehen. Sie schwelgte förmlich in den Vorahnungen künftiger Genüsse, und diese hatten allesamt mit Schokolade, teurem Schnaps, Kaffee den lieben langen Tag lang, Braten, wann immer es sie nach ihm gelüstet und noch mit einigem anderen zu tun, welches zwar nicht direkt für den Körper bestimmt war, aber dennoch sehr, sehr befriedigend für ihre Seele sein würde...
Natalia kehrte kurz in die bittere Gegenwart zurück. Nur fürs erste natürlich, unbeteiligt sah sie sich in ihrer Hütte um. Sie war ärmlich eingerichtet. Ein verdreckter Herd stand in der Ecke, im Winter musste er nicht nur öfter mal das Feuer für den dürftigen Getreidebrei liefern, sondern auch die zwei anderen winzig kleinen Räume heizen, beides verrichtete er ziemlich schlecht. Ein Sammelsurium von Kochgeschirr hing über ihm, auch das sah nicht besonders sauber aus.
Natalia starrte mit blinden Augen darauf. Wer konnte in so einem Haus leben, wenn man zu Höherem bestimmt war? Die feinen Weiber bestimmt nicht, die würden hier untergehen. Doch sie, sie würde nicht untergehen, sie hatte lange genug im Dreck gelebt, aber jetzt würde sich alles ändern...
„Meine Geliebte...“, leise Worte der Liebe drangen verschwommen an ihr Ohr, und sie musste sich an IHN erinnern, den einzig geliebten. Das brachte sie wieder auf den Boden der Realität zurück. Drecksack! Alles Drecksäcke! Männer! Sie versprachen einem den Himmel auf Erden im Augenblick der Lust, und dann hatten sie plötzlich genug – und verließen einen von einem Tag zum nächsten. So unerwartet, so grausam, so rücksichtslos.
Die englische Hexe hatte ihn eingefangen, die war schuld daran! Die mit ihrem mildherzigen Getue und ihrer verdammten Schönheit! Und sagte man nicht auch, dass die Männer die ausländischen Frauen ganz besonders liebten. Je fremder, desto besser...
Nein, er liebte diese Engländerin nicht wirklich, sie sollte ihm nur Söhne gebären, damit das Rittergut einen Erben bekam.
Ha, immerhin hatte er lange Jahre gut für sie, Natalia, gesorgt, aber jetzt war er tot. Die Sonderzahlungen versiegten nach einiger Zeit, übrig blieben nur die üblichen Lebensmittelgaben, die man allen ehemaligen Bediensteten des Ritterguts gewährte. Davon konnte man nicht sterben, aber auch nicht richtig leben.
Tatsache war, sie verreckte hier in der Armut des Unteren Dorfes, und wenn sie die Lena nicht hätte, von der sie mittlerweile versorgt wurde, wie es sich für anständige Kinder gehörte, dann wäre sie bestimmt schon eher verreckt...
Doch das war nun vorbei, das mit dem Verrecken!
Sie betrachtete ihn, ihren Schwiegersohn. Schwiegersohn... Wieder wurde ihr warm im Körper bei diesem Wort. Er schaute blendend aus, der gute Junge, ihr Schwiegersohn. Dennoch wirkte er etwas kränklich, Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, und sein ohnehin schon vornehm blasses Gesicht sah noch blasser aus als sonst. Doch trotz seines etwas desolaten Zustands machte er einen überaus glücklichen Eindruck.
Auch Natalia fühlte sich glücklich. Ihre über alles geliebte Tochter hatte sich vermählt, und dazu noch mit einem von Kampe. Noch besser war, dass dieser von Kampe der rechtmäßige Erbe des Ritterguts war.
Sie empfand dies als ausgleichende Gerechtigkeit. Vornehme Säcke, jetzt haben wir euch, so oder so! Ihr könnt euch winden, wie ihr wollt, wir haben euch! Und vor allem dich, du verfluchte Hexe!
Wie immer, wenn sie an die Baronin dachte, verzerrte sich ihr Gesicht, sie hasste diese Frau, sie hatte alles genommen, was eigentlich ihr, Natalia, zustand, aber jetzt würde sie doch noch ihren verdienten Platz einnehmen, wenn auch nur als Mutter der zukünftigen Baronin von Kampe.
Natalias Gesicht entspannte sich etwas und sie schaute vorsichtig zur Seite, ob die Kinder vielleicht etwas von ihrem Gefühlsausbruch bemerkt hatten, doch die Kinder waren so miteinander beschäftigt, dass sie auf nichts anderes achteten.
Natalias Gesicht entspannte sich nun vollends, die beiden waren aber auch ein schöner Anblick, als wären sie füreinander geschaffen worden. Der Thomas mit seinen markanten Gesichtszügen, seiner vornehmen Blässe, seinem dunkelblonden kurzgeschnittenen Haar und seiner schlanken hohen Gestalt – und dann ihre Lena... Das Kind war ja so hübsch! Diese schwarzen Augen, diese dunklen glänzenden Haare, die in Locken über ihre Schultern fielen, diese wundervolle Figur, nach der sich alle Männer im Dorf umsahen, und die auch nicht durch die bäuerliche Kleidung zu verbergen war. Sie war so stolz auf diese ihre Tochter. Und natürlich auch auf ihren Schwiegersohn.
Thomas von Kampe war schließlich ihre Versicherung für ein besseres Leben. Bald würde sie ins Herrenhaus übersiedeln, dort eins der prächtigen Zimmer beziehen, um fortan ihrer geliebten Tochter zur Seite zu stehen. Da konnte sich die Morgan aber auf was gefasst machen!
Gerührt betrachte sie ihre Kinder und konnte sich dabei ein Tränchen nicht verkneifen.
Die zwei machten so einen glücklichen Eindruck, sie hielten sich so fest, schauten sich tief in die Augen, streichelten sich, wann immer sie nur konnten, als wollten sie nicht voneinander lassen... Wirklich anrührend das!
Nun musste die Natalia innerlich lachen. Tja, so war das immer am Anfang – und am Ende stand man da, vom Geliebten verlassen, ohne Arbeit, und man galt als Hure im Dorf, nur weil man sich ein bisschen besser stellen wollte... Aber sie hatte sich durchgeschlagen bis zu diesem entscheidenden Punkt in ihrem Leben.
Ihre Tochter war nun mit Thomas von Kampe verheiratet! Seine hochnäsige Mutter wusste zwar noch nichts davon, aber sie würde es bald erfahren. Außerdem trug Lena Thomas’ Kind unter ihrem Herzen. Brauchte es noch mehr Beweise? Das war doch wohl mehr als genug, und das vornehme Pack sollte sich nicht so haben...
Natalia erhob sich von ihrem Stuhl und ging in die Abstellkammer neben der Küche, sie musste unbedingt einen Schluck nehmen, weil sie sich so glücklich fühlte. Sie kramte im Holzkasten herum, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte, nämlich die Flasche Branntwein, sie schaute kurz zurück in das andere Zimmer, wo Thomas, ihr Schwiegersohn – bei diesem Gedanken lachte sie leise auf – und ihre Tochter Helena gerade herumschmusten – sie hob gierig die Flasche an den Mund. Welch ein zusätzlicher Trost! Wärme durchströmte ihre Glieder, Fröhlichkeit machte sich in ihr breit, das Leben war wunderbar – und sie fühlte sich stark genug, um in den kleinen Raum zurückzugehen und den beiden ein bisschen auf den Zahn zu fühlen. Leicht schwankend kehrte sie ins Zimmer zurück. Aber die beiden waren viel zu sehr miteinander beschäftigt, um auf ihr Schwanken zu achten. Sie hielten sich immer noch fest und schauten sich innig in die Augen.
Na ja, das würde bald vorbei sein, die Liebe war wechselhaft und flüchtig, nur die Ehe war dauerhaft. Und die gemeinsamen Kinder...
„Wie habt ihr dies denn gedeichselt?“, fragte sie neugierig, während sie in sich den guten Branntwein spürte, wie er belebend durch ihre Adern zog und sie fröhlich und beschwingt machte.
Als erste riss sich die Lena los, um ihre Frage zu beantworten: „Ach Mutter, der Thomas und ich haben natürlich heimlich geheiratet. Es war in der Kirche von Santrofallen, die haben da wirklich eine schöne kleine Kirche, richtig hübsch ist die, nicht wahr?“ Die Lena wandte sich wieder ihrem Ehemann zu und küsste ihn auf den Mund.
Ihre Mutter unterdes wurde ein wenig ungeduldig, sie wollte Einzelheiten wissen, es musste ja alles seine Ordnung haben.
„Und wie war das nun?“, fragte sie mit leicht lallender Stimme, die natürlich keiner von den Turteltäubchen bemerkte. „Brauchtet ihr keinen Trauzeugen? Brauchtet ihr kein Aufgebot, das ausgehängt werden musste für sechs Wochen?“
Diesmal war es der Thomas, der ihr antwortete, allerdings hatte er seine Arme dabei immer noch um die Lena gelegt, als könne er auf ihre Gegenwart keinen Augenblick verzichten. „Nein, liebe Schwiegermutter, so etwas brauchten wir nicht. Es gibt andere Wege, um dies zu erlangen...“
„Ach ja! Und wie?“
Die Lena mischte sich wieder ins Gespräch ein. „Mütterlein, das war doch ganz einfach! Der Thomas hat unsere Geburtseinträge aus dem Kirchenregister geklaut...“ Bei diesen Worten fing sie an zu kichern und schmiegte sich eng an ihren angetrauten Thomas. „Und nachdem er dem Pfarrer ein paar Silbertaler gegeben hat, da war alles vergessen, das ganze Brimborium von wegens Trauzeugen und Aufgebots...“
Die Natalia schaute sie bei dieser Rede stumm und mit offenem Mund an, es hatte ihr tatsächlich die Sprache verschlagen, wirre Gedanken zogen durch ihr vom Branntwein betäubtes Gehirn, das konnte doch nicht sein, da stimmte was nicht, die wirren Gedanken versuchten Fuß zu fassen, schafften es aber nicht, das Rechnen war sowieso nie ihre Stärke gewesen, und so dauerte es eine Weile, bis sie wieder sprechen konnte.
„Und ihr glaubt, damit kommt ihr durch?“
Thomas befreite sich zärtlich von den Armen seiner Ehefrau und setzte sich gerade hin. Natürlich hatte er seine Zweifel, und außerdem empfand er einen gewaltigen Respekt vor seiner Mutter, er liebte sie zwar sehr, doch in diesem Fall wusste er nicht, wie sie reagieren würde. Also musste er erst einmal abwarten. In ein paar Tagen würde er volljährig werden, und dann sähe die Sache schon ganz anders aus. Sie hatte bestimmt Angst vor einem Skandal und würde der Hochzeit nachträglich zustimmen. Sie war doch eine fortschrittliche und sehr tolerante Frau, welche die Standesgrenzen kaum interessierten...
Trotzdem fühlte er sich unwohl, er hatte sowohl seine Frau, oh, seine Lena war wunderbar, und er würde sie lieben, solange er lebte, als auch deren Mutter belogen. Dennoch würde alles in Ordnung kommen, das wusste er, und vor allem wollte er es! Er liebte Lena, sie war seine Frau, und sie würde ihr gemeinsames Kind zur Welt bringen. Eigentlich sah seine Zukunft und natürlich auch die seiner Frau überaus verheißungsvoll aus.
Und dass er bei seinem Geburtseintrag aus der hinteren neun eine acht gemacht hatte, meine Güte, es war doch nur eine kleine Zahl, die er auf dem Formular verändert hatte. Gut, diese kleine Zahl ließ ihn volljährig vor dem Pfarrer dastehen – und die großzügige Spende tat auch ihr Werk dazu... Aber vor Gott war er schon mit der Lena verheiratet, und zwar aus Liebe, aus vollkommener immerwährender Liebe, und in nicht allzu langer Zeit würde er auch vor der ganzen Welt mit der Lena offiziell verheiratet sein.
Er vertraute seiner Mutter, sie würde ihn unterstützen, sie war eine gute und liebevolle Frau, die nichts als sein Glück wollte...
Wenn nur diese Übelkeit nicht wäre... Sie raubte ihm ziemlich viel an Kraft, doch es würde schließlich vorbeigehen, und dann würde er kämpfen. Um Lena. Um sein Glück! Seine Hand suchte die der Lena, er fand sie, und sie schauten sich in die Augen, wortlos... atemlos... glücklich... Dennoch verspürte er in einem Winkel seiner Seele ein beklemmendes Schuldbewusstsein, gleich musste er seiner Mutter gegenübertreten, sie vermisste ihn bestimmt schon. Aber er konnte halt nicht anders, er wollte zu seiner angetrauten Frau und hatte seine Mutter auf dieser Gesellschaft allein gelassen...
Wieder traten ihm Schweißtropfen auf die Stirn, mühsam riss er sich zusammen, seltsam, so krank hatte er sich noch nie gefühlt. Es war, als würden seine Eingeweide ein Eigenleben führen, sie krampften sich immerzu schmerzhaft zusammen, so dass er aufstöhnen musste vor Qual. Bis jetzt hatte er diese Übelkeit noch bezwingen können, obwohl diese immer grausamer zuschlug, denn er wollte die Lena nicht beunruhigen, und es war bestimmt nichts Schlimmes, es würde sicherlich vorbeigehen wie ein Schnupfen...
Seltsamerweise dachte die Natalia in gewissen Bereichen genau das gleiche wie Thomas, nämlich das: „Ganz gewiss schreckt die Baronin vor einem Skandal zurück!“ Natürlich, der Name der von Kampes durfte nicht mit einem Skandal in Verbindung gebracht werden. Ha, wenn die wüsste! Die mit ihrem anständigen Getue, ihren Wunderheilungen und ihrer verdammten Mildtätigkeit...
Trotzdem war ihr Sohn Thomas ein guter Junge, ein wirklich guter Junge, so sinnierte die Natalia vor sich hin, während sie vor sich dieses wunderbare Liebespaar, nein Ehepaar sah. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, wieder an den Holzkasten zu gehen mit seinem versteckten Schatz, um sich noch mehr am Branntwein zu laben, um sich noch mehr zu berauschen an ihrem Sieg...
Sie war so glücklich, dass sie gar nicht bemerkte, wie ihr Schwiegersohn das Haus verließ.

 

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ROMANE

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